Fake-News werden maßlos überschätzt

Jens Berger
Ein Artikel von:

Willkommen zur Fake-News-Woche in den klassischen Medien. Gestern eröffnete die ARD mit einem „Themenschwerpunkt“, heute zieht SPIEGEL Online mit einer Sonderausgabe des Tech-Podcasts nach. Die Botschaft ist klar – kurz vor den Bundestagswahlen schürt man die Angst vor Wahlmanipulationen aus dem Netz und betreibt ganz nebenbei Imagepflege in eigener Sache. Denn von Fake News aus den klassischen Medien ist in diesen Dokumentationen erstaunlicherweise nicht die Rede. Stattdessen wirft man einen – zu Recht – kritischen Blick auf die Umtriebe rechter Propagandisten auf Facebook. Das ist zwar löblich, aber wer glaubt denn ernsthaft, dass derartige Umtriebe wahlentscheidend sein könnten? Man sollte doch lieber die Kirche im Dorf lassen und einen Blick auf den wahlentscheidenden Einfluss der klassischen Medien und das damit verbundene Missbrauchspotential werfen. Von Jens Berger.

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Sie sind Mitglied in einer rechtsextremen Gruppe auf Facebook? Oder haben Sie bei Facebook Freunde, die ihre Timeline mit offen ausländerfeindlicher Hetze zumüllen? Nein? Dann ist es auch extrem unwahrscheinlich, dass Sie etwas von dem „Experiment“ der ARD mitbekommen haben, bevor die Macher der – inhaltlich ansonsten recht soliden – Dokumentation „Im Netz der Lügen“ ihren Test auflösten. Und das hat auch seinen Grund. Facebook gleicht nämlich einer „Filterblase“, in der sie vom Algorithmus vor allem Inhalte vorgesetzt bekommen, die ihre vorhandenen Ansichten bestätigen und von Absendern stammen oder kommentiert wurden, mit denen Sie im sozialen Netz Kontakte haben. Wenn Sie also ein Ausländerfeind sind, der sich bei Facebook ständig in einschlägigen Gruppen herumtreibt und mit Gleichgesinnten befreundet ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Ihnen Meldungen, wie die Fake-News vom „Volksbeobachter“ präsentiert werden, die in der ARD-Doku gecovert wurden. Wenn Sie alleine schon bei der Vorstellung, etwas von einem „Volksbeobachter“ zu lesen, zusammenzucken, dann gehören Sie auch nicht zur Zielgruppe dieser Meldungen und werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch nie von Facebook präsentiert bekommen.

Die Falschmeldung des Teams der Universität Hohenheim erreichte immerhin mehr als 11.000 Nutzer. Doch was heißt das konkret? Wenn Facebook die Reichweite eines Beitrags angibt, heißt dies lediglich, dass der Beitrag bei so vielen Nutzern in der Timeline auftauchte. Ob er wirklich gelesen wurde, ist durch diese Zahl nicht messbar. Wie „meinungsbildend“ ist denn eine solche Falschmeldung wirklich? Das hängt natürlich vor allem davon ab, wer solche Meldungen zu Gesicht bekommt. Und hier erweist sich der Filterblasen-Effekt als kontraproduktiv für die Meinungsmache. Wenn nämlich fast ausschließlich Nutzer, die ohnehin ein gefestigtes rechtes Weltbild haben, diese Falschmeldung auf Facebook vorgesetzt bekommen, geht der wahlverzerrende Effekt gegen Null. Ein überzeugter Ausländerfeind wird schließlich nicht erst durch eine derartige Falschmeldung zum AfD-Wähler; er war es schon vorher. Und Nutzer, deren Weltbild nicht derart weit rechts zu verorten ist, kriegen solche Meldungen überhaupt nicht angezeigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Grünen-Wähler diese Falschmeldung zu sehen bekommt, liegt daher ohnehin bei null. Da muss man sich noch nicht einmal die ebenfalls sinnfreie Frage stellen, ob der Grünen-Wähler wegen derartiger Falschmeldungen denn nun die AfD wählen würde.

Die unterschwellige Botschaft, dass durch solche Falschmeldungen die Wahlen beeinflusst werden, ist daher auch sehr kühn. Dies betrifft auch andere Fallbeispiele aus der Doku. Wie viele Wähler sollen denn die Grünen bitteschön dadurch verlieren, dass Renate Künast von rechten Trollen falsch zitiert wurde? Die Wahrscheinlichkeit, dass die Elaborate dieser Trolle in der Timeline von Grünen-Wählern erscheinen, geht gegen null. Und die AfD-Claqueure, in deren Timeline das falsche Zitat erscheint, sind für das Wahlergebnis der Grünen komplett belanglos.

Selbst die von Experten immer wieder genannte Zahl von „über 100.000“ Facebook-Nutzern, die in derartigen rechten Gruppen und Foren ihr Unwesen treiben, ist streng genommen eine gute Meldung. Denn dies entspricht nur rund 1,25 Promille der Gesellschaft und wenn man einmal unterstellt, dass diese Nutzer aufgrund der inzestuösen Struktur von Facebook sich größtenteils in einer abgeschotteten rechten Echokammer mit ihrer eigenen Hetze selbst befruchten, so ist dies natürlich ein widerliches Bild – Auswirkungen auf die Wahlen hat es jedoch nicht.

Ähnlich verhält es sich mit dem beliebten Beispiel „Pizza-Gate“. Von dieser Falschmeldung haben zwar aufgrund der breiten Berichterstattung durch rechte Schreihälse wie Alex Jones mehr Amerikaner erfahren als von den üblichen Fake News aus dem rechten Sumpf. Aber auch hier kann man ziemlich sicher sagen, dass der Effekt auf die Präsidentschaftswahlen, wenn überhaupt, marginal war. Denn wie viele potentielle Clinton-Wähler hören sich schon die spinnerte Radiosendung von Alex Jones an? Übertragen auf Deutschland wäre das wohl vergleichbar mit einem Szenario, bei dem der ultrarechte PI-News-Blog berichtet, Martin Schulz hätte in der Wurstbude eines Freundes einen Pädophilen-Ring betrieben. Wie viele SPD-Wähler würden diesen Unsinn glauben? Wie viele SPD-Wähler würden wegen dieser Meldung AfD wählen? Null? Das denke ich doch auch.

Warum also die ganze Panikmache? Ich glaube nicht, dass die Macher dieser Doku ernsthaft Sorgen haben, Fake News könnten die Bundestagswahlen verzerren. Die ganze Fake-News-Story ist vielmehr eine wunderbare PR-Kampagne für die klassischen Medien. Die Botschaft: Schaut her, die digitale Welt ist voller Lügen und Manipulationen. Ihr braucht jemanden, der Euch bei der Hand nimmt und dem Ihr vertrauen könnt. Und dieser Jemand sind wir.

Im Nebeneffekt hilft diese Debatte sogar, von den real vorhandenen Wählerbeeinflussungen abzulenken. Dafür muss man nur auf das Cover der heutigen BILD schauen. Was glauben die Damen und Herren Journalisten denn bitte, wer mehr AfD-Wähler produziert? Rechte Trolle auf Facebook, die ohnehin nur von wenigen Gleichgesinnten gelesen werden? Oder doch eher die BILD-Zeitung, die immer noch die reichweitenstärkste Zeitung Deutschlands ist? Und wie sieht es mit den Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen aus, die sich das gesamte letzte Jahr hinweg mit AfD-Themen beschäftigten und der Partei damit erst zu ihrem Höhenflug verhalfen? Es ist immer einfach, mit dem Finger auf „das Netz“ oder „die sozialen Netzwerke“ zu zeigen. Die relevante Einflussnahme auf die Wähler findet aber nach wie vor von Seiten der klassischen Medien statt. Und dabei geht es natürlich nicht nur um die AfD. Die NachDenkSeiten berichten tagtäglich über Meinungsmache, die in den allermeisten Fällen dazu dient, die vorherrschende Politik zu verteidigen und progressive Alternativen zu verhindern. Aber darüber berichtet man natürlich lieber nicht.

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