Sigmar Gabriel: „Wir tun so, als ob Trump der Erfinder der Fake News war“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Eine denkwürdige Szene spielte sich am Donnerstagabend in der ZDF-Polit-Talkshow „Illner“ ab. Noch-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) saß neben dem Chefmoderator des „Heute-Journals“ am Tisch und sagte einige unangenehme Wahrheiten, die in dieser Klarheit selten von einem etablierten Politiker an einem so prominenten Ort zu hören sind – zum sicht- und hörbaren Missfallen von Claus Kleber. In der anschließenden Berichterstattung griffen Medien die Szene teils gar nicht, teils nur am Rande auf. Nur die Bild-Zeitung wurde hellhörig. Das Blatt widmete diesem Teil der Sendung einen eigenen Artikel und fragte in der Überschrift: „Glaubt Minister Gabriel jetzt an Weltverschwörungen?“ Was war da los?
Ein Beitrag von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

So schnell kann es gehen. Kaum spricht ein etablierter Politiker die Wahrheit aus, muss er sich fragen lassen, ob er an eine Weltverschwörung glaubt. Das, was Sigmar Gabriel in der letzten Illner-Sendung unter dem Titel „Der unfassbare Präsident – was hat Donald Trump verändert?“ sagte, hat zwar nicht ansatzweise mit einer Weltverschwörung zu tun, aber ‘gut’, dass der Begriff mit all seinen negativen Beiklängen sofort zur Hand ist. Schließlich: Gabriel wollte Klebers Ausführungen zum Thema Fake News, die den Eindruck hinterließen, diese seien ausschließlich ein Phänomen, das mit Trump in Verbindung zu bringen sei, nicht stehen lassen. Der SPD-Mann stellte klar: Fake News produzieren auch die liberalen Eliten, „zu denen wir alle (hier am Tisch, d. Verf.) gehören.“ Auch Präsidenten vor Trump. Stichwort: Massenvernichtungswaffen im Irak. Das war eine typische Fake News von George W. Bush.
Man kann nur jedem, der Interesse an Medien und Kommunikation hat, raten, diesen Teil der Sendung, in der Gabriel noch einige weitere unangenehme Wahrheiten ausspricht, anzuschauen. So sieht es aus, wenn ein Sprecher die Erwartungshaltung einer Diskussionsrunde untergräbt und das sagt, was nur mit Zähneknirschen gehört werden will.

Die NachDenkSeiten haben den Teil der Sendung für Ihre Leser verschriftlicht.
Hier die Verschriftlichung:

Maybrit Illner: Was hat er [Trump] für einen Politikstil in die Welt getragen und was bedeutet das für das Umgehen der Menschen in der Gesellschaft miteinander?
Was heißt es, wenn, Claus Kleber, das Land nicht nur regiert wird wie ein Unternehmen, sondern wenn er es mit Fake News regiert? Was bedeutet das?

Claus Kleber: Donald Trump…war ja für alle der absolute Außenseiter. Das galt auch für das gesamte amerikanische politische Establishment. Und er hat gespürt, dass in dem Land ein Unmut herrscht …viele schlimme Dinge, die dort laufen und weder in den Medien noch in der Politik Widerhall finden. Ausgerechnet er, der Milliardär aus dem goldenen Turm in New York hat plötzlich eine Stimmung im Volk registriert und sich nutzbar gemacht, die an sozial engagierten Politikern, wie Obama, vorbeigegangen war. Das ist erstaunlich. Er hat das aber gemacht, in dem er Lügen verbreitet hat. Die Washington Post hat gerade… die 1400 nachweisbaren Lügen des Donald Trump seit Amtsantritt aufgelistet. Kann man im Internet nachlesen. Manche sind klein, viele sind groß. Und der hat die Erfahrung gemacht: Ich kann mit Lügen gewinnen. Er hat mit Lügen Hillary Clinton zerstört… und er glaubt auch, dass man mit Fake News weiterhin regieren kann. Das hat ihn immerhin, entgegen aller Erwartungen, zum Präsident gemacht… . Und wir beobachten ja auch jetzt, dass vieles von dem, was er sagt, einfach falsch ist und er kommt davon weg. Und wenn es dann ernsthafte Problem gibt, weil er politische Fehlentscheidungen trifft, dann twittert er zuverlässig irgendeine skandalöse Nummer am nächsten Morgen um 7 Uhr. Alle stürzen sich auf diesen idiotischen Skandal und keiner redet mehr über seine Pazifik-Politik zum Beispiel oder Sinn oder Unsinn seiner Steuerreformvorhaben.

Illner: Sie haben ein Buch gerade geschrieben mit dem Titel „Rettet die Wahrheit“. Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn Fakten nicht mehr zählen, wenn Fakten nicht mehr wichtig sind, wenn also auch keine Öffentlichkeit existiert, die Politik kritisieren kann auf der Basis von Fakten.

Kleber: Hannah Arendt hat gesagt, wenn Sie totalitär regieren wollen, brauchen Sie keinen begeisterten Anhänger Ihrer Lehre. Sie brauchen ein Volk, das nichts mehr glaubt. Weder das eine, noch das andere. Und wir haben im Moment schon eine Situation, wo Umfragen zeigen: 42 Prozent der Deutschen, die sagen, Fakten seien doch im wesentlichen Ansichtssache. Soweit sind wir schon.

Sigmar Gabriel: Wer ist daran denn eigentlich schuld? Ist der Trump schuld? Weil wir reden über Fake News. Ich meine, zu behaupten, Saddam Hussein hätte Massenvernichtungswaffen und deswegen ist man in den Irak einmarschiert – das war offensichtlich Fake News.

Kleber unterbricht mit einem abwehrenden Ton: Ja, das war…
Gabriel redet weiter: …zu behaupten, dass die Wall Street, ein liberalisiertes Bankenwesen, alle Menschen wohlhabender macht, war offensichtlich Fake News.

Kleber unterbricht erneut: Moment, das war keine Fake News. Das war eine Fehleinschätzung, eine Lüge vielleicht.

Gabriel: Na klar haben die gelogen. Die Vorstandsetagen der Banken haben gelogen, dass es nur so kracht.

Kleber: Aber das ist nur eine Einschätzung.

Gabriel: Nein, ich will auf etwas anderes hinaus. Ich will damit sagen: Diejenigen, die jetzt nichts mehr glauben, und die den Eliten, den wirtschaftlichen und den politischen Eliten und den medialen Eliten nichts mehr glauben, die haben eine Lebenserfahrung Und deren Lebenserfahrung ist, dass die Versprechungen, die ihnen diese Elite vor ein paar Jahren gemacht hat, auch alle falsch waren.
Und deswegen glauben sie heute nichts mehr. Wir tun so, als ob Trump der Erfinder der Fake News war. Da gibt es eine Vorerfahrung, die lautet: Die Globalisierung macht es für alle besser, die Bankenwelt müssen wir nur liberalisieren, dann werden alle wohlhabend, kauft euch alle Aktien, wir müssen den Saddam Hussein endlich fassen und im Irak einmarschieren, weil er…Massenvernichtungswaffen hat – alles gelogen. Und jetzt sagen viele: „Naja, wem sollen wir eigentlich noch glauben.“ Und ich glaube, wir dürfen uns um diese Art der Fake News in den liberalen Eliten, zu denen wir ja alle gehören, nicht drumrum drücken, weil sie die Ursache dafür sind, das man uns heute nicht glaubt, sondern Trump einen solchen Erfolg hat. Und das sehen wir auch im eigenen Land. Da müssen wir nicht bis nach Amerika gehen.

Kleber: Das ist in der Tat wahr.

Der hier besprochene Teil der Sendung beginnt ab Minute 46:05.

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