Die Anstalt: „Es geht hier um den Schutz des deutschen Motors“

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Angela Merkel war am Dienstagabend vor knapp zwei Wochen wohl sicher schon im Bett, um für die Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss zum Abgasskandal am darauffolgenden Tag frisch und ausgeschlafen zu sein. Verpasst hat sie in diesem Fall leider eine außergewöhnlich informative Folge der Anstalt, in der der deutsche Irrsinn um den Fetisch Auto brillant aufs Korn genommen wurde. Es ist zwar davon auszugehen, dass die Kanzlerin die Fakten kennt und dass sich ihr Plädoyer für die Schonung der Autoindustrie am anderen Morgen aus anderen Überlegungen gespeist hat. Falls sie aber doch noch einmal nachsehen möchte, findet sie den Beitrag ab sofort auch in unserer Servicerubrik Dokumentation interessanten Kabaretts. Von Carsten Weikamp.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Gemeinsam mit den Gästen Caroline Ebner, Rolf Miller und Till Reiners nehmen sich die Gastgeber Claus von Wagner und Max Uthoff eine um die andere fatale Irrationalität im Umgang der Deutschen mit ihrem Lieblingsspielzeug vor.

Im „Autohass von Wagner“ stellt sich im Beratungsgespräch des schnurbärtigen Verkäufers Zwetschge mit einer kaufinteressierten Familie heraus, dass viele große Neuwagen so teuer sind, dass sie sich nur noch dank einer milliardenschweren, als Dienstwagenprivileg bekannten Subvention verkaufen lassen: Zwei Drittel der Neuzulassungen sind inzwischen Dienstfahrzeuge.

Weiter wird festgestellt, dass ausnahmslos alle Varianten von Verbrennungsmotoren klimaschädlich sind. Der Unterschied liegt allein in der Art des schädlichen Ausstoßes. Selbst beim Elektroauto ist dieser Ausstoß in Rechnung zu stellen, allein mit dem Unterschied, dass die belastenden Emissionen hier nicht hinten zum Auspuff herauskommen, sondern schon bei der Stromerzeugung im Kraftwerk anfallen.

Der Abgasskandal ist mitnichten ein reines VW-Problem, das ergibt ein Gespräch zwischen Autoverkäufer Zwetschge und einem reklamierenden Käufer eines Dieselfahrzeugs. Der Ausstoß von Stickoxiden, die jedes Jahr für ca. 7.000 Tote sorgen, liegt auch bei Fahrzeugen von Daimler, BMW und Co. massiv über dem Grenzwert, genau genommen bei 50 von 53 Herstellern. Auch ist den Behörden lange bekannt, dass quasi alle Fahrzeughersteller Abgasreinigungsanlagen einbauen, die an- und abgeschaltet werden können und praktisch nur dann zum Tragen kommen, wenn das Fahrzeug unter Laborbedingungen geprüft wird.

Unverhohlener noch ist die Manipulation bei der Ermittlung des Kraftstoffverbrauchs nach dem NEFZ, dem neuen europäischen Fahrzyklus. Bei einer Testfahrt im Straßenverkehr wird deutlich, dass der Prüfzyklus mit normalem Fahrverhalten in der Wirklichkeit aber auch fast gar nichts gemeinsam hat.

Während sich Journalisten und Abgeordnete von Automobil-Lobbyisten auf Reisen und zum Drink einladen lassen, reagiert das Verkehrsministerium mit Anhebung der zulässigen Grenzwerte. Das verringert zwar den Schadstoffausstoß nicht, macht ihn aber weniger illegal. Um die Umwelt effektiv weniger zu belasten, müsste weniger gefahren werden. Das wäre über Fahrverbote oder faire Benzinpreise zu erzielen. Wie letztere aussehen müssten, dass z. B. externe Beschaffungskosten und Nachhaltigkeitsfaktoren einzukalkulieren wären, legt der Kassierer an der Tankstelle einem irritierten Kunden dar.

Nach einem tödlichen Auffahrunfall findet sich Autoverkäufer Zwetschge bei der Hauptuntersuchung durch den MÜV wieder, den Moralischen Überwachungsverein. Diese leitet Gott höchstpersönlich, und er stellt als erstes fest, welch ungeheurer Ressourcenverbrauch mit der Herstellung völlig überdimensionierter SUVs einhergeht.

Bei Verkehrsunfällen sterben nach wie vor allein in Deutschland jedes Jahr über 3.200 Menschen, also mehr als neun pro Tag. Die Zahl ließe sich – in internationalen Studien nachgewiesen – um rund 20% senken, wenn ein Tempolimit eingeführt würde, denn die Hauptursache für Verkehrstote ist nach wie vor überhöhte Geschwindigkeit. Ein Tempolimit ist aber nicht durchzusetzen in einem Land, in dem sich die Autofahrer bei der kleinsten Diskussion darüber wie kleine Kinder vor dem Süßwarenregal aufführen.

Wo Menschen weiter auf ihrem Recht bestehen, „240g Mohnbrötchen mit 250 km/h durch 430 PS mit einem 2-Tonner 3 km weit zu transportieren“, kann auch der liebe Gott nichts mehr für sie tun. Zwetschge bekommt nicht nur keine MÜV-Plakette, sondern verliert auch sein Leben. Gott plädiert leidenschaftlich erstens fürs Zufußgehen und Straßenbahnfahren, wie es der frühere Hyundai-Chef und heutige Bürgermeister in Seoul realisiert, und zweitens für Schockbilder von Verkehrstoten auf den Autos analog denen auf Zigarettenschachteln.

Ehrengast Thomas Gsella, ehemaliger Chefredakteur der Titanic, schlägt statt der Schockbilder vor, die Unfallopfer so zu zeigen, wie sie vor dem Unglück aussahen, um den Rasern bewusst zu machen, was sie zerstören. Er trägt dazu die persönliche Geschichte seiner Schwester und Nichte vor, die vor zwei Jahren auf dem Weg in den Urlaub von einem Raser in einen Autounfall verwickelt wurden und verstarben.

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