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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Italien
  2. Österreich
  3. AfD, BNP, Front National, Norbert Hofer, Donald Trump – überall Rechtspopulismus?
  4. Warum die Arbeiterklasse nach rechts rückt
  5. Griechenland
  6. WikiLeaks documents highlight sinister relations between Erdogan and ISIS
  7. Der vergessene Krieg – die Kurden in der Türkei
  8. Lufthansa-Streik: Union Scabs und Lehre der Leere
  9. Zahl der Wohnungslosen stark gestiegen
  10. Wenn ich niemanden treffen könnte, würde ich verrückt
  11. Für Arme ist München eine geschlossene Gesellschaft
  12. Armut kostet den Menschen elf Jahre Lebenszeit
  13. Verelendung per Gesetz
  14. Philip Morris sponsert Parteien im großen Stil
  15. Russland-Sanktionen ohne politische Wirkung?
  16. Arbeiterkinder und Studium – Viele kennen gar nicht ihre Möglichkeiten
  17. Ist Micro-Targeting via Facebook wirklich Schuld am Sieg von Donald Trump?
  18. Alternativlos, Folge 38
  19. Nicht vergessen … heute Abend kommt die Anstalt!

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Italien
    1. Das italienische Beben
      Die Abstimmungen in Österreich und Italien sind zwar im Lichte der europäischen Krise besehen unterschiedlich ausgegangen, doch die Folgen beider werden gravierend sein. Wer jetzt noch nicht versteht, dass ohne durchgreifende und sofortige Erhaltungsmaßnahmen das europäische Haus vor dem Einsturz steht, ist ein Narr.
      Gestern hat die politische Erde gleich zwei Mal gebebt. Zunächst gab es nördlich der Alpen eine geringeres Beben und dann südlich davon ein auf der nach oben offenen Richterskala kaum noch zu messendes gewaltiges Beben. In Österreich hat ein Vertreter der Partei über 48 Prozent der Stimmen bekommen, für die Südeuropa eine einzige Pleiteregion ist, die nicht anderes im Sinn hat, als den guten und produktiven Nationen im Norden ihr wohl verdientes Geld aus der Tasche zu ziehen (vgl. das Plakat hier). Viele „gute Europäer“ freuen sich heute jedoch, dass der Vertreter dieser Partei nicht 51 Prozent bekommen hat und deuten auf das erste Licht am Ende des „populistischen“ Tunnels. Dass es der entgegenkommende Zug sein könnte, der gerade Fahrt aufnimmt, wollen sie nicht wahrhaben.
      In Italien hat ein Ministerpräsident eine Abstimmung mit Pauken und Trompeten verloren, den man zu Recht als die letzte europäische Hoffnung bezeichnen konnte. Obwohl nie vom Volk gewählt, war Matteo Renzi doch die verkörperte Hoffnung des „alles wird gut“, mit dem sich die Politik des Nordens täglich einbalsamiert, um den sich ausbreitenden Verwesungsgeruch nicht wahrzunehmen. Renzi hat zwar immer wieder versucht, gegen den deutschen Stachel zu löcken, doch er blieb im Bereich des Symbolischen und begab sich lieber auf den langen Weg der „strukturellen Reformen“, vermutlich, ohne je zu verstehen, dass der auch ohne die Ablehnung durch die Bevölkerung ein Irrweg war.
      Was man weder in Frankreich noch in Italien begreifen kann (und ich sage nach vielen schmerzlichen Erfahrungen der letzten Wochen bewusst kann), ist die Tatsache, dass Deutschland mit seiner Politik seit Beginn der Währungsunion genau diese Option verstellt hat. Der einzige Weg, ein Land erfolgreich angebotsseitig zu reformieren, verläuft über die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, also über Merkantilismus und beggar-my-neighbour-Politik. Doch genau diesen Weg hat Deutschland mit seinem eigenen Merkantilismus seit langem geschlossen.
      Quelle: Makroskop
    2. Italien hat richtig entschieden
      Jetzt tritt der Premier zurück, wieder Krise, wieder eine neue Regierung in einem Land, das seit Kriegsende deren mehr als 60 verschlissen hat. Tja, und dennoch ziemlich lange gar nicht so schlecht funktionierte, sich in Zeiten hektischster Regierungswechsel sogar einen wirtschaftlichen Boom schuf. Die Krisen genannten Regierungswechsel waren selten etwas anderes als das, was auf italienisch “Sesselwalzer” heißt, die Parteiströmungen tarierten ihr Gewicht neu aus – Ende. Während sich alles änderte, wie das geflügelte Wort aus Tommasi di Lampedusas “Leopard” sagt, blieb alles gleich: Gründervater Alcide de Gasperi war achtmal, Giulio Andreotti sieben- und Amintore Fanfani immer noch sechsmal Regierungschef. Sie alle waren Christdemokraten, die Democrazia cristiana, der “weiße Wal”, wie Italien spottete, blieb, mit kurzen Unterbrechungen von Kriegsende bis 1990 an der Macht. Ein instabiles System?
      Es ist womöglich ein zu stabiles, und man muss sich wundern, dass die europäische Öffentlichkeit das seit Jahrzehnten nicht zur Kenntnis nimmt, sondern sich lieber wohlig über das angebliche Chaos der Südländer gruselt. Dass zwei deutsche Minister, Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble, sich in den letzten Wochen auf die Seite der Regierung in Rom schlugen und unnötigerweise erklärten, sie würden mit Ja stimmen. Was eigentlich tun die Stäbe ihrer Ministerien, wenn so viel Desinformation an der Spitze landet? Dass beide deutsche Politiker im Gegenteil wohlinformiert waren, aber eine heimliche Schwäche für eine Art Präsidialsystem gehabt hätten, wie es Matteo Renzi vorsah, mit ihm als starkem Mann, dürfen wir hoffentlich ausschließen. Das nämlich war das eigentliche Ziel, das schon Berlusconi verfolgte: Auch Renzi hat keine Lust auf langwierige Konsenssuche, zwei möglichst willfährige Kammern hätten dabei gut geholfen, eine starke Exekutive, von der starke Männer schon je und immer weiter träumen.
      Quelle: Tagesspiegel

      Dazu immer wieder die gleiche neoliberale Leier: “Das ist eine Zeitbombe”
      Keine Reformen, kein Schuldenabbau: Nach dem gescheiterten Referendum droht in Italien das wirtschaftliche Chaos. Wenn das Land in der Eurozone bleiben wolle, müsse es sehr umfangreiche Reformen durchführen, sagte der Wirtschaftsexperte Bert van Roosebeke im DLF. Man könne Italien auf Dauer nicht durch die Hilfe anderer EU-Länder retten.
      Quelle: Deutschlandfunk

  2. Österreich
    1. Österreich hat auf sich selbst aufgepasst
      Es ist eine gute Nachricht für Europa und für Österreich – Alexander Van der Bellen hat überraschend deutlich die Wahl gewonnen. Die Mehrheit der Wähler in der Alpenrepublik hat sich für einen älteren Herren als Bundespräsidenten entschieden, der vielleicht nicht unbedingt den Aufbruch verkörpert und ganz gewiss auch nicht jene Dynamik, welche die Rechtsausleger von der FPÖ schon für Politik halten.
      Nein, Alexander Van der Bellen entspricht in so gut wie nichts dem, wofür die FPÖ, sein Gegenkandidat Norbert Hofer und dessen Parteichef Heinz-Christian Strache stehen. Van der Bellen ist ein alter Linker, der mit der Zeit pragmatisch-liberal geworden ist, wie das viele alte Linke so an sich haben.
      Sein Pendant in Deutschland ist nicht Angela Merkel, sondern eher Winfried Kretschmann. Österreichs neuer Präsident glaubt an die Aufklärung durch Vernunft, was er zugegeben nicht unbedingt mitreißend erklären kann. Und er ist ein überzeugter Europäer.
      Hofers Niederlage hat nun sicher nicht der populistischen Welle zwischen den Rocky Mountains und den Karpaten die Kraft genommen. Aber Van der Bellens Sieg hat gezeigt, dass eine Person, die Werte glaubhaft verkörpert, die gegen den neuen Nationalismus und die damit verbundene Anmaßung beharrlich Stellung bezieht, überzeugen kann.
      Quelle: SZ

      Anmerkung JK: Das übliche inhaltsleere Gerede der oberen Mittelschicht, das geschickt um die Frage nach den sozialen und ökonomischen Gründen für den Erfolg der Rechtspopulisten herummanövriert. Selbstverständlich ist der Wahlsieg van der Bellens nicht das Ende des “Populismus” und selbstverständlich sollte man dieses Ergebnis auch nicht als Zustimmungen zu den Parteien der “Mitte”, also zur neoliberalen Agenda werten. Ist die neoliberale Austeritätspolitik beendet? Ist die soziale Polarisierung gestoppt? Werden die Superreichen nun angemessen besteuert? Ist der grassierende Steuerbetrug durch die ökonomischen Eliten gestoppt? Ist die mittlerweile obszöne Reichtumsanhäufung beendet? Ist die Macht der Finanzindustrie eingeschränkt und reguliert? Wird die Privatisierung öffentlichen Eigentums nicht mehr weiter betrieben?
      Man muss sich nur den neuen Liebling der deutschen “Qualitätsmedien” ansehen, den Präsidentschaftskandidaten der Konservativen in Frankreich, François Fillon, ein ultrarechter Katholik und knallharter Neoliberaler, der Frankreich eine Agenda 2010 verpassen will, welche die Lebensumstände der Mehrheit der französischen Bürger verschlechtern wird, um zu erkennen, dass noch immer nichts verstanden wurde. Die Ablehnung des von Renzi in Italien angesetzten Verfassungsreferendums zeigt zudem, dass der Widerstand gehe die neoliberale Politik der “Mitte” ungebrochen ist. Auch hier wurde die Verfassungsänderung durch die deutschen “Qualitätsmedien” wieder einmal als “alternativlos” beschrieben und meinte damit gleichzeitig die neoliberale Politik Renzis. Das italienische Volk hat anders entschieden und sich damit auch deutsche Belehrungen, wie von Schäuble und de Maizière, verbeten.

    2. Warum Van der Bellen so klar siegte
      Deutlicher als erwartet hat Alexander Van der Bellen die Wahl in Österreich gewonnen. Die grafische Analyse zeigt, wo der neue Bundespräsident gepunktet hat.
      Noch vor der Auszählung der Briefwahlstimmen ist klar: Alexander Van der Bellen wird neuer Bundespräsident Österreichs. Der 72-jährige Ökonom holte dem vorläufigen Endergebnis zufolge 51,7 Prozent der Stimmen. Sein Kontrahent von der FPÖ, Norbert Hofer, kam demnach auf 48,3 Prozent.
      Inklusive der Briefwahlstimmen dürfte der Sieg noch deutlicher ausfallen. Laut Hochrechnung kommt Van der Bellen auf 53,3 Prozent der Stimmen, Hofer auf 46,7 Prozent.
      Quelle: SPIEGEL

      Anmerkung unseres Lesers J.A.: 51,7 Prozent ist für mich ein knapper Sieg, und selbst die – hochgerechneten – 53,3 Prozent sind wären alles andere als überragend. Abhängig vom Wetter oder von einem Last-Minute-Umschwung hätte auch Hofer gewinnen können; “so klar” ist das gar nichts. Wenn das Ergebnis aber in den, man mag es kaum mehr in Anführungszeichen schreiben, “Qualitätsmedien” so mißgedeutet und die offensichtliche politische Spaltung weiterhin weginterpretiert wird, weil die regierende Politik bloß nichts am neoliberalen, antisozialen angeblichen “Pro-EU-Kurs” ändern will, dann wird es beim nächsten Mal mit noch größerer Wahrscheinlichkeit schief gehen. Wobei es eigentlich seit über 20 Jahren schief geht, nämlich immer gegen die Arbeitnehmer und für das Kapital.

  3. AfD, BNP, Front National, Norbert Hofer, Donald Trump – überall Rechtspopulismus?
    Das Bild verdichtet sich. Trump ist Präsident. Hofer wurde fast Präsident. Die Wahlen in Frankreich und den Niederlanden verheißen nichts Gutes.
    Wie konnte es dazu kommen? Weiße, ältere Männer ohne Hochschulabschluss stehen im Focus der Kritik. Sie wurden nicht beachtet und versuchten jetzt, sich durch die Wahl von Rechtspopulisten Gehör zu verschaffen. Diese Erklärungsmuster werden auch für Berlin bemüht. Hier hat es die AfD geschafft bei den Arbeitern stärkste Partei zu werden. Auch bei den Arbeitslosen konnte sie überdurchschnittlich punkten. Besonders gilt dies für den Ostteil der Stadt.
    Ich möchte hier nicht davon ablenken, dass die AfD auch im Bürgertum verfängt. Mir geht es um einen Beitrag zur Klärung, warum sie bei den Arbeitern und Arbeitslosen überdurchschnittlich erfolgreich ist.
    Wer ist gleicher als andere?
    Einen Ansatz zum besseren Verständnis dieser Wahlentscheidungen lieferte Owen Jones bereits 2012. In seinem Text „Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse“ untersucht er das neoliberale Großbritannien seit Tony Blair.
    Dieser Text von 2012 trägt auch zum Verständnis des Brexit bei. Vor allem untersucht Jones aber, weshalb die Britisch National Party (BNP) innerhalb der Arbeiterklasse so stark vertreten ist.
    Für Jones ist der Aufstieg der extremen Rechten nicht nur Ausdruck von Rassismus, sondern auch eine Folge der Marginalisierung der Arbeiterschicht (S. 154ff). Die englische Arbeiterklasse spürt nicht nur die die sozialen Verwerfungen durch die neoliberale Politik in Form von Arbeitsplatzverlust, Lohndumping und Mietenanstieg. Politik und Medien fühlen sich für diese realen Probleme nicht zuständig. Im Gegenteil, sie reagieren mit Stigmatisierung und Dämonisierung der Arbeiterklasse. Dämonisierung heißt für Jones, die Arbeiterklasse wird nicht mehr als stolz, selbstbewusst und selbstwirksam wahrgenommen, sondern als verroht, verwahrlost und unzivilisiert. Sie wird von Politikern beschimpft. Ihr Lebensstil wird im Reality-TV ins Lächerliche gezogen, ihre soziale Lage wird als selbstverschuldet dargestellt. Als Ursachen gelten Undiszipliniertheit und Faulheit in der sozialen Hängematte. Die klassenbewussten Gewerkschaften sind inzwischen zerschlagen. Die Labour-Party unter Tony Blair setze die neoliberale Politik von Margaret Thatcher fort. Erst seit kurzem bemüht sich Labour ja bekanntlich wieder darum, die Reste von Klassenbewusstsein zu stärken.
    Quelle: peira
  4. Warum die Arbeiterklasse nach rechts rückt
    Der französische Soziologe Didier Eribon beschäftigt sich in “Rückkehr nach Reims” mit der Frage: Warum wählen große Teile der Arbeiterschaft nicht mehr links sondern rechts? Er hält die linke Elite für mitverantwortlich: Diese habe den Klassenbegriff eliminiert – die Rechte besetze nun diese Thema.
    Der Soziologe und Intellektuelle Didier Eribon ist ein Arbeiterkind aus dem französischen Reims. Er kennt sich also bestens aus in der Klasse – Eribon verwendet bewusst diesen Begriff –, zu der seine Familie gehört.
    “Statistisch gesehen bin ich ein Wunder”, sagt Eribon. In Frankreich sei es unverändert so, dass Familie, Schule und die richtige Universität entscheidend für den Platz im Leben und die Weichen zum Erfolg seien.
    “Man hat eigentlich ein vorbestimmtes Schicksal, wenn man aus ärmeren Schichten der Gesellschaft stammt.” Der Analyse dieses gesellschaftlichen Zustands widmet Eribon sich in seinem Buch “Rückkehr nach Reims”. Er beschreibt darin zum einen seine Reise nach Reims – 20 Jahre nach seiner “Flucht” nach Paris – zur Beerdigung seines Vaters: Die Erinnerungen, die dabei wach werden, die Konfrontation mit seiner Familie, von der er sich als junger, intellektuell interessierter Schwuler regelrecht flüchtete, um zu überleben.
    Doch Eribons autobiografische Milieu-Analyse spiegelt natürlich nicht nur seine persönliche Geschichte wider, sondern ist auch ein Erklärungsversuch dafür, warum die französische Arbeiterklasse von traditionell linken Wählern zu Anhängern der Front National geworden ist.
    Eribon sieht die Ursache vor allem bei der französischen linken Elite: Wenn man sich die französische – eigentlich die gesamt europäische Sozialdemokratie – der vergangenen Jahre anschaue, dann werde deutlich, dass diese, zusammen mit den Intellektuellen an Universitäten versucht hätten, “die Notion von Klassen abzuschaffen, das Vokabular abzuschaffen. Und das hat, meiner Meinung nach, dazu geführt, dass wir heute ganz andere Entwicklungen haben.” Es sei wichtig, dieser sozialdemokratisch-intellektuellen Negierung von Klassenkampf etwas – eine neue intellektuelle Analyse – gegenüberzustellen, worüber man zu einer neuen Wahrnehmung sozialer Realitäten finde.
    Quelle: Deutschlandradio Kultur

    Anmerkung Jens Berger: Wer an einem Rechtsruck der Arbeiterklasse zweifelt, sollte sich einmal das Wahlergebnis aus Österreich zu Gemüte führen. Wie kommt es, dass ein Norbert Hofer bei den Arbeitern 85% der Stimmen bekommt? Auf der Gegenseite haben 78% aller Österreicher mit Matura (Abitur) und sogar 83% aller Akademiker van der Bellen gewählt. So deutlich waren zwei Lager schon lange nicht mehr getrennt.

    Passend dazu: Elitenversagen
    Der Brexit und die Wahl Donald Trumps kamen keineswegs überraschend und sind offensichtlich der Beginn einer radikalen Zeitenwende, wenn bei den Eliten nicht sofort ein Umdenken stattfindet. Ein “weiter so und immer mehr vom Gleichen” ist nicht mehr möglich. Es ist an der Zeit für eine drastische Kehrtwende. Ansonsten werden Extreme die Welt verändern und Wohlstand und Demokratie werden langfristig auf dem Spiel stehen.
    Großbritannien und die USA haben gewählt. Die einen die EU ab – und die anderen Donald Trump ins Präsidentenamt. Entgegen aller Horrorszenarien sind weder Großbritannien noch die USA im Meer versunken, noch sind die Märkte nachhaltig eingebrochen. Nein, sie sind sogar gestiegen. Mit der für uns keineswegs überraschenden Wahl Trumps zum US-Präsidenten wurden die Eliten nach dem Brexit abermals auf dem falschen Fuß erwischt.
    Wie kann das sein? Weder in den USA noch in Großbritannien hat ausschließlich die weiße Unterschicht – von den “Oberen“ verächtlich “white trash“ genannt – entgegen den Erwartungen abgestimmt. Insbesondere in den USA hat sich auch die US-Mittelschicht nicht für Trump sondern oftmals gegen Clinton und das damit verbundene sogenannte “Establishment” entschieden. Trump wurde nicht zum Präsidenten gewählt, weil er so ein toller Hecht ist, sondern weil die Menschen es satt haben, dass sich das oberste Prozent der Bevölkerung ausschließlich um sich kümmert und sich gnadenlos bereichert, während der Rest auf der Strecke bleibt und obendrein für dumm verkauft wird.
    Einerseits sind die Vermögen der Superreichen in den letzten 15 Jahren explodiert, andererseits sind die Einkommen der Mittel- und Unterschicht kaum gestiegen. Amerika ist nicht nur New York, Kalifornien und Miami. Es leben nicht nur an der Ost- und Westküste der USA Menschen, sondern auch dazwischen – und zwar verdammt viele. Dieses “Dazwischen”, das ist das andere, das abgewirtschaftete Amerika. Amerikas Mittel- und Unterschicht sind zweifellos die Verlierer der Globalisierung. Eine Reise in die Mitte Amerikas hätte den Eliten gut getan. Genauso ist es ratsam für unsere Eliten in Europa, dorthin zu gehen wo ebenfalls viele Menschen wohnen – in den Vororten der großen Städte, in den vergessenen Städten und Regionen und auf dem tiefen Land.
    Quelle: Telepolis

  5. Griechenland
    1. Der Schuldenberg ruft
      Alle Auflagen sind erfüllt, doch die EU-Politiker wollen keinen Schuldenschnitt. Sie fordern Reformen und wollen die Tarifautonomie aushebeln.
      Was soll mit den griechischen Schulden passieren? Diese Frage wird das Treffen der Euro-Finanzminister am Montag dominieren. Finanzminister Schäuble lehnt einen Schuldenschnitt ab.
      „Athen muss endlich die nötigen Reformen machen“, sagte er der Bild am Sonntag. „Wenn Griechenland im Euro bleiben will, führt kein Weg daran vorbei – und zwar völlig unabhängig vom Schuldenstand.“ Die griechischen Staatsschulden belaufen sich auf über 300 Milliarden Euro, was 179,2 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht. Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt schon seit Jahren, dass diese Schuldenlast nicht tragfähig ist. Der Fonds ist daher aus dem Rettungsprogramm für Griechenland ausgestiegen und wird sich erst wieder beteiligen, wenn es zu einem Schuldenschnitt gekommen ist. Derzeit sind die IWF-Experten nur als Berater in Athen tätig.
      Die Eurogruppe befindet sich in einem Dilemma. Sie will keinen Schuldenschnitt – aber den IWF zurückgewinnen. Der Chef des Euro-Rettungsschirms ESM, Klaus Regling, wurde daher beauftragt, einen Ausweg zu skizzieren. Sein Konzept will die Laufzeiten der Rettungskredite weiter verlängern und die Zinsen erneut reduzieren. Momentan muss Griechenland auf seine ESM-Kredite noch etwa ein Prozent Zinsen und Gebühren entrichten. Die griechische Schuldenlast würde im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung um 21,7 Prozentpunkte sinken – bis zum Jahr 2060.
      Im Gegenzug verlangt die Euro-Gruppe weitere Reformen – obwohl die Europäer zugeben müssen, dass die Griechen eigentlich alle Auflagen erfüllt haben. Lobend heißt es auf der ESM-Homepage: „Das Land ist die führende Wirtschaft, wenn es darum geht, die OECD-Empfehlungen für strukturelle Reformen umzusetzen.“
      Quelle: taz
    2. Gläubiger drängen auf Lockerung des Streikrechts
      Die früher als Troika bekannten Gläubigerinstitutionen der EU sowie der IWF drängen Griechenland erneut, den Arbeitsmarkt weiter zu deregulieren. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) kritisieren die Forderungen der griechischen Gläubiger scharf.
      Am 5. Dezember treffen sich die Euro-Finanzminister. Der EGB hat die Eurogruppe im Vorfeld des Treffens aufgerufen, Griechenland keine weiteren schädlichen Reformen überzustülpen.
      Derzeit laufen Diskussionen zwischen der griechischen Regierung und den griechischen Gläubigern. Nach EGB-Informationen drängen die Gläubiger darauf, den ohnehin bereits stark deregulierten griechischen Arbeitsmarkt weiter zu deregulieren.
      Zu den Forderungen der Gläubiger gehören nach EGB-Informationen unter anderem:

      • eine Gesetzesänderungen, die es erleichtert, Gewerkschaftsmitglieder zu entlassen
      • eine Gesetzesänderung, die es erschwert, zu Streiks aufzurufen
      • neue Möglichkeiten für Arbeitgeber, Beschäftigte auszusperren

      Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sagte zu den Plänen: “Der geplante weitere Abbau von Gewerkschaftsrechten in Griechenland durch die Gläubigerinstitutionen ist völlig inakzeptabel. Er verstößt gegen europäisches Recht und widerspricht klar dem Ziel von Jean-Claude Juncker, das Soziale Europa zu stärken und den Rechtspopulismus in die Schranken zu weisen.”
      Quelle: DGB

  6. WikiLeaks documents highlight sinister relations between Erdogan and ISIS
    The connection of the Turkish president Recep Tayyip Erdoǧan΄s family with the oil smuggling of the “Islamic State” is revealed after Wikileaks΄ revealing of emails from the Turkish energy minister, and Erdoǧan΄s son-in-law, Berat Albayrak. Albayrak΄s emails seem to confirm the not-so-recent accusations, since the energy minister is appealing to be the “unofficial” owner of the oil company Powertrance which is importing oil from the Isis΄ land in Northern Irak to Turkey.
    At the end of September 2015 a Turkish Marxist hacking organization, Red Hack, claimed that it has access to almost 20 gigabyte of data from Albayrak’s personal email accounts. Information and articles regarding the email’s content began to go online, however the Turkish justice system decided against the publication and reproduction of the emails, thus implying their authenticity. The newest accusations that the Turkish government -and, specifically, members of Erdogan’s family- has an active role in the oil smuggling from areas that are controlled by the “Islamic State”, were between the most important subjects that were temporarily released. The leaking of all the emails from the Turkish energy minister by Wikileaks seem to confirm these allegations.
    The route of oil from the ISIS-controlled oil wells to Turkey was revealed by satellite photos which were published by Russia in December 2015. According to Russia, the oil is transported by third routes.

    • The west route, which starts at the “capital” of the ISIS, Rakka, and goes through the camp of Azaz in the Turkish border. From there, the oil is transported -according to the Russian Defense ministry- to Reyhanli and then parts of it are channeled to the Turkish market while the rest reaches the Mediterranean via the ports of Iskenderun and Dortyol.
    • Another central route starts from Deir Ez-zour in Syria, goes through the Al-Qamishli area and from there to the Turkish town of Batman.
    • The third route, according to the Russian ministry, runs from Eastern Syria and West Iraq to the Southeastern corner of Turkey.

    Quelle: ThePressProject

  7. Der vergessene Krieg – die Kurden in der Türkei
    Gut eineinhalb Jahre ist es her, dass der älteste Binnenkonflikt der Türkei wieder entflammt ist und die beiden Hauptakteure, türkischer Zentralstaat und bewaffneten kurdische Milizen zu den Waffen zurückgekehrt sind. Der Anschlag von Suruç im Juli 2015 gilt bis heute als Stein des Anstoßes. Die Bilanz ist verheerend, die Lage für die kurdische Zivilbevölkerung ist so dramatisch wie seit langem nicht mehr: Tausenden Menschen haben die gewaltsamen Auseinandersetzungen das Leben gekostet, große Teile der Infrastruktur sind zerstört, und die Spannungen im Land nehmen im Zuge der Entdemokratisierung immer weiter zu. Die „Kurdenfrage“ ist im internationalen politischen Diskurs ein untergeordnetes Thema, eigentlich ist sie jedoch eng mit den derzeit drängendsten Problemen der Türkei verbunden und verdient deshalb mehr Beachtung. Ein Abriss eines alten Krieges, der etwas in Vergessenheit geraten ist.
    Der vergangene Monat hat nochmal internationale Aufmerksamkeit auf einen Konflikt gelenkt, der angesichts großer politischer Umwälzungen in Europa, terroristischer Bedrohungen, und der Kriege in Nahost weniger die Schlagzeilen bestimmt hatte. Anfang November wurden große Teile der politischen Führung der linken und pro-kurdischen HDP verhaftet, zuvor waren es die Bürgermeister der Kurdenhauptstadt Diyarbakır, landesweit etwa unzählige kurdische Medien geschlossen, zigtausende Menschen festgenommen, oder einfach entlassen. Im kurdischen Kontext geschieht all dies im Lichte angeblicher Anti-Terror-Maßnahmen gegen die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Prominente Kurdenpolitiker wie die HDP-Vorsitzenden Selahettin Demirtaş und Figen Yüksekdaǧ konnten zwar nach der Aberkennung ihrer parlamentarischen Immunität im Mai 2016 mit einer Verhaftung rechnen, fast einhundert Verfahren liefen alleine gegen Demirtas, doch der Kahlschlag gegen die kritische Opposition kam trotzdem wie ein Schock. Nach dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juli dieses Jahres und dem damit verbundenen Ausnahmezustand, scheint die Türkei als demokratischer Rechtsstaat kaum noch zu retten sein. Seit Monaten agiert die regierende AKP-Führung zusammen mit dem Präsidenten fernab dieser allgemeingültigen Prinzipien, sie hat den bedeutendsten innerstaatlichen Konflikt des Landes, der die Türkei seit Gründungstagen begleitet, aus politischem Kalkül bewusst befeuert.
    Quelle: Die Freiheitsliebe
  8. Lufthansa-Streik: Union Scabs und Lehre der Leere
    Es gibt – ganz grundsätzlich gesprochen – zwei Arten, die Geschichte der Menschheit zu betrachten. Einerseits schreitet sie beständig voran. Durch technologischen Fortschritt: Selbst Flüchtlinge in Schlauchboten tragen heute Adidas-Rucksäcke und sind über Smartphones vernetzt.
    Andererseits dreht sich die Geschichte doch beständig im Kreise. Ein schönes Beispiel für die Auffassung, dass wir – seit unsere Vorfahren sich entschieden, von den Bäumen zu kommen und den aufrechten Gang zu üben – möglicherweise in einem Rad der ewigen Wiederkehr gefangen sind, lieferte am 30. November 2016 ein gewisser Rüdiger Fell.
    Fell sitzt im Betriebsrat des Frankfurter Flughafens und organisierte mit seiner Gruppierung Vereinigung Boden eine Anti-Streik-Demo von rund 200 empörten, braven Flughafen-Beschäftigten, die sich einer ungefähr ebenso großen Streikversammlung der Piloten-Gewerkschaft Vereinigung Cockpit entgegen stellten (FAZ, 30.11.2016).
    Solche Ereignisse gibt es seit Bestehen der Arbeiterbewegung und sie gehören zu den demütigendsten Beispielen für Selbsthass und Verwirrung innerhalb der arbeitenden Bevölkerung. Im Englischen würden gelbe Betriebsratsmitglieder wie Rüdiger Fell, Andreas Scholz und ihresgleichen als „Union Scabs“ bezeichnet – was im deutschen mit „Streikbrecher“ nur unzureichend übersetzt ist. Britische wie amerikanische Arbeiter verziehen beim Aussprechen des Wortes den Mund, als hätten sie saure Milch geschluckt, meist fällt auch das Adjektiv „lousy“.
    Es waren die üblichen Frame-Elemente zu hören, die von arbeitgebernahen Stichwortgebern wie Bild, Manager-Magazin, FAZ bei allen effektiven Streiks reproduziert werden: Streik als Geiselnahme, hohe Lohnforderungen als unsolidarische Privilegien einer kleinen Berufsgruppe (Partikular-Interessen), Nestbeschmutzung und Rufschädigung, gar mutwillige Zerstörung des Unternehmens.
    Reflexartig ist seit einigen Jahren auch der Ruf nach autoritärem Durchgreifen zu hören: Streikverbote in der Daseinsvorsorge. Und das ist kein Spaß: 2010 beendete das Militär in Spanien einen Fluglotsenstreik, nachdem die Regierung den Notstand ausgerufen hatte (rp-online, 6.12. 2010).
    Quelle: Arbeitsunrecht
  9. Zahl der Wohnungslosen stark gestiegen
    Hunderttausende Menschen in Deutschland haben kein festes Dach über dem Kopf. Seit 2010 wuchs diese Gruppe von 248.000 auf 335.000 Personen an. Die Regierung sagt, an fehlendem Wohnraum liege es oft nicht.
    Die Zahl der wohnungslosen Menschen ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Sie wuchs von 248.000 Personen im Jahr 2010 auf zuletzt 335.000, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervorgeht, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorlag. Betroffen waren 29.000 Kinder und 306.000 Erwachsene, davon mit 220.000 Personen der Großteil Männer.
    Wohnungslos sind Menschen, die auf der Straße leben, die ohne Mietvertrag in Wohnungen auf Kosten des Staats untergebracht sind, die in Notunterkünften oder Heimen untergebracht sind oder bei Verwandten untergekommen sind.
    Das Bundessozialministerium stützt sich bei seinen Angaben auf Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, da es keine amtliche Statistik dazu gibt. Man nehme das Problem ernst, so das Ministerium. Die Bundesarbeitsgemeinschaft prognostizierte bis 2018 einen Zuwachs auf 536.000 wohnungslose Menschen.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung unserer Leserin M.G.: Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut” (Angela Merkel in der Haushaltsdebatte). Und warum sagen die Zahlen dann etwas völlig anderes?

  10. Wenn ich niemanden treffen könnte, würde ich verrückt
    • Die Zahl der alten Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssen, steigt.
    • Aus entsorgten Pflanzen hat sich Eugen K. ein kleines Paradies geschaffen. Das ist der einzige Lichtblick in seinem bescheidenen Leben.
    • Auch Vera B. hat viel zu wenig Geld und fürchtet sich vor Einsamkeit.

    Was andere Menschen wegwerfen, ist für Eugen K. ein Schatz. Entsorgte Pflanzen holt er sich aus dem Müllcontainer der kleinen Wohnanlage. Überall in seinem Ein-Zimmer-Appartement blüht und grünt es. Auf dem Holzregal steht ein kleiner Kaktus, in Vasen auf dem Boden wachsen Orchideen, und in größeren Kübeln stehen kleine Palmen. “Die Leute werfen einfach alles weg”, sagt Eugen K., lacht und fügt hinzu: “Lachen ist gesund und kostet nichts.” Kaufen könnte sich der 87-Jährige keine der Pflanzen, wie auch: Zum Leben bleiben ihm nur ein paar Euro am Tag.
    Trotzdem hat sich Eugen K. in seiner Wohnung ein kleines Reich geschaffen. An den Wänden hängen Stiche von alten Meistern oder Fotografien seiner Familie aus früheren Tagen. Die Kücheneinrichtung in der kleinen Kochnische hat er sich ebenso selbst gebaut wie sein mintgrünes Sofa, einen Sessel in der selben Farbe und sogar sein Bett, das er wie eine Theaterbühne hinter einem schweren Vorhang verschwinden lassen kann. “Ich arbeite jeden Tag etwas”, sagt der Mann mit den schlohweißen gewellten Haaren. “Wenn ich etwas denken kann, bin ich glücklich.”
    Die Arbeit hilft ihm gegen das Alleinsein zu Hause. Ins Café zu gehen, um unter Leute zu kommen, kann er sich nicht leisten. Dafür schlendert er einmal in der Woche über den nahe gelegenen Flohmarkt und sucht dort nach Schätzen – Stoff oder alten Möbelstücken, aus denen er etwas Neues schaffen kann. “Mehr als drei oder vier Euro gebe ich aber nie aus”, sagt er und lächelt. Schon ein paar hundert Euro würden ihm helfen in seinem bescheidenen Leben, so gerne würde er auch wieder einmal einfach ein Theater besuchen.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

  11. Für Arme ist München eine geschlossene Gesellschaft
    • Laut dem letzten Armutsbericht von 2011 ist fast jeder fünfte Münchner arm oder von Armut bedroht.
    • In dem Bericht gilt ein Alleinstehender als arm, wenn er weniger als 1000 Euro im Monat zur Verfügung hat.
    • Im neuen Bericht, der nächstes Jahr erscheint, wurde die Armutsgrenze aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten auf 1350 Euro angehoben.

    Vorfreude, da und dort Fangesänge, die knisternde Spannung vor dem Spiel: Wer vom U-Bahnhof Fröttmaning zum Stadion marschiert, um, sagen wir, ein Champions-League-Spiel des FC Bayern anzuschauen, übersieht im Trubel leicht, dass ihm meist ältere Menschen mit großen Plastiktüten oder Rucksäcken entgegenkommen. Sie stochern in Mülleimern herum, suchen nach herumliegenden Flaschen oder nehmen sie den Fans gleich aus der Hand, sobald das Bier ausgetrunken ist. Das Pfand dafür beträgt acht Cent, PET-Flaschen bringen 25 Cent. Um sich das billigste Ticket – 30 Euro in der Gruppenphase der Champions League – leisten zu können, muss sich ein Sammler ranhalten.
    Aber er will ja gar nicht ins Stadion. Er braucht das Pfand, um halbwegs über die Runden zu kommen. Um die Miete bezahlen zu können, um etwas zu essen zu haben, um den Durst zu stillen. Es geht um die elementaren Bedürfnisse des Lebens, das nahe am Abgrund stattfindet und so gut wie nichts mit dem zu tun hat, was in der Arena passiert. Dort kicken junge Männer mit Millionengehältern, dort genießen Besserverdienende die Spezialitäten am Buffet der Business-Lounge, sofern sie sich nicht mit den bescheideneren Plätzen zu 100 Euro begnügen. Und ja, da ist auch die große Gruppe der Normalverdiener, die ein Ticket für 50 oder 60 Euro nicht in den Ruin treibt, vielleicht sind auch einige darunter, die sich das Eintrittsgeld vom Munde abgespart haben. Sie alle werden beim Anpfiff drin sein in der Arena; die Flaschensammler aber bleiben draußen.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

  12. Armut kostet den Menschen elf Jahre Lebenszeit
    Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Versicherung eine gesellschaftliche Diskussion anstößt. Die Strategen der Münchener Rück haben mit ihren Analysen zu Sturmschäden und anderen Naturkatastrophen maßgeblich die Debatte um den Klimawandel vorangebracht. Jetzt wirft die Zurich, einer der größten Lebensversicherer in Deutschland, eine neue Frage auf: Ist Langlebigkeit in Deutschland ein versicherbares Risiko?
    So weit, so unspektakulär. Doch die Ergebnisse der Analyse, die der „Welt“ exklusiv vorliegt, haben es in sich. Sie offenbaren, dass die Lebenserwartung zwar weiter langsam steigt. Doch die Langlebigkeitsstudie zeigt, dass sich der Trend abflacht und wir langsam an eine natürliche Altersgrenze stoßen.
    Arme Männer sterben elf Jahre früher
    Viel brisanter ist zudem, dass die Untersuchung schonungslos vorführt, wie ungleich verteilt sogar die Ressource Lebenszeit ist. Demnach werden Männer mit hohem Einkommen durchschnittlich elf Jahre älter als ihre Geschlechtsgenossen mit niedrigem Einkommen.
    Denn die Studie der Zurich birgt sozialen Sprengstoff. Sie ruft in Erinnerung, dass arme Leute so kurz leben, dass eine pauschale Ausweitung des Renteneintrittsalters kaum möglich ist. Armutsgefährdete Männer in Deutschland haben eine Lebenserwartung von gerade mal 70,1 Jahren. Bei Frauen liegt diese bei knapp 77 Jahren.
    Quelle: Welt
  13. Verelendung per Gesetz
    Die Teilprivatisierung der Rente unter SPD und Grünen hat das Problem der Altersarmut noch verschärft. Eine Lösung boten auch die jüngsten Beratungen der Bundesregierung nicht. Dabei gibt es eine Alternative: eine solidarische Bürgerversicherung für alle (…)
    Eine solidarische Bürgerversicherung würde dem Rechnung tragen. »Solidarisch« meint, dass sie zwischen ökonomisch unterschiedlich Leistungsfähigen einen sozialen Ausgleich herstellen muss. Nicht nur auf Löhne und Gehälter, sondern auf sämtliche Einkünfte aus Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung – sind Beiträge zu erheben. Dabei darf es weder Beitragsbemessungs- noch Versicherungspflichtgrenzen geben, die es privilegierten Personengruppen erlauben würden, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu entziehen. Andererseits muss finanziell aufgefangen werden, wer den nach Einkommenshöhe gestaffelten Beitrag nicht selbst entrichten kann. Nur im Falle fehlender oder eingeschränkter Zahlungsfähigkeit der Versicherten hätte also der Staat die Aufgabe, Beiträge bedarfsbezogen zu »subventionieren«, also Mittel dafür aus dem allgemeinen Steueraufkommen zuzuschießen.
    In die Bürgerversicherung wären sämtliche Einwohnerinnen und Einwohner einbezogen. So würde die Finanzierungsbasis des sozialen Sicherungssystems verbreitert und der Kreis seiner Mitglieder im Sinne der Schaffung eines inklusiven Sozialstaates erweitert. Eine solche Versicherung« bedeutete schließlich, dass gewährleistet sein muss, dass ihre Mitglieder, soweit sie dazu finanziell in der Lage sind, Beiträge entrichten und entsprechend geschützte Ansprüche erwerben. Dies schließt keineswegs aus, dass sich der Staat mit Steuergeldern am Auf- und Ausbau der Versicherung beteiligt.
    Quelle: Christoph Butterwegge in junge Welt
  14. Philip Morris sponsert Parteien im großen Stil
    Der Tabakkonzern Philip Morris zahlte über sechs Jahre rund 544.000 Euro für politisches Sponsoring – in den Rechenschaftsberichten der Parteien findet sich dazu nichts. Der Druck wächst, das Parteienrecht zu ändern.
    Wenn die CDU in den nächsten beiden Tagen ihren Parteitag veranstaltet, darf auch der Tabakkonzern Philip Morris in der Essener Grugahalle nicht fehlen. Wie schon in den vergangenen Jahren ist der Zigarettenhersteller (unter anderem von Marlboro) mit einem Stand vertreten, um die anwesenden Christdemokraten von den Vorzügen des Qualmens zu überzeugen.
    Philip Morris lässt sich das Parteisponsoring einiges kosten, wie die Organisation Lobbycontrol herausgefunden hat. Zwischen 2010 und 2015 hat das Unternehmen demnach rund 544.000 Euro für Veranstaltungen von CDU, CSU, SPD und FDP sowie deren parteinahe Organisationen ausgegeben – Grüneund Linke tauchen in der Liste nicht auf. In den Rechenschaftsberichten der betroffenen Parteien sind die Beträge des Tabakriesen nicht aufgeführt.
    Die Parteien müssen Einnahmen aus dem Sponsoring in Deutschland nicht gesondert ausweisen, was zuletzt für erhebliche Kritik sorgte. Das ZDF-Magazin “Frontal21” hatte enthüllt, dass sich Wirtschaftsvertreter bei SPD-Veranstaltungen über Sponsorengelder den Zugang zu Spitzenvertretern der Partei verschaffen konnten – ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr.
    Es weist auf die Regelungslücke im deutschen Parteienrecht hin, dass Lobbycontrol seine Informationen nicht von der Bundestagsverwaltung bekommen hat, die für das Thema Parteienfinanzierung in Deutschland eigentlich zuständig ist: Die Zahlen stammen von der englischsprachigen Website von Philip Morris. Nach einigen Klicks stößt man unter der Rubrik “Contributions” auf verschiedene PDF-Dokumente, die offenbaren, wie der Konzern in den vergangenen Jahren politische Landschaftspflege in Deutschland betrieben hat. […]
    Am meisten Geld bekamen die Unionsparteien von Philip Morris. Allein die CDU habe 2015 umgerechnet rund 80.000 Euro für diverse Parteiveranstaltungen kassiert, sagt Ulrich Müller von Lobbycontrol: “Wenn eine einzelne Firma wie Philip Morris so viel Geld an eine Partei zahlen kann, ohne dass das im Rechenschaftsbericht der Partei auftaucht, dann verfehlen diese Berichte ihren Zweck.”
    Quelle: SPIEGEL

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Im Grunde genommen wissen alle Bürger, daß sich die großen Parteien, allen voran SPD, CDU/CSU und FDP, von “der Wirtschaft” massiv schmieren lassen und auch wirtschaftshörig agieren. Es scheint aber den meisten nicht wichtig zu sein.

  15. Russland-Sanktionen ohne politische Wirkung?
    Die Maßnahmen gegen Russland im Zusammenhang mit der Krim und dem MH17-Abschuss haben sich weitgehend aus den Nachrichten verflüchtigt und keine Seite will etwas unternehmen, um sie zu beenden – eine Lösung ist in weite Ferne gerückt
    Von den USA und der EU wurden seit dem Jahre 2014 als Folge der Vorgänge auf der Krim und dem danach erfolgten und bis heute nicht aufgeklärten Abschuss des Malaysian Airlines-Flugs MH17 Sanktionen gegen einzelne Personen und Firmen in Russland verhängt. Die inzwischen erfolgten regelmäßigen Verlängerungen dieser Sanktionen gegen Russland fallen in den täglichen Nachrichten kaum noch auf. Dies betrifft auch die in den letzten Tagen geforderten zusätzlichen Sanktionen in der Folge des Eingreifens Russlands in den Syrienkonflikt. (…)
    Die westlichen Sanktionen waren für die russische Wirtschaft so etwas wie ein Weckruf, um die Lösung schon lange bestehender Probleme endlich in Angriff zu nehmen. Seit dem Ende des Kalten Krieges war es für russische Unternehmen vergleichsweise einfach, moderne Maschinen im Westen einzukaufen. Unterstützt wurden diese Einkäufe nicht selten auch durch finanzielle Zuwendungen der Verkäufer aus dem Westen. Die Sanktionen erschwerten diese Vorgehensweise ein wenig, auch wenn sie sie nicht unterbinden konnten, wie die kürzlich erfolgte Verhaftung des russischen Wirtschaftsministers Alexej Uljukajew zeigt.
    Mit dem fehlenden Maschinenangebot aus dem Westen ist die russische Industrie gezwungen, sich entweder aus chinesischen Quellen zu versorgen oder sich auf die eigenen Fertigkeiten zu besinnen und die benötigten Maschinen selbst zu entwickeln und herzustellen, wenn man nicht zu sehr von China abhängig werden will.
    Quelle: Telepolis

    Anmerkung Christian Reimann: Die NachDenkSeiten haben sich mehrfach mit den Sanktionen gegen Russland befasst und kritisch Stellung bezogen – dazu einige Beispiele:

    1. Die Angst vor einem Ausgleich mit Russland. Das politische Establishment vs. Trump.
    2. Apropos Sanktionen: Ein Blick auf Russlands Ressourcen
    3. Hat sich Europa dem Druck der USA gebeugt? Oder aus eigenem Antrieb Sanktionen gegen Russland mit-verhängt?
  16. Arbeiterkinder und Studium – Viele kennen gar nicht ihre Möglichkeiten
    Studium oder nicht? Diese Entscheidung hängt bei jungen Menschen in Deutschland vor allem vom Bildungshintergrund der Eltern ab. Die Initiative Arbeiterkind.de will das ändern.
    Die Perspektiven eines Kindes in Deutschland hängen noch immer vor allem vom Bildungshintergrund der Eltern ab. Um das zu ändern, hat Katja Urbatsch die Initiative Arbeiterkind.de gegründet. Das deutsche Schulsystem basiere stark darauf, dass die Eltern ihre Kinder sowohl finanziell als auch ideell unterstützen, so die Kritik von Urbatsch am Freitag im Deutschlandradio Kultur. Sie selbst hat zusammen mit ihrem Bruder als erste aus ihrer Familie studiert.
    “Man muss erst einmal auf die Idee kommen, dass man einen anderen Weg einschlagen kann, als die bisherige Familie”, weiß Urbatsch aus eigener Erfahrung. “Wenn noch niemand studiert hat, dann kann man natürlich niemanden fragen, man hat keine Vorbilder in der Familie.” Deswegen sei es wichtig, dass jemand von außen die Idee an einen herantrage.
    In ganz Deutschland gehen Ehrenamtliche der Initiative in die 9. und 10. Klassen, um dort ihre eigene Bildungsgeschichte zu erzählen. Theoretisch gebe es zwar eine große Durchlässigkeit im deutschen Bildungssystem, etwa mit dem zweiten und dritten Bildungsweg, so Urbatsch. “Aber viele Menschen kennen gar nicht ihre Möglichkeiten oder trauen sie sich nicht zu.”
    Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das zu ändern. “Es ist wichtig, dass jeder einzelne von uns sich verantwortlich fühlt, die Potenziale in unserer Gesellschaft zu heben.”
    Gegenüber der Politik formulierte Urbatsch die Forderung, genauer hinzuschauen, wo genau die Hürden für den Bildungsaufstieg liegen. “Wir merken, dass die Finanzierung für unsere Zielgruppe eine ganz wichtige Frage ist: Wieviel BAföG kriege ich eigentlich? Wenn man das erst weiß, wenn man schon studiert, ist das natürlich eine riesen Hemmschwelle.” Häufig läge der Teufel im Detail.
    Quelle: Deutschlandradio Kultur
  17. Ist Micro-Targeting via Facebook wirklich Schuld am Sieg von Donald Trump?
    Ein Bericht über die britische Agentur Cambridge Analytica sorgt derzeit im deutschsprachigen Netz für Aufregung. Hat das Unternehmen mit seinem Profiling und Micro-Targeting von Facebook-Usern tatsächlich Donald Trump ins Weiße Haus gebracht? Die Methoden der Firma stehen seit längerem in der Kritik, nicht nur wegen Datenschutzbedenken.
    „Donald Trump sollte Sie heute küssen“, sagte eine Nachrichtensprecherin einen Tag nach der US-Wahl zu Matthew Oczkowski, Head of Product der Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica. Das Unternehmen feierte den Erfolg seines bekanntesten Kunden auf der Website mit einem Zusammenschnitt von TV-Berichten. Trump hatte die Londoner Agentur engagiert, um Wählergruppen zu analysieren, gezielt anzusprechen und so die Wahl zu gewinnen.
    Die Sammlung und Analyse von Daten, die Cambridge Analytica (CA) dafür durchführte, sorgte am Wochenende für Aufregung, als der Text mit dem Titel Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt, aus der Schweizer Tagesanzeiger-Beilage Das Magazin in Social-Media-Kanälen die Runde machte. Das Zitat in der Überschrift stammt von dem Psychologen Michael Kosinski, der den Ansatz von geschaffen hat, den CA genutzt hat. Der Sozialforscher hat eine Methode entwickelt, mit der auf Basis von Daten eines Facebook-Nutzers dessen Persönlichkeit abgebildet werden soll.
    Dass Cambridge Analytica rund 220 Millionen US-Bürger analysiert, in Persönlichkeitsgruppen aufgeteilt und diesen gezielte Facebook-Werbung ausgespielt hat, soll Trump zum Sieg verholfen haben. Und auch wenn sich das Unternehmen am Tag nach der Wahl von den Medien feiern ließ, so gaben die Datenanalysten Trump am Tag vor der Wahl nur eine 30-Prozent-Chance für den Sieg: „So viele Staaten waren innerhalb der Fehlergrenze, sodass sich die Sache in jede Richtung drehen könnte“, sagte Oczkowski dem Wall Street Journal.
    Ein Jahr zuvor wollten die Targeting-Spezialisten noch einen anderen Republikaner ins Weiße Haus bringen: Ted Cruz. Er engagierte CA für seine Präsidentschaftskampagne, was der Agentur erstmals internationale Aufmerksamkeit verschaffte – allerdings nicht nur positive. Der Guardian berichtete im Dezember 2015, dass die Daten, die Cambridge Analytica für den Auftrag sammelte, ohne Zustimmung der Facebook-Nutzer passierte. Das Unternehmen nahm zu den Vorwürfen nicht Stellung. Facebook betonte damals, die Praktiken von Cambridge Analytica zu untersuchen. User in die Irre zu führen – im Fall von CA durch Persönlichkeitstests – verstoße gegen die Geschäftsbedingungen.
    Quelle: Wired
  18. Alternativlos, Folge 38
    Alternativlos Folge 38 handelt vom Leben nach und mit der Apokalypse (Trump, Brexit, Flüchtlingskrise, etc), mit einem kurzen Blick auf die aktuelle Wahl-Situation in Frankreich und Österreich und den Brexit-Nachwehen in UK. Außerdem geht es um Fake News, die OPEC und die Digitale Charta.
    Quelle: Alternativlos

    Anmerkung Jens Berger: Wie immer, sehr hörenswert!

  19. Nicht vergessen … heute Abend kommt die Anstalt!
    Die Anstalt vom 6. Dezember 2016
    Wortgewandt, unkonventionell und mit viel satirischer Schärfe: Max Uthoff und Claus von Wagner klären über die Themen auf, die die Nation bewegen. Live aus der “Anstalt”.
    Gemeinsam mit ihren Gästen Alfred Dorfer, Uta Köbernick, Antonia von Romatowski und Michael Altinger wollen sie “Stimme sein für Ungehörtes und Unerhörtes”.
    Im TV und hier im Livestream: ZDF, 06.12.2016, 22:15 – 23:00
    Quelle: ZDF

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