Nachtrag zum dramatischen Rückgang der Auftragseingänge und den vermuteten Fehleinschätzungen

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Im Beitrag von gestern hatte ich auf den gravierenden Einbruch bei den Auftragseingängen im allgemeinen und den Investitionsgütern im besonderen hingewiesen. Ein NachDenkSeiten-Leser macht darauf aufmerksam, dass in der Tabelle der Bundesbank (wörtlich) „nicht die preis- und saisonbereinigten Daten (also nicht das Volumen der Auftragseingänge), sondern die (weniger aussagekräftigen) nominalen Ursprungswerte angegeben waren.“ Das ist richtig. „In realer Rechnung fällt der Rückgang der Auftragseingänge noch dramatischer aus [PDF – 20 KB]. Sie sind mittlerweile auf den Stand von 2000 zurückgefallen. Albrecht Müller

Wer weiß, dass die Produktivität in der Industrie seither massiv angestiegen ist, kann sich ausmalen, wie viele Arbeitsplätze verloren gehen, sollte die Nachfrage auf diesem Niveau verharren.“

Schauen Sie sich die Ziffern in den letzten vier Spalten der Bundesbanktabelle an. Dort finden Sie die Angaben für die reale Entwicklung, die Entwicklung der „Volumen“ bei den Auftragseingängen der Industrie. Sie lagen im Januar bei 79 % der Volumen von 2005. Die Auftragseingänge der Investitionsgüterproduzenten sackten auf 75,5 ab.
Übrigens: wenn Sie etwas tun wollen zur Aufklärung, dann nutzen Sie doch bitte die Tabelle der Bundesbank mit den Daten über die Auftragseingänge, um Selbstständigen und Unternehmern in Ihrem Umfeld zu zeigen, wie die Lage aussieht und wie wenig die Verantwortlichen in Berlin darauf eingehen und sich stattdessen nur um die nächsten 10 Milliarden für irgendeine Bank kümmern.
Machen Sie Ihre Gesprächspartner bitte auf die Informationsmöglichkeit bei www.NachDenkSeiten.de aufmerksam.

Die Statistik wird gestützt von praktischen Erfahrungen, die man im eigenen Umfeld macht. So berichtet zum Beispiel die Zeitung meiner Region, die Rheinpfalz, heute von der Entwicklung der Auftragseingänge im größten Lkw-Werk in Wörth am Rhein: im Jahr 2008 gingen monatlich Bestellungen für durchschnittlich 700 Mercedes-Benz-Lkw am Tag ein, jetzt sind es zwischen 50 und 150 pro Tag. In der Spitze des Jahres 2008 wurden 480 LKWs pro Tag produziert, heute sind es 300. Das Auftrags-Polster schrumpft angesichts des Verfalls der Auftragseingänge. Kurzarbeit ist die Folge. – Das ist ein Beispiel von vielen. Es ist ein eindeutiges Beispiel.

Dieser erneute Hinweis auf die Auftragsentwicklung dient nicht der Dramatisierung. Er soll aber deutlich machen, wie ungemein wichtig es wäre, mit einem neuen wirklich großen Konjunkturpaket die Nachfrage zu stützen. Nicht einzelne Hilfsaktionen sind das Entscheidende. Da nahezu alle Betriebe und Arbeitnehmer betroffen sind, muss mit einem neuen und breit angelegten Investitions- und Konjunkturprogramm nachgelegt werden. Dazu siehe auch den Eintrag von gestern. Es ist allerhöchste Zeit, dass die politisch Verantwortlichen und die begleitenden Wissenschaftler und Medien ihre wirklich dummen ideologischen Vorbehalte begraben. Die Zeit, als man Beifall für den Standardspruch „Konjunkturprogramme sind Strohfeuer“ erhielt, sind vorbei. Das müssten auch Frau Merkel, Herr Steinbrück und Herr von und zu Guttenberg langsam begreifen.

Wie begriffsstutzig die Verantwortlichen in makroökonomischen Fragen sind, haben wir in den NachDenkSeiten schon seit langem belegt. Machen Sie Personen in ihrem Freundes und Bekanntenkreis, die keinen Internetanschluss haben, bitte auf die entsprechenden Kapitel im kritischen Jahrbuch 2008/2009 und im Jahrbuch 2007 aufmerksam. Im Jahrbuch 2008/2009 setzen wir uns ausführlich mit den makroökonomischen Defiziten unseres Bundesfinanzministers auseinander. Das Bestellformular zum Ausdruck für ihre Freunde und Bekannten finden Sie beim angegebenen Link.

Auf unseren gestrigen Eintrag erhielten wir übrigens einen vermutlich leider richtigen Hinweis. Eine NachDenkSeiten-Leserin kommentierte die mangelnde Sensibilität der Verantwortlichen für den Einbruch der Auftragseingänge so:

“Möglicherweise stellen die sich auch nur dumm – mit aller Gewalt wird der Anschein der Normalität bis zu den Wahlen aufrechterhalten werden.“

Das würde uns teuer zu stehen kommen. Konjunkturpolitik braucht Zeit. Man kann nicht warten sein, bis die Katastrophe eingetreten ist. Deshalb die erneute Warnung.

Heute erschienen einige weitere Hinweise zur Einschätzung der wirtschaftlichen Lage. Darauf wird kurz eingegangen. Überfliegen reicht.

Zunächst zu einer Presseinformation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 12.3.2009:

IAB: 3,6 bis 3,7 Millionen Arbeitslose im Jahresdurchschnitt 2009
Im Jahresdurchschnitt 2009 wird es voraussichtlich 3,6 bis 3,7 Millionen Arbeitslose geben, geht aus der aktuellen Arbeitsmarktprojektion des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Dies wäre ein Anstieg von 330.000 bis 430.000 gegenüber 2008. Dabei unterstellt das IAB eine Schrumpfung des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts von 2,75 bis 3,5 Prozent.
Zusätzlich wurde noch ein optimistisches Szenario simuliert. In diesem Fall würde die Wirtschaft nur um zwei Prozent schrumpfen und die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt bei 3,5 Millionen liegen. Die Nürnberger Arbeitsmarktforscher halten das optimistische Szenario aber für eher unwahrscheinlich.

Demografie und Konjunkturpaket verhindern stärkeren Anstieg
Der Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials und das Konjunkturpaket II wirken dem Anstieg der Arbeitslosigkeit entgegen, so die IAB-Studie. Das Arbeitskräfteangebot werde aufgrund der demografischen Entwicklung um rund 150.000 Personen sinken. Die Maßnahmen des Konjunkturpakets würden zwar erst im Jahr 2010 voll zum Tragen kommen, aber auch schon 2009 Wirtschaft und Arbeitsmarkt zugutekommen.

Keine schnelle Erholung
„Die deutsche Wirtschaft befindet sich derzeit in der schärfsten Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland“, stellt das IAB fest. Der Rückgang der Auftragseingänge sei noch nicht zum Stillstand gekommen. „Für den Arbeitsmarkt ist keine schnelle Erholung zu erwarten, vor allem weil die Einstellungen und Entlassungen der Entwicklung des Inlandsprodukts nachlaufen. Zudem werden beim Anziehen der Konjunktur – wie jetzt in der Flaute – zuerst die Möglichkeiten flexibler Arbeitszeit genutzt, bevor im nennenswerten Umfang eingestellt wird. Minusstunden müssen aufgeholt und Kurzarbeit zurückgeführt werden“, geben die Arbeitsmarktforscher zu bedenken.
Die IAB-Arbeitsmarktprojektion im Internet [PDF – 1.6 MB].

Das IAB rechnet damit, dass das Bruttoinlandsprodukt real um 2,75-3,5 % schrumpft. Wenn die Auftragsentwicklung so weiter geht wie oben skizziert, und die Wirtschaftspolitik nicht massiv eingreift, dann ist diese Prognose sehr optimistisch.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat seine Prognosen nach unten korrigiert; im Dezember rechneten sie mit 2,7 % Minus für 2009, heute mit 3,7 %:

Wirtschaftsforscher erwarten mehr als vier Millionen Arbeitslose
Die Rezession gewinnt an Schärfe: Immer mehr Konjunkturforscher rechnen damit, dass der Abschwung in Deutschland bis Ende 2010 andauert. Mit gravierenden Folgen für den Arbeitsmarkt – die Experten fürchten, dass die Arbeitslosigkeit die Vier-Millionen-Marke deutlich überschreiten wird.
 Es sind beeindruckende Zahlen, die das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) vorgelegt hat: Für 2009 rechnet es mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 3,7 Prozent, teilte das IfW an diesem Donnerstag in Kiel mit. Im Dezember waren die Forscher noch von einem Minus von 2,7 Prozent ausgegangen. Auch für das kommende Jahr geht das Institut nun von einer negativen Rate von 0,1 Prozent aus. Bislang wurde ein leichtes Wachstum von 0,3 Prozent veranschlagt.
Quelle: Spiegel-online

Die EZB macht sich Sorgen um die Entwicklung der Nachfrage und setzt auf die laufenden staatlichen Konjunkturprogramme. Auch hier kann man wie bei der Bundesregierung sarkastisch anmerken, dass es besser gewesen wäre, früher aufzuwachen. Noch im Frühsommer 2008 hatte die EZB die Leitzinsen angehoben. Aber immerhin, die Rolle des Wendehalses spielt die Einrichtung mit ungebrochenem Selbstbewusstsein:

EZB hat 2009 bereits abgeschrieben
Die Europäische Zentralbank (EZB) rechnet erst 2010 mit einer Erholung der derzeit kriselnden Wirtschaft im Euro-Raum. Die Experten kritisierten, dass manche Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft, wie sie etwa Deutschland ergreife, nicht immer auf die Wurzel der Probleme ausgerichtet seien.
Jüngste Wirtschaftsdaten und Umfrageergebnisse hätten weitere Belege dafür geliefert, „dass die Nachfrage weltweit wie auch im Eurogebiet im laufenden Jahr sehr schwach sein dürfte“, schreibt die Notenbank in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Monatsbericht für März. Im nächsten Jahr werde dann „mit einer allmählichen Konjunkturerholung gerechnet“. Hoffnung setzen die Notenbanker in die laufenden staatlichen Konjunkturprogramme, Sorgen machen ihnen die anhaltenden Finanzmarktturbulenzen, die sich zunehmend negativ auf die Realwirtschaft auswirken.
Quelle: Handelsblatt

Das Bundeswirtschaftsministeriums hat offenbar langsam gemerkt, dass es abwärts geht:

Horror-Jahresbeginn für deutsche Wirtschaft
Die seit Monaten anhaltende Auftragsflaute hat im Januar zum stärksten Produktionseinbruch seit der Wiedervereinigung geführt. Industrie-, Bau- und Energieunternehmen stellten zusammen 7,5 Prozent weniger her als im Dezember, wie das Wirtschaftsministerium am Donnerstag mitteilte. Das ist der stärkste Rückgang seit Einführung der Statistik 1991.
Von Reuters befragte Analysten hatten nur ein preis- und saisonbereinigtes Minus von drei Prozent erwartet. Das Ministerium befürchtet wegen der schlechten Auftragslage auch in den kommenden Monaten eine „stark gedämpfte“ Produktion.
Besonders stark trat die exportorientierte Industrie auf die Bremse. Sie fuhr ihre Leistung um 8,4 Prozent zurück, nachdem die Neuaufträge in 13 der vergangenen 14 Monate gesunken waren. Viele Unternehmen hatten deshalb verlängerte Werksferien und Kurzarbeit angeordnet.
Quelle: Handelsblatt

Und hier noch eine Meldung zur Entwicklung in den USA:

Hunderten US-Firmen droht die Pleite
Die Ratingagentur Moody’s schlägt Alarm für “Corporate America”. Nach aktuellen Analysen stehen Hunderte amerikanischer Firmen vor einer Pleite. Insgesamt 283 US-Unternehmen hat Moody’s aufgelistet, die wegen schwacher Ratings kaum noch Kredite bekommen. Darunter befinden sich auch prominente Großkonzerne. Auch deutsche Unternehmen nimmt Moody’s nun ins Visier.
Die Zahl der US-Firmen, die akut von einer Pleite bedroht sind, ist drastisch gestiegen. Die Ratingagentur Moody’s hat 283 amerikanische Unternehmen aufgelistet, die ganz besonders schwache Bonitätsnoten haben und kaum noch Kredite bekommen. Die jetzt erstmals aufgelisteten Unternehmen haben Ratings von höchstens “B3” und dazu einen negativen Ratingausblick. Die Firmen machen fast ein Viertel der US-Schuldner aus, die Moody’s ohnehin als schwache Kreditnehmer mit Ratings im Bereich Non-Investment-Grade einstuft. Vor zwei Jahren betrug der Anteil der besonders großen Wackelkandidaten lediglich neun Prozent.
Quelle: Handelsblatt

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