„Gute“ Verschwörungstheorien, „schlechte“ Verschwörungstheorien

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Verschwörungstheorien sind in den Medien nicht gerne gesehen. Doch es gibt Ausnahmen: Wenn die mutmaßlichen Verschwörer zu denjenigen gehören, die in der Berichterstattung der etablierten Medien die Funktion eines Feindbildes erfüllen, dann ist keine Verschwörungstheorie zu absurd, und man hält sich bisweilen sogar selbst das ‚konspirative Stöckchen‘ hin, über das man dann mit großer Bereitschaft springt. So geschehen am Mittwochabend in der Polit-Talkshow „Maischberger“. Ein Beitrag von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Begriff Verschwörungstheorie ist ein Kampfbegriff erster Klasse. Wenn es um die Deutung und Interpretation der Wirklichkeit geht, setzen Medien ihn besonders gerne ein, um Ansichten abzuwerten und zu stigmatisieren, die den eigenen Interpretationen zu einem bestimmten Ereignis entgegenstehen. Auf Verschwörungstheorien reagieren insbesondere hochrangige Medienvertreter in schöner Regelmäßigkeit mit Empörung und reichlich Verachtung. So weit, so bekannt.

Doch seit geraumer Zeit kann beobachtet werden: Wenn man über unliebsame Regierungen, Gruppen oder Personen „berichtet“, sind viele Medien schnell mit eigenen Verschwörungstheorien zur Hand. Dass bei den gegenwärtigen Spannungen mit Russland und der wenig um Objektivität bemühten Berichterstattung auch das „Reich des Bösen“ in das Zentrum von Verschwörungstheorien gerät, liegt nahe.

Womit wir bei der Sendung „Maischberger“ wären. Dort diskutierten am Mittwochabend zu der Frage „Trump oder Putin: Vor wem müssen wir mehr Angst haben?“ unter anderem der EU-Abgeordnete Elmar Brok, die ehemalige ARD-Russland-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz und Udo Lielischkies, ARD-Studioleiter Moskau. Natürlich kam auch der Fall Sergej Skripal zur Sprache, also jener ehemalige russische Spion, der nach Großbritannien übergelaufen ist und vor kurzem den Behörden zufolge bei einem Anschlag vergiftet wurde.
Folgender Dialog (ab Minute 25:02) war dazu dann bei Maischberger zu hören

Sahra Wagenknecht: „… es erschließt sich mir nicht, wo das Interesse sein soll. Also es ist widersprüchlich. Warum sollte Putin eine Woche vor seiner Wahl [Udo Lielischkies sagt dazwischen: „Das kann ich Ihnen sagen“], im Jahr der Fußballweltmeisterschaft, wo er nun wirklich überhaupt kein Interesse hat, jetzt einen solchen Mord befehlen… Der Mann hat seit Jahren in Großbritannien gelebt… also wenn man das hätte machen wollen, hätte man das zigmal machen können.“

Sandra Maischberger: „Sie wollten das Motiv erklären.“

Udo Lielischkies: Ja, ich kann es Ihnen sagen. Ella Pamfilowa, die Leiterin der zentralen Wahlkommission, hat sich ausdrücklich ironisch bedankt bei den Briten für diese Wahlkampfhilfe. Diese Zuspitzung des Konflikts hat Putin absolut eine höhere Wahlbeteiligung gebracht – sagen fast alle Kommentatoren im russischen Fernsehen. Es ist völlig klar, weil es genau sein Narrativ, das ist seine Story… . Er braucht den Konflikt mit dem Westen, weil er der tapfere Präsident ist, der sich dem aggressiven Westen entgegenstellt. Das ist seine Hauptstory. Damit punktet er. Damit ist er so populär.

Die Verschwörungstheorie, die hier durchschimmert, lautet wie folgt: Russland oder genauer Putin – bekanntlich ist es für Verschwörungstheorien sehr hilfreich, wenn man eine mutmaßliche Verschwörung auf eine Person konzentrieren kann, Stichwort: Sündenbock – benötigt einen äußeren Feind. So kann sich Putin als der starke Mann inszenieren, der sein Land schützt. Und genau aus diesem Grund hat Putin – ungeachtet einer vorhersehbaren weiteren Eskalation mit dem Westen – den Mord an Skripal in Auftrag gegeben, um so seine Wiederwahl zu sichern bzw. ihm zu einem besonders hohen Wahlergebnis zu verhelfen. Man muss schon einigermaßen tief in die Welt der Verschwörungstheorien hinabtauchen, um auf einen ähnlich konstruierten Verschwörungsverdacht zu stoßen.

Es ist schon einigermaßen erstaunlich, wie hier in einem „Qualitätsmedium“ von einem „Qualitätsjournalisten“ diese Verschwörungstheorie aus dem Hut gezaubert wird. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, dass das, was Lielischkies sagt, nicht denkbar wäre. Denkbar ist bekanntlich vieles. Es geht auch nicht darum, dass der ARD-Mann sich einer Verschwörungstheorie bedient, schließlich: Den Gedanken über eine Konspiration, die es vielleicht gibt oder nicht gibt, zu äußern, ist nicht grundsätzlich verwerflich. Nur: Die Tage erst hatte der Journalist auf Twitter noch einen Tweet zu einem Telepolis-Artikel abgesetzt, der sich mit dem Verhalten von ARD-Aktuell im Zusammenhang mit den Maidan-Morden auseinandersetzt (ARD im Tiefschlaf: Das seltsame Desinteresse an einer Aufklärung der Maidan-Morde). Auf den Vorwurf einer mangelhaften Berichterstattung regierte Lielischkies mit den Worten:

Wenn es also darum geht, Hinweisen nachzugehen, die darauf deuten, dass die Morde auf dem Maidan von anderen Kräften verübt wurden, als es in den Medien vermutet wird (Janukowitsch oder gar Putin), spricht der ARD-Mann von „konspirativen Stöckchen“. Wenn es darum geht, eine Erklärung auf die Frage zu finden, warum Russland den Anschlag auf Skripal verübt haben soll, wird der Verschwörungsverdacht ausgepackt.

Der Bremer Soziologe Michael Walter hat darauf verwiesen, dass sich der „paranoide Stil“ der im vergangenen Jahrhundert die USA im Zusammenhang mit Russland geprägt hat, gerade wieder seinen Weg bahnt. Dieses Mal aber auch in Deutschland. Walter verweist auf „Verschwörungsimaginationen“ der westlichen Staaten und spricht davon, dass „omnipräsente russische konspirative Umtriebe am Werk“ gesehen würden.

„Kaum ein politisches Großereignis der letzten Zeit“ schreibt Walter, „das nicht in irgendeiner Weise als von den russischen Konspiratoren beeinflusst gesehen wird.“ „Beispiele“, so Walter weiter, „gibt es zuhauf. So warnten zahlreiche Medienbeiträge nach dem britischen ‘Brexit‘-Votum davor – meist garniert mit einem Bild des diabolisch dreinblickenden Putin -, dass Russland nun den ‚Zerfall Europas erhoffe und aktiv vorantreibe.‘“

So kann man das sehen.

Ginge es nur um die eine Aussage Lielischkies – man müsste darauf nicht näher eingehen. Doch es geht um mehr. Es geht um zweierlei Maß führender Medien in der Berichterstattung. Längst nicht nur beim Thema Russland. Die Verteufelung von Verschwörungstheorien einerseits und das Vertreten von Verschwörungstheorien andererseits sind ein weiterer Hinweis für das tieferliegende Problem. In der Berichterstattung der Medien ist gerade dort, wo ein möglichst objektiver Journalismus zu erwarten ist, zu beobachten: Wahlweise wird verteufelt oder für gut befunden, was den persönlichen Überzeugungen entspricht. Das ist nicht Journalismus, sondern Politik.

Angemerkt sei noch: Oft geben die Twitter-Accounts von Journalisten einen Einblick in ihre (politischen) Überzeugungen. Die Tage hat Lielischkies folgenden Tweet des ehemaligen US-Präsidentschaftskandidaten John McCain kommentiert:

„An American president does not lead the Free World by congratulating dictators on winning sham elections. And by doing so with Vladimir Putin, President Trump insulted every Russian citizen who was denied the right to vote in a free and fair election.“

Lielischkies meint: „Der alte McCain (Republikaner!) gewinnt immer mehr meinen Respekt.“

Man liest die Aussage und fragt sich: Ist diese Haltung, die hinter dem Tweet zum Vorschein kommt, einer (Russland-) Berichterstattung, die um Objektivität bemüht sein sollte, eher ab- oder zuträglich?

Der Chefredakteur von ARD-Aktuell, Kai Gniffke, sagte im vergangenen Jahr in seiner Vorlesung in Hamburg: „Denn die neutrale und objektive Berichterstattung der Tagesschau könnte angesichts politisch unruhiger Zeiten wichtiger sein denn je.“ Worte, die trotz ihres Wahrheitsgehalts irgendwie seltsam hohl klingen.