Der Staat fördert Studierende aus armen und reichen Haushalten fast gleich

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In kaum einem anderen Land auf der Welt ist die Studienfinanzierung so vielfältig und unübersichtlich wie in Deutschland. In einem Vergleich zwischen Tschechien, England, den Niederlanden, Norwegen, Spanien und Deutschland stellte ein internationales Forscher-Konsortium unter der Beteiligung der HIS GmbH [PDF – 1.6 MB] fest, dass bei uns die staatliche Unterstützung der Studierenden aus einkommensstarken Familien (über 64.000 Euro p.a.) in Höhe von 5.135 Euro pro Jahr über indirekte Leistungen z.B. in Form von Steuererleichterungen nahezu gleich hoch ist, wie die Unterstützung von Studierenden in Höhe von 5.720 Euro pro Jahr aus einkommensschwachen Familien (bis knapp 31.000 Euro p.a.) durch indirekte zuzüglich direkter Leistungen z.B. durch das Bafög.
Noch geringer sind die Unterschiede bei den staatlichen Vergünstigungen für Studierenden, die bei ihren Eltern wohnen, nämlich 4.523 Euro pro Jahr bei einkommensstarken Haushalten gegenüber 4.669 Euro pro Jahr in der unteren Einkommensstufe.
In Deutschland werden überwiegend die Eltern gefördert und nicht die Studierenden unmittelbar.
Würde man die direkten und indirekten Unterstützungsleistungen zusammenfassen, dann könnte man damit auch eine elternunabhängige Förderung der Studierenden – wie etwa in Finnland – finanzieren. Wolfgang Lieb

Das studierende Kind eines Staatssekretärs ist dem Staat mehr wert, als das studierende Kind eines Arbeiters. Mit dieser provokanten These habe ich, als ich noch Staatssekretär war, für ein elternunabhängiges Studiengeld geworben. Wir hatten sogar den als äußerst sparsam bekannten damaligen Finanzminister Heinz Schleußer überzeugen können. Er ließ unser Modell durchrechnen und bestätigte, dass wir zum damaligen Zeitpunkt (Ende der 90er Jahre) kostenneutral jedem Studierenden ein Studiengeld von etwa 400 DM hätten auszahlen können, wenn Kindergeld, Steuerfreibeträge, sonstige familienbezogene Leistungen und das Geld fürs Bafög zusammengezogen würden und direkt an die Studierenden ausbezahlt würden. Die nordrhein-westfälische Initiative ist in der Ministerpräsidentenkonferenz gescheitert.

Inzwischen ist die Idee einer elternunabhängigen Studienförderung vom Leitbild, dass das Studium eine Investition in das private Humankapital sei, überlagert worden.

Eine schon im letzten Jahr veröffentlichte Studie von der Hochschul Informations System GmbH (HIS) hat unsere damaligen Befunde bestätigt.

In Deutschland gibt es eine nahezu unüberschaubare Zahl von Beihilfen, Zuschüssen oder Steuererleichterungen, die auf den Status eines Studierenden bezogen sind. Die Studie zählt – ohne den Anspruch auf eine abschließende Auflistung zu erheben – 28 Posten auf. Von den Stipendien, die unmittelbar an die Studierenden (abhängig vom elterlichen Einkommen oder eben Begabten-Stipendien, die aber überwiegend an studierende Kinder von Bessergestellten gehen) über Beihilfen zur Krankenversicherung, dem Kindergeld bis zu den Kinder-, Unterhalts- oder Ausbildungsfreibeträgen (für nicht zu Hause wohnende Studierende), die steuerlich geltend gemacht werden können. (Seite 68f.)

Rund sieben Milliarden Euro jährlich an staatlicher Unterstützung gehen an die Familien, rund zehn Milliarden Euro gibt der Staat für die Hochschullehre aus. Das ist ein Verhältnis von 42 Prozent für familienbezogene Fördermaßnahmen zu 58 Prozent für die Lehre.

Jeden Studierenden fördert der Staat mit durchschnittlich über 5000 Euro pro Jahr. Dabei unterscheidet sich die öffentliche Unterstützung von Studierenden aus einkommensstarken und einkommensschwachen Haushalten – wie oben dargestellt – nur wenig: „When other public subsidies, too, are put in relation to students’ income, though, it becomes clear that, relatively speaking, the share of public subsidies in their income (including hidden income in the form of direct non-cash support) is almost the same for all students.” (Seite 79)

Während der Anteil der staatlichen Förderung bei Haushalten mit niedrigem Einkommen für die gesamten Kosten eines Studiums 56% (bei zu Hause wohnenden und 55% bei auswärts Studierenden) ausmacht, liegt der Anteil der staatlichen Vergünstigungen bei den hohen Einkommensbeziehern bei 54% (bzw. 47% bei auswärts Studierenden).

Dies ist für Viele ein erstaunlicher Befund und das sollte vor allem auch deutlich machen, dass das Bafög, das nur 42 % der gesamten Unterstützungsleistungen an die Familien ausmacht, keineswegs eine soziale Ausgleichsfunktion hat oder gar – so unerlässlich dieses Teil-Stipendium für Studierende aus gering verdienenden Haushalten auch ist – eine besondere Förderungsmaßnahme zur Erreichung von Chancengleichheit darstellt. Es sei sehr schwierig einen klaren Steuerungseffekt auszumachen, heißt es in der Studie (Seite 72). Jedenfalls werde in der öffentlichen Wahrnehmung die Summe aller anderen, weniger offensichtlichen Formen der Unterstützung sehr unterschätzt (Seite 70).

Im Übrigen sei die letzte Bafög-Erhöhung durch die Reform des Kindergeldes mit einer Herabsetzung der Bezugsdauer vom 27. auf das 25. Lebensjahr gründlich konterkariert worden (Seite 72).

Im Hinblick auf die allgemeine Auffassung, dass es nötig ist, mehr Studierende von sozio-ökonomisch benachteiligten Schichten zu mobilisieren, stelle sich die Frage, ob der vorhandene Mix von indirekten und zielgerichteten Unterstützungen angemessen ist, dieses Ziel zu erreichen, resümiert die Studie. Und weil indirekte Unterstützung in Form von Steuererleichterungen diejenigen Studierenden bevorzugt, deren Eltern ein hohes Einkommen haben, stelle sich die Frage, ob diese Art der Unterstützung wirklich angemessen ist (S. 79f.)

Im Vergleich zu allen anderen Ländern, die in die Studie einbezogen wurden, liegt der Anteil an Fördermaßnahmen, die nicht auf die Studierenden selbst, sondern auf ihre Eltern ausgerichtet sind, weitaus am höchsten.

Es stellt sich die Frage, ob es heutzutage noch angemessen ist, dass erwachsene Studierende bis zum 26. Lebensjahr oder gar noch länger, während ihres Studiums finanziell überwiegend von den Eltern abhängig sein sollten und der Staat ihre Förderung hauptsächlich über die Familie leistet.

Würde man sämtliche staatlichen Stützen für Studierende (bzw. für die Familien von Studierenden) zusammenfassen, könnte jedem einzelnen ein jährliches Studienentgelt von etwa 5.000 Euro gewährt werden. (Siehe: Alternative Modelle der Studienfinanzierung)

Sicherlich wird man nicht alle staatlichen Subventionen erfassen können. Die Krankenversicherung etwa, die allein 11% der öffentlichen Beihilfen ausmacht, oder die Rentenanwartschaften sollten nach wie vor staatlich gefördert werden. Aber wenn man ein Studienentgelt ein Stück weit gestaffelt nach dem elterlichen Einkommen ausbezahlen würde, wäre dies sogar weitgehend kostenneutral machbar und würde die Unabhängigkeit von (erwachsenen) Studierenden und vor allem die Chancengleichheit deutlich vergrößern. Andere Länder machen das vor. In Finnland, wird ab dem 17. Lebensjahr ein Bildungsgeld in Höhe von ca. 260 Euro an alle Studierende gezahlt. Inklusive eines Wohnungszuschusses und einem günstigen Bildungskredit kann sich die maximale Unterstützung auf rd. 760 Euro erhöhen.
Die Fakten sprechen für sich: In Finnland ist nicht nur die Studierneigung insgesamt viel höher, die Studienbeteiligung von Arbeiterkindern ist sogar doppelt so hoch wie bei uns.

P.s.:Die Studie räumt übrigens auch gründlich mit dem Vorurteil auf, ein Studium sei „kostenlos“. Bezogen auf die gesamten Kosten für das Studieren setzt der Staat knapp 17 Milliarden Euro oder 56 % der Kosten ein und die Gesamtausgaben für die privaten Haushalte (vor allem für den Lebensunterhalt) liegen abzüglich der direkten (vom Staat finanzierten) Beiträge bei über 13 Milliarden Euro oder 44%. Dabei sind die Opportunitätskosten, also ein ggf. entgangener Lohn während der Zeit des Studiums noch nicht einmal einkalkuliert.

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