Hinweise des Tages

Ein Artikel von:

(WL/AM)
Heute unter anderem zu folgenden Themen:

  1. Finanzkrise: Die Augenwischerei der Bankgiganten
  2. Neue Nahrung für den Drachen
  3. Die Deflation ist in Japan zurück
  4. Krise verringert Kluft zwischen Armen und Reichen
  5. Abgaben-Debatte: Was ein Mehrwertsteuer-Schub für Deutschland bedeutet
  6. 13 Milliarden Euro die niemand haben will
  7. Investoren plündern Kabelkonzern
  8. Lebensversicherer in Schwierigkeiten:Fast jeder Achte mit toxischen Papieren – Mutter aller Ursachen: HRE
  9. Flossen Siemens-Schmiergelder zu Terroristen?
  10. CDU/CSU-Wahlprogramm
  11. Müntefering wirft Nichtwählern Verantwortungslosigkeit vor
  12. Mehr Wettbewerb in die Politik!?
  13. Heribert Prantl: Machtverlust des Parlaments – Ein verrückte Demokratie
  14. Das Abrücken vom Kampf gegen gesellschaftliche Inegalität erklärt die Wahlniederlage der europäischen Sozialdemokratie
  15. Warum wir vom Kapitalismus reden
  16. Joschka Fischer – Ein Fall politischer Hygiene
  17. Untersuchung der politischen und gesellschaftlichen Einflussnahme der Bertelsmann Stiftung auf die Reformen im öffentlichen Bereich
  18. Reinhard Mohr: Ein Slibowitz auf Ahmadinedschad
  19. Jugendliche ohne Berufsabschluss – Handlungsempfehlungen für die berufliche Bildung
  20. Schavan verspricht Korrekturen beim Bachelor
  21. Erklärung der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, des BdWi und der GEW anlässlich der gemeinsamen Fachtagung “Wirtschaftskrise und Zukunft öffentlicher Bildung und Wissenschaft” am 27. Juni 2009 in Berlin
  22. Thomas Münch, Rezension: Konad Paul Liessmann: Theorie der Unbildung
  23. NDS-Autor Thorsten Hild mit neuen Songs

Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Finanzkrise: Die Augenwischerei der Bankgiganten
    Überraschend schnell zahlen die großen US-Banken einen Großteil ihrer Staatskredite zurück. Ein Grund zum Feiern ist das aber keineswegs.
    Um das System am Laufen zu halten, pumpte die US-Regierung 700 Milliarden Dollar in das Rettungsprogramm. Amerika muss sich in dramatischem Ausmaß neu verschulden. Da haben die Bürger noch sehr lange Zeit sehr viel abzustottern. Die US-Banken tun jetzt so, als hätten sie ihre Schuldigkeit getan und könnten zurück zur Tagesordnung. Doch sie sind so weit davon entfernt wie eh und je.
    US-Banken haben noch reichlich Zündstoff in den Büchern stehen. Allein die fünf größten Institute halten Kreditderivatekontrakte – vor allem CDS – mit einem Volumen von 15,5 Billionen Dollar. Dagegen stehen Assets von gerade einmal 4,8 Billionen Dollar. Insgesamt ist der US-Derivatemarkt mit 200 Billionen Dollar viermal so groß wie die Weltwirtschaftsleistung in diesem Jahr.
    Die Finanzhäuser wollen aus den Fängen der Regierung. Solange der Staat Milliarden in die Banken steckte, waren dicke Boni für die Top-Manager nicht vermittelbar. Das große Jonglieren mit riskanten Finanzvehikeln ging ebenfalls nicht so ohne Weiteres. Also mussten die Steuergelder schnell zurückgegeben werden. Jetzt können Goldman Sachs und Co. wieder ihre Spielchen auf den Weltfinanzmärkten spielen.
    Quelle: Focus Money Online
  2. Neue Nahrung für den Drachen
    Der Immobilien- und Konsumboom der Amerikaner wurde durch die Schwellenländer finanziert. Auch in der Krise wird dieses Missverhältnis nicht abgebaut. Pekings Stellung wird noch stärker – und die Gefahr neuer Turbulenzen wächst.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Der Artikel konzentriert sich auf  die Außenwirtschaftsbeziehungen der USA und China und vernachlässigt wie so oft in der Debatte um die Exporterfolge Chinas, dass die EU schon längst der wichtigste Handelspartner Chinas ist. Das Handelsbilanzdefizit der EU gegenüber China übertrifft das Defizit der USA gegenüber den Volkswirtschaften des Pacific Rim bei weitem. Die Aussage, dass der Exportweltmeister Deutschland stark vom Aufstieg der Schwellenländer profitierte, ist schlicht falsch. Erstens wickelt  Deutschland  seinen Handel größtenteils mit Europa ab – es müßte also Exporteuropameister heißen – , zweitens weist auch Deutschland gegenüber den Ländern Südostasiens, insbesondere China, ein starkes Defizit auf.

  3. Die Deflation ist in Japan zurück
    Der Preisindex fällt so stark wie noch nie – auch deutsche Bundesländer melden im Rekordtempo fallende Verbraucherpreise – und das ist nicht erfreulich.
    Quelle: FR
  4. Krise verringert Kluft zwischen Armen und Reichen
    Mit der weltweiten Wirtschaftskrise weitet sich der Abstand zwischen Arm und Reich. Glaubt man. Doch so einfach ist das nicht – in Wirklichkeit hat die Krise die Einkommensunterschiede kräftig verringert. Während die Reichen viel Geld verloren haben, profitieren die Transferempfänger.
    Die Folgen der Krise spüren die Wohlhabenden indes nicht nur bei Vermögensverlusten. Auch bei den Einkommen verzeichneten viele 2008 ein dickes Minus. So verdienten die Vorstände der 30 größten börsennotierten Unternehmen 2008 pro Kopf im Durchschnitt 2,3 Millionen Euro. 2007 betrugen die Vergütungen in bar oder als Aktien und Optionen im Schnitt noch fast drei Millionen Euro. Dies ist ein Rückgang um mehr als 20 Prozent. „Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Krise die Unterschiede bei den Markteinkommen verringert hat“, sagt der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW), Michael Hüther. „Es gibt eine Entspannung bei der Einkommensverteilung.“ Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, spricht von einem „Kriseneffekt der Gleichmacherei“. Denn der Crash habe zwar viel Kapital vernichtet, die Armen hierzulande aber nicht ärmer gemacht.
    Quelle: Berliner Morgenpost

    Anmerkung WL: Die Thesen von Hüther (IW) und Zimmermann (DIW)sind an Zynismus kaum noch zu überbieten. Da verlieren die Vorstände im Durchschnitt 700.000 Euro und landen bei 2,3 Millionen im Jahr und das nennt man dann schon „Gleichmacherei“.

    Dazu passt: Nochmals DGB-Studie: Ein-Euro-Jobs verdrängen reguläre Arbeit

    Anmerkung B.L.: Vielen Dank für den Hinweis auf Arbeitsmarkt aktuell zu den “Ein-Euro-Jobs”.
    Zuerst, im folgenden Text werde ich diese so genannten Jobs nicht so nennen, Denn es sind nun mal keine “Jobs” im Sinne von bezahlter Arbeit.
    Es ist rechtlich inzwischen definiert als eine “Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung” (im Folgenden abgekürzt mit “MAE”).
    Als diese ab 2005 eingeführt wurden, waren sie gedacht, “Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen, die keine Arbeit finden können wieder an Arbeit zu gewöhnen”. Vergleichen sie die damalige Presse, diese Formulierungen sind nicht auf meinem geistigen Kompost gewachsen. Über das Menschenbild, das hinter solchen Formulierungen steckt, möchte ich hier nicht näher eingehen.
    Dafür aber auf die heute übliche Praxis der MAEs.
    In diesen, meist im Kultur- und Sozialbereich, aber auch in arbeitsintensiven Bereichen, wie öffentliche Grünpflege, Hilfskräfte in öffentlichen Einrichtungen, wie Schulen, Verwaltungen, Bibliotheken, Pflegeeinrichtungen, Ämtern finden sich nun in den wenigsten Fällen Menschen, die im Arbeitsagentur-Jargon “multiple Vermittlungshemmnisse” haben.
    Nicht diese kommen in diese Jobs, nein, die kann man dort wirklich nicht brauchen, denn um die müsste man sich aufwandreich kümmern.
    Statt dessen hat sich die Praxis eingebürgert, MAEs mit durchaus gut qualifizierten Fachkräften, durchaus sogar mit akademischen Abschluss, einzusetzen.
    Gründe gibt es dafür viele. Zwei davon nenne ich Ihnen etwas ausführlicher:
    Gut (aus)gebildete Menschen, die aus strukturellen Gründen keine Arbeit finden und in die MAEs zugewiesen werden, funktionieren besser als die oben erwähnten “Mühsamen und Beladenen des Arbeitslosenheeres”. Denn diese wären in keinem Fall in der Lage durchaus komplexe Aufgaben zu übernehmen und zu erfüllen, die sonst von Menschen erledigt werden müssten, für deren Arbeit kein Geld da ist.
    Und damit sind wir bei Punkt zwei:
    Das liebe Geld, hier die gute Abzocke genannt:
    Für die Beschäftigung in diversen öffentlichen Einrichtungen, seien es Kultur wie Stadtmuseen, Kindertheater, oder Sozialarbeit, Stadtteilarbeit, Umweltschutz etc., gibt es so genannte Trägerfirmen. (Eine davon und deren Verbindungen in die Sozialverwaltung des Bezirkes hatten sie mal in einem verlinkten Beitrag erwähnt, die Autorin wurde dann gezwungen, den Beitrag aus Ihrem Blog zu nehmen, per anwaltlicher Unterlassungsdrohung mit exorbitanten Schadensersatzforderungen.)
    Diese Trägerfirmen (in Berlin z.B.: AG SPAS, Goldnetz,. BQ, etc.) erhalten pro MAE so genannte Aufwandsentschädigungen, daraus sollen für die Teilnehmer in diesen “Arbeitsgewöhnungsmaßnahmen” die Aufwandsentschädigung von 1,50 gezahlt werden, weiter enthalten sind Pauschalen für die so genannten Regie- und Sachkosten, die den Trägerfirmen entstehen.
    Diese Trägerpauschalen sind durchaus nicht gering. Sie belaufen sich in Berlin um Durchschnitt pro Teilnehmer auf ca. 500Euro im Monat, können aber für z.B. akademische Teilnehmer schon gerne mal bis 700 – 800 Euro im Monat betragen.
    Davon gehen für die Teilnehmer der Maßnahmen monatlich ca. 190, — Euro als Aufwandsentschädigung ab (€ 1,50/Stunde, die Maßnahmen sind auf ca.
    30 Wochen- Stunden angelegt, für Fehlzeiten und Feier- und Urlaubstage gibt es kein Geld).
    Bleiben, je nach Höhe der Trägerpauschale, 300 bis 500 Euro pro Teilnehmer (monatlich!) in der Kasse der Träger, davon sollten die Träger aber ihr Personal, und die Betreuung der Menschen mit den “multiplen Vermittlungshemmnissen” in den Maßnahmen bezahlen.
    Das jedoch ist Makulatur. Es gibt nur wenige Teilnehmer in den MAEs, für die dieses Etikett zutrifft (siehe oben).
    Denn wenn Sie sich mal die Träger genauer anschauen, werden Sie sich wundern, die meiste Arbeit dort, inklusive der Verwaltung (und “Betreuung”) der Teilnehmer wird von Teilnehmern an den MAEs gemacht. Aber es gibt immer einen Geschäftsführer. Mit gutem Gehalt natürlich.
    Und nun raten sie mal, woher das kommt.
    Und was sie auch noch raten dürfen, ist ob Teilnehmer in MAEs in der Arbeitslosenstatistik mitgezählt werden.
    Das ist meine kurze Anmerkung zu der gängigen Praxis der so genannten “Ein-Euro-Jobs”. Eine Praxis, die der Öffentlichkeit weitgehend verschwiegen wird.
    In der Gelder für die Bereicherung von dubiosen Trägerfirmen aus dem Steuertöpfen umgeleitet werden.
    Wenn Sie hier zum Ende noch mal die Mühe machen und eine winzige Rechnung aufstellen:
    Für einen Single im ALG II-Bezug zahlt der Steuerzahler ca. € 350,– dazu kommt in Berlin eine Wohnpauschale von ca. € 350,– und an die Sozialversicherungsträger (KV, PV, RV) noch ca. € 200,–.
    Dazu eine Pauschale an die Träger der MAEs von ca. € 500,– und was haben wir dann: ca. € 1400,–, die man auch durchaus für einen sozialversicherten, subventionierten Teilzeitjob im Sektor Öffentlicher Dienst hinlegen könnte.
    Will man aber nicht. Ist ja zu teuer.
    Stattdessen siehe oben.

  5. Abgaben-Debatte: Was ein Mehrwertsteuer-Schub für Deutschland bedeutet
    Ministerpräsident Oettinger will die Staatsschulden mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer drücken – die Union protestiert lautstark. Auch Wirtschaftsexperten diskutieren einen Abgaben-Schub kontrovers. SPIEGEL ONLINE hat fünf Wissenschaftler befragt.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung AM: Siehe gesonderten Beitrag von heute zur Mehrwertsteuer im Spiegel der Theorie der Marktwirtschaft.

  6. 13 Milliarden Euro die niemand haben will
    Die Milliarden aus dem staatlichen Investitionsprogramm kommen nach einem Zeitungsbericht bislang nicht bei den Unternehmen an. Von den insgesamt 13 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur oder Schulen hätten die Länder bis Donnerstag vergangener Woche lediglich elf Millionen Euro abgerufen, berichtet die Zeitung “Financial Times Deutschland” unter Berufung auf Kreise im Bundesfinanzministerium. “Das Geld liegt bereit, es muss nur ausgegeben werden”, heiße es im Ministerium.
    Quelle: HZ Online

    Anmerkung WL: Und anschließend heißt es wieder Konjunkturprogramme bewirken nichts.

  7. Investoren plündern Kabelkonzern
    Orion in Not: Nach FTD-Informationen drohen 1,8 Mrd. Euro langfristige Schulden den von Finanzinvestoren gebildeten Konzern und seine Dachgesellschaft zu erdrücken. Mehrere Investoren unter Führung der britischen Private-Equity-Gesellschaft Aletheia hatten seit Ende 2005 mehrere deutsche Kabelnetzbetreiber übernommen und daraus den Orion-Konzern gebildet. Um dies zu finanzieren, bürdeten sie der Gruppe gewaltige Schulden auf. Mit operativen Gewinnmargen von 40 Prozent läuft das Kabelgeschäft von Orion eigentlich gut. Vor allem bei der Tochter Tele Columbus bleibt allerdings wegen der gewaltigen Schulden von den Einnahmen so gut wie nichts übrig. “Die Schulden fressen denen die Haare vom Kopf”, hieß es in informierten Kreisen. Internen Dokumenten zufolge, die der FTD vorliegen, summierten sich die Zinszahlungen bei Orions übergeordneter Dachgesellschaft Escaline allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres auf 77 Mio. Euro – bei einem Betriebsgewinn von nur 49 Mio. Euro. Tele Columbus müsse jedes Jahr Beraterhonorare von rund 20 Mio. Euro schultern, sagte ein Insider. Hinzu kämen weitere Managementgebühren in Millionenhöhe, die an einzelne Escaline-Gesellschafter ausbezahlt worden seien.
    Quelle: FTD
  8. Lebensversicherer in Schwierigkeiten:Fast jeder Achte mit toxischen Papieren – Mutter aller Ursachen: HRE
    Bayrische Beamtenversicherung, Nürnberger Leben, Provinzial Nordwest und Provinzial Rheinland – die Liste der Lebensversicherer in Schwierigkeiten wird immer länger. Warum sollten Versicherer auch besser durch die Finanzkrise kommen als Banken?
    Schließlich legen auch die Versicherungskonzerne das Geld ihrer Kunden an den internationalen Kapitalmärkten an. Und um beispielsweise einen garantierten Zins von 3,5 Prozent für Lebensversicherungen zu erwirtschaften, reicht es nicht mehr aus, dass Geld nur in sicheren Staatsanleihen zu investieren. Also haben auch die deutschen Lebensversicherer Ende 2008 insgesamt elf Milliarden Euro in vermeidlich spannendere Papiere wie Asset Backed Securities (ABS) angelegt. Anlagen, in denen sich verschachtelt Kredite befinden und die heute zumindest teilweise besser bekannt sind als toxische Wertpapiere.
    Quelle: heute

    Anmerkung AM: Warum wir für die Fehlspekulationen von Versicherungsgesellschaften mit Steuergeldern aufkommen sollen, wie das mit den Garantien und Zahlungen an die HRE und damit zu Gunsten der genannten Versicherungsgesellschaften geschieht, begreife ich immer noch nicht. Das ist übrigens auch eine doppelte Subvention für die private Altersvorsorge. Denn in den angelegten Geldern stecken mit Sicherheit auch solche, die über Riester- und Rürup-Verträge sowie über die betriebliche Altersvorsorge von den Versicherungsgesellschaften hereingeholt worden sind. Wir zahlen also sowohl für die steuerliche Förderung und die Zulagen sowie die Entgeltumwandlung und jetzt auch noch zur Rettung der Spekulanten. So lassen sich leicht Geschäfte machen.

  9. Flossen Siemens-Schmiergelder zu Terroristen?
    Eine Untersuchungskommission in Bangladesch geht dem Verdacht nach, dass von Siemens gezahlten Schmiergelder an eine islamistische Terror-Organisation geflossen sind. Dem Magazin “Der Spiegel” zufolge zahlte Siemens etwa 1,7 Millionen Dollar an einen Vertrauten des damaligen Telekommunikationsministers Aminul Haque. Mit den Schmiergeldern sicherte sich Siemens 2004 einen Auftrag in Höhe von 40,9 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines Mobilfunknetzes.
    Wie schon länger bekannt ist, hatte Aminul Haque im gleichen Zeitraum Aktionen der Extremistengruppe Jamaat ul-Mudschahidin Bangladesch (JMB) geleitet. Der Ex-Minister ist derzeit flüchtig. US-Ermittlern zufolge erhielt Haque einen Teil der Bestechungsgelder persönlich. Offen ist, ob und wie viel dieses Geldes an die Mudschahidin weitergereicht wurde – diese Frage soll die Kommission in Bangladesch nun klären.
    Quelle: heise online
  10. Vergleich der Unions-Programme
    Vom Umfang ist das jetzige Wahlprogramm von CDU und CSU mindestens doppelt so dick wie das von 2005. Tatsächlich enthält es auch im Unterschied zum Vorgänger-Modell einige neue Bereiche, die meisten Themen werden fortentwickelt.
    An einigen Stellen werden die alten Positionen im wesentlichen wiederholt.
    Quelle: SZ

    • Merkels Fehlstart in den Wahlkampf
      Für Merkel wäre es schlimm genug, wenn es zum Start des Bundestagswahlkampfs nur um politische Dummheit ginge oder um parteiinterne Intrigen. Aber das Problem sitzt tiefer. Bis hinauf in die Spitze der CDU gibt es Zweifel an den Steuersenkungsplänen, die am Sonntag beschlossen wurden. Denn die Union will einerseits den Bürgern Entlastungen versprechen, andererseits aber auch als solide und sparsam gelten. Es ist die Quadratur des Kreises.
      Die Wahlkämpferin Merkel muss dagegen tun, was die Kanzlerin Merkel gern vermeidet: sich festlegen und Steuererhöhungen ausschließen. Am Sonntag forderte sie unter Beifall der beiden Parteiführungen, dass alle das Gleiche sagen. Oettinger allerdings weilte gar nicht in Berlin. Da nützte denn auch eine andere Warnung der Kanzlerin in der Sitzung gar nichts: “Tuschelt nicht so viel, die Akustik macht das alles vorne hörbar.” Die Wähler haben in den vergangen Tagen schon mehr gehört, als Merkel lieb sein kann.
      Quelle: FTD
    • Den Sieg erschleichen?
      So konsequent hat auch noch keiner versucht, praktisch programmfrei um die Stimmen der Wähler zu bitten. Was das Regierungsprogramm 2005 vielleicht zu viel an Inhalt enthielt, bietet das Unionsprogramm jetzt zu wenig. Man verspricht ein bisschen Steuersenkung. Ansonsten heißt die Botschaft: Alles wird gut, und das meiste wird wie vorher, irgendwo, irgendwie, irgendwann. Dieses Programm des Ungefähren hat natürlich den Vorteil, dass es nirgendwo aneckt. Keine wichtige Wählergruppe wird aufgescheucht, der politische Gegner findet nichts, worüber er sich erregen kann. Im Ungefähren des Programms steckt aber zugleich das Risiko des Experiments. Ein Wahlkampf, dem die Wahlkampfleitung kein Thema aufprägt, sucht sich nämlich gern mal selber eins. Dabei kommt dann rasch so etwas raus wie die Steuer-Kakophonie der letzten Tage. Die ist vielleicht aus Versehen losgebrochen, aber nicht zufällig. Das Wahlprogramm, dieses Sammelsurium an Formelkompromissen und Leerstellen, von den Generalsekretären von CDU und CSU im Stile eines Vertrages zwischen rivalisierenden Staaten ausgehandelt, lässt Raum dafür.
      Quelle: Tagesspiegel
  11. Müntefering wirft Nichtwählern Verantwortungslosigkeit vor
    Demokratie lebt vom Mitmachen: SPD-Chef Müntefering hat mehr politisches Engagement der Bürger angemahnt. Viele Deutsche kritisierten lieber die Politik, als selbst zu handeln – dabei sei “jeder in der Verantwortung”.
    In Deutschland säßen viele Menschen auf der Tribüne und behaupteten, es besser machen zu können, sagte Müntefering der “Welt am Sonntag”. “Es gibt ein Gefühl bei manchen, dass derjenige, der nicht handelt, mit dem, was passiert, nichts zu tun hat”, sagte der SPD-Vorsitzende. “Aber das ist nicht so. Wer nicht handelt, ist genauso verantwortlich.” Deshalb sei seiner Ansicht nach die wichtigste Erkenntnis in der Demokratie: “Es gibt kein Entrinnen. Jeder ist in der Verantwortung”, sagte Müntefering.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung WL: Statt die Bürgerinnen und Bürger zu schelten, sollte Müntefering besser einmal danach fragen, warum die Wahlbeteiligung immer mehr abnimmt und vor allem warum es der SPD immer weniger gelingt „ihre“ Wähler zu „mobilisieren“.

  12. Mehr Wettbewerb in die Politik!?
    Anfang Mai gab die Bertelsmann Stiftung bekannt, dass nach einer von ihr in Auftrag gegebenen Umfrage zwar 77 Prozent der Deutschen die Demokratie für die beste Staatsform für Deutschland halten, aber nur etwas über die Hälfte damit zufrieden ist, wie sie verwirklicht wird – und die Tendenz sinkt.
    Die fast einhellige Ansicht zum Grundgesetz und weitere Umfragen zeigen auch, dass das Volk das Problem nicht in der Demokratie sieht. Der vertrauen bedeutend mehr als Parteien und Politikern, wie eine Umfrage der Leipziger Volkszeitung ergab. Düe Bürger zweifeln laut einer Umfrage der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung vielmehr an der Effizienz unseres demokratischen Systems und laut der Shell Jugendstudie an der Fähigkeit von Politikern und Parteien, Probleme wirklich zu lösen.
    Diese Ergebnisse erklären auch die sinkende Wahlbeteiligung. Zieht man von dieser die Protest- und Ungültigwähler und die etlichen dank der Fünf-Prozent-Hürde unter den Tisch gefallenen Stimmen ab, sieht es noch schlechter aus. Das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Politiker ist dermaßen gering, dass die Bürger freiwillig auf eine ihrer wenigen Mitbestimmungsmöglichkeiten, die Wahl, verzichten. Da die Parteien dadurch jedoch nicht an Macht, sondern nur an Legitimation verlieren – die Anzahl der Mandate und Ämter ist nicht von der Wahlbeteiligung abhängig – besteht für sie keine Veranlassung, daran etwas zu ändern. Stattdessen fordern Spitzenpolitiker vom Wähler, sich zu ändern, wie jüngst (5) SPD-Bundesvorsitzender Franz Müntefering auf dem Bundeskongress der Jusos.
    Dabei wäre der Mentalitätswandel bei den Politikern selbst vonnöten.
    Sie müssen begreifen, dass sie in Konkurrenz um Ideen stehen, die sie den Bürgern vermitteln müssen. Eine Partei, die weiß, was Finanzhaie, heiße Luft und Dumpinglöhne wählen würden, aber offenbar nicht, weshalb man sie wählen sollte, sollte die Schuld für die Wahlniederlage nicht beim “schwer mobilisierbaren” Wähler suchen. Eine andere Partei sollte ihre Ideen nicht mit Begriffen aus der Comicsprache (“WUMS!”) oder durch Reminiszenzen an die US-Geschichte verhüllen, noch dazu in Englisch (“Green New Deal”).
    Das Jammern nach jeder Wahl mit geringer Wahlbeteiligung bleibt unglaubwürdig, solange die Parteien dadurch nicht auch an Macht verlieren und ihre wichtigsten Figuren über die Liste abgesichert sind.
    Hans Eichel und Peer Steinbrück wurden zu Finanzministern und Sigmar Gabriel zum Umweltminister gekürt, nachdem die Wähler sie nicht mehr als Ministerpräsidenten wollten.
    Quelle: Telepolis
  13. Heribert Prantl: Machtverlust des Parlaments – Ein verrückte Demokratie
    Gleichwohl ist der deutsche Blick auf Italien durchaus selbstgerecht. Tendenzen der Entdemokratisierung gibt es hierzulande nicht zu knapp; diese haben freilich sehr viel weniger Erregungspotential als in Italien.
    Die deutsche Demokratie leidet, zumal seit der großen Wirtschaftskrise, an Entleerungsgefahr. Die Selbstherrlichkeit der Exekutive, also der Regierung, nimmt zu. Der Einfluss des Parlaments, des zentralen Orts der Demokratie, nimmt in unglaublicher Weise ab.
    Es ist nicht “die Politik”, die da agiert. Es ist in Deutschland allein die Regierung. Der Bundestag, der demnächst neu gewählt wird, spielt eine immer geringere Rolle. Er hat noch die Aufgabe, Kanzlerin oder Kanzler zu wählen. Dann hat er ausgespielt.
    Der Bundestag schluckt – und stimmt zu bei allem, was ihm von der Bundesregierung vorgesetzt wird, so es ihm überhaupt vorgesetzt wird. Das ist auch eine Folge der großen Koalition, aber nicht nur. So war und ist es nämlich seit langer Zeit bei allen Anti-Terror-Gesetzen.
    So war und ist es bei allen EU-Gesetzen und Verträgen. So war und ist es bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr; hier mussten Parlamentarier gar ihre Zustimmungsrechte erst einmal im Wege der Organklage beim Bundesverfassungsgericht erstreiten.
    Quelle: SZ
  14. Das Abrücken vom Kampf gegen gesellschaftliche Inegalität erklärt die Wahlniederlage der europäischen Sozialdemokratie
    Zusammenfassung wesentlicher Inhalte eines am 27.Juni 2009 in der Pariser Tageszeitung Le Monde erschienen Debattenbeitrags. Original-Titel: „L’abandon de la lutte contre les inégalités explique l’échec des socialistes européens“ (nach einer Übersetzung aus dem Englischen von Isabelle Chével). Autor: Bo Rothstein, Politikprofessor an der Universität Göteborg. Übertragen von Gerhard Kilper      
     
    Angesichts des Scheiterns neoliberaler Markt-Selbststeuerungs-Ideologie hätte man bei den Wahlen zum Europaparlament einen Sieg der Sozialdemokraten und Sozialisten erwarten können. Nach dem Zusammenbruch des deregulierten Finanzsystems verstand eigentlich jeder, dass die seit einem Vierteljahrhundert vorherrschende neoliberale Ideologie mit ihrem Latein am Ende war.
    Logischerweise hätte traditionelle sozialdemokratische Programmatik, in der Wirtschaftspolitik (global steuernd) an Keynes orientiert und verbunden mit sozialer Regulierung der Märkte, den Wahlsieg für die europäische Linke bringen müssen. Paradoxerweise hat aber die Rechte gewonnen – weil ihre politischen Führer in Regierungsverantwortung den Sozialdemokraten zuvor kamen, indem sie linke Programmatik als eigene Krisenbewältigungspolitik verkauften.
    Alle Studien zeigen, dass wirtschaftlich-soziale Inegalität das Wohlergehen der Gesellschaften global bedroht. Die einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gewordenen Arbeiten von Richard Wilkinson und Kate Picket kommen zum Ergebnis, dass soziale Probleme mit dem Inegalitätsgrad der Gesellschaften zahlreicher und verheerender werden und zwar auch für die Mittelschichten. Das Risiko, psychisch krank zu werden, ist in den  inegalsten OECD-Ländern fünfmal höher als in den OECD-Ländern mit geringster sozialer Inegalität. Für alle Schichten der Bevölkerung ist die Lebenserwartung in den Ländern am höchsten, die auch den höchsten Grad gesellschaftlicher Gleichheit aufweisen. Ganz grundsätzlich leidet bei den Indikatoren „gesellschaftliches Wohlergehen“ und „Gesundheit“ nicht nur die Unterschicht, sondern die ganze Gesellschaft unter der Inegalität. Ein besonders schlimmes Übel für Gesundheit und Lebenserwartung stellt die – (für Arbeitnehmer) mit geringem  Handlungsspielraum einhergehende – Inegalität am Arbeitsplatz dar.
    Ein zentraler neoliberaler Glaubenssatz, größere gesellschaftliche Inegalität führe zu höherem Wirtschaftswachstum, wird von der Realität widerlegt: Länder mit gut ausgebautem sozialem Netz (statt Sozialabbau) und hoher Steuerquote wie die nordischen Länder, wiesen gleichzeitig auch hohe Wachstumsziffern auf.
    Warum konnten die sozialdemokratischen Parteien diese empirischen Belege nicht in einen politisch mobilisierenden Diskurs umsetzen, wo doch gerade eben das neoliberale Gegenmodell zum sozialdemokratischen Traditionsprogramm so offensichtlich Schiffbruch erlitten hatte?
    Ein Grund für die Niederlage könnte das Abrücken linker Politiker vom bisher besten Verbündeten der Sozialdemokratie, von politischer Aufklärung und universalen Menschenrechten sein. So lehnte man sich „modern“ an postmodernes, anti-empirisches und intellektuell oft obskures Denken an – untauglich für die Entwicklung politischer Visionen, die auf gesicherte Empirie und praktische Machbarkeit bauen.
    Die Linke entwickelte sich zu einem Konglomerat von Gruppen, das nicht Menschenrechte und Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung („der Arbeitnehmerschaft“) in den Vordergrund ihres Denkens und Handelns rückte, sondern sich um die Identität von marginalisierten, in ihrer Identität bedrohten Randgruppen kümmerte (Immigration, Religion, kulturelle Interessen-Identität, sexuelle Orientierung etc.). Dieses Engagement für Gruppen-Identitätspolitik verlor die (wirtschaftlichen und sozialen) Lebensinteressen der großen Mehrheit der Gesellschaft aus den Augen.
    Politische Mobilisierungskampagnen für Minderheiten-Gruppenidentitäten können nicht gleichzeitig auf gesellschaftliches Wohlergehen der Bevölkerungsmehrheit abzielen, da die partikularen, oft sehr unterschiedlichen Gruppenidentitätsinteressen der Minderheiten in ihrer Addition nicht automatisch das Interesse der Bevölkerungsmehrheit verkörpern bzw. nicht verallgemeinert werden können. Dieser Schwenk sozialdemokratischer Politik führte dazu, dass die Bevölkerungsmehrheit sich von linker Politik nicht mehr angesprochen fühlte bzw. dass diese dann nicht mehr mehrheitsfähig war. Durch die Übernahme postmodernen Denkens ließ die Linke ihre traditionelle Programmatik verkümmern, was zur überraschenden Wahlniederlage führte.
    Quelle: Le Monde

    Anmerkung WL: Dass die deutsche Sozialdemokratie ihre Mobilisierungskampagnen auf Minderheiten-Gruppenidentitäten konzentriere, trifft nicht zu. Siehe dazu z.B. prototypisch Peer Steinbrück: „Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern.“
    Zutreffend ist aber wohl eher, dass „man sich „modern“ an postmodernes, anti-empirisches und intellektuell oft obskures Denken“ anlehnte, man denke nur an die Parole vom „vorsorgenden Sozialstaat“ wofür es kaum ein empirisches Fundament und kaum vorzeigbare Erfolge gibt.
    Die Hartz- (und das damit verbundene Lohndumping) oder die Rentenreformen machten auch für viele spürbar, dass nicht mehr „die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung („der Arbeitnehmerschaft““) im Vordergrund des Denkens und Handelns der SPD standen.

  15. Warum wir vom Kapitalismus reden
    Bei der Suche nach Wegen aus der Krise hilft der Begriff soziale Markwirtschaft nicht weiter. Er trägt zur Verwirrung bei, weil es um die Zukunft des Kapitalismus geht.
    Es gibt heute kaum eine Partei, die sich nicht in der Tradition der „Sozialen Marktwirtschaft“ sieht. So wollen CDU und SPD die „Soziale Marktwirtschaft“ erneuern. Die FDP möchte sich auf die „Soziale Marktwirtschaft“ zurückbesinnen. Die Grünen wollen die Rheinische Sozialordnung grün anstreichen. Und Oskar Lafontaine streitet mit Ludwig Erhard für höhere Löhne.
    Dieser Wettkampf um das Erbe Erhards hat einen einfachen Grund: Lange Zeit genoss die „Soziale Marktwirtschaft“ im öffentlichen Bewusstsein einen guten Ruf. Hinter beiden Begriffen stehen also völlig unterschiedliche Deutungsmuster, der ökonomischen und sozialen Verhältnisse. Am Beispiel des Verständnisses vom Staat und der Arbeit lässt sich dies gut zeigen.
    Quelle: der Freitag
  16. Ein Fall politischer Hygiene
    Auch wenn Joschka Fischers neuer Job rechtlich wohl nicht zu beanstanden ist, stößt sein Entschluss doch bitter auf. Ausgerechnet Fischer, der einst als militanter Linksradikaler gegen das Establishment kämpfte und sein politisches Leben mit den Themen Umweltschutz und erneuerbare Energien bestritt, lässt sich nun vor den Karren der mächtigen und undurchschaubaren Energielobby spannen. Fischers Wandelbarkeit seiner politischen Positionen vom grünen Urgewächs zum Oberrealo hat schon in seiner aktiven Grünen-Zeit Fragen aufgeworfen. Sein neuer Job als Energielobbyist dürfte seine Glaubwürdigkeit allerdings endgültig erschüttern.
    Es entschuldigt Fischer nicht, dass viele seiner Kollegen so handeln wie er. Sein Wandel zum Lobbyisten ist aber Beleg dafür, dass eine kritische Diskussion der Verfilzung zwischen Wirtschaft und Politik längst überfällig ist. Denn dabei geht es um nichts anderes als um eine legale Form der Korruption.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die Forderung nach einer kritischen Diskussion der Verfilzung zwischen Wirtschaft und Politik ist ein wenig dürftig für ein Blatt, das “systemkritischen Sichtweise” fördern möchte. Zu erwarten ist bei diesem Anspruch eine journalistische Aufarbeitung dieser Verfilzung bzw. deren Entwicklung seit Rainer Barzel (Flick) über Laurenz Meyer (RWE) bis Wolfgfang Clement (Deutscher Industrie Service, Adecco), um nur einige wenige zufällig herausgegriffene Namen zu nennen. Für Appelle dieser Art sind Politiker  zuständig, und nicht kritische Journalisten.

  17. Untersuchung der politischen und gesellschaftlichen Einflussnahme der Bertelsmann Stiftung auf die Reformen im öffentlichen Bereich
    Ein individuelles oder kollektives Bewusstsein über die politische, mediale und finanzielle Macht Bertelsmanns existiert meines Erachtens nicht oder nur sehr vereinzelt. Die Stiftung hält ihren zielgerichteten ideologischen und praktischen Einfluss auf die Reformen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich weitestgehend bedeckt, um ihr Image als neutrale Vertreterin gesellschaftlicher Interessen nicht zu gefährden. So schafft sie es, sich ihrer Verantwortung für und einer Auseinandersetzung über die gesellschaftlichen Folgen der von ihr forcierten Reformen zu entziehen. Sie muss sich nicht demokratisch legitimieren lassen, ihre Aktivitäten sind nicht an Legislaturperioden gebunden und sie muss vor keinem Parlament oder Rechnungshof Rechenschaft über ihre Vorhaben und deren Finanzierung ablegen, nur vor ihrem Stifter. Wenn es für die Durchsetzung ihrer Konstruktion von Gesellschaft notwendig ist marginalisiert, ignoriert und hintergeht sie demokratische Entscheidungen und Entscheidungsprozesse sogar.
    Über Kampagnen, Preisverleihungen und Rankings transportiert die Stiftung ihre Normen und Werte in die Öffentlichkeit und bereitet damit den Boden für den neoliberalen Umbau der Gesellschaft. Durch ihren gemeinnützigen Deckmantel erfreuen sich ihre Veröffentlichungen und öffentlichen Auftritte breiter Akzeptanz und Anerkennung.
    Einem kritischen Dialog über die Auswahl und den Inhalt ihrer Arbeit geht die Bertelsmann Stiftung konsequent aus dem Weg. Entscheidende Problemstellungen der Gegenwart und der zukünftigen Entwicklung werden übergangen, wie z.B. die Überlastung des Personals von Schulen und Sozialen Diensten, die Perspektivlosigkeit der Arbeitslosen, Kinderarmut, die Vereinsamung älterer Menschen oder die Interessenvertretung von MigrantInnen. Zu ihren Kongressen, Workshops und Beratungen lädt die Stiftung nur ihr wohlgesonnene und ,geistesverwandte’ VertreterInnen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ein und vermeidet so themenkontroverse Auseinandersetzungen. Die Netzwerkarbeit und Projektentwicklung der Bertelsmann Stiftung ist so angelegt, dass sich die Akteure gar nicht mehr mit Gegenmeinungen und Kritik auseinandersetzen. Der Fokus der beteiligten Akteure wird so nicht erweitert, sondern im Gegenteil verengt und kanalisiert, wie es in einem öffentlichen Diskurs kaum möglich wäre. Dadurch, dass kritische Stimmen ausgeblendet bleiben ist die Bertelsmann Stiftung mit dafür verantwortlich, dass die Betroffenen der Reformen gar nicht angehört wurden und werden.
    Es gibt scheinbar keine verlässlichen, profilierten Einrichtungen oder Netzwerke, die ein vergleichbar öffentlichkeitswirksames Gegengewicht zu Bertelsmanns Think Tank und
    Konzern darstellen und für Transparenz und kritische Auseinandersetzung über Risiken und Nebenwirkungen der Bertelsmann-Projekte sorgen (wollen). Im Gegenteil hat Bertelsmann gute Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten und Organisationen aller gesellschaftlichen Bereiche. Höchste RepräsentantInnen der deutschen, europäischen und internationalen Politik folgen den Einladungen der Stiftung. Und wer sich kooperativ mit den Stiftungsinteressen zeigt muss keine medialen Nachteil für sich befürchten. Denn mit dem größten Medienkonzern Europas hat die Stiftung ein einflussreiches Machtinstrument der Meinungsbildung im Rücken. Da zivilgesellschaftliches Engagement steuerlich privilegiert wird bedeutet die Rechtsform der gemeinnützigen Stiftung für den Konzern hohe Steuerersparnisse. Diese Mittel, die zur Finanzierung hoheitlicher Aufgaben durch den Staaten eingesetzt werden könnten, fließen nun in die Stiftungs-Projekte. So gesehen kann man von einer Privatisierung der Politik auf Kosten der öffentlichen Kassen sprechen. Der Konzern kann es sich leisten einen Think Tank zu finanzieren und mit ihm prägend Einfluss auf den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs nehmen. Eine private institutionelle Macht, die streng hierarchisch organisiert ist, übt Einfluss auf das gesamte politische System aus. Diese ,zivilgesellschaftliche’ Macht stützt sich ausschließlich auf Reichtum und Vermögen.
    Quelle: Diplomarbeit von Susanne Schiller anti-bertelsmann.de [PDF – 1.35 MB]
  18. Reinhard Mohr: Ein Slibowitz auf Ahmadinedschad
    Iranische Oppositionelle als “Discomiezen” und “Strichjungen des Finanzkapitals” – was sich anhört wie Mullah-Propaganda, stammt aus den Webforen der deutschen Linken. In ihrer Bewunderung für das islamistische Regime sind sie sich mit ihrem schärfsten Gegner einig: den Neonazis.
    Wie also reagiert der klassische Linke in Deutschland auf die Proteste in Iran?
    Zunächst war da viel Schweigen. Auch Tage nach den riesigen Demonstrationen und den Drohungen des Regimes in Teheran fand sich etwa im Leitorgan der Linken, dem “Neuen Deutschland”, kein Sterbenswörtchen über die dramatischen Ereignisse. Das gleiche Bild bot sich auf der Homepage der Partei Oskar Lafontaines.
    Eine merkwürdig ansteckende Schweigegrippe.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung unseres Lesers B:J.: Gerne würde ich Ihre Aufmerksamkeit auf den am 27.06.09 erschienenen Spiegel-Online-Artikel “DEUTSCHE LINKE UND IRAN Ein Slibowitz auf Ahmadinedschad” von Reinhard Mohr lenken. Herr Mohr behauptet darin, “die deutsche Linke” schweige sträflich zu den Vorgängen im Iran und unterstellt Amerika- und Israelhass als Motivation, um schließendlich einen ideologischen Schulterschluss mit Rechtsradikalen zu konstruieren.
    Konkret als Schweigende benennt der Autor unter anderem die Partei “Die Linke”, die KPÖ, die MLPD und die Zeitung “Neues Deutschland”. Andre Brie, Abgeordneter der Partei “Die Linke” im Europaparlament, wird als angeblich Einziger sich zu den Wahlen zu Wort Meldender mit der Formulierung “Ausdruck für das Scheitern der westlichen Konfrontations- und Demütigungsstrategie” zitiert.
    Ein simples Bemühen von Onlinesuchmaschinen mit den Stichwörtern “Iran” und dem jeweiligen Partei- bzw. Zeitungsnamen bezeugt binnen Sekundenbruchteilen das Gegenteil der Behauptungen von Mohr. Eine Pressemitteilung des “Neuen Deutschland” ist für den 16.06. nachweisbar, für die Partei “Die Linke” finden sich zwei (18.06. und 21.06.) zwei Verurteilungen der Polizeigewalt, für KPÖ (16.06.) und MLPD (14.06.) ebenso. Zusätzlich findet sich auf der Internetpräsenz der KPÖ eine Verlautbarung der iranischen Tudeh-Partei [PDF – 40 KB].
    Auch die schwerer aufzufindende Stellungnahme von Brie liest sich vollständig auf einmal doch etwas anders als das Loblied auf den iranischen Präsidenten, dass man nach Mohrs Artikel erwarten würde:
    „Der Wahlsieg Mahmud Ahmadinedschads ist Ausdruck für das Scheitern der westlichen Konfrontations- und Demütigungsstrategie gegen den Iran. Die verarmten, ländlichen und religiösen Bevölkerungsmehrheiten reagieren darauf ganz klassisch, mit Unterstützung antiwestlicher Politik. Ohne achtungsvolle und gleichberechtigte Politik gegenüber dem Iran und der gesamten islamischen Welt, ohne einseitige Orientierung auf Israels Okkupations- und Kernwaffenpolitik bleiben die demokratischen und säkularen Kräfte im Iran in der Minderheit. Die Außen- und Nuklearpolitik Ahmadinedschads sind bedrohlich – sie können aber nur friedlich und auf der Grundlage internationalen Rechts, sowie durch die atomare Abrüstung existierender Atomwaffenmächte verändert werden, die Israel sowie eine kernwaffenfreie Zone im gesamten Nahen und Mittleren Osten einschließt. Die inakzeptable Menschenrechtssituation und die Lage der Frauen im Iran können gleichermaßen nur durch einen Strategiewandel der internationalen Gemeinschaft auf der Grundlage einheitlicher Rechts- und Menschenrechtsstandards verbessert werden.”
    Lang und breit dagegen lässt Mohr einen gewissen Jürgen Elsässer zu Wort kommen, der vorgestellt wird als “einst auch Autor der “Jungen Welt”, dazu auch für “taz”, “Konkret”, “Jungle World” und “Neues Deutschland” tätig, last not least Mitbegründer der “Volksinitiative gegen Finanzkapital”.
    Verschwiegen wird natürlich, dass just diese “Volksinitiative” zum Rausschmiss von Elsässer beim “Neuen Deutschland” geführt hat.
    Man mag ja von den erwähnten Parteien, Presseorganen und Personen nicht begeistert sein, was mich aber regelrecht schockiert hat ist, dass der Spiegel in der Qualität seiner Berichterstattung mittlerweile so tief herab gesunken ist, dass er seinen Lesern solche Artikel auftischt, die im günstigsten Fall auf schlampiger Recherche beruhen, nach meinem Eindruck jedoch bewusst herbei gelogen sind.

  19. Jugendliche ohne Berufsabschluss – Handlungsempfehlungen für die berufliche Bildung
    In Deutschland verfügen rund anderthalb Millionen junge Erwachsene im Alter zwischen 20 und 29 Jahren über keinen Berufsabschluss. Somit gelingt es etwa jedem siebten Jugendlichen nicht, die formellen Voraussetzungen für eine qualifizierte Beteiligung am Erwerbsleben zu erwerben. Der Anteil der Ausbildungslosen stagniert bereits seit Jahren auf diesem Niveau. Ausbildungslosigkeit ist mit hohen Kosten verbunden – nicht nur für die Betroffenen, welche die sozialen und finanziellen Folgen zu tragen haben. Sie ist auch für die Gesellschaft teuer, und sie wird für die Gesellschaft in Zukunft von Jahr zu Jahr kostspieliger. Doch wie kann dies gelingen? Mit dieser Frage beschäftigt sich das vorliegende Kurzgutachten.
    Quelle. Friedrich Ebert Stiftung [PDF – 810 KB]

    Anmerkung J.R.: Hab ich gesehen und gelesen und bin wütend über das Gutachten und die These: ein paar Jahre haben wir noch Probleme im Übergangssystem, aber dann sorgt die Demographie dafür, dass sich alle um die Jugendlichen reißen werden. Wenn 2020 pro Jahr rund  680 000 Jugendliche eines Jahrgangs “verteilt” werden und – sagen wir knapp gerechnet – die Hälfte bis 60 Prozent auf eine wie auch immer geartete Hochschule oder in schulische Ausbildungsysteme wechselt, dann bleiben Jahr für Jahr für das duale System rund 300 000 übrig. In welche Berufe gehen diese umworbenen dann aber? Das BIBB gibt selbst eine Antwort (in: BWP 3/2009): das Image entscheidet. Das Handwerk kann völlig einpacken, Grundberufe wie Bäcker, Koch, Metzger, Verkäuferin bekommen keinen Nachwuchs, wenn sich nicht dramatisch etwas in der gesellschaftlichen Anerkennung tut. Da liegen die Probleme für das duale System und nicht in der Demographie. Die FES wollte mit dem Gutachten wohl nur die Wirkung des Baethge-Gutachtens ausgleichen. Vgl.auch Gespensterdebatten um die duale Berufsausbildung.

  20. Schavan verspricht Korrekturen beim Bachelor
    Die jüngsten Studentenproteste scheinen nicht unerhört verhallt zu sein: Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat Nachbesserungen bei der Hochschulreform in Aussicht gestellt. Diese sei nicht “überall gelungen”, gerade beim schnellen Bachelor-Abschluss nach sechs Semestern müsse man noch nacharbeiten.
    Quelle: Berliner Morgenpost

    Anmerkung WL: Die Streikenden und ihre Forderungen seien „gestrig“, meinte Schavan anlässlich des Bildungsstreiks. Die ewig Gestrigen scheinen jetzt aber allmählich doch im Heute anzukommen.

  21. Erklärung der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, des BdWi und der GEW anlässlich der gemeinsamen Fachtagung “Wirtschaftskrise und Zukunft öffentlicher Bildung und Wissenschaft” am 27. Juni 2009 in Berlin
    Massenqualifikation statt “Elitenförderung”: Statt mediale Events um “Exzellenz” und “Elite” zu inszenieren, d.h. knappe Zusatzmittel auf wenige Bereiche zu konzentrieren, muss der Ausbau des Bildungssystems in der Fläche aller grundständigen Einrichtungen unbedingten Vorrang haben. Ein hohes Bildungsniveau in der Breite ist die Voraussetzung für gesellschaftlich relevante Spitzenleistungen in Bildung, Wissenschaft und Forschung. Das beginnt bei einer Stärkung frühkindlicher Bildungseinrichtungen mit Ganztagskindergärten in kleinen Gruppen, geht über eine flächendeckende Versorgung mit Ganztagsschulen, die auch eine pädagogische Ganztagsbetreuung gewährleisten, und mündet in den Ausbau der Hochschulen durch eine drastische Vermehrung vollfinanzierter Studienplätze.
    Soziale Ausgrenzung verhindern: Im internationalen Vergleich der OECD-Staaten wird ein Studium zunehmend zum Regelberufsabschluss (OECD-Durchschnitt: 55 Prozent eines Altersjahrganges; skandinavische Länder: 70 Prozent). Dem steht vor allem die traditionelle, im Wesentlichen aus dem 19. Jahrhundert stammende berufsständische Gliederung des deutschen Bildungssystems, die soziale Selektion auf bleibend hohem Niveau stabilisiert, entgegen. Vorrang hat daher der Aufbau eines inklusiven Schulsystems in Verbindung mit gezielten Fördermaßnahmen des Bildungsaufstiegs. Dazu müssen beispielsweise Erfahrungen der beruflichen Praxis und Abschlüsse des dualen Systems als Hochschulzugangsberechtigung anerkannt werden. Erforderlich ist die Wiedereinführung des SchülerInnen-BaföGs und die deutliche Ausweitung des Studierenden-BAföG. Alle privaten Gebühren für die reguläre Beteiligung in öffentlichen Bildungs-einrichtungen müssen abgeschafft werden. Kinder mit Migrationshintergrund brauchen unabhängig von Aufenthaltsdauer und Status eine spezifische institutionelle Unterstützung sowie den freien Zugang zu frühkindlicher und schulischer Bildung. Schließlich ist die stärkere politische Regulierung des Weiterbildungsbereiches durch ein Bundesgesetz erforderlich, welches Rechtsansprüche auf Teilhabe, rechtlich garantierte Lernzeiten und zusätzliche öffentliche Finanzierung regelt.
    Quelle: BdWi

    Anmerkung: Ergebnis der Tagung war die Befürchtung, dass es in Anbetracht der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise nach der Bundestagswahl Ende September zu einem großen „Kassensturz“ kommen wird. Vor dem Hintergrund der Grundgesetzänderung bezüglich der Neuverschuldungsregelungen für Bund und Länder („Schuldenbremse“) sind drastische Kürzungen im Bereich öffentlich finanzierter Bildungsausgaben zu erwarten. „Dies hätte angesichts der bereits heute bestehenden strukturellen Unterfinanzierung im Bildungssektor katastrophale Folgen für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland“ erklärte Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und Mitglied des BdWi. „Wir wollen vor der Wahl wissen, welche Partei die Forderung der Erhöhung der öffentlichen Bildungsausgaben auf sieben Prozent des BIP unterstützt“ forderte der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Ulrich Thöne.

  22. Thomas Münch, Rezension: Konad Paul Liessmann: Theorie der Unbildung
    Im Ende der Lektüre bleiben Leserin und Leser mit einem Gefühl der Schalheit zurück. Teilt man noch die Analyse der real existierenden Verhältnisse, so steht man der tiefer greifenden Ursachenforschung und den behaupteten Zusammenhänger eher etwas verlassen und ratlos gegenüber. Und nahe am Zweifel lässt einen zuletzt die Gesamtschau des Textes. Aber diese Fragen zu stellen, Irrwege zu gehen, zu zweifeln und nicht zu verzweifeln – trotz und gerade einer traurigen Bildungs-Wirklichkeit; das macht Liessmanns Buch zu einer wichtigen Lektüre in dieser unserer Zeit.
    Quelle: socialnet.
  23. Zu guter Letzt:
    NDS-Autor Thorsten Hild mit neuen Songs
    Quelle: thorsten-hild.bloggospace.de

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