„Sämtliche synthetischen Gifte in der Landwirtschaft gehören verboten“

Ein Artikel von Marcus Klöckner
Timm Koch

Rund 35.000 Tonnen Pestizide gelangen pro Jahr in Deutschland auf die Äcker. Viele Insektizide sind langwirkend und töten Insekten auch noch nach Montaten oder gar Jahren. Darauf verweist Timm Koch im Interview mit den NachDenkSeiten. Koch, der sich als Imker intensiv mit Bienen auseinandersetzt, führt im Interview aus, wie wichtig diese Insekten für Mensch und Natur sind und erzählt von einem Treffen bei Bayer Crop Science in Monheim am Rhein. Für den Philosophen und Autor war die Begegnung mit Mitarbeitern des Chemiekonzerns eine „Reise nach Absurdistan“. Der Politik wirft Koch vor, von den „Agrarkartellen gnadenlos gekapert“ worden zu sein. Das Interview führte Marcus Klöckner.

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Herr Koch, der Titel Ihres Buches heißt „Herr Bien und seine Feinde“. Was meinen Sie mit „Herr Bien“?

Die Idee, das Bienenvolk mitsamt seinen Waben als Einwesen, also eine Art Superorganismus, zu betrachten, der mit Schwarmintelligenz agiert und sogar in der Lage ist, seine „Körpertemperatur“ zu regeln, ist nicht neu. Bereits im Jahre 1869 veröffentlichte der Imker und Tischler Johannes Mehring ein Buch zu dem Thema. Titel: Das neue Einwesensystem als Grundlage zur Bienenzucht. Dieses Einwesen nennt man seither den Bien. Den Zusatz Herr wählte ich, weil der Bien sicherlich in herrschender Position auf unserem Planeten agiert. Gemeinsam mit den anderen Bestäuberinsekten bietet der Bien eine „Serviceleistung“ an, auf die sich im Laufe der Jahrmillionen etwa zwei Drittel aller unserer Pflanzenarten eingelassen haben. Bei Insektenbestäubung wird, im Gegensatz zur Windbestäubung, wenig dem Zufall überlassen. Je besser die Bestäubungsleistung, desto mehr Pflanzenarten lassen sich darauf ein und desto mehr hat unter anderem unser Herr Bien am Ende zu fressen. Bestäuberinsekten wie die Bienen prägen in beispielloser Weise das Leben auf der Erde.

Sie haben eine Vorliebe für „fleißige, sanftmütige Sexmuffel“. So steht es zumindest in Ihrem Buch. Was um Himmels willen meinen Sie damit?

Wer den Bien als Einwesen betrachtet, der kommt nicht umhin, charakterliche Unterschiede zu erkennen. Ich habe da so einen Kandidaten auf meinem Bienenstand, der sofort lossticht, wenn ich den Deckel zu seiner Behausung öffne. Gleichzeitig ist die Honigleistung des Kerls mehr als dürftig und er ist schwarmfreudig, verwendet also viel Energie auf das Anlegen von Königinnenzellen. Mit anderen Worten: Da ist ein fauler, aggressiver Sexprotz am Werke, mit dem sich schwer imkern läßt. Auf den war ich letzte Saison nicht besonders gut zu sprechen. Bis ich entdeckte, dass ausgerechnet dieser Bien mit der tödlichen Varroamilbe viel besser klarkam als seine Kollegen. Nach der Ameisensäurebehandlung fanden sich bei ihm weniger als zehn tote Milben auf dem Kontrollbrett. Beim Nachbarn, der fast nie stach, wenig Schwarmtendenzen zeigte und ordentlich Honig einlagerte, beim „fleißigen, sanftmütigen Sexmuffel“ also, waren hunderte der Milben gefallen.

Damit sind wir also bereits mittendrin in Ihrem Thema: Bienen. Sagen Sie unseren Leser bitte: Warum überhaupt ein Buch über Bienen?

Bienen sind faszinierende Lebewesen. Wer sich mit ihnen beschäftigt, lernt eine Menge über die Natur und damit bestenfalls auch über sich selbst.

Es gibt sicherlich einige Menschen, die mit Bienen nicht sonderlich klarkommen. Immerhin stechen Bienen und sie können auch ziemlich nervig sein. Von daher lässt sich die Aussage: „Ich mag Honig, aber ich mag keine Bienen“ sicherlich nachvollziehen, oder?

Hier möchte ich anmerken, dass viele Menschen den Unterschied zwischen Bienen und Wespen nicht wirklich kennen. Ich habe schon oft erlebt, dass das aggressive Raubinsekt Wespe als Biene bezeichnet wurde. Die Wespe ist als Hautflügler ein enger Verwandter der Biene. Abgesehen davon, dass beispielsweise die Feige in ihrer komplizierten Fruchtbildung komplett auf Wespen zur Bestäubung angewiesen ist, können Wespen wirklich manchmal ganz schön nervig sein. Bienen hingegen stechen im Wesentlichen eigentlich nur, wenn es gilt, ihren Stock, also ihr Zuhause mit den darin eingelagerten Honigvorräten, zu verteidigen. Bei Leuten, die zwar Honig, aber keine Bienen mögen, hat man es demnach in der Regel mit Ignoranten zu tun, die auch noch völlig die Bestäubungsleistung der Bienen ausblenden.

Was also ist es, warum wir Menschen die Bienen vielleicht in einem anderen Licht betrachten sollten?

Bienen und andere Insekten bestäuben nicht nur zwei Drittel aller auf der Erde vorkommenden Pflanzenarten. Diese Zahl lässt sich auch problemlos auf die Pflanzen anwenden, die dem Menschen als Nahrung dienen. Von diesen circa hundert Arten werden rund siebzig von Bienen bestäubt. Wir leben mit der Biene also in einer engen Symbiose, die weit über das Thema Honig hinausgeht. Geht es den Bienen schlecht, hat das gravierende Folgen für die Natur im Allgemeinen und ganz speziell auch für den Menschen, der ja Teil der Natur ist.

Nun sagen Sie, der „Herr Bien“ hat Feinde. Wer sind sie?

Wenn ich von den Feinden des Biens rede, meine ich nicht seine Fressfeinde, wie etwa den Bären, den Bienenfresser oder die Hornisse. Gemeint sind vielmehr nach schnellem Profit gierende Menschen, welche die Landwirtschaft vornehmlich als Geldquelle betrachten und dabei ihren eigentlichen Zweck aus den Augen verlieren: verlässlich ausreichend Nahrung für Mensch und Vieh zu produzieren. Aus dieser fehlgeleiteten Motivation heraus werden riesige Monokulturen angelegt, die nur unter hohem Einsatz von allerhand Pestiziden lebensfähig sind. Diese Pflanzen müssen dann zu einem gewaltigen Anteil als Futter für die Massentierhaltung dienen oder verschwinden in absolut nicht nachhaltigen Biokraftwerken, wo sie in elektrischen Strom verwandelt werden. Bei Letzterem möchte ich besonders auf die unrühmliche Rolle der Grünen verweisen, die diesen Wahnsinn auch noch als ökologisch bezeichnen. Die moderne Landwirtschaft gilt heutzutage als weltweit eine der größten Bedrohungen unserer Artenvielfalt. Insekten wie die Bienen sind besonders betroffen.

Was hat es mit dem Vorgehen von Konzernen wie Monsanto und Bayer auf sich?

Die Hauptakteure des landwirtschaftlichen Ökozids sind in einem klassischen Dilemma gefangen. Einerseits ist der Gifttod ihr Geschäftsmodell. Andererseits werden bei dieser zwar sehr effektiven, aber wahllosen Art des Tötens leider auch Organismen erledigt, die für den landwirtschaftlichen Erfolg unabdingbar sind. Dies wiederum bedroht ihren Profit. Gesucht werden also momentan Lösungen, bei denen sämtliche Insekten sterben dürfen, nur die Bienen nicht. Meine tiefe Überzeugung ist: Sämtliche synthetischen Gifte in der Landwirtschaft gehören verboten. Tausende Biobauern machen vor, dass dies ohne Probleme bewerkstelligt werden kann. Als ersten Schritt dahin ließe sich darüber nachdenken, die „Bio“-Siegel abzuschaffen. Mit diesem Instrument werden Verbraucher, die ungiftig produzierte Lebensmittel kaufen, regelrecht bestraft. Vielmehr sollte denjenigen eine Kennzeichnungspflicht auferlegt werden, die mit Gift und Grausamkeit zum Schaden Aller agieren. Auch Schockbilder wären denkbar. Ich denke, viele würden etwa die Würstchenpackung im Kühlregal liegenlassen, wenn darauf abgebissene Ferkelschwänzchen zu sehen wären.

Die Recherchen zu Ihrem Buch haben Sie auch direkt zu Bayer geführt. Wie verlief die Begegnung?

Der Besuch bei Bayer Crop Science, jener schwergesicherten „Bayer-Festung“ in Monheim am Rhein, war ein Ausflug nach Absurdistan. Im Schatten der qualmenden Schlote der Giftfabriken parkte ich meinen Wagen an einer vom Bayer-Konzern angelegten Wildblumenwiese, die ein etwas überdimensioniertes Wildbienenhotel schmückte. Ich habe im Übrigen an diesem Konstrukt keine Wildbienen entdecken können, was wohl mit seiner schlecht durchdachten Herstellungsart zusammenhing. Die Message indes war ganz klar: Bayer ist sich des Problems Bienensterben bewusst und liefert seinen Besuchern eine tolle Show, damit sie nicht mehr so viel an die qualmenden Giftschlote denken.

Was war Ihr Erkenntnisgewinn aus dem Treffen mit den beiden Vertretern von Bayer?

Mein persönlicher Eindruck war folgender: Die von Bayer ins Leben gerufene Sparte Bayer Bee Care mit ihren rund zwanzig Mitarbeitern unter der Leitung von Dr. Christian Maus ist eine reine Propagandaveranstaltung mit dem zynischen Ziel, die wahre Natur einer auf Vergiftung basierenden Agrarwirtschaft vor der Öffentlichkeit zu verschleiern. Zudem wird hier die Katastrophe Insektensterben auf das Bienensterben verkürzt. Den Bienen geht es gar nicht so schlecht. Sie haben ja ihre menschlichen Kümmerer, die Imker. Der wahre Skandal ist vielmehr, dass wir bis zu achtzig Prozent unserer heimischen Insektenfauna durch die Machenschaften der Konzerne und ihrer willigen Vollstrecker unter den Bauern verloren haben.

Können Sie unseren Lesern anhand von Zahlen verdeutlichen, womit wir es zu tun haben, wenn wir über den „Giftkrieg gegen die Insekten“ reden?

Im Jahr gelangen in Deutschland rund 35.000 Tonnen Pestizide auf unsere Äcker. Diese Zahl bezieht sich wohlgemerkt nur auf die Wirkstoffe, die vor dem Ausbringen ja noch mit Wasser verdünnt werden. So reichen beispielsweise bereits 50 Gramm des bienengefährlichen Bayer-Insektizids Deltamethrin aus, um auf einem Hektar Land sämtliches Insektenleben auszulöschen. Das Problem bei den synthetischen Giftstoffen ist ihre Stabilität. Während etwa natürliches Pyrethrum, was ohne Frage ein sehr gefährliches Gift ist, bereits nach zwei bis drei Tagen unter UV-Einstrahlung zerfällt, sind seine Verwandten aus dem Labor äußerst stabil und töten noch Monate oder gar Jahre nach ihrer Ausbringung weiter. Von den 766 in Deutschland zugelassenen Mitteln gefährden 533 bekanntermaßen die Gesundheit und 570 die Gewässer. 22 zugelassene Pestizide sind offiziell als „vermutlich krebserregend“ eingestuft.

Welche Rolle spielt die Politik bei alldem?

Die Politik wurde von den Agrarkartellen gnadenlos gekapert. Unvergessen ist natürlich der Einsatz von CSU-Mann und Noch-Agrarminister Christian Schmidt für den Wildkrautvernichter Glyphosat. Aber auch Angela Merkel gibt sich offen als Fan für dieses Mittel aus, von dem uns Glauben gemacht werden soll, es sei bereits „too big to fail“. Meine Enttäuschung über die GRÜNEN ist besonders groß. Sie lassen sich von ökologisch orientierten Menschen wählen. Sobald sie an der Macht sind, sorgen sie eher für eine Verschlimmerung der Lage als für eine Verbesserung. Bei SPD und Linken sehe ich auch keine überzeugenden Konzepte für eine insektenfreundliche Neuausrichtung unserer Landwirtschaft, obwohl dort sicherlich eine Menge Arbeitsplätze entstehen könnten. Wer am Ende denkt, die neuen Nazis aus der AfD hätten gute Ideen zu dem Thema, wird diese wohl vergeblich suchen.

Lesetipp: Koch, Timm: Herr Bien und seine Feinde – Vom Leben und Sterben der Bienen. Westend Verlag. Frankfurt, März 2018

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