Die Presseschau zeigt: Der Konflikt bei der Linkspartei wird weitergehen. Wegen einiger Schwächen des Programms der Parteispitze vermutlich unvermeidlich.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Für die Fortsetzung des Konflikts spricht zunächst einmal der Tenor der kampagnenmäßig arbeitenden und in der Hauptstadt einflussreichen Medien. Die unten wiedergegebene Presseschau dokumentiert diese Kampagne. Die dort zitierten Journalisten und Medien werden den Konflikt weiter systematisch anheizen. Außerdem: Ich glaube nicht, dass eine linke Partei mit einer Vorsitzenden, die für das bedingungslose Grundeinkommen eintritt, ausreichend viele nüchtern denkende Menschen gewinnen kann. Zudem wird die Linkspartei nicht noch einmal mit den schönen, aber undifferenzierten Vorstellungen zur Flüchtlingspolitik in eine Bundestagswahl gehen können, ohne massiv abgestraft zu werden. Schauen Sie sich hier das Foto und die zehn Forderungen an. Darunter sind vernünftige und solche, die beim besten Willen nicht durchzuhalten sind. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Presseschau zum Konflikt bei der Linkspartei.
Zusammengestellt von Jens Berger und ergänzt von Albrecht Müller. Der Kommentar der NachDenkSeiten ist jeweils kursiv geschrieben.

  1. Die Kampagne einiger deutscher Medien gegen Sahra Wagenknecht läuft weiter. Typischerweise mit den gleichen, offenbar abgesprochenen und schrägen Argumenten:
    Die Autoren sollte man sich merken, es sind auch immer die gleichen – Tomasz Konicz (Telepolis), Markus Decker (Frankfurter Rundschau), Matthias Meisner (Tagesspiegel), Stefan Kuzmany (Spiegel Online), Sebastian Jannasch (Süddeutsche Zeitung) …

    SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
    “Führung durch Erpressung”
    Autor: Sebastian Jannasch

    […] Doch in Erinnerung bleiben wird ein Akt öffentlicher Selbstzerlegung, wie er selbst bei der Linken selten geboten wird.
    Die Klausur begann mit einem Eklat. In einem Brief an die Fraktion kündigte deren Vorsitzende Sahra Wagenknecht ihren Rückzug an, sollte die Parteiführung größeren Einfluss in der Fraktionsführung erhalten. […]
    Doch der Sieg hat einen hohen Preis. Nun kursiert wieder die Formulierung “Führung durch Erpressung” in der Partei. Vor der Bundestagswahl hatten Wagenknecht und Bartsch erzwungen, als alleinige Spitzenkandidaten ohne die Parteichefs anzutreten. Die Machtprobe am Templiner See weckte Erinnerungen daran. In der Partei ist zu hören, Wagenknecht habe die Karten ausgereizt.

    Die Vorgeschichte wird ausgeblendet oder an anderer Stelle sehr einseitig wiedergegeben (Spitzenkandidatur). Wagenknecht wird als „Aggressor“ dargestellt, der mittels „Erpressung“ egoistische Ziele durchsetzt. Dies ist eine Täter-Opfer-Umkehr.

    Außerdem tut der Autor der Süddeutschen Zeitung so, als wäre die Formation von vier Spitzenkandidaten eine attraktive Angelegenheit. Die Forderung von Bartsch und Wagenknecht, wenigstens auf zwei Spitzenkandidaten zu reduzieren und nicht mit vieren anzutreten, war absolut richtig. Selbstverständlich kann man auch so tun, als würde die Personalisierung und die notwendige Konzentration in einer Demokratie keine Rolle spielen dürfen. Dann kann man die Position von Herrn Jannasch vertreten.

    taz
    Wieder mal durchgemogelt
    Autorin: Anna Lehmann

    […] Für die Linkspartei ist Sahra Wagenknecht inzwischen das Gesicht der Partei und ihr Aushängeschild. Sie ist unersetzbar geworden. Und genau das ist das Problem. Denn die Fraktionschefin weiß sehr genau um ihren Wert für die Partei und ist immer wieder bereit, damit skrupellos zu wuchern. […]

    Täter-Opfer-Umkehr … für Frau Lehmann von der taz ist Sahra Wagenknecht der Aggressor.

    Zwei Anträge zur Geschäftsordnung passten Wagenknecht nicht, die Antragsteller, eine buntgemischte Truppe, sahen sich plötzlich dem Verdacht ausgesetzt, von der Parteiführung bestellte Wagenknecht-Meuchler zu sein. Wagenknecht kündigte an, nicht zur Verfügung zu stehen, sollten die Anträge eine Mehrheit finden. Und sie kam damit durch. […]

    Interessanterweise unterschlägt Anna Lehmann in ihrem gesamten Kommentar, dass der Widerstand gegen die beiden Anträge nicht nur von Sahra Wagenknecht, sondern auch genau so von Dietmar Bartsch kam. Sie stellt den Konflikt, in dem die Parteispitze die Fraktionsspitze entmachten will, als Konflikt der Partei gegen Sahra Wagenknecht dar; das ist unterkomplex und manipulativ.

    Wie soll die Linkspartei künftig glaubhaft Versuchen von rechts entgegentreten, die Demokratie für nationale Interessen zu kapern, wenn die innerparteiliche Demokratie nach Gusto der Fraktionsführung eingeschränkt wird?

    Was hat es mit innerparteilicher Demokratie zu tun, wenn Abgeordnete, deren Position der Parteilinie widerspricht, künftig kein Rederecht im Bundestag mehr bekommen sollen? Genau dies sah der Änderungsantrag vor. Frau Lehmann dreht hier die Fakten um 180°.

    Dass „Sahra“ ihre Partei auch in anderen Punkten immer wieder an den Rand der Selbstverleugnung bringt, ist ein weiterer Beleg ihrer unguten Macht über diese. „Klar: Wir sind für offene Grenzen für alle. Und, ach: was unsere Fraktionsvorsitzende dazu meint, ist doch nicht so ernst zu nehmen.“

    Es mag sein, dass der Slogan „Offene Grenzen für alle“ in Teilen der Linken populär ist; man sollte aber nicht vergessen, dass dieser Slogan auch innerhalb der Linkspartei stark umstritten ist. Man könnte das Beispiel daher auch genau so gut umdrehen: „Klar: Wir sind nicht für offene Grenzen für alle. Und, ach: was unsere Parteivorsitzende dazu meint, ist doch nicht so ernst zu nehmen.“ Ist das auch Selbstverleugnung? Das gipfelt dann in der Aussage …

    Ehrlicher wäre es, wenn die Linkspartei sich traute, unbequeme Debatten auszutragen.

    Ganz genau. Nur wer versucht denn bitte, diese „unbequeme Debatte“ immer zu unterdrücken … teils mit Torten als Argumentersatz?

    SPIEGEL ONLINE
    Die Linke bin ich
    Autor: Stefan Kuzmany

    Als der Parteichef am Morgen im Deutschlandfunk befragt werden sollte, war er zunächst nicht erreichbar. […] Hat ihm Sahra Wagenknecht vielleicht das Telefonkabel abgeschnitten? Für ausgeschlossen kann das niemand halten, der gesehen hat, wie es nach der sogenannten Beilegung des Streits zwischen der Linken-Fraktionsspitze und der Parteiführung zugegangen ist: […]

    Auch hier wieder: Sahra Wagenknecht will „dem Parteichef“ den Mund verbieten. Kein Wort davon, dass ursprünglich der Parteivorstand der Fraktionsspitze den Mund verbieten wollte.

    In der Debatte um die Flüchtlingspolitik beispielsweise hatte Wagenknecht, das bekannteste Gesicht der Partei, deutlich nach rechts geblinkt […] im Wahlkampf legte sie munter nach.

    Wann und womit? Hier wird einfach eine populäre aber falsche These in den Raum gestellt, ohne sie inhaltlich auszuführen.

    Tatsächlich wird Die Linke unter Wagenknecht weiterhin eben nicht Politik im Sinne einer pragmatischen Auslotung von Gestaltungsmöglichkeiten machen, sondern weiter kompromisslos opponieren. Bundespolitik gestalten aber wird sie erst dann, wenn Sahra Wagenknecht dereinst die Alleinregierung stellt.

    Das ist natürlich die Wunschvorstellung von SPON – „eine pragmatische Auslotung von Gestaltungsmöglichkeiten“ … und das als Oppositionspartei. Dass man aus der Opposition heraus das Land mitgestalten kann, wird hier komplett unterschlagen. Warum wohl? Offenbar ist SPIEGEL Online nicht daran gelegen, dass die Linke das Land mitgestaltet.

    Frankfurter Rundschau
    So geht es in der Linken nicht weiter
    Autor: Markus Decker

    […] Zum Jahreswechsel haben die Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch den Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt: Entweder wir werden allein Spitzenkandidaten – oder gar nicht. Letztere haben das wegen Wagenknechts überragender Popularität schlucken müssen, obwohl sie sich das Verfahren als Parteichefs so nicht bieten lassen konnten. Nun gibt es das Rückspiel.

    Dieser „Rahmen“ ist sehr einseitig aus Sicht von Kipping und Riexinger wiedergegeben. Richtig ist, dass Riexinger und Kipping in letzten Herbst den absurden Vorschlag äußerten, mit vier Spitzenkandidaten anzutreten. Dieser Vorschlag fand jedoch nirgends Freunde und wurde schon bald zurückgezogen. Dass die beiden Parteichefs sich dies „so nicht bieten lassen konnten“ ist eine sehr eigenwillige – ja falsche – Darstellung.

    Tagesspiegel
    Sahra, aber basta!
    Autorin: Matthias Meisner

    […] Die Fraktionsvorsitzende wolle statt einer emanzipierten Partei und Pluralismus eine „Jubel-Partei“, die vor allem Wagenknecht selbst bewundern soll, sagte eine Abgeordnete. Sogar Bartsch bezeichnete den Wagenknecht-Brief mit scharfen Attacken gegen die Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger Teilnehmern der Klausur zufolge als „nicht hilfreich“.

    Wer weiß, wo der Tagesspiegel derartige Zitate her hat. Fest steht, dass der Brief zuvor mit Bartsch abgestimmt war. Auch hier wird der Kampf für eine freie Fraktionsführung, die sich dem Parteivorstand inhaltlich nicht unterordnen soll, paradoxerweise als Erpressung und Abkehr vom Pluralismus geschildert. Schauen wir doch mal in den maßgeblichen Änderungsantrag, um den es ging. Dort heißt es: „Bei Redebeiträgen im Plenum des Deutschen Bundestages durch Fraktionsmitglieder ist grundsätzlich die Mehrheitsauffassung der Fraktion vorzutragen.“ Ist das pluralistisch? Ist das emanzipiert? Entweder kennt Tagesspiegel-Autor Meisner die Anträge nicht, obgleich man sie seit Freitag auf den NachDenkSeiten nachlesen kann, oder er dreht die Fakten munter ins genaue Gegenteil.

    Wagenknecht unter Druck
    19. Oktober 2017 Tomasz Konicz
    In der Linkspartei regt sich Kritik an Aussagen der Spitzenkandidatin zur Flüchtlingspolitik im Wahlkampf

    Wer hätte das noch für möglich gehalten? In der sogenannten “Linkspartei” scheint das tatsächlich noch ein paar Linke zu geben! Darauf deuten zumindest die innerparteilichen Auseinandersetzungen hin, die kurz nach den Bundestagswahlen in der Partei ausgebrochen sind. Der Burgfrieden sei vorbei, titelte die parteinahe Zeitung “Neues Deutschland” (ND), alte Konflikte innerhalb der Partei und Fraktion würden nun wieder offen ausgetragen.

    Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht vor allem die Spitzenkandidatin der Linkspartei im Bundestagswahlkampf, Sahra Wagenknecht. Der Frontfrau der Linken, die nach einer turbulenten Fraktionsklausur mit 75 Prozent als Fraktionsvorsitzende wiedergewählt wurde, wird eine zu große inhaltliche Nähe zur neuen Rechten vorgeworfen.

    NDS: Das ist wie üblich bei diesem Autor ein schlimmes Stück. Ein NachDenkSeiten-Leser schreibt in einer Mail an den Chefredakteur von Telepolis, Florian Roetzer:

    Hallo Herr Roetzer, es fehlt nur noch die CIA-Keule ‘Verschwoerungstheoretiker’ gegen Lafontaine und Wagenknecht.
    Muss jedes einigermassen kritische Medium in Deutschland auf diese Weise zerstoert werden?

  2.  

  3. Es gab auch positive Gegenbeispiele in den Medien, zwei davon hier:

    MDR
    Linker Jahrmarkt der Eitelkeiten
    Autor: Tim Herden

    Der Versuch von Katja Kipping und Bernd Riexinger, die Fraktionsvorsitzenden zu entmachten, war ein Fehlschlag. Der einzige Gewinn für die beiden sind ab und zu zehn Sekunden Aufmerksamkeit, wenn Fernsehen und Hörfunk kurze Ausschnitte von ihren Reden im Bundestag in ihre Beiträge aufnehmen. Das wird seltener als früher sein, denn die Linke steht als kleinste Oppositionspartei nun immer am Ende der Rednerlisten im Bundestag. Das ist nur ein Erfolg fürs eigene Ego. […]

    Beschädigt haben sich und die Partei einzig Kipping und Riexinger. Denn der Brandbrief Wagenknechts an die Fraktion, der Punkt für Punkt das Intrigenspiel der Parteiführung auflistet, wird den beiden anhängen und spricht nur für eine mangelnde Debattenkultur in einer Partei, die den Anspruch auf Diskurs wie eine Monstranz vor sich herträgt. […]

    Vor allem Kipping möchte die Partei auf neue Zielgruppen ausrichten, auf junge Wähler, städtische Milieus, enttäuschte Grüne, die keine Lust auf Jamaika haben und sich von der bisherigen Klientel trennen. Doch diese Debatte sollte sie offen in der Partei führen und nicht über Ränkespiele in Hinterzimmern versuchen, eine neue Strategie durchzusetzen. Denn darüber hat die Gesamtpartei das Recht zu entscheiden.
    Da könnte sie auf erheblichen Widerstand stoßen und nicht zu Unrecht. Denn die neuen Zielgruppen werden gerade in Ostdeutschland die Verluste der Bundestagswahl nicht kompensieren. […]

    Das passiert aber nicht in Cafés mit WLAN-Anschluss und bei intellektuellen Diskussionen über die emanzipierte Linke, sondern vor Ort. Dazu muss man auch Berührungsängste überwinden, auf Menschen zu treffen, die Angst haben vor Verdrängung durch Zuwanderung und Ressentiments pflegen. Doch da tut sich die Linke offenbar immer öfter sehr schwer, wenn ihre politischen Ideen auf Wirklichkeit treffen. Aber diese Begegnung zu verweigern, hilft der politischen Alternative rechts.

    Ein wirklich kluger Artikel, dem nichts hinzuzufügen ist.

    Der Freitag
    Wider die Globalisierung des Egoismus
    Autor: Jakob Augstein

    Das Putschchen ist abgeblasen. So richtig sicher waren sich die Gegner von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine dann doch nicht. Denn um die beiden ging es natürlich bei dem gescheiterten Versuch einiger Abgeordneter, die Fraktionsspitze durch die Parteispitze zu ersetzen. […]

    Oskar Lafontaine hatte recht, als er nach der Wahl den Sack aufmachte und die Zuwanderung mit der sozialen Frage verknüpfte. […] In der neoliberalen Marktwirtschaft Deutschland werden die Schwächsten gegen die Schwachen ausgespielt: Schule, Wohnen, Arbeit – die Lasten der Migration müssen zum großen Teil von denen geschultert werden, die ohnehin schon zu schwer tragen. Wenn die Linken das nicht zu ihrer Sache machen, füllt die AfD gerne die Lücke – mit ihrem Hass.

  4. Wahrnehmung und Realität klaffen bei den beiden Parteivorsitzenden immer stärker auseinander

    Stuttgarter Nachrichten
    Riexinger widerspricht Wagenknecht bei Flüchtlingspolitik
    […] Ich habe durchaus nicht den Eindruck, dass die Vorsitzenden in der Partei umstritten wären. Im Gegenteil

    Katja Kipping kartet derweil schon wieder nach und ist voll im Intrigenmodus, wie sie in einem Interview mit n-tv beweist (ab 6:13)

    Man fühlt sich offenbar sehr sicher im Sessel. Dass diese Selbstwahrnehmung durchaus täuschen kann, zeigt ein unfreiwillig komisches Social-Media-Video, das Katja Kipping erst vor wenigen Minuten live gegeben hat:

    Katja Kipping beantwortet Fragen
    Heute beantwortet unsere Parteivorsitzende Katja Kipping Eure Fragen live bei Facebook. Was wollt Ihr von ihr wissen?
    Quelle: Die Linke

    Das ist sicher alles nicht repräsentativ. Aber wer sich einen Eindruck über die momentane Stimmung an der Basis machen will, der sollte sich einmal die Kommentare anschauen, die bei dieser Liveübertragung auf Facebook hereinkamen – „vernichtend“ wäre da noch geschmeichelt. Wer da wie Riexinger “durchaus nicht den Eindruck [hat], dass die Vorsitzenden in der Partei umstritten wären“, ist entweder blind oder lügt sich selbst in die Tasche. Wahrnehmung und Realität klaffen beim Parteivorstand offenbar ziemlich weit auseinander.

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