Von der Leyen: „Wenn die Wirtschaft wankt, hat die Familie Konjunktur…“

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Bild am Sonntag: Mit jedem Kind steigt das Armutsrisiko. Führt die Wirtschaftskrise zu mehr Schwangerschaftsabbrüchen?
URSULA VON DER LEYEN: Nein, die Zahl sinkt. Wenn die Zeiten rauer werden, sagen dreiviertel der Menschen: Mein wichtigster Halt ist meine Familie. Wenn die Wirtschaft wankt, hat die Familie Konjunktur. Das zeigt sich auch daran, dass die Scheidungen weniger werden und die Zahl der Singlehaushalte konstant bleibt. Außerdem ändert sich die Vaterrolle. Die Männer wollen heute mehr Zeit mit der Familie verbringen.“
Schlussfolgerung also: Die wankende Wirtschaft stärkt den Familiensinn und sie fördert nebenbei auch noch die Zahl der Geburten. Somit hat selbst die größte Wirtschaftskrise doch noch ihre guten Seiten. Wolfgang Lieb

Von Januar bis September 2008 kamen 3.400 Kinder mehr zur Welt als im Vorjahreszeitraum, berichtet Ministerin von der Leyen in ihrem Familienreport 2009.

Ach hätte sie sich doch einfach darüber gefreut und den Eltern einen guten Wunsch mit auf den Weg gegeben. Aber nein, Frau von der Leyen posiert in der BamS mit einem Freudensprung und schreibt die Geburtenzunahme natürlich ihrer Familienpolitik zu: „Mit meiner Politik versuche ich, Hürden abzubauen.“

Und weil ja die Politik der Bundesregierung immer als eine Erfolgsgeschichte dargestellt werden muss, bringt sie sogar noch die politisch verursachte Wirtschaftskrise in einen Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Kindern. Sie stützt sich dabei auf die konservativste aller Thesen, nämlich dass Not Familien zusammenschweißt: „Wenn die Wirtschaft wankt, hat die Familie Konjunktur.“

Wenn die „wankende“ Wirtschaft, wie es in der BamS heißt, erklären soll, dass die Zahl der Geburten wieder steigt, muss man sich allerdings fragen, ob Ministerin von der Leyen ihre Leserinnen und Leser für dumm verkaufen will oder ob sie – vor lauter Selbstbeweihräucherung – gar unter einer Wahrnehmungsstörung leidet.

Wenn nämlich von Januar bis September 2008 mehr Kinder zur Welt kamen als im Vorjahr, dann sind diese Kinder (sofern es sich nicht um Frühgeburten handelt) in aller Regel 9 Monate vorher, also im Jahr 2007 gezeugt worden. Damals lobte aber die Regierung noch mit höchsten Tönen den Aufschwung als Erfolg ihrer „Reformpolitik“; von einer Krise wollte jedenfalls in der Bundesregierung niemand etwas ahnen. Wenn überhaupt, hat also die Hoffnung auf eine bessere wirtschaftliche Entwicklung Eltern Mut gemacht, Kinder in die Welt zu setzen.

Von der Leyen sagt weiter: „Junge Menschen haben das Gefühl, die Gesellschaft lässt sie als Eltern nicht allein“.

Die Ministerin hat dabei sicher nicht an die fast eine Million junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren gedacht, die laut einer DGB-Studie (Hinweise v. 13.02.09 Ziffer 8) auf Hartz IV angewiesen sind und für die ein Leben in Armut vorprogrammiert ist. Sollten diese jungen Menschen sich etwa nicht von der Gesellschaft allein gelassen fühlen?

Trotz einer leichten Besserung liegt die registrierte Arbeitslosenquote der 20- bis 24-jährigen männlichen Jugendlichen im Dezember 2008 mit 13 % noch immer deutlich über dem Durchschnitt [PDF – 18 KB]. Von der Leyen leugnet die Tatsache, dass sich eine hohe Jugendarbeitslosigkeit negativ auf die Geburtenrate eines Landes auswirkt. Jene Länder mit der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit (Arbeitslose unter 25 Jahren) in der EU wiesen fast durchgehend die höchste Fertilität [PDF – 6.53 MB] auf.

Wie man angesichts der Schwierigkeiten junger Menschen, einen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen (Generation Praktikum, befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit), behaupten kann, dass junge Menschen das Gefühl hätten, die Gesellschaft ließe sie als Eltern nicht allein, bleibt ihr Geheimnis.

Von der Leyen weicht deshalb aus und spricht lieber darüber, dass „besonders bei Frauen zwischen 30 und 40 Jahren … die Zahl der Kinder zugenommen“ hat und gerade in solchen Partnerschaften, „in denen genau überlegt wird, ob sie ein Leben mit Beruf und Familie meistern können.“ Es sind also gerade die Partnerschaften mit relativ guter beruflicher Absicherung.

Wie schon bei der Einführung des Elterngelds bleibt es bei von der Leyen dabei: Es ist eine Familienpolitik einer Bessergestellten vor allem für die Bessergestellten.