Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Nachbemerkungen zur schreienden SPD-Fraktionsvorsitzenden.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Unter Öffentlichkeitsarbeitern und Werbefritzen ist die oben zitierte Erkenntnis mit Recht weit verbreitet. Nicht so beim SPD-Parteitag und der SPD-Führungsgruppe am vergangenen Sonntag. Die Spitzengenossen, die Frau Nahles applaudieren, denken, sie seien der Fisch. Sind sie aber nicht. Sie sind die Angler. Ihnen hat das Schreien gefallen. Ihnen gefällt wahrscheinlich auch das Bätschi im Deutschen Bundestag und das In die Fresse hauen. Nicht so den Fischen. Also den Wählerinnen und Wählern. Sie haben ein Gefühl für Anstand und wenden sich deshalb ab. Albrecht Müller.

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Eigentlich wollte ich über diesen und andere Auftritte von Frau Nahles nicht mehr schreiben. Dann erreichte mich die dringliche Aufforderung von NachDenkSeiten-Lesern. Dann hörte ich von vielen Seiten, dass sie die Tonlage, Lautstärke, Ausdrucksweise und das kindische Gebaren dieser ausgewachsenen Fraktionsvorsitzenden befremdlich finden und sich deshalb abwenden. Deshalb will ich die verbliebenen Sozialdemokraten dann doch wenigstens darauf aufmerksam machen, dass mit dieser Person als Fraktionsvorsitzende und als mögliche und selbst von der Tagesschau empfohlene Nachfolgerin von Martin Schulz als Parteivorsitzender mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ende der SPD eingeläutet wird.

Dieser Wurm schmeckt den Fischen nicht. Mit dieser Person wird die SPD große Einbrüche im liberalen Bürgertum erzielen, bei eher unpolitischen Leuten sowieso, auch bei jungen Leuten. Auch die Arbeiter beeindruckt man damit nicht, anders als zu Herbert Wehners Zeiten. Auch diese mögen schreiende und albernde Politikerinnen und Politiker nicht.

Der Wurm schmeckt übrigens nicht nur wegen der Tonlage und Lautstärke nicht. Wenn man nämlich nur ein bisschen zuhört und noch ein bisschen nachdenkt und sich erinnert, dann findet man heraus, dass von dieser Fraktionsvorsitzenden

  • Unwahrheiten aufgetischt werden,
  • Widersprüche mit Lautstärke überlagert werden, und
  • Popanze aufgebaut werden.

Glaubwürdigkeit versucht Frau Nahles dadurch zu gewinnen, dass sie affirmativ, also ohne Selbstzweifel, auftritt und ihre Botschaft durch Lautstärke unterstreicht.

Zum Beispiel: Sie behauptet, der Mindestlohn sei ein Riesenerfolg und überlagert so die Kritik – zum Beispiel wegen der sichtbar auf dem Tisch liegenden Umgehungsmöglichkeiten.

Zum Beispiel: Sie agitiert gegen das Nein zur Großen Koalition, ohne auch nur einmal zuzugestehen, dass die SPD-Spitze und damit auch sie nach der Wahl vom 24. September 2017 die Große Koalition für das schlechte Wahlergebnis verantwortlich gemacht hat und deshalb ein klares Nein gegen die Groko sprach und den Gang in die Opposition propagierte. Wenn man auch nur ein bisschen glaubwürdig sein und bleiben will, dann muss man bei einer solchen Wende um 180° hin zur Regierungsbeteiligung, die man ja begründen kann, leiser auftreten.

Zum Beispiel: wenn man ihr zuhört, beim Parteitag wie auch im Bundestag, dann muss man den Eindruck gewinnen, dass die SPD mit der Agenda 2010 und der daraus folgenden Welle von prekären Arbeitsverhältnissen, dass sie mit Leiharbeit und mit dem Ausbau des Niedriglohnsektors nichts zu tun hat. Das ist unglaublich.

Zum Beispiel wirft sie den Befürwortern von Neuwahlen oder jenen, die dieses Risiko einzugehen bereit sind, vor, die SPD stünde dann nur mit dem mageren Programm da, das bei den Sondierungsgesprächen als Ergebnis herauskam, vielleicht noch ergänzt durch ein paar wenige Zusätze. Sie überspielt dabei völlig, dass die SPD bei Wahlen selbstverständlich ganz andere programmatische Forderungen formulieren könnte, und sogar müsste: Verbesserungen und Veränderungen, die im Sondierungsgespräch offenbar nicht zur Sprache kamen, aber für die Gestaltung unseres Landes zentral wichtig wären.

Darüber haben wir in den NachDenkSeiten ausführlich berichtet. Frau Nahles müsste sich da einfach bedienen. Aber das will sie nicht, weil sie und die anderen in der Führungsspitze im Grunde mit allen Fasern ihres politischen Unlebens mit der neoliberalen Ideologie verbunden sind; d. h.: weitere Privatisierung bei der Altersvorsorge und bei öffentlichen Gütern, Fortsetzung der Lethargie in der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Währungspolitik, Missachtung des sozialdemokratischen Markenzeichens in der Sicherheitspolitik: der Verständigung mit dem Osten, im konkreten Fall mit Russland und dem Grundsatz, dass der Friede der Ernstfall ist und nicht irgendwelche Interventionskriege.

Es gäbe so viel zu tun. Ein attraktives Programm, das den Wählerinnen und Wählern wirklich schmeckt, weil sie es brauchen, wäre leicht zu formulieren. Die Führung der SPD will das nicht. Sie riskiert damit, den Weg zum Ende dieser traditionsreichen politischen Bewegung einzuschlagen. Die neuesten Umfragen vom 22. und 23. Januar, also von der Zeit nach dem Bonner Parteitag sehen Werte von 17 und 18 % für die SPD. Das darf man nicht überbewerten, aber gebracht hat das Schreien bei den Fischen jedenfalls nichts.