Heiner Flassbeck: „Gescheitert – Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert“

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Das neueste Buch des Direktors der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf ist eine Generalabrechung mit der Wirtschaftspolitik der zurückliegenden dreißig Jahre und der handelnden Akteure aus makroökonomischer Perspektive. Flassbeck beschreibt darin auch das politische Scheitern der Sozialdemokratie.
Flassbeck ist ein Vertreter der – wie er es nennt – „Revolution im ökonomischen Denken“, also des Keynesianismus und auch der Lehren von Josef Schumpeter, Michal Kalecki oder Wilhelm Lautenbach, deren zentrales Moment „die Unsicherheit“ sei. Eine sich selbst überlassene Marktwirtschaft sei nicht stabil, im Gegenteil, sie sei extrem instabil. Sie brauche ständiges Beobachten und aktives Gegensteuern durch einen Staat, der in kritischen Momenten die Lage einschätzen könne und bewusst gegen den Strom schwimme. (S. 256) Wolfgang Lieb

„Mit der Übernahme der herrschenden ökonomischen Lehre, die nichts anderes als simple Unternehmenslogik bietet, bringt sich die Sozialdemokratie um jede Chance und jede Perspektive. Wenn sie regiert, verliert sie ihre Anhänger und Mitglieder, weil die Ergebnisse wirtschaftlich und sozial katastrophal sind. Wenn sie opponiert, hat sie wirtschaftspolitisch keine Alternative zu bieten, muss also auf der Scheitern der Konservativen warten, um denn nach der Regierungsübernahme wieder selbst zu scheitern. Das Ergebnis solchen wechselseitigen Scheiterns gefährdet die Demokratie“ (S. 21) So beschreibt Flassbeck den Niedergang der SPD. Die Sozialdemokraten brauchten ein realisierbares Wirtschaftsprogramm jenseits der allgemeinen Ideologie des „Gürtel-enger-Schnallens“ (S. 28), weil dieses Konzept von der rechten Konkurrenz allemal glaubwürdiger vertreten werden könne.

So habe etwa die konservative Phrase „Sozial ist, was Arbeit schafft“ die SPD ins Herz getroffen. Das Teuflische an diesem Slogan sei, dass er vollkommen richtig sei, dass daraus aber keineswegs folge, dass der Abbau des Sozialen Arbeit schaffe. Für Sozialdemokraten hätte der Slogan aber lauten müssen: „Nur eine aktive Wirtschaftspolitik kann Arbeit schaffen und ist deshalb sozial.“ (S. 30) Bei Massenarbeitslosigkeit könne nämlich kein soziales oder Gerechtigkeitsargument Eingriffe in bestehende Schutzrechte oder soziale Absicherungen auf Dauer verhindern, entscheidend sei eine wirtschaftspolitische Strategie des Abbaus der Arbeitslosigkeit. (S. 30)

Für führende Sozialdemokraten, wie etwa Wolfgang Clement oder den Seeheimer Kreis, sei jeder, der Unternehmern widerspreche, gleich ein Gegner der Wirtschaft. In ihrer kleinen (ökonomischen) Welt, sei es nur darum gegangen durch Lohn- und Sozialdumping den deutschen Unternehmen ein für alle Mal absolute Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Dass die dadurch erzeugten Ungleichgewichte im internationalen Handel, in eine tiefe Rezession führen könnten, liege weit außerhalb der Vorstellungswelt solcher „Wirtschafts“-Experten.

Mit schlichten Parolen (die Steuern sind zu hoch und zu kompliziert, die Sozialleistungen zu üppig, die Gesundheit zu teuer, die Rente nicht sicher, die Bürokratie lege alles lahm) sei das Unternehmerdenken und damit auch die Unternehmerpolitik auf fahrlässige Weise auf die Volkswirtschaft, ja auf die gesamte Gesellschaft übertragen worden. (S. 166) Wie bei einem Unternehmen, dem es schlecht geht, habe man in der gleichen einzelwirtschaftlichen Logik verlangt, den Gürtel enger zu schnallen. Und gerade weil diese Logik so schlicht sei, plapperte sie jedermann nach.

Im Unterschied zum einzelwirtschaftlichen Denken seien jedoch gesamtwirtschaftlich die Kosten des einen immer die Erträge des anderen und umgekehrt. „Wer den Gürtel enger schnallt, malträtiert nicht nur sich selbst, sondern im gleichen Augenblick auch alle seine Unternehmerkollegen…Sparen und Kostensenkung, die große Wunderwaffe der politischen Laienspieler und Unternehmensberater, ist – aus gesamtwirtschaftlicher Sicht – zwingend ein Rohrkrepierer.“ (S. 168)

Das Verrückte sei, dass es in der herrschenden Wirtschaftspolitik gar nicht um konkrete Gewinne gehe, sondern lediglich um die „Anreize“ für Unternehmen und Arbeitnehmer, mehr zu investieren oder mehr zu arbeiten, in dem die „Grenzsteuerbelastung“ für den letzten verdienten Euro gesenkt werden müsse. „Gewinne“ – im schumpeterschen Sinne – durch einen (technologischen oder innovativen) Vorsprung, den ein Unternehmen vor seinen Konkurrenten erzielen könne, gebe es in dieser Vorstellungswelt gar nicht mehr. Das Ergebnis sei Stillstand (S. 169) oder bestenfalls ein vom Himmel gefallenes Wachstum. Ohne Rücksicht auf die gesamtwirtschaftliche Situation seien – geleitet von diesem Anreizgedanken – in „Jahrhundertsteuerreformen“ die Steuersätze für Unternehmen und vermögende Haushalte massiv gesenkt worden, die Investitionstätigkeit sei aber weder stabiler noch dynamischer als zuvor. (S. 170) Alle Reformen seien verpufft, weil die Unternehmen in schlechten Zeiten nicht etwa mehr Anreize brauchten, sondern schlicht mehr Nachfrage.

Flassbeck analysiert die grundlegende Schwäche und die Fehler der herrschenden ökonomischen Lehre auf zentralen Politikfeldern der letzten Dekaden: Am Scheitern der deutschen Vereinigung, am Scheitern in Europa, an der verfehlten Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, am Scheitern der Ostererweiterung Europas, am Scheitern der Globalisierung, am Scheitern der Kasinowirtschaft, am Scheitern der Agenda-Reformen oder am Scheitern beim Arbeitslohn.

Es sei die Unternehmerlogik gewesen, die verantwortlich dafür gewesen sei, dass die Wirtschaft Deutschlands in den 90er Jahren zurückgefallen sei. Ausgerechnet die drei gängigsten Thesen über die wirtschaftliche Misere Deutschland überzeugten in der Sache am wenigsten.

  1. Behauptet wurde, die Abgaben seien zu hoch und die Leistungsanreize zu gering: Tatsache sei aber, dass die Abgaben nicht höher als in den 80er Jahren waren, als man bei Wachstum und Beschäftigung in der Weltspitze lag. Die Abgaben der Unternehmen seien noch nie so niedrig gewesen wie 1998 und im internationalen Vergleich eher mittelmäßig. Und die Lasten der deutschen Einheit seien inzwischen weitgehend über den Abbau des sozialen Netzes finanziert worden.
  2. Behauptet wurde, das soziale Netz und die Überregulierung hinderten das Wachstum. Tatsache sei aber, dass es seit den 60er Jahren nicht mehr so wenig soziale Absicherung gegeben habe. Andere Länder mit einer viel stärkeren Regulierung hätten ein viel stärkeres Wachstum gehabt.
  3. Behauptet wurde, der verkrustete Arbeitsmarkt und die Gewerkschaftsmacht seien das Haupthindernis für eine größere Wachstumsdynamik. Tatsache sei jedoch, dass der Arbeitsmarkt dem Wachstum folge und nicht umgekehrt. Das belege sowohl der Wachstumsschub um die Jahrtausendwende als auch der letzte leichte Aufschwung bis vor der Finanzkrise. (S. 162)

Die einfache Erklärung für die Stagnation hätte man jeder volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung entnehmen können: Deutschland sei beim Export in den letzten Jahren immer ganz vorne und bei den Investitionen ganz schlecht, der private Verbrauch sei in der zweiten Hälfte der 90er Jahre weit hinter dem der USA, Großbritanniens oder Frankreichs zurückgefallen. Deutschland habe seine Tugend, besser und stabiler sein zu wollen als die anderen genau in dem Augenblick zu einer Untugend gemacht, als die anderen aufgeholt hatten. Die Löhne durften hierzulande von den 60er (bis 10 Prozent) bis in die 80er Jahre (mit immerhin noch gut 4 Prozent) steigen, ab dann einigte man sich auf das Bündnis für Arbeit – auf das Gürtel enger schnallen – so das von der zusätzlichen Kaufkraft praktisch nichts mehr übrig geblieben sei und der inländische Absatz stagnierte und folglich keine Leute mehr eingestellt wurden. Hinzu gekommen sei, dass zunächst die christ-sozialen und dann die sozialdemokratischen Finanzminister am falschen Ende sparten und die EZB mit ihrer Geldpolitik eher bremste als Gas gab. (S. 164f.) Wo immer gestrichen oder gekürzt worden sei, am Ende habe sich die Lage der Unternehmen verschlechtert. (S. 167)

Flassbeck erzählt plastisch die „schreckliche Geschichte der Rente“: Die Grundvorstellung einer Kapitaldeckung sei fundamental falsch. Man könne erspartes Kapital logischerweise nicht in die Zukunft transportieren, denn das Geldvermögen (also der Saldo aus Einnahmen und Ausgaben jedes Haushalts oder Unternehmens) sei in jeder Sekunde genau gleich null.
Gelinge die Kapitaldeckung und steige damit die Sparquote der Arbeitnehmer beim Versuch Eigenvorsorge zu betreiben, würden gleichzeitig die Gewinne der Unternehmer sinken, weil die Arbeitnehmer in der Gegenwart in Höhe des Gesparten auf Konsum und damit auf Nachfrage verzichteten. Die Unternehmen brauchten aber auch im Heute Gewinne, wenn sie die Zinsen für die getätigten Investitionen morgen zurückbezahlen wollten. (S. 174) „Heute gespartes Geld verdirbt das Geschäft aller Unternehmer dieser „Welt“.“ (S.177) Eine Volkswirtschaft könne halt nicht als Ganzes wie ein Eichhörnchen sparen. Immer müsse jemand hier und heute das angesparte Geld aufnehmen, sich also verschulden, um zu investieren, und die durch die Investition ermöglichten Produkte müssten hier und heute nachgefragt werden, wenn die Zinszahlung in Zukunft möglich sein soll. Man sorge also durch das Sparen gerade nicht für die Zukunft vor, sondern tue das Gegenteil. (S. 178)

Die entscheidende Frage für das demographische Problem sei deswegen, ob wir in Zukunft so „reich“ seien, dass künftig Unternehmen und Arbeitnehmer höhere Rentenbeiträge verkraften könnten. Deshalb müsse die Wirtschaftspolitik vor allem das Problem der Arbeitslosigkeit in Griff bekommen und nicht auf die Rente im Jahr 2030 schielen.

Diese Argumentationskette ist natürlich das schiere Gegenteil dessen, was uns die Angebotstheoretiker täglich vorbeten, nämlich dass zunächst durch Sparen ein Kapitalstock angehäuft werden müsse und das durch die dadurch ermöglichten Investitionen ermöglichte Angebot nach dem sayschen Theorem seine entsprechende Nachfrage dann schon schaffen würde. Zusätzliche Sparanstrengungen der privaten Haushalte und des Staates reduzierten umgekehrt automatisch die Gewinne der Unternehmen und verminderten deren Eigenkapitalbasis, aus der heraus neue Investitionsprojekt finanziert werden könnten.

(Eigene Anmerkung: Nun wird gegen diese nachfrageorientierte Argumentation ja immer eingewandt, die durch Investitionen produzierten Güter müssten ja nicht von den inländischen Sparern gekauft, sondern sie könnten in einer globalen Wirtschaft ja vom Ausland abgenommen werden. Aber genau in dieser Logik schafft man den Exportzwang, der zu den ökonomischen Ungleichgewichten geführt hat. Spätestens nach der Finanzkrise müsste man erkennen, dass der Traum des Transfers von Geldvermögen in Form von Leistungsbilanzüberschüssen, wie eine Blase platzen kann. Und selbst wenn das Ersparte für Investitionen im Ausland genutzt würde, hieße das, dass die Zinsen und damit die künftige Rente vom Ausland erwirtschaftet werden müssten. Ob aber künftig etwa die Chinesen für die Altersversorgung der Deutschen arbeiten wollen, steht auf einem anderen Blatt.)

Auch bei der Debatte um die sog. „Lohnnebenkosten“ zeige sich die Konfusion in wirtschaftlichen Fragen. Seit Jahrzehnten seien sich die Kritiker des deutschen Systems darin einig, dass in den „ausufernden“ „Lohnnebenkosten“ eines der Hauptübel zu sehen sei. Selbst die Gewerkschaften hätten sich dem allgemeinen Lamento angeschlossen und beklagten, dass den Arbeitnehmern zu wenig Lohn zur freien Verfügung stünde. Es gebe allerdings keinen Hinweis darauf, dass die gesamten Arbeitskosten (inklusive des Teils, der nicht direkt im Portemonnaie landet) in Deutschland zu hoch seien. Der Zuwachs der realen Löhne plus der „Lohnnebenkosten“ habe den realen Verteilungsspielraum, gemessen am Produktivitätsfortschritt in den letzten 20 Jahren praktisch nie ausgeschöpft. Über den gesamten Zeitraum seien die Arbeitskosten um fast 15 Prozent hinter der Produktivität zurückgeblieben.

Flassbeck fragt: Wieso folgt aus der Tatsache, dass es eine (künstliche) Aufteilung der Arbeitskosten in Löhne und Lohnnebenkosten gebe, dass Arbeit in Deutschland zu teuer sei?

Flassbeck macht den provokativen Vorschlag, dass man die paritätische Finanzierung total abschaffen und den Teil, der jetzt „Lohnnebenkosten“ heiße, direkt an die Arbeitnehmer überweisen sollte. Diese würden dann ihre Beiträge an die Sozialversicherungssysteme direkt überweisen und damit verschwänden auch die Unternehmensvertreter aus den Aufsichtsräten der Sozialversicherungen – und das Problem wäre ein für allemal gelöst, weil in Zukunft nur noch über Löhne verhandelt würde. Damit wäre der Weg für eine unideologische Debatte etwa über ein besseres Gesundheitssystem oder über den angeblichen Generationskonflikt bei der gesetzlichen Rente frei. Die Betroffenen könnten dann selbst entscheiden und die Arbeitgeber könnten nicht ständig blockieren. Der Verteilungskampf würde jedenfalls offener geführt.

Die Übernahme der Parole „Lohnnebenkosten bestimmen als Teil der Arbeitskosten den Preis für die Arbeit. Steigende Preise führen zu einer rückläufigen Nachfrage“ durch die Agenda 2010 sei das endgültige Aus der SPD für eine Alternative zu den Konservativen gewesen. Damit hätten die Sozialdemokraten die neoklassische Auffassung übernommen, dass die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt denen an den Gütermärkten aufs Haar glichen.

Es sei zunächst schlicht unsinnig die (gesamten) Arbeitskosten in den (ausbezahlten) normalen Lohn und in „Lohnnebenkosten“ aufzuteilen. Der Preis für Arbeit (und darüber gebe es keinen Streit) sei real definiert und würde auf die Preise der Güter überwälzt. Stiegen die Löhne stark und die Preise genauso stark, verschlechtere sich die Position der Unternehmen nicht und deren Einstellungsverhalten somit auch nicht. Und wenn der Anstieg der Löhne nebst der „Lohnnebenkosten“ vom Fortschritt der Produktivität gedeckt würden, müsse daraus auch keine Arbeitslosigkeit resultieren. Der Rückgang der Arbeitskosten habe seit den 80er Jahren stattgefunden, doch die Arbeitslosigkeit sei eben nicht in der von der Neoklassik erwarteten Weise zurückgegangen.

Keynesianische Ökonomen behaupteten, ein Rückgang der Reallöhne im Verhältnis zur Produktivität verbessere die Beschäftigungssituation nicht, weil gleichzeitig die Nachfrage sinke, was auf Gewinne und Beschäftigung durchschlage. Die Neoklassiker hingegen behaupteten, schon der Rückgang der Kosten für Arbeit sei ausreichend, um Arbeitsplätze entstehen zu lassen, weil in dieser Denkwelt die Nachfrage nach Gütern insgesamt nicht sinke. Sie glaubten fest daran, dass die Senkung der realen Arbeitskosten ohne weiteres als Gewinne bei den Investoren auftauchten. Von einer solchen Umverteilung könne man logischerweise aber nur dann reden, wenn das zu Verteilende schon fest vorgegeben sei. Die Zukunft sei jedoch stets ungewiss. Wie viel Gewinn ein Unternehmen mache, wisse es erst, wenn die in der laufenden Periode festgelegten Löhne und die Zinsen bezahlt und der Umfang der (abgesetzten) Produktion bekannt sei. Sinkende Löhne bedeuteten aber exakt zum gleichen Zeitpunkt auch eine sinkende Nachfrage.

Die Unternehmen hätten in Deutschland auch erst dann investiert und Arbeitsplätze geschaffen als (dank des Lohndumpings) die Exportnachfrage extrem stark anzog. (S. 197f.) Das habe allerdings zu den Problemen eines dauerhaften Leistungsbilanzüberschusses geführt, den die deutsche Wirtschaft nun in der Krise besonders deutlich zu spüren bekomme.

Die „Konjunktur der Arbeitsplätze“ habe ausschließlich mit der Exportkonjunktur – einem von anderen Ländern auf Pump finanzierten riesigen Konjunkturprogramm – zu tun und mit den „Reformen“ rein gar nichts. Der Arbeitsmarkt habe sich vor den „Reformen“ beim konjunkturellen Aufschwung 1999/2000 sogar noch schneller belebt als nach der „Agenda 2010“. (S. 201) Dass der einseitig von der Exportnachfrage getragene, auf wackeligen Beinen stehende Aufschwung einmal umfallen würde, sei so sicher wie das Amen in der Kirche gewesen. Die Weltfinanzkrise habe nun das bundesdeutsche Kartenhaus der Wirtschaftspolitik zum Einsturz gebracht. (S. 205)

Auch bei der Debatte um den Mindestlohn hätten (anfänglich) alle Parteien die Unternehmerlogik vertreten. Diese laute: sind in der wunderbaren Marktwelt Menschen arbeitslos, dann kann das nur daran liegen, dass sie einen Lohn gefordert haben, der über dem liege, den die Unternehmer zu zahlen bereit seien. Dieses Modell habe aber schon deshalb mit der Wirklichkeit nichts zu tun, weil der Unternehmer bei kaum einem Arbeitsprozess wisse, wie viel der einzelne Arbeitnehmer zum Output beitrage (Grenzproduktivität).

Gescheitert seien auch die „mindestens fünf Unternehmenssteuerreformen“ der letzten Dekade. Sie hätten nie eine sichtbare Wirkung bei den Investitionen, ganz zu schweigen auf dem Arbeitsmarkt gehabt. (S. 236)

Letztlich habe offenbar nicht einmal Gerhard Schröder an die segensreiche Wirkung seiner eigenen Reformen geglaubt, denn sonst hätte er nicht gerade unmittelbar nach Beginn des Aufschwungs im Jahre 2005 das Handtuch geworfen. Die normalen Wahlen ein Jahr später hätten in einem weitaus günstigeren Umfeld stattfinden können. So hätte sich die Bundeskanzlerin den Aufschwung zueigen machen können und nichts getan, um dem Risiko eine Exportabsturzes zu begegnen.

Selbst nach dem derzeitigen Absturz werde schon wieder argumentiert, Deutschland sei wegen seiner überragenden Wettbewerbsfähigkeit „hervorragend aufgestellt“. Das sei aber genau das Gegenteil des Logischen. Den einzigen Weg, den es gäbe der weltwirtschaftlichen Abschwächung und einem erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit zu entgehen, nämlich die Belebung der Binnennachfrage würde man nicht gehen, weil die Geister des Kürzens und des Gürtel-enger-Schnallens nicht so schnell verschwinden.

Die Masseneinkommen würden unter der herrschenden Wirtschafspolitik auch in den kommenden Jahren nicht in einem Tempo steigen, dass der private Verbrauch zum Träger des Wachstums werden könnte. Steige der private Verbrauch in den nächsten Jahren so wenig, wie in den letzten Jahren, dann sei jede Art von Konjunkturoptimismus verfehlt und gefährlich. Schon bald würden die Stimmen wieder lauter werden, dass uns nur „Reformen“ weiterbrächten.

Die gescheiterte Politik werde mit erhöhter Dosierung weiter betrieben und das in einer Zeit, in der große Perspektiven und eine gesamtwirtschaftliche Strategie gefragt seien. Um in Deutschland dauerhaft erfolgreich sein zu können, brauche man ein aktive Geldpolitik, die sich um die Stabilisierung der Wirtschaft kümmere, eine Finanzpolitik, die für ausreichend große öffentliche Investitionen sorge und bereit sei konjunkturell zu reagieren, wenn die Geldpolitik versage. Schließlich brauche man die Rückkehr zu einer Lohnpolitik, bei der alle Bürger, auch Rentner und solche, die unverschuldet nicht arbeiten könnten, vollständig am Produktivitätsfortschritt beteiligt würden. Kurzfristig brauche Deutschland ein gewaltiges Konjunkturprogramm in der Größenordnung von 2 Prozent des Bruttoinlandproduktes pro Jahr und Deutschland müsse sich viel stärker engagieren, um eine sinnvolle Reregulierung der Finanzwirtschaft in die Wege zu leiten. (S. 250)

Flassbecks Hoffnungen auf einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik sind nicht sehr groß. Die Grundregel einer Demokratie, dass sich im öffentlichen Diskurs das sachlich Richtige und Beste durchsetze sei in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik weitgehend außer Kraft gesetzt. Die öffentliche Debatte verlaufe flach und undifferenziert, der große Meinungsstrom würde von Parolen und den immer gleichen Glaubenssätzen geprägt. (S. 238)

Das Buch endet mit einer ziemlich düsteren Prognose: „Wenn auch die große Krise 2008/2009 nicht zu einer vollständigen Umkehr in der Wirtschaftspolitik führt, ist dieser Kontinent endgültig gescheitert. Er wird dann für immer weit hinter die neu aufstrebenden Wirtschaftsnationen zurückfallen, die ohne dogmatische Bürden und geleitet von moderner Wirtschaftstheorie rasch ihren eigenen Weg in die Zukunft gehen.“ (S. 259)

Man kann gegen Flassbecks Abrechnung mit der herrschenden Wirtschaftspolitik einwenden, dass die Wirklichkeit auch der „Logik“ seines ökonomischen Denkansatzes nicht zwingend folgen muss und dass eine wirtschaftspolitische Alternative in der praktischen Politik noch vieler Differenzierungen bedarf.

Flassbeck wird in seinem Urteil über die Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte vom Nobel-Preisträger für Ökonomie Paul Krugman bestätigt. Krugman diagnostiziert: “Der Großteil der Makroökonomie der vergangenen 30 Jahre war im besten Fall spektakulär nutzlos und im schlimmsten Fall schädlich.

Für die Lektüre dieses neuesten Buches ist es hilfreich, wenn man noch Flassbecks vorherige Büchern, also „50 einfache Dinge, die Sie über unsere Wirtschaft wissen sollten“ oder das zusammen mit Friedrike Spiecker verfasste Buch mit dem Titel „Das Ende der Massenarbeitslosigkeit“ zu Rate zieht.

In jedem Falle wäre es dieses Plädoyer für eine alternative, vom Keynesianismus geprägten Wirtschaftspolitik Wert, endlich vom wissenschaftlichen Diskurs und vor allem auch von der öffentlichen Debatte und damit auch von der Politik aufgegriffen zu werden, statt dass nur die alten gescheiterten Parolen der Neoklassik ständig wiederholt würden.

Der von Flassbeck propagierte wirtschaftspolitische Ansatz wäre für die politische Linke ein wichtiges Leitbild, mit dem sie wieder eine echte Alternative zu den Konservativen anbieten könnte und über die sich ein Wettstreit um das bessere ökonomische Konzept in unser aller Interesse wieder lohnen würde.

Doch, wie es aussieht, dürften leider nach der kommenden Wahl weitere 5 Jahr für eine alternative Wirtschaftspolitik verloren gehen. Das dürften dann weitere Jahre die von Flassbeck analysierten, längst gescheiterten Politik des „Gürtel-enger-Schnallens“ sein.

Bibliografische Angaben: Heiner Flassbeck, Gescheitert. Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert. Westend Verlag Frankfurt, 2009. 264 Seiten, 19.95 Euro.

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