Junge Menschen können sich kein Eigenheim mehr leisten? SPIEGEL Online stochert mal wieder im Nebel

Jens Berger
Ein Artikel von:

SPIEGEL Online hat sein Herz für „junge Menschen“ entdeckt – zumindest für diejenigen, die sich gerne ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung anschaffen würden. Passend zum aktuellen SPIEGEL-Titel – so viel Cross-Promotion muss wohl sein – erörtert SPIEGEL Online nun die Gründe, warum es vor allem jungen Menschen immer schwerer fällt, die eigenen vier Wände zu finanzieren. Dabei kommt man von zu niedrigen Zinsen – alleine das ist schon erstaunlich – über ausländische Investoren, verschwenderische Bauträger bis zum Umwelt- und Tierschutz. Ein Artikel über die Probleme beim Immobilienerwerb, in dem die prekären Arbeitsverhältnisse und die lahmende Lohnentwicklung noch nicht einmal vorkommen? Das muss man auch erst mal schaffen. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zumindest hier im Harz wurde meines Wissens noch kein Ölscheich und noch nicht einmal ein russischer Oligarch gesichtet, der den Immobilienmarkt leergekauft hätte. Mir ist auch nicht bekannt, dass Umwelt- oder Tierschützer hier irgendwann einmal die Ausweisung dringend benötigter Neubaugebiete verhindert hätten. Warum auch? Neubaugebiete werden in Regionen, in denen die Bevölkerungszahlen stetig zurückgehen, nicht wirklich gebraucht. Und dass dies kein regionaler Effekt ist, sondern die Regel, hatte sogar SPIEGEL Online schon mal erkannt. Umso erstaunlicher ist, dass dieser Hintergrund immer vergessen wird, wenn SPIEGEL Online und Co. über die Immobilienpreise sprechen. Dann ist plötzlich ganz Deutschland die Münchner Maxvorstadt oder der Prenzlauer Berg in Berlin.

Dabei sollte man gerade bei Themen wie dem Immobilienmarkt Verallgemeinerungen vermeiden. Zweifelsohne steigen in den Metropolregionen die Preise für Wohneigentum seit Jahren in einem Maß, das man kaum mehr als vernünftig bezeichnen kann. Wenn beispielsweise in München ein Mehrfamilienhaus mit vier Wohneinheiten in gewöhnlicher Bausubstanz und Kaltmieteinnahmen von 90.000 Euro pro Jahr für 10 Millionen Euro gehandelt wird, so entspricht dies vor Kosten einer Amortisation von 111 Jahren. Um auf eine branchenübliche Kennzahl zu kommen, müsste man die Kaltmiete schon verfünffachen. Aber in diesem Beispiel ist die Monatsmiete von 1.875 Euro pro Wohneinheit schon heute das Maximum. Ja, in einigen Städten kann man durchaus von einer Immobilienblase sprechen.

Auf der anderen Seite dümpeln die Preise in den ländlichen Regionen jedoch seit Ewigkeiten vor sich hin und in strukturschwachen Regionen, in denen es eine starke Abwanderung gibt, sind die Preise sogar im freien Fall. So ist es in der Fläche in Sachsen-Anhalt gar kein Problem, ein nicht all zu renovierungsbedürftiges Einfamilienhaus für 50.000 Euro zu bekommen, während dieses Geld in besseren Münchner Vierteln noch nicht einmal für die Anzahlung des zum Appartement gehörenden Parkplatzes in der Tiefgarage reicht.

Beide Beispiele sind Extremfälle und sicher nicht repräsentativ. Hier geht es ganz banal um Angebot und Nachfrage. Während sehr viele finanziell gut ausgestattete Menschen in der Maxvorstadt leben, ist Wohnraum in der Gemeinde Klein Wanzleben vor den Toren Magdeburgs nun einmal nicht sonderlich gefragt. Marktmechanismen erledigen den Rest und man sollte auch nicht glauben, dass der Markt von sich aus Grenzen finden würde. Wohnraum ist nun einmal im weitesten Sinne natürlich begrenzt. Wenn 250.000 junge Menschen in einem bestimmten Berliner Szeneviertel leben wollen, in dem es allerdings nur Wohnraum für 20.000 Menschen gibt, so muss es einen Mechanismus zur Zuteilung geben, bei dem zwangsläufig die große Masse leer ausgeht. Heute wird die „Zuteilung“ meist über den Markt vorgenommen. Wer am meisten zahlen will und kann, bekommt den Zuschlag, wer finanziell da nicht mithalten will oder kann, muss gehen. Aber Berlin und sogar München sind auch da der Beginn einer möglichen Entwicklung, die andere Metropolen schon kennen. Wichtig wäre es da „nur noch“, dies den Bewohnern auch einmal diplomatisch zu vermitteln.

Im Moloch Hong Kong sind für eine 70-Quadratmeter-Wohnung schon einmal Preise von 1,8 Millionen Euro völlig normal, wobei das generelle Preisniveau rund dreimal so hoch wie München liegt. Als Folge dieser Preise leben ganze Großfamilien in Wohnungen, die man in Deutschland gerade mal als Studentenbude anbieten könnte und wer alleine leben will, muss oft mit einem 6-Quadratmeter-„Käfigzimmer“ vorlieb nehmen, für das dann 450 Euro Kaltmiete fällig werden. Sollte der Strom in die Metropolen in Deutschland anhalten, sind solche Szenarien auch hierzulande nicht nur nicht auszuschließen, sondern sogar sehr wahrscheinlich.

Auch wenn solche Extremfälle natürlich immer spannend sind, sollte man aber lieber die Normalfälle betrachten. Warum können „junge Menschen“ sich in den normalen Wohngegenden Deutschlands kaum mehr ihr Eigenheim leisten? Liegt es – wie SPIEGEL Online unter Berufung auf das DIW in den Raum stellt – an der Geldpolitik der EZB? Wohl kaum. Es ist ja richtig, dass der arabische Ölscheich, der russische Oligarch, der amerikanische Fondsmanager oder der deutsche Industrielle noch nie so preiswert auf Pump Immobilien in der Eurozone erwerben konnten. Ölscheichs, Oligarchen, Fondsmanager und Industrielle haben aber eher das „Problem“, dass sie ihre liquiden Mittel möglichst rentabel anlegen wollen. Der günstige Zugang zu Fremdkapital dürfte da nicht die oberste Priorität sein; anders als bei ganz normalen Häuslebauern, die von den niedrigen Zinsen massiv profitieren. Aber darum geht es im SPON-Artikel ja nicht, sondern darum, dass der Erwerb von Immobilien generell immer teurer wird und da passen die Vorteile niedriger Hypothekenzinsen natürlich nicht ins Bild.

Die grundsätzliche Frage ist eher die, die ich bereits in meinem „subjektiven Rückblick“ angerissen habe. Welcher 30jährige hat sich denn heutzutage das nötige Eigenkapital angespart, um einen Kredit für eine eigene Wohnung oder gar ein Haus zu bekommen? Wer hat in diesem Alter genügend verfügbares Einkommen, um die Tilgung und den Zinsdienst zu bedienen? Und generell – wer erfüllt in diesem Alter denn überhaupt die Bedingungen, die als Sicherheit für einen Hypothekenkredit verlangt werden? Die Überschüsse von Freiberuflern und Selbstständigen werden von den Banken für hohe Immobilienkredite nicht akzeptiert … zu unsicher. Zeitverträge ohne Garantie auf Übernahme machen sich auf dem Antragsbogen ebenfalls nicht sonderlich gut. SPIEGEL Online titelt „Wer nicht erbt, hat es schwer“ … das ist freilich Unsinn, da auch Eltern oder Großeltern, die sich allerbester Gesundheit erfreuen, die nötigen Garantien und Bürgschaften geben können. Aber im Kern läuft es beim Immobilienwunsch der jüngeren Generation genau darauf hinaus: Wer hat, dem wird gegeben. Wer keine Verwandte hat, die Garantien und Bürgschaften geben können oder wollen, der schaut in die Röhre.

Die Verbesserungsvorschläge der SPON-Experten (Verbesserung der Infrastruktur, Bodenwertsteuer, niedrigere Energie- und Umweltanforderungen) sind da bestenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ohne eine Rückabwicklung der neoliberalen Reformen auf dem Arbeitsmarkt und eine deutliche Verbesserung der Einkommen wird sich die Situation nicht verbessern, sondern weiter verschlechtern. Dies lässt sich recht einfach an einem Zahlenbeispiel aus dem SPON-Artikel verdeutlichen. Dort wird der Immobilienpreisanstieg von 30% innerhalb von sechs Jahren als außerordentliches Problem dargestellt. Das zeigt aber letztlich nur, dass die Journalisten offenbar vergessen haben, dass Einkommenssteigerungen keinen Ausnahmen, sondern die Regel sein sollten. Wären die Einkommen in diesen Jahren nämlich nominal um fünf Prozent pro Jahr gestiegen, was bei einer normalen Inflation von zwei Prozent einem nicht eben ungewöhnlichen Reallohnplus von drei Prozent entspräche, würden die „außerordentlichen“ Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt voll von den Einkommenssteigerungen ausgeglichen. Sicher – fünf Prozent pro Jahr sind schon recht viel, aber das „außerordentlichere“ Problem sind nicht die Immobilienpreise, sondern die stagnierenden Löhne. Aber diese Erklärung scheint beim SPIEGEL offenbar verpönt zu sein. Anstatt den Finger in die Wunde zu legen, stochert man lieber im Nebel.

Dabei ist wohl kaum ein anderes Thema für die Verteilungsfrage so wichtig wie die Frage des Immobilienbesitzes. Der stetige Abfluss von Mietzins aus den Kassen der Unter- und Mittelschicht in die Kassen der oberen Mittelschicht und der Oberschicht, denen ein Großteil der vermieteten Wohnimmobilien gehören, ist eine andauernde Umverteilung von unten nach oben. Je höher – in Relation – die Mieten, desto größer die Umverteilung. Daher sollte es auch oberste politische Priorität sein, den Erwerb von Wohneigentum zu fördern. Gerade auf diesem Feld passiert jedoch viel zu wenig. Die von der Politik immer wieder angebotenen Sonderabschreibungen sind für jüngere „Normalverdiener“ vollkommen uninteressant und nutzen vor allem einkommensstarken Familien, die jedoch nicht auf staatliche Hilfen angewiesen sind.

Ohnehin scheint sich die Politik zu weigern, über Zuschüsse eine aktive Raumplanung zu betreiben. So veröden im ländlichen Raum die Innenstädte mit ihrer ohnehin schon meist schlechten Bausubstanz, während vor den Stadttoren Neubaugebiete mit uniformen Fertighäusern von der Stange auf Mini-Grundstücken in seelenlosen modernen Trabantenstädten für die neue Mittelschicht aus dem Boden sprießen. Dies ist ein Paradebeispiel von verfehlter Raumplanung. Warum legt der Staat nicht einmal eine großzügige Sonderförderung für junge Familien auf, die Wohnraum in den ländlichen Städten und Dörfern erwerben, modernisieren und damit die brachliegenden Gemeinden aufwerten? Damit wären doch gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Aber nein. Wenn es um den Immobilienwunsch junger Familien geht, führt die Debatte offenbar immer mit Scheuklappen in die überteuerten und überbevölkerten Szeneviertel der Metropolen. Schade eigentlich.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!