Das Casino läuft weiter. Nur kurz beeindruckt – dann unentwegt weiter. (Finanzkrise XV)

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Am 17. April gab es in der Sendung Nachtcafe des Südwestrundfunks eine aufschlussreiche Begegnung. Anja Kohl, bekannt von „Börse im Ersten“, verwahrte sich mit bebender Stimme gegen die Vorstellung, die offensichtlich in der Runde geäußert wurde, man käme ohne Börse aus und vor allem ohne Anleger. Eine Welt ohne Anleger an den Aktienmärkten, eine Welt ohne das spekulative Auf und Ab der Finanzbörsen – das ist für manche offenbar eine existenzbedrohende Vorstellung. Dabei wäre ein funktionierender Finanzmarkt auch ohne seinen spekulativen Teil durchaus vorstellbar. Dass diese Vorstellung Anja Kohl erschreckt, das kann ich verstehen. Denn sie und ihre Kolleginnen und Kollegen und ein Rattenschwanz von Börsianern, Bankern, Journalisten leben und profitieren unmittelbar vom Auf und Ab der Börsen. Deshalb machen sie weiter wie bisher. Albrecht Müller.

Jeden Tag und jeden Abend beglücken sie uns zur besten Sendezeit mit Börsenmeldungen. Es sind aber nur knapp über 5 % der Deutschen Aktienbesitzer, mit fallender Tendenz. Man könnte ohne Schaden die Berichterstattung über die Börsen einstellen. Wer spekulieren will, informiert sich im Internet oder bei seiner Bank. Warum das öffentliche Tamtam?

Es wäre nicht schlecht, liebe Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten, wenn Sie bei den von Ihnen gesehenen Programmen und Sendern einmal fragen würden, was die unendlichen Börsensendungen eigentlich sollen. Das nutzt nur der Fortsetzung des Casinobetriebs, weil mit Hilfe dieser Fernseh-Öffentlichkeit Stimmung gemacht wird, meist mit der Tendenz nach oben.

Wir sollten darauf drängen, dass zumindest bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten die Börsensendungen abgeschaltet werden und zum Beispiel durch Berichte von Betrieben mit all ihren realen Sorgen ersetzt werden.

Das Casino läuft weiter auch in der Beratungsarbeit der Banken. Sie verkaufen weiterhin riskante Produkte.

Das Casino läuft weiter im so genannten Investmentbanking. Nach wie vor wird mit aller Gewalt versucht, Fusionen, Umgruppierungen und Übernahmen zu organisieren. So war das bei Conti und Schäffler, so ist das bei VW und Porsche. Es sind volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich betrachtet sinnlose Vermögenstransaktionen.

Der Börsengang von Unternehmen wird immer noch als etwas Sinnvolles betrachtet. Warum denn? Was soll der Sinn sein? Warum strebt auch der neue Chef der Bahn weiter den Börsengang an? Offenbar soll er Futter für die Haie auf dem Kapitalmarkt zur Verfügung stellen.

An den Börsen gibt es teilweise schon wieder euphorische Stimmungen. Weil es gelegentlich schon wieder aufwärtsgeht. Und weil die Bewegung an den Börsen Geld bringt. Dabei wird völlig übersehen, dass es für einen Außenstehenden, für einen Nicht-Anleger, völlig irrelevant ist, ob ein Kurs sinkt oder steigt. Auch Insider freuen sich über steigende Kurse nur, wenn sie Aktien besitzen. Wenn sie anlegen wollen, dann müssten sie eigentlich sinkende Kurse gut finden. Nicht einmal diese rationale Erwägung spielt bei den schon wieder beginnenden euphorischen Einlassungen der Börsenbeobachter, der Analysten und Medienmacher vom Schlage Anja Kohls eine Rolle. Sie wissen aber vermutlich, warum sie steigende Kurse gut finden: das lockt wieder neue Lämmer an. Und wenn das so ist, dann finden auch all die Börsenberichterstatter, Broker, Analysten und Börsianer insgesamt wieder genügend Möglichkeiten, Provisionen, Honorare, Boni und andere Vergütungen einzustreichen.

Neue Euphorien auch in den USA
Nicht nur bei uns, auch in anderen Ländern, zum Beispiel in den USA, gibt es wieder erste Euphorien. Arianna Huffington, die Herausgeberin der Huffington Post, hat dazu am 11. Mai einen interessanten Essay geschrieben: „Wall Street, DC, and the New Financial Euphoria”.

Sie beklagt in diesem sehr lesenswerten Essay – leider nur auf englisch zu haben -, dass eine wirkliche Reform des Finanzsystems immer unwahrscheinlicher wird. Ende 2008 sei die Finanzwirtschaft ziemlich verängstigt gewesen angesichts der Erwartung einer ernsthaften Reform. Aber dann kam alles anders. Das System wurde mit Billionen Dollars gerettet, ohne dass die Regierung die notwendigen Kontrollen und Regeln einsetzte. Huffington skizziert die Lobbyarbeit der Wallstreet. Sie haben gewonnen, auch über ihren Einfluss auf eine ausreichend große Zahl von Demokraten bei den entscheidenden Abstimmungen.

Arianna Huffington weist auch darauf hin, dass man mit den Mitteln, die in unglaublichen Dimensionen in das Bankensystem gepumpt worden sind, um vieles sinnvollere Investitionen in die Infrastruktur, in das Gesundheitssystem, in neue Jobs und in eine Verbesserung der Bildungseinrichtungen hätte tätigen können. Sie zitiert Bob Herbert dem Sinne nach: Erzähle mir nichts über die Börsen, erzähl mir nichts über die Banken „and their perpetual flimflammery“, sag‘ mir, ob Arme und Familien mit mittleren Einkommen Arbeit finden. Wenn sie das nicht schaffen, dann ist das Land “in trouble“.

Diese reale Betrachtungsweise unserer Probleme täte auch unserem Land gut. Dann würden wir schnell herausfinden, dass wir auf einen beträchtlichen Teil der Finanzwirtschaft verzichten könnten, ohne etwas zu verlieren. Würden wir etwas vermissen, wenn es Anja Kohl bei der ARD um 19:55 Uhr nicht mehr gäbe?

Den Verzicht auf unnötige Spekulationsgeschäfte und Derivate möglich zu machen, hat die Finanzwirtschaft bisher mit allen Mitteln und erfolgreich zu verhindern versucht. Es geht weiter wie bisher und kräftig geschmiert mit öffentlichen Mitteln. Der gestern beschlossene Plan zur Ausgliederung von üblen Banken ist ein weiterer Beleg dafür. Die Behauptung des Bundesfinanzministers, dieses Projekt ginge nicht unbedingt zulasten des Steuerzahlers, kann man durch den Kamin jagen. Man muss sich nur einmal anschauen, wie bei der HRE die Beträge zur Unterstützung in knappen Abständen erhöht worden sind. Innerhalb eines knappen halben Jahres von null auf 112 Milliarden und inzwischen wahrscheinlich noch mehr.

Das „System“ läuft weiter –
mit all seinen Facetten, einschließlich Anja Kohl und ihren Kolleginnen und Kollegen, einschließlich Herrn Ackermann, einschließlich eines Bankenprüfsystems aus Bundesbank und Bafin, das bisher vornehmlich der Ablenkung und der Absegnung der besonderen Fütterung des Bankensystems dient, einschließlich des Handels mit Verbriefungen und einschließlich der besonderen Steuerförderung der so genannten Heuschrecken.

Das System läuft weiter. Wenn man diesen Begriff System genauer begreift, dann versteht man auch, was mit „systemrelevant“ und mit „systemisch“ gemeint war. Die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister haben diese Begriffe gerne benutzt. Und wir, das Publikum, haben wohlwollend gemeint, unsere Oberen meinten damit das System der sozialen Marktwirtschaft. Sie meinten aber offensichtlich das System des existierenden Kapitalmarktes. Dieses System retten wir mit 480 und vermutlich viele mehr an Milliarden. Wir retten ein überdimensioniertes System. Die wirklichen Leistungen des Kapitalmarktes, nämlich Sparer und Investierende zusammenzubringen, kann man mit sehr viel einfacheren Mitteln erbringen. Zum Konversionsproblem siehe den Beitrag in den NachDenkSeiten vom 7.1.2009:

Warum geschieht das Vernünftige nicht – weil wir in den Fängen der Finanzindustrie sind …
Wenn wir in den letzten Jahren so radikal formuliert haben, dann haben sicher manche unserer Leser den Kopf geschüttelt und wie so oft üblich Verschwörungstheorien vermutet. Ich kann nur wiederholen: die Interessenverflechtungen kann sich ein Verschwörungstheoretiker kaum so ausdenken, wie sie sind. Und ich kann an dieser Stelle noch einmal auf einen Hinweis verweisen, den wir am 8.5. als Nr. 1 der Hinweise „Kalter Putsch“ brachten. Unter dem Titel „The Quiet Coup“ beschrieb der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds den Zugriff der US-Finanzindustrie auf die wichtigen politischen Entscheidungen der amerikanischen Politik. Bei uns ist es nicht anders.

… und weil die Finanzindustrie großzügig die Politik finanziert.
Auch darüber haben wir schon oft berichtet. Wir weisen heute auf einen einschlägigen Artikel in der Basler Zeitung hin: „Angeschlagene US-Banken gaben 370 Millionen Spenden für Lobbying und Parteispenden aus“
Keine schöne Welt im schönen Mai. Tut mir leid.

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