„Der nächste Schritt sind vollautomatisierte Roboterdrohnen“

Ein Artikel von Marcus Klöckner
Emran Feroz

Der Einsatz von bewaffneten Drohnen wird in naher Zukunft einen „dystopischen Höhepunkt“ erreichen. Das sagt Emran Feroz, der gerade das Buch „Tod per Knopfdruck – Das wahre Ausmaß des US-Drohnen-Terrors oder Wie Mord zum Alltag werden konnte“ im Westend Verlag veröffentlicht hat. Feroz, dessen Eltern vor der sowjetischen Besatzung Afghanistans nach Österreich flüchteten, prangert im Gespräch mit den NachDenkSeiten die Doppelmoral im Zusammenhang mit dem Drohnenkrieg an. Einerseits, so Feroz, der als freier Journalist unter anderem für die New York Times und Die Zeit arbeitet, lege der Westen immer wieder großen Wert auf Rechtsstaatlichkeit, andererseits erlaube man es, dass Drohnen Menschen töten – ohne rechtsstaatliche Verfahren. Das Interview führte Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Scharf geht Feroz auch mit den Medien ins Gericht. Die Berichterstattung, wenn es um den Einsatz von Drohnen gehe, verlasse sich zu sehr auf die Pressemitteilungen jener Stellen, die für die Ausführung der Drohnenschläge verantwortlich seien: „Es muss endlich damit aufgehört werden, so zu tun, als ob die Weiterverbreitung der Erzählungen, die sich in den Pressemitteilungen der Nato oder des Weißen Hauses finden, etwas mit Journalismus zu tun hat…Wenn Pressemitteilungen sozusagen eins zu eins wiedergegeben werden, dann ist das kein Journalismus, sondern PR.“

Herr Feroz, Sie haben ein Buch über den Drohnenkrieg geschrieben und befassen sich darin auch mit den Namen, die die Drohnen und andere Waffensysteme haben.
Was ist Ihnen aufgefallen?

Die Namen von Drohnen, aber auch von anderen Waffen, militärischen Flugzeugen und Helikoptern der Amerikaner sind uns allen durch die Nachrichten bekannt. Da ist, beispielsweise, die Rede von einem Apache Helikopter oder von Raketen mit Namen Tomahawk. 
Mir scheint: Gerade weil wir diese Namen so oft hören, nehmen wir sie als selbstverständlich hin, schließlich sind sie uns bekannt, vertraut. Aber hier muss man genauer schauen. 
Noam Chomsky hat in einem seiner Bücher diese Namensgebung hinterfragt und angemerkt, dass in den USA ein Genozid an den Ureinwohnern stattgefunden hat, der bis heute nicht richtig aufgearbeitet wurde. Dessen ungeachtet aber geben die Militärs ihren Waffen, Flugzeugen usw. Namen, die im direkten Zusammenhang mit den Menschen stehen, die in ihrem Land abgeschlachtet wurden. Man stelle sich einmal vor, was wäre, wenn die Bundeswehr ihre Waffensysteme mit den Namen „Jude“ oder „Zigeuner“ belegen würde.

Ein krasser Vergleich.

Ja, aber so ist es doch. Ich finde diese Namensgebung zynisch und abartig.
Denken Sie nur an die Operation, unter der man gegen Osama bin Laden vorgegangen ist.

Ihr Codename war „Geronimo“.

Richtig. Und Geronimo war ein großer Indianerführer, der den Aufstand gegen die Einwanderer angeführt hat. Damals, als die Operation gegen bin Laden ausgeführt wurde, haben sich die Verwandten von Geronimo in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet und darüber beschwert, dass der Name Geronimo für diesen Einsatz verwendet wurde. 
Nun zu den Drohnen. Da gibt es Drohnen, die heißen Predator, also Raubtier, und Reaper, das heißt übersetzt Sensenmann.
Hier entsteht ein Bild vor dem inneren Auge, das die Realität beschönigt. Die Drohnenangriffe werden quasi als etwas Natürliches dargestellt. Ein Raubtier tötet ein anderes Tier. Ein Gepard reißt und tötet eine Gazelle. Das ist zwar nicht schön. Aber das ist normal, das ist die Natur. Und der Sensenmann, also der Tod, der ereilt eben auch jeden irgendwann einmal. So ist das Leben. Am Ende steht der Tod. Aber wenn man mit diesen Bildern, die natürliche Vorgänge beschreiben, den Drohnenkrieg skizziert, dann pervertiert man die Realität. Der Tod ist Normalität. Nicht normal ist es, wenn Menschen im wahrsten Sinne des Wortes aus heiterem Himmel von einer Drohne angegriffen und bei einem Angriff mitten aus ihrem Leben gerissen werden.

Die Implikation durch die Namen ist also: Der Akt des Tötens durch Drohnen gehört zur Normalität.

Genau so ist es. Wir könnten auch „the mother of all bombs“ anführen…

…die „Mutter aller Bomben“, die vor kurzem zum Einsatz kam und in den Medien immer wieder so bezeichnet wurde.

Diese Bezeichnung ist ein ungeheuerlicher Euphemismus. Aber diese Namen haben auch Macht. Selbst in den afghanischen Landessprachen, also in Dari und Paschto, ist diese Bezeichnung eingeflossen. Die Afghanen sprechen immer noch von der „Madar-e Bamb haa“ (Dari) oder „Da Bamoona Mor“ (Paschto). Diese Bezeichnung hat sich selbst in den afghanischen Sprachen etabliert.

Nun mal zum Einsatz der Drohnen. Wie hat sich denn der Drohneneinsatz in den letzten Jahren entwickelt?

Er ist steil nach oben gegangen. Während 2001 die USA weltweit nicht mehr als 50 Drohnen besaßen, waren es 2013 bereits zwischen 7500 und 8000. Man kann diese Entwicklung auch an der Anzahl der ausgebildeten Drohnenpiloten ablesen. Heute bilden die USA mehr Drohnenpiloten als konventionelle Piloten aus. Diese Entwicklung ist aber nicht auf die USA beschränkt. Seit 2002 setzt auch Israel bewaffnete Drohnen ein. Auch andere Länder machen davon Gebrauch.
Und alle, die bewaffnete Drohnen einsetzen, gebrauchen die gleiche Rhetorik. Wenn die USA in Pakistan Drohnen einsetzen, heißt es: Wir haben Al-Quaida-Leute neutralisiert. Wenn die Türkei im Südosten des Landes Drohnen einsetzt, heißt es: Wir haben Terroristen der PKK ausgeschaltet. 


Was wollen Sie damit sagen?

Die Erzählung, dass mit Drohnenschlägen ausschließlich Terroristen getötet werden, hat sich durchgesetzt.

Zusammenfassend: Welche Probleme umgibt denn der Einsatz von bewaffneten Drohnen?

Die Probleme liegen auf ethischer, moralischer und rechtsstaatlicher Ebene. 
Hinzu kommen noch technologische Probleme. Letztlich kann die Technologie, die bei den Drohneneinsätzen zum Einsatz kommt, die Präzision, von der immer wieder gesprochen wird, nicht leisten. In der Berichterstattung werden all diese Aspekte nicht ausreichend thematisiert. 
Hier und da, ja, da findet sich Kritik, aber diese Kritik ist viel zu leise und zu selten. Sieht man mal von der USA ab: In unseren westlichen Staaten gibt es keine Todesstrafe mehr. Bei den Drohnenangriffen wurden auch amerikanische und europäische Staatsbürger getötet. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich unterscheide Menschen nicht nach ihrer Staatsbürgerschaft. Nur: Ist es nicht unfassbar, dass Menschen, die einen deutschen Pass haben, im Ausland durch einen Drohneneinsatz getötet werden und es dann vonseiten der Bundesregierung heißt, wenn man sich in Waziristan aufhält, dann ist man selbst Schuld, wenn man bei einem Drohnenangriff ums Leben kommt? 
Es mag ja sein, dass die Getöteten keine Chorknaben waren, aber wenn es Vorwürfe gegen sie gibt, dann muss man doch als Rechtsstaat mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen sie vorgehen. Das heißt: Anklage, Prozess, Urteil. Aber durch die Drohnenangriffe wird der Rechtsstaat unterlaufen.

Kommt da die Doppelmoral des Westens zum Vorschein?

Beim Drohnenkrieg kommt die Doppelmoral des Westens sehr stark zum Vorschein.
 Wir sehen, wie der Westen seine Fundamente, auf die er doch so stolz ist, verrät. 
In Deutschland reden wir vom Grundgesetz. All die wunderbaren Grundsätze, für die das Grundgesetz steht, werden im Drohnenkrieg verneint. Deutschland hat eine Mittäterrolle. Ich sage nur: Ramstein und Africom. Dann kommt noch die geheimdienstliche Tätigkeit und Zusammenarbeit von Deutschland mit anderen Staaten hinzu. Darüber weiß man sehr wenig.

Manchmal kommt auch etwas ans Licht, Stichwort Taskforce 47.

Bundeswehr Oberst Klein, der damals den Luftschlag in Afghanistan angeordnet hat, wurde sogar befördert.

Sie sind nicht nur Autor, sondern auch Journalist. Sie kennen das Mediensystem von außen, von innen. Lassen Sie uns noch ein wenig über die Medien sprechen. Sie haben bereits gesagt, dass Sie Probleme mit der Berichterstattung haben.

Die Berichterstattung, wenn es um Drohneneinsätze geht, lässt viel zu wünschen übrig. 
Wenn wieder einmal Menschen durch eine Drohne getötet wurden, dann erfahren wir davon aus den großen Medien. Dort heißt es beispielsweise: Ein hochrangiges Mitglied von Al-Kaida wurde getötet. Doch da muss die Kritik an der Berichterstattung schon ansetzen. Wie kommen so viele Medien überhaupt dazu, zu sagen, dieser und jener „Terrorist“ wurde getötet? Sie verlassen sich dabei in aller Regel auf die Pressemitteilungen, die das Militär jener Staaten herausgibt, die für die Tötung verantwortlich waren. Schließlich waren die Medien nicht selbst vor Ort und haben mit eigenen Augen gesehen, auf wen da die Rakete abgefeuert wurde. Medien, das ist meine Beobachtung, geben bei solchen Ereignissen Informationen oder Desinformationen, die von der NATO oder dem Weißen Haus kommen, unhinterfragt weiter.

Man könnte jetzt sagen: Das ist eine Behauptung. Vielleicht hinterfragen die Medien ja doch und haben die Informationen vorher sauber abgeklopft.

Nein, eben nicht. Es gibt ausführliche Analysen, die deutlich gemacht haben: Führende Leitmedien, wie etwa die New York Times oder die Washington Post haben über die Tötung von angeblichen Terroristen bei Drohneneinsätzen berichtet, obwohl sich später herausstellte, dass die Getöteten keine Terroristen waren. Als ob das bereits nicht schlimm genug ist, haben die „Qualitätsmedien“ später nicht einmal ein Interesse gezeigt, ihre Berichterstattung zu korrigieren. Wenn große Medien, deren Vertreter zweifelsfrei das journalistische Handwerk beherrschen und genügend Mittel für Recherchen zur Verfügung haben, bereits so vorgehen, dann kann man sich denken, wie die „Faktenbasis“ aussieht, auf der andere, kleinere Medien über Drohnenschläge berichten.

Sie haben es ja bereits angesprochen: Ein Problem ist sicherlich auch, dass bei Lichte betrachtet selbst große Medien kaum die Möglichkeit haben, das, was da an sie von offizieller Seite herangetragen wird, genau zu verifizieren.

Das ist in der Tat ein großes Problem. Bereits vor Ort ignoriert man diese Problematik und begeht bei der Verbreitung entsprechender Nachrichten wissentlich Fehler. Um es mal zuzuspitzen: Wenn in Afghanistan oder Pakistan Menschen durch eine Drohne getötet werden, dann reicht es schon aus, dass Journalisten aus der Hauptstadt sich auf Quellen stützen, in denen es heißt, die Getöteten hatten einen Bart und einen Turban. Und wenn diese dann auch noch etwas in der Hand gehalten haben, was wie ein Gewehr aussieht, ist der Fall klar: Das waren Terroristen.

Medien müssten also viel vorsichtiger bei der Berichterstattung sein?

Auf jeden Fall. Es muss endlich damit aufgehört werden, so zu tun, als ob die Weiterverbreitung der Erzählungen, die sich in den Pressemitteilungen der NATO oder des Weißen Hauses finden, etwas mit Journalismus zu tun hat. 
Das hat mit Journalismus nichts zu tun. Wenn Pressemitteilungen sozusagen eins zu eins wiedergegeben werden, dann ist das kein Journalismus, sondern PR.

Das ist ein altes Problem im Journalismus. Gerade Lokalzeitungen übernehmen ja auch gerne mal Pressemitteilungen der Polizei.

Nur geht es hier nicht etwa um einen kleinen Verkehrsunfall – es geht um Mord. 
Die Unschuldigen, die bei Drohneneinsätzen getötet werden, stammen oft aus sehr abgelegenen und armen Gegenden. Sie sind oft genug die Haupternährer der Familie. Das sind Bauern, Taxifahrer. Deren Familien haben nicht einmal ansatzweise die Ressourcen, um gegen das Unrecht, das ihnen zuteil wurde, vorzugehen.

Was bringt die Zukunft in Sachen Drohnen?

Der Einsatz von Drohnen ist zu einem globalen Trend geworden. Er wird weitergehen. Wir werden bald einen dystopischen Höhepunkt erreichen. Davon bin ich überzeugt. Derzeit haben wir noch Drohnen, die von Menschenhand gesteuert werden. Der nächste Schritt sind vollautomatisierte Roboterdrohnen, die selbst Entscheidungen treffen, wen sie töten und wen nicht.

Erst vor kurzem haben sich der Tesla-Chef und andere „Tech-Köpfe“ in einem offenen Brief zu Wort gemeldet und dazu aufgefordert, die geplante Automatisierung des Tötens aufzuhalten.
Aber die Entwicklung ist da. Die ersten Roboterdrohnen werden in den nächsten Jahren schon zum Einsatz kommen. Dann werden sich die Verantwortlichen komplett reinwaschen können. Schließlich: Sie töten nicht mehr. Das übernehmen dann die Roboter.

Lesetipp: „Tod per Knopfdruck – Das wahre Ausmaß des US-Drohnen-Terrors oder Wie Mord zum Alltag werden konnte“. Westend Verlag 2017.

Weiterschauen: Eindrucksvolle O-Töne von Hinterbliebenen der Drohnenopfer

Kamera: Emran Feroz
Schnitt: Rebekka Waitz
Musik: Ross Bugden