Erhard Epplers Verdienste und seine Mitverantwortung für den Kompetenz- und Wählerverlust der SPD

Albrecht Müller
Ein Artikel von:
Albrecht Müller

An diesem Wochenende wird der SPD-Politiker Erhard Eppler in Bad Boll mit einer Tagung geehrt. Er war am 9. Dezember 2016 90 Jahre alt geworden. Die Reihe der Ehrungen beginnt heute mit Ministerpräsident Kretschmann und endet am Sonntag mit Altbundeskanzler Gerhard Schröder. Albrecht Müller.

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Erhard Eppler hat sich sehr verdient gemacht um unser Land und um seine Partei. Zur Liste seiner Verdienste kann ich aus eigener Erfahrung einige markante hinzufügen. Eppler trägt aber auch die Mitverantwortung für Fehlentscheidungen der SPD, die

  • ihr Profil als Partei des Friedens,
  • ihr Profil als Partei der Sozialstaatlichkeit, der sozialen Sicherheit und der sozialen Gerechtigkeit und
  • ihre wirtschaftspolitische Kompetenz, vor allem die beschäftigungspolitische Kompetenz

kräftig beschädigten.

Wenn ein Mensch 90 Jahre alt wird, dann wird erwartet, dass nur seine Verdienste beschrieben und geehrt werden. Wenn ich auch seine Mitverantwortung für gravierende Fehlentscheidungen und für den Wähler- und Mitgliederverlust beim Namen nenne, dann hat das mit Folgendem zu tun: die SPD, die als Mit-Träger einer fortschrittlichen Alternative gebraucht wird, wird erst dann wieder Glaubwürdigkeit in wichtigen Teilen unseres Volkes gewinnen, wenn sie ihre Verantwortung für die Politik der Militäreinsätze und für die Agenda 2010 und damit für die so genannte Reformpolitik der Regierung Schröder offen bekennt und sich davon lossagt. Erhard Eppler könnte auch in seinen alten Tagen helfen, diese Revision von Fehlentscheidungen zu bekennen und damit den Neuanfang zu erleichtern.

Dazu will ich anstoßen. Deshalb dieser Text.

Zu den Anzeichen des Niedergangs der SPD muss noch etwas ergänzt werden, weil in ihren Reihen die Tendenz besteht, die Dramatik der historischen Entwicklung zu leugnen: In den guten Zeiten starker programmatischer Profilierung zwischen 1969 und 1980 erreichte die SPD bei Bundestagswahlen Werte von über 40 %, maximal 45,8 %. Zum Start von Rot-Grün im Jahre 1998 erreichte sie immerhin 40,9 % und die Union nur 35,1 % der Zweitstimmen.

Diese noch recht gute Ausgangslage wurde innerhalb von zehn Jahren quasi auf die Hälfte des maximalen Ergebnisses von 45,8 % halbiert. 2009 erreichte sie mit dem Spitzenkandidaten Steinmeier gerade einmal 23 %. Heute dümpelt sie bei Umfragen um Werte zwischen 20 und 25 Prozentpunkten herum. Ihr politisches Ende als große politische Kraft in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht auszuschließen.

Die Zeit des besonderen Niedergangs zwischen 1998 und 2009 ist geprägt von zwei gravierenden Entscheidungen:

Erstens: Der Beteiligung am Kriegseinsatz der Bundeswehr durch die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung im Jahr 1999. – Wie der damalige Bundeskanzler Schröder heute bekennt, war das ein völkerrechtswidriger Einsatz. Wegen dieser Entscheidung sind viele aus der SPD ausgetreten.

Zweitens: Die Entscheidung für die Agenda 2010 und eine Reihe anderer gravierender Entscheidungen für die sogenannte Reformpolitik. Die SPD hat in dieser Zeit kräftig mitgewirkt an der Erosion der sozialen Sicherheit, der Zerstörung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente, der Privatisierung, der Steuersenkung für Spitzeneinkommen, Spitzenvermögen und für Spekulanten. Die von der Regierung Schröder zum 1.1.2002 beschlossene Befreiung der Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen von der ganz normalen Gewinn- und Einkommensbesteuerung gilt heute noch.

Eppler hat sowohl der Beteiligung am Jugoslawien-/Kosovo-Krieg als auch der Agenda 2010 und der Reformpolitik der Regierung Schröder seinen Segen erteilt. Das war von großer Bedeutung und rechtfertigt den Auftritt des ehemaligen Bundeskanzlers am kommenden Sonntag in der Tat. – Eppler galt bis dahin als große Stütze des linken Teils der SPD. Mit seiner Zustimmung zum Kriegseinsatz wie zur Agenda 2010 hat er dem linken Teil der SPD den Teppich unter den Füßen weggezogen.

Drittens: Die Beschädigung der wirtschaftspolitischen und vor allem der beschäftigungspolitischen Kompetenz der SPD.

Epplers Rolle in dieser Sache ist weniger bekannt als seine Rolle bei den beiden anderen zentralen Fehlentscheidungen. Die Anfänge dieser Erosion habe ich persönlich direkt zu spüren bekommen. Ein kurzer historischer Rückblick ist dazu nötig: die SPD trat im Dezember 1966 in eine Regierung der großen Koalition mit dem Bundeskanzler Kiesinger (CDU) ein. Anlass war eine Wirtschaftskrise mit Anstieg der Arbeitslosigkeit, für heutige Verhältnisse gering, für damalige Verhältnisse groß. Der schnell erreichte Aufschwung und Beschäftigungszuwachs und der dann auch eintretende verteilungspolitische Zuwachs zugunsten der abhängig Arbeitenden war eng mit dem Namen des Bundeswirtschaftsministers, Professor Karl Schiller verbunden. Mit ihm hat die SPD damals ihre Wirtschaftskompetenz und ihre Kompetenz als Beschäftigung schaffende Partei ausgebaut.

Dann kam die erste Ölpreisexplosion im Oktober 1973. Ich war damals Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt. Wir bereiteten in Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen und Ressorts ein Energiesparprogramm vor. Das war zugleich ein Stück weit ein Beschäftigungsprogramm. Zur Überwindung des konjunkturellen Einbruchs im Jahr 1975 hat dann die Regierung Schmidt weitere Beschäftigungsprogramme aufgelegt, unter anderem das Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP).

Diese Programme wurden von CDU/CSU, der damaligen Opposition, heftig attackiert. Sie hätten nichts gebracht außer Schulden, so die falsche Behauptung. Diese Politik wurde auch von einem Teil der marxistisch geprägten Wirtschaftswissenschaft attackiert. Es gab sozusagen eine Seelenverwandtschaft der sogenannten linken Keynes-Kritiker mit der konservativen, auf den Neoliberalismus setzenden CDU/CSU. Erhard Eppler schloss sich damals dieser stillen Koalition an – in seinen Texten tauchten die gleichen Argumente wie bei Kohl, Lambsdorff und Tietmeyer auf. Eppler hat vermutlich im weiteren Verlauf einiges dazu beigetragen, dass die SPD auf ihr Markenzeichen einer aktiven Beschäftigungspolitik verzichtete.

Persönlich war ich gleich zu Beginn mit der, wie ich es empfand, Umorientierung Erhard Epplers konfrontiert. Wir hatten anfangs der siebziger Jahre eine enge Beziehung – geprägt von Erhard Epplers großartiger Leitung einer sehr kompetenten Steuerreformkommission der SPD, auch geprägt von der gemeinsamen Verteidigung der Ergebnisse dieser Steuerreformkommission gegenüber dem sozialdemokratischen Superminister Karl Schiller, der 1971 gegen Erhard Eppler auf dem Parteitag zur Steuerreform auftrat und angesichts der vorgeschlagenen Steuererhöhung für die Spitzenverdiener rief: „Genossen lasst die Tassen im Schrank“. Ich hatte auch dabei mitgeholfen, dass das Wahlprogramm von 1972 von Epplers neuem Anliegen „Lebensqualität“ geprägt war. Lauter Anzeichen eines guten Verhältnisses.

1974 oder 1975, gerade als Erhard Eppler sein Buch „Ende oder Wende“ abgeschlossen hatte, luden meine Frau und ich ihn zum Abendessen ein. Wir kamen im Gespräch auch auf die Beschäftigungsprogramme der Regierung Schmidt zu sprechen. Eppler hielt nichts davon, dass der Konsum weiter befördert werden sollte. Ich warb dafür, doch zu verstehen, dass es Menschen und Familien in Deutschland gebe, die anders als er und ich noch ein bisschen mehr Konsum gebrauchen könnten und es doch sehr darauf ankäme, welchen Konsum man wachsen lassen solle. – Einen positiven Eindruck habe ich mit meinen Argumenten bei Erhard Eppler nicht hinterlassen. Ich gehörte aus seiner Sicht ab sofort zur Fraktion der Keynesianer, der ich nie war.

Die persönliche Befindlichkeit ist in diesem Kontext ziemlich uninteressant. Interessant ist, dass Eppler für diesen elementaren Teil der Programmatik der SPD, für die aktive Beschäftigungspolitik, verloren war. „Anerkennend“ bleibt zuzugestehen, dass er sich mit seiner Position innerhalb der SPD durchgesetzt hat. Leider. Sie bekennt sich heute nur halbherzig zu ihrer beschäftigungspolitischen Leistung der sechziger und siebziger Jahre. Sie hat das Feld den Neoliberalen und deren Rezepten überlassen.

Einige der großen Leistungen Epplers, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, sind oben schon erwähnt: seine Kompetenz und Ausstrahlung als Steuerreformer, sein Engagement für Umwelt und Lebensqualität. Zum durchaus anerkannten friedenspolitischen Engagement des Erhard Eppler muss noch eine sehr frühe Leistung ergänzt werden: Erhard Eppler trat 1952 der Gesamtdeutschen Volkspartei des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann bei. Ich erlebte als 14-jähriger Diskutant und Wahlkampfhelfer der GVP, wie bedeutsam die Impulse dieser Gruppe um Heinemann, Eppler, Posser und Rau für die damalige Friedensbewegung war. Sie hat der späteren Entspannungspolitik den Boden bereitet. Auch dafür können wir dem 90-Jährigen dankbar sein.