Erneut Millionengeschenke an die Verleger – schämen sich SPD und Union eigentlich überhaupt nicht mehr?

Jens Berger
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Jens Berger

Ein Hauptgewinner der Großen Koalition steht schon fest. Still und heimlich haben sich SPD und Union darauf geeinigt, dass ausgerechnet für Zeitungsausträger der Arbeitgeberanteil an der Rentenversicherung von 15% auf 5% gekürzt wird. Wir erinnern uns: Vor vier Jahren war es die Übergangsbestimmung für den Mindestlohn, mit dem die Große Koalition die Verlegerfamilien im Koalitionsvertrag reich beschenkte. Wundern Sie sich ernsthaft, dass Sie darüber nichts in den Zeitungen lesen? Und wundern Sie sich, dass die Mehrheit der Zeitungen so erpicht darauf ist, dass die Große Koalition zustande kommt? Manches ist noch profaner als man denkt: Unsere lieben Qualitätszeitungen sind ganz einfach käuflich und wer ihnen reiche Geschenke macht, wird mit „guter Presse“ belohnt. Ein Skandal, der keiner sein darf, weil niemand darüber berichtet. Von Jens Berger.

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Mit zwei Ausnahmen gehören sämtliche Tageszeitungen mit einer Auflage von mehr als 200.000 Exemplaren Familien, die in der Manager-Magazin-Top-500-Liste der reichsten Deutschen vertreten sind. Und das kommt nicht von ungefähr. Allen Unkenrufen zum Trotz ist und bleibt die Verlagsbranche hoch rentabel. Der Axel Springer Verlag erwirtschaftet beispielsweise mehr als eine halbe Milliarde Euro Reingewinn im Jahr und schüttet Rekorddividenden aus. Auch Gruner + Jahr (59 Millionen Euro), Holtzbrinck (73,4 Millionen Euro), DuMont Schauberg (10,3 Millionen Euro), Madsack (67,7 Millionen), die Funke Mediengruppe (197 Millionen Euro) und die SWMH (88 Millionen Euro) sind operativ sehr erfolgreich. Wie viele andere Branchen erwirtschaftet die Verlagsbranche ihre Renditen jedoch auch auf dem Rücken von Niedriglöhnern. Neben den zum Teil sehr schlecht bezahlten Journalisten sind es hier vor allem die Zeitungszusteller, die unter prekären Arbeitsbedingungen leiden.

Die Übergangsbestimmung bei der Einführung des Mindestlohns hat den Zeitungsverlegern sage und schreibe eine dreiviertel Milliarde Euro eingebracht! Dies ist zumindest die Summe, die sich aus den Lobbypapieren der Verleger herauslesen lässt. Dort ist erwähnt, dass die Einführung des Mindestlohns für die Zeitungsbranche jährliche Mehrkosten in Höhne von 225 Millionen Euro bedeuten würde. SPD und Union gaben dem Wunsch der Verleger nach, führten per Gesetz (§24 MiLoG) eine Übergangsbestimmung für Zeitungsausträger ein und erst seit Neujahr 2018 bekommen auch die Niedriglöhner im Dienste der Verlegerfamilien den vollen Mindestlohn. Ein ungewöhnliches Geschenk der Politik an die mächtigste Branche im Lande, das kaum öffentlich debattiert wurde; wie denn auch, wahrscheinlich kannte kaum jemand diese Übergangsregelung, da die Zeitungen naturgemäß nur sehr spärlich darüber berichteten.

Und nun steht das zweite Großgeschenk für die Verlegerfamilien im Koalitionsvertrag. Wobei es wahrscheinlich paradoxerweise Hans-Ulrich Jörges vom Stern zu verdanken ist, dass die Zeitungsausträger selbst wohl ohne Schaden aus diesem Skandal herausgehen; den haben nun wahlweise die Steuerzahler oder die Beitragszahler der gesetzlichen Rentenkassen. So genau weiß dies das Arbeitsministerium der designierten SPD-Vorsitzenden noch nicht so richtig.

Aber der Reihe nach: Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, CDU und CSU enthält auf Seite 93 folgende Formulierung …

Zur Sicherung der bundesweiten Versorgung mit Presseerzeugnissen für alle Haushalte – in Stadt und Land gleichermaßen – wird bei Minijobs von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern der Beitrag zur Rentenversicherung, den die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu tragen haben, befristet für die Dauer von fünf Jahren bis zum 31. Dezember 2022, von 15 auf 5 Prozent abgesenkt.

Wahrscheinlich fragen auch Sie sich immer noch, warum Sie in den Zeitungen nichts von dieser skandalösen Ausnahmeregelung gelesen haben, die durch nichts begründet ist. Wie bereits eingangs erwähnt, arbeiten die Verlage auf operativer Ebene recht rentabel und dass sie zu spät auf die noch profitablere digitale Vermarktungsschiene gesetzt haben, ist wohl eher dem Management als den Zustellern vorzuwerfen, die bei Wind und Wetter zu nachtschlafender Zeit Tonnen von bedrucktem Papier durch die Städte und Dörfer tragen müssen. Denken Sie an diese Formulierung, die laut Jörges von der SPD stammen soll, wenn demnächst wieder ein SPD-Funktionär sich mit Krokodiltränen über Armutsrenten beschwert. SPD und Union sind – das beweist dieser Passus – sogar bereit, die Rentenansprüche für eine wahrlich nicht eben begüterte Berufsgruppe für ein paar gute Schlagzeilen zu verschachern. Das ist schäbig.

Und eben weil es so schäbig ist und auch die SPD-Mitglieder solche Schweinereien während der Abstimmungsphase für die GroKo-Zustimmung sicher nicht eben goutieren, löste der Vorabartikel des Stern-Journalisten Hans-Ulrich Jörges, der das kollektive Schweigegelübde der Branche letzte Woche brach, einen mittleren Schock aus. Zu allem „Unglück“ war Jörges auch noch in die ARD-Talkshow Sandra Maischberger eingeladen. Da briefte man offenbar schnell die ebenfalls eingeladene Monika Grütters, die in der Sendung versuchte zu retten, was noch zu retten ist (Video). Das CDU-Präsidiumsmitglied verkündete bei Maischberger, dass die Beitragslücken natürlich nicht bei den Zeitungsausträgern hängenblieben, sondern aus Steuergeldern gestopft werden. Im Koalitionsvertrag steht davon freilich nichts und im Arbeitsministerium weiß man davon auch nichts. Es kann daher auch genau so gut sein, dass die Lücken mit den Geldern der Rentenversicherung oder vielleicht doch gar nicht gestopft werden. Jörges war offensichtlich so überrascht, dass er zum eigentlichen Skandal gar nicht mehr nachhakte.

„Wir möchten damit natürlich den Arbeitgebern, nämlich den Medien, helfen, dass im Sinne der Demokratie die Zeitungen noch tatsächlich an die Leute kommen.“
– Monika Grütters bei Maischberger

Denn wer oder was hat die Große Koalition denn bitteschön beauftragt, den Zeitungsverlegern Steuerzuschüsse für deren anfallende Sozialabgaben zuzuschustern? Nichts anderes ist diese Regelung nämlich bei näherer Betrachtung. Der Steuerzahler übernimmt zwei Drittel der Rentenbeiträge für einen Teil der Beschäftigten der Verlage. Eine solche Subvention ist weder in der Sache, noch vom Prinzip her gerechtfertigt. Und Grütters unverschämte und inhaltlich hoch problematische Erklärung, man helfe der Demokratie damit, indem man den Verlegern Steuergelder zuschanzt, macht die Sache sogar noch schlimmer. Nein! Man hilft der Demokratie ganz sicher nicht, indem man die vierte Gewalt ganz profan besticht!

Dieser Vorgang geht weit über klassische Korruption hinaus. Wenn eine Regierung den großen Verlegerfamilien mit jedem Koalitionsvertrag Geschenke in dreistelliger Millionenhöhe macht, so ist dies ein Ausverkauf der Demokratie, der seinesgleichen sucht. Da kann man nur noch hoffen, dass die Gerichte diesem Treiben ein Ende setzen und vielleicht stehen die Chancen dafür gar nicht so schlecht, denn es ist kaum denkbar, dass die EU-Kommission eine derart dreiste Subvention einfach durchgehen lässt. Oder hat man in Brüssel auch schon Angst vor den deutschen Edelfedern, die sich ihr Recht auf Selbstbereicherung nicht nehmen lassen wollen?