ARD, ZDF etc. versagen in der neu aufgebrochenen Rentendebatte erneut – mit Polemik gegen die Gesetzliche Rente, mit dem Rückgriff auf den unseriösen Raffelhüschen als Sachverständigen usw.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Am 26.6. wurde eine Bertelsmann-Studie zum Thema Altersarmut veröffentlicht. In ihren Berichten und Kommentaren sind die Tagesthemen, das Heute Journal, der Südwestfunk u.a.m wieder in ihre alte Rolle zurückgefallen. Sie engagieren sich wie vor 15 Jahren für die Interessen der Versicherungswirtschaft und nicht für die im Interesse der kommenden Rentnerinnen und Rentner notwendigen Lösungen der Probleme: nämlich für die Stärkung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente – nach dem Vorbild Österreichs zum Beispiel, wo diese im Schnitt 800 € höher liegt als in Deutschland. Eine Leserin der NachDenkSeiten schrieb, die ARD sei eine „Verdummungsanstalt des öffentlichen Rechts“. Albrecht Müller.

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In der Tat kann man angesichts dieser neuerlichen Debatte nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen, dass ausgerechnet die zentrale ARD-Einrichtung in Hamburg, die Tagesschau, sich anmaßt, mit einer eigens gegründeten „Faktenfinder“-Einrichtung andere Medien kritisch zu begleiten. Allein schon die Debatte um die Rente und Demographie belegt die Manipulationsaktivitäten der ARD.

Im Folgenden wird versucht, den aktuellen Vorgang in den historischen Gesamtzusammenhang einzuordnen. Dazu skizziere ich die Einführung der staatlich geförderten Privatvorsorge, die dafür betriebene Erosion der Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente und die notwendige Propaganda zur Durchsetzung der Privatvorsorge, und dann einige Jahre später die Ratlosigkeit der Lobbyisten der Privatvorsorge, als sich die Riester-Rente als nutzloser teurer Missgriff erwies; und dann wird von ihrem am vergangenen Montag erkennbaren Neueinstieg in die Agitation für den falschen Weg zu berichten sein:

  1. Vor 20 Jahren begann die erste große Kampagne der Versicherungswirtschaft und der Banken für die kommerziell betriebene Altersvorsorge. Schon damals wurde der demographische Wandel dafür benutzt, den Eindruck zu erwecken, die Altersvorsorge der Mehrheit der Menschen sei nur mit einer Umstellung von der Gesetzlichen Rente hin zu einer Mischform, jedenfalls zu einem Ausbau der kommerziellen Privatvorsorge zu erreichen. Im Wahlkampf für die Bundestagswahl 1998 klotzte die Finanzwirtschaft mit großen zweidrittelseitigen Anzeigen und anderen Werbemitteln.
    Damals lagen alle Argumente gegen die Privatisierung der Altersvorsorge auf dem Tisch und es war auch durchschaubar, warum und wie sich die Versicherungswirtschaft ein neues Geschäftsfeld eröffnen will. Dies habe ich in einem kleinen Buch mit dem Titel „Mut zur Wende“, erschienen im Aufbau-Verlag, 1997 beschrieben. Dort unter der Überschrift „Der Generationenvertrag zur Altersvorsorge hält“ (Seite 93) . Damit will ich keine Reklame für ein früheres Buch machen – es ist sowieso nicht mehr auf dem Markt. Es geht nur um den Hinweis und Nachweis, dass alles, die Motive, die finanziellen Gründe und die Methoden der Argumentation schon zu Beginn der Kampagne gegen die Gesetzliche Rente und für die Privatvorsorge auf dem Tisch lagen.
  2. Vor 15 Jahren, zum 1.1.2002, war mit der Einführung der Riester-Rente und der anderen Privatvorsorge-Modelle der entscheidende Schritt getan. Die Vorarbeit war von Politik, Medien und Wissenschaft quasi gemeinsam geleistet worden. Eine wichtige Rolle spielte die Rürup-Kommission und selbst verständlich der zuständige Minister, Walter Riester. sowie andere Personen im Umfeld von Gerhard Schröder und seines Kanzleramtschefs Steinmeier. Zu diesem Kreis gehörte zum Beispiel der Niedersachse Maschmeyer
  3. Die Einführung der Privatvorsorge selbst war sowohl von massiver Propaganda begleitet als auch von politischen Entscheidungen, die die Einführung erleichterten. Dazu zählte vor allem die gezielte Minderung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente und die Entscheidung für die staatliche Subventionierung privater Altersvorsorge-Modelle und -Projekte.

    Die Kampagne für die Privatvorsorge habe ich in einer PowerPoint Dokumentation beschrieben. Siehe hier. Das Jahrzehnt zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2010 war angefüllt von dieser Agitation pro Privatvorsorge. Nicht nur die Bild-Zeitung, auch Öffentlich-rechtliche Sender haben sich mit viel Geld und viel personeller Kapazität an dieser Kampagne beteiligt. Diese damalige Kampagne zugunsten von Einzelinteressen ist ein Musterbeispiel dafür, dass öffentlich-rechtliche Medien wie auch die privaten Medien sich haben für private Interessen einspannen lassen und dafür auch Unwahrheiten verbreitet haben. Im konkreten Fall über die Haltbarkeit des Generationenvertrages. Dass dieser nicht mehr trage, war die zentrale Botschaft der Privatisierungs-Agitatoren.
    Ein Teil der einschlägigen sogenannten Wissenschaft machte mit. Namentlich die Herren Raffelhüschen, Sinn, Rürup, Börsch-Supan, Miegel.

  4. Es gab ein paar wenige aufklärende Stücke der etablierten Medien. Dazu gehörte an erster Stelle zu nennen die Dokumentation des Saarländischen Rundfunks mit dem Titel „Rentenangst“.
    Diese in den NachDenkSeiten wiederholt und nicht oft genug zu präsentierende Dokumentation von Dietrich Krauss und Ingo Blank hat auf meisterhafte Weise am Beispiel von Bernd Raffelhüschen gezeigt, wie auf Seiten der Lobby mithilfe der Wissenschaft gearbeitet wurde. Vor Versicherungsvertretern erklärt Raffelhüschen, wie er und seine Kollegen mitgeholfen haben, die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente zu mindern, um so den versammelten Versicherungsvertretern das neue Geschäftsfeld aufzubereiten.

    Es ist interessant zu beobachten, dass die etablierten Medien am allerwenigsten auf solche positiven Ausreißer ihrer eigenen Kolleginnen und Kollegen zurückgreifen. Die „Rentenangst“ wird von den Agitatoren der Privatvorsorge nicht oder selten zitiert.

  5. Wir, die NachDenkSeiten und ich als Autor von „Die Reformlüge“, „Machtwahn“ und „Meinungsmache“ haben in der Phase zwischen 2002 und 2010 immer wieder gewarnt vor den Folgen der neuen Rentenpolitik. Wir haben davor gewarnt, dass die Privatvorsorge über das Riester-Modell wie auch über die private betriebliche Altersvorsorge nicht funktionieren kann – schon weil die Kosten des Betriebs dieser Systeme die Rendite bis zur Nicht- mehr-Messbarkeit schrumpfen lassen. Diese Warnungen wurden abgetan. Auch von den sogenannten seriösen etablierten Medien. Sie saßen nahezu alle mit im Boot der gutgeschmierten Privatvorsorge.
  6. Dann kam die Zeit, beginnend etwa vor 5 Jahren, der nicht mehr vermeidbaren Offenbarungseide. Immer mehr Menschen erkannten, dass ihre Riesterverträge keine Erfolge waren und dass unserem Land eine ziemlich bedrückende Altersarmut ins Haus steht. Die Privatvorsorge-Modelle waren als Flops erkannt, als nicht wirklich leistungsfähig und riskant obendrein.

    Jetzt hätte man Einsicht, Nachdenken und Umorientierung erwarten können. Auch in der Sache, nicht nur in der Propaganda. Man hätte erwarten können, dass Politik, Medien und Wissenschaft zur Vernunft kommen und sich darauf verständigen könnten, so wie in Österreich zum Beispiel alle finanziellen und politischen Kapazitäten auf die Stärkung der Gesetzlichen Rente zu konzentrieren und damit auch ein für die meisten Menschen ausreichendes Rentenniveau zu erreichen. Das müsste bei etwa 53 % liegen. (Dazu siehe auch hier.

  7. Aber diese Hoffnungsrechnung war ohne den Wirt gemacht, ohne den Wirt Finanzwirtschaft und ohne den Wirt Medien.

    Offensichtlich haben sich CDU/CSU, vermutlich in der Person Schäuble, und SPD, repräsentiert durch die Sozialministerin Nahles, darauf verständigt, der Versicherungswirtschaft und den Banken aus der Patsche der Renditeschwäche zu helfen. Das lukrative Geschäftsfeld staatlich geförderte private Altersvorsorge soll ausgebaut werden. Und als Verkaufsargument soll helfen, dass die Gesetzliche Rente nicht besonders leistungsfähig bleibt.

    Das von der SPD vorgelegte Rentenkonzept sieht ein Rentenniveau von 48 % vor, was keinesfalls zu einer auskömmlichen Altersvorsorge einer großen Anzahl von Menschen reichen wird; außerdem ist festgelegt worden, dass die Beitragssätze nicht über 22 % steigen dürfen. Das klingt wunderbar gut für die Arbeitnehmer, ist aber sozusagen hinterfotzig gemeint – verzeihen Sie den Ausdruck. Die Deckelung der Beitragssätze dient vor allem der Begrenzung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente. Es soll Raum gelassen werden für die absurden Programme privat organisierter und staatlich geförderter Altersvorsorge. Bitte beachten Sie, dass ein Arbeitnehmer, der riestert, heute schon einen Beitragssatz von über 22 % erreicht. 4 % Riesterbeitrag plus aktueller Beitrag zur gesetzlichen Rente von 18,7 % macht 22,7%

    Statt Rückkehr zur Vernunft haben wir in den letzten Monaten also die Rückkehr der Versicherungswirtschaft an die Schalthebel der Macht und der Entscheidungsbefugnis erlebt. Die SPD und die federführende Sozialministerin Nahles haben sich darauf konzentriert, die kommerzielle Altersvorsorge durch besondere Förderung der betrieblichen Altersvorsorge voranzutreiben.

  8. Alle, die die Rückkehr zur Vernunft in der Rentenpolitik erhofft hatten, haben ihre Rechnung auch ohne die Medien gemacht. Die Reaktion auf die Bertelsmann-Studie vom vergangenen Montag zeigt, wie eng gerade auch die öffentlich-rechtlichen Sender mit den großen Interessen verflochten sind.
    Dazu ein paar Beispiele:

    • Heute Journal vom 26.6.2017:
      Claus Kleber präsentiert den Oberlobbyisten der Versicherungswirtschaft Bernd Raffelhüschen als Sachverständigen. Und ohne kritische Fragen. Nichts zu seiner Rolle in der Dokumentation Rentenangst, nicht zu seiner Mitwirkung bei der Reduzierung der Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente, um auf diesem Wege der Privatvorsorge Platz zu schaffen.
    • Tagesthemen 26.6.2017:
      Die Tagesthemen bedienen sich des alten Hinweises auf Norbert Blüms „Die Rente ist sicher“. Das ist die alte Propaganda und nichts sonst.
    • Tagesschau vom 24.6.2017:
    • Eine Vertreterin des SWR nutzt die traditionelle Angstmache mithilfe des demographischen Wandels. Noch nie etwas von der Veränderung der Produktivität gehört?:
      „kurzerklärt
      Wie sicher ist die Rente?
      1995 finanzierten vier Arbeitnehmer einen Rentner. Heute sind es nur noch drei. Weil sich diese Entwicklung weiter fortsetzt, fragen sich viele junge Menschen: Wie sicher ist die Rente? Denn um das heutige Niveau zu halten, müsste der Staat massiv zuschießen.“
      Von Sarah Walzer, SWR

      Das war eine Auswahl der Reaktion unserer Haupt-Medien. Sie haben nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat. Sie hängen an ihrer eigenen alten Propaganda. FakeNews eben in Fortsetzung.