Wenn Umweltschützer sich vor den Karren der Transatlantiker und der Fracking-Lobby spannen lassen

Jens Berger
Ein Artikel von:

Als US-Außenminister Rex Tillerson Deutschland an diesem Wochenende bei seinem Staatsbesuch in Polen erneut scharf für dessen Engagement am Pipeline-Projekt Nord Stream 2 angriff, erhielt er Unterstützung aus einer Ecke, die nicht unbedingt im Verdacht steht, die aggressive transatlantische Spannungspolitik mitzutragen. Die beiden Naturschutzverbände NABU und WWF Deutschland rufen nun die Öffentlichkeit auf, das Projekt durch eine Protestmail an „Merkel, Schulz und Seehofer“ zu verhindern. Erstaunlich ist dabei vor allem die Begründung. Neben ökologischen Aspekten nennen die Verbände als zentralen Punkt auch die „Gefährdung der europäischen Idee“. Nord Stream 2 würde „einen Keil durch Europa treiben“ und Deutschland „von seinen Nachbarn isolieren“. Das ist starker Tobak und auch im Sinne des Umweltschutzes mehr als bedenklich, denn die Alternative, die Deutschlands Nachbarn vorschwebt, ist der Import von Fracking-Gas aus den USA. Erst im November schlossen Polen und die USA langfristige Vereinbarungen zur Lieferung von Flüssiggas an das LNG-Terminal im polnischen Swinemünde. Ein ökologischer Offenbarungseid mit Unterstützung zweier deutscher Umweltverbände. Von Jens Berger.

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Zur Vorgeschichte von Nord Stream 2 lesen Sie bitte den Artikel „US-Angriff auf Nord Stream 2 – warum ist Merkel auf einmal so kleinlaut?“ auf den NachDenkSeiten

Seit die NachDenkSeiten im Juli letzten Jahres über das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 und den Konflikt darum auf europäischer und internationaler Ebene berichtet haben, hat sich die Lage abermals verschärft. Die EU will sich offenbar durch eine Änderung der „Gasdirektive“ ein Mitspracherecht bei der Genehmigung der Ostseepipeline einräumen und Deutschland konterte diesen Schritt einem russischen Medienbericht zufolge durch ein Rechtsgutachten, das ein solches Mitspracherecht verneint. Die Konfliktlinie ist nicht immer transparent, aber doch eindeutig. Die USA wollen durch ein Sanktionspaket Russland (vor allem auf Kosten Deutschlands) den Erdgasexport erschweren und damit den Erlös dringend benötigter Devisen unterbinden. Gleichzeitig wollen die Amerikaner ihre gigantischen Erdgas-Überkapazitäten vermarkten, die eine Folge des ökonomisch wie ökologisch katastrophalen Fracking-Booms sind. Fracking-Gas kann in verflüssigter Form mit riesigen Tankern nach Europa transportiert werden und dabei die russischen Gaslieferungen zu einem Teil ersetzen. Ökonomisch und ökologisch wäre dies jedoch Wahnsinn. Und über dem Ganzen schwebt auch noch der Geist der neuen Spannungspolitik und des neuen kalten Krieges der USA.

Der zweite wichtige Gegner einer Ausweitung der Ostseepipeline sind Polen und die baltischen Republiken, die ohnehin den USA sehr nahestehen und Russland und Deutschland skeptisch betrachten, aber auch ökonomische Gründe haben – durch die Verlegung der Gaslieferungen vom Landweg auf die Ostsee entgehen diesen Transitstaaten milliardenschwere Transitgebühren. Der Widerstand gegen Nord Stream 2 ist also nicht nur ideologischer Natur. Ähnlich sieht es bei den Südosteuropäern aus. Nachdem niemand anderes als Angela Merkel unter Berufung auf die europäischen Sanktionen gegen Russland die Nord-Stream-Alternative South Stream verhindert hat, die – je nach Trassenverlauf – Staaten wie Bulgarien, Griechenland, Ungarn und Kroatien hohe Transitgebühren beschert hätte, erinnern diese Staaten nun Deutschland daran, dass Nord Stream 2 mit der gleichen Begründung ebenfalls verhindert werden müsste. Damit liegen sie auch nicht falsch. Angela Merkels Veto gegen South Stream war ein Fehler. Es wäre jedoch töricht, den einen Fehler durch einen neuen Fehler wieder „gutzumachen“. Komplettiert wird der Block der Nord-Stream-Gegner seit jüngstem durch Dänemark und Schweden, die beide vor dem massiven Druck aus Washington eingeknickt sind. Hinter den Kulissen könnte hier auch ein laufendes Geschäft über den Kauf von 27 hochmodernen F-35-Kampfflugzeugen durch die dänische Luftwaffe eine Rolle gespielt haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass die USA Rüstungsgeschäfte als Hebel für die sogenannte Soft Power bei solchen Beeinflussungen genutzt hätten.

Wie dem auch sei – Deutschland ist in der EU tatsächlich beim Thema Ostseepipeline ziemlich isoliert. Nichtsdestotrotz liegt der Bau von Nord Stream 2 aber auch ganz eindeutig im ökonomischen und strategischen Interesse Deutschlands; nicht zuletzt, um die Versorgungssicherheit unabhängiger von den Transitstaaten Ukraine, Polen und Weißrussland zu machen.

Bereits in diesem Punkt liegt die Erklärung des NABU, die offenbar gemeinsam mit dem deutschen WWF verfasst wurde, also meilenweit daneben. Dass es in Polen und dem Baltikum ökonomische und ideologische Interessen gibt, die denen Deutschlands zuwider laufen, ist bei dieser Debatte unübersehbar. Wer hier Täter und wer Opfer ist, ist aber schon nicht mehr so einfach zu beantworten; vor allem dann nicht, wenn man die USA als eigentlichen Gegenspieler Deutschlands mit in die Betrachtung einbezieht. Genau das vermeidet der NABU jedoch. In der gesamten Aktionsschrift kommen die USA überhaupt nicht vor; das ist umso erstaunlicher, da man die US-PR-Slogans von der angeblichen „Gefährdung der Energiesicherheit“ Europas und dem vermeintlichen Keil, den eine Ostseepipeline durch Europa treiben würde, nahezu 1:1 übernimmt.

Was hat den NABU da nur geritten? Dass der Umweltschutzverband Bedenken wegen des Neubaus einer Pipeline durch die Ostsee hat, ist ja verständlich. Die ökologischen Risiken und die Einfassung des Projekts in die größere Klimadebatte hat der NABU in einer 58seitigen Stellungnahme dargelegt. Interessanterweise kommen in dieser Stellungnahme die hier kritisierten Formulierungen über „Europa“ nicht vor. Woher kommen diese Formulierungen aber dann? Hat sie der Vorstand eigenhändig ergänzt? Stammen sie vom Partner WWF, der ja ohnehin bereits seit längerem aufgrund seiner Nähe zur Industrie massiv in der Kritik steht?

Es ist schon tragisch. Da kritisiert der NABU – wahrscheinlich sogar zu Recht – die ökologischen Probleme im Zusammenhang mit Nord Stream 2. Aber was ist die Alternative? Was, wenn sich – rein hypothetisch betrachtet – die Anhänger des NABU durchsetzen würden und Deutschland doch noch den Bau von Nord Stream 2 verhindert? Dadurch würde ja nicht weniger Gas verbraucht, sondern lediglich die Transportroute gewechselt. Anstatt ökologisch vertretbar westsibirisches Erdgas über eine Pipeline zum deutschen Endkunden zu transportieren, würde dann ökologisch verheerendes Fracking-Gas aus den USA unter hohem Energieeinsatz in den USA verflüssigt, dann unter hohem Energieeinsatz mit riesigen Tankern nach Europa gebracht und schließlich am LNG-Terminal wieder verdampft, um zum Endkunden transportiert zu werden. Alleine die Vorstellung von einem regelmäßigen Gasshuttle mit 300-Meter-Tankern durch den Kattegat und den Belt bis hin ins Stettiner Haff sollte doch jeden Umweltschützer eigentlich zur Weißglut bringen; von der Vertiefung der Fahrrinne vor Swinemünde auf 14 Meter ganz zu schweigen.

Aus PR-strategischer Sicht ist das törichte Verhalten des NABU natürlich ein Hauptgewinn. Wenn die aggressive US-Außenpolitik einen deutschen Umweltverband als Partner hat, so kann sie ihre Interessen bis zu einer Klientel transportieren, die sie auf klassische Art und Weise kaum erreichen konnte. Und dass der NABU nun indirekt die Lobbyarbeit der Fracking-Konzerne betreibt, dürfte als traurige Fußnote in die Geschichte des Umweltschutzes in Deutschland eingehen. Sollten Sie Mitglied des NABU oder des WWF sein, lassen Sie die Verbandsspitzen doch bitte wissen, was Sie von derlei fehlgeleiteter Propaganda halten.

P.S.: Der Herausgeber der NachDenkSeiten beendet heute seine jahrzehntelange Mitgliedschaft im NABU.