Was macht die Linke falsch? – Eine Rezension

Udo Brandes
Ein Artikel von Udo Brandes

Im Westend-Verlag ist ein neues Buch erschienen, das die Frage untersucht, warum seit Jahren rechte politische Positionen immer mehr Zulauf bekommen und für linke Alternativen keine Mehrheiten zustande kommen. Autor ist der Journalist Roberto J. De Lapuente, der unter anderem für das Neue Deutschland schreibt. Sein Buch hat den Titel „Rechts gewinnt, weil Links versagt. Schlammschlachten, Selbstzerfleischung und rechte Propaganda“. Udo Brandes hat es für die NachDenkSeiten gelesen.

De Lapuentes Standpunkt lautet zusammengefasst etwa so: Das Image linker Politik wird massiv überschattet von linken Sektierern, die fundamentalistisch in Schwarz-/Weiß-Kategorien denken, eine reine Lehre predigen und sich meilenweit von den realen Problemen der großen Mehrheit entfernt haben. Diese Sektierer sind nicht zufrieden mit konkreten, einzelnen Verbesserungen, die Schritt für Schritt „das System“ evolutionär verbessern, sondern vertreten die Position des „Alles oder nichts“. Entweder man beseitigt das kapitalistische System komplett und schafft ein neues, gerechtes System oder man begeht Verrat an der guten Sache, weil man korrupt ist und sich auf Kompromisse mit den Repräsentanten des Systems einlässt. Treffend schildert er diese Haltung als eine Form narzisstischen Hochmutes und als eine Strategie zum Zwecke sozialer Abgrenzung und moralischer Selbsterhöhung:

„Die sinnliche Wahrnehmung ist es jedenfalls nicht, die in diesem Lager von narzisstischer Bedeutung ist (De Lapuente bezieht sich hier auf das Tragen von Markenkleidung oder das Schminken; UB). Womit man sich in die Selbstbewunderung stürzt, ist ein idealistischer Ansatz: Man will ein guter, weil ein gescheiter Mensch sein. Die Moral ist hier nicht nur Steckenpferd, es ist exklusive Gesellschaft. Über Moral grenzt man sich zu anderen ab und schönt das eigene Dasein. Moralische Hässlichkeit den anderen, dem System, den unbedarften Bürgerinnen und Bürgern zu unterstellen – ob berechtigt oder nicht, ob aus Anlass oder unvermittelt –, damit erhebt man sich tagtäglich in den Rang eines moralisch einwandfreien Menschen“ (S. 86).

Darüber hinaus seien viele Linke stark postmaterialistisch und idealistisch orientiert und viel zu wenig an harten, materialistischen Verteilungsfragen interessiert.

„Linker Protest gegen Rassismus, Homophobie oder rechte Alternativen sind ja ganz ohne Frage und Zweifel gut und mit völliger Sicherheit notwendig. Man muss den Anfängen wehren. Einerseits. Es ist andererseits jedoch zu wenig, wenn linker Geist sich in Gegendemonstrationen erschöpft. Die Krise der Linken, so scheint es zuweilen, ist ihr Idealismus. (…) Und das ist meines Erachtens tatsächlich das große Dilemma, in das sich die Linke – nicht unbedingt die Linkspartei, die meine ich an dieser Stelle eher nicht – begeben hat. Sie führt sich als Ideal auf. Nicht als handfeste Alternative im Verteilungskampf“ (S. 40).

Die Ursache sieht De Lapuente darin, dass viele Linke gutbürgerliche Wohlstandskinder seien:

„Die Geschichte der westdeutschen Linken, so könnte man auch sagen, ist eine Geschichte von Wohlstandsproblemen. Was die Kritiker des neuen linken Geistes innerhalb des kapitalistischen Sektors der Welt (…) schon in Zeiten ihrer Entstehung als Vorwurf vorbrachten, nämlich dass es sich um ein Schaulaufen wohlsituierter junger Männer und Frauen handelte, stimmte zum Teil durchaus“ (S. 38).

Was ist De Lapuentes Empfehlung für die Linke? Wie könnte die Linke seiner Meinung nach wieder mehr Einfluss in der Gesellschaft bekommen? Zusammengefasst lautet sein Standpunkt so: Werdet bodenständiger, pragmatischer und vor allem: materialistischer. Orientiert euch an konkreten Verbesserungen für die Bevölkerung, insbesondere für die unteren Einkommensschichten, die besonders unter den Verhältnissen zu leiden haben, wie zum Beispiel die Leiharbeiter und Niedriglöhner. Sorgt für bezahlbare Wohnungen, eine sichere Rente usw. In De Lapuentes Worten:

„Was allerdings heute nötig wäre: ein sozialdemokratisches Konzept des Reformismus. Sozialdemokratisch im besten Sinne des Wortes. Sozialdemokratisch meint hier nicht die neoliberalen Leute um den gerade aktuellen SPD-Obmann, sondern die alte Idee dieses Lösungsansatzes. Die bewirkt tatsächlich keine Wunder und stößt an Grenzen. Aber welche Wahl hat die Linke denn sonst in einem Zeitalter, in dem die Menschen offensichtlich keinen Sinn für revolutionäre Umstürze haben?“ (S. 194).

Vollkommen zu Recht betont De Lapuente mehrfach, dass eine starke Linke nur entstehen und etwas verändern kann, wenn sie realpolitisch und machtpolitisch denkt. Dies habe einen Preis, der gezahlt werden müsse:

„Realpolitik bedeutet, nicht immer im Einklang mit seinen Wertvorstellungen leben zu können“ (S. 182).

Ein richtiger Gedanke, den ich für ausgesprochen wichtig halte. De Lapuente zitiert in diesem Zusammenhang auch aus Willy Brandts Rede anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn. In der Rede sagte Brandt:

„Wer sich im Besitze der ganzen Wahrheit glaubt, wer das Paradies nach seinen Vorstellungen heute und hier haben will, der zerstört nur zu leicht den Boden, auf dem eine menschenwürdige Ordnung wachsen kann. Auch in der Tradition der europäischen Demokratie lebt neben einem humanitären ein doktrinärer Zug, der zur Tyrannis führt; Befreiung wird dann zur Knechtschaft“ (S. 178).

Ein sehr schönes Zitat, das bis heute hochaktuell ist, ist doch der moralische Rigorismus unter Linken und vermeintlich Fortschrittlichen sehr verbreitet und kann einem Angst und Bange machen. Vor allem wenn man sieht, wie schnell grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien mal so eben über den Haufen geworfen werden. Ein Beispiel dafür ist die metoo-Berichterstattung der Zeit, die eine Fülle von Behauptungen und Anschuldigungen gegen den Filmregisseur Dieter Wedel zu Ereignissen, die Jahrzehnte zurückliegen und nicht beweisbar sind, als Dokumentation von Fakten und Tatsachen darstellt.

De Lapuente bringt es auf den Punkt, wenn er über Willy Brandts Linkssein schreibt:

„Dem naiven Humanismus erteilt Brandt in dieser Rede mehrfach eine Abfuhr. Man spürt noch heute, wenn man den Redetext liest, dass er auf einem realpolitischen Boden stand, politische Verantwortung trug und über die Jahre zu der Anschauung gereift war, dass Dogmatismus und sittenreiner Moralismus keine Grundlagen zur Veränderung sind, sondern deren Gegenteil“ (S. 178).

Sein Resümee:

„Mit einem Rückzug in die Unantastbarkeit der Theorie, mit moralischer Bevormundung und perspektivischer Vermessenheit, die Menschen an die eigene Systemvorstellung anpassen will und nicht andersherum, schärft man jedenfalls keine Kontur für ein linkes Alternativangebot. (…) Man muss die Welt annehmen, wie sie ist und dann peu à peu verändern. Wir leben nicht mehr in Zeiten, da die Menschen nur Ketten zu verlieren haben“ (S. 214).

Mit diesem Resümee und dem sachlichen Kern des Buches stimme ich überein, wenn ich auch inhaltlich an manchen Stellen anderer Meinung bin und die Einschätzungen De Lapuentes nicht teile.

Trotzdem kann ich das Buch von De Lapuente nicht empfehlen. Es enthält zwar wie gesagt im sachlichen Kern einige interessante Gedanken und vernünftige Vorschläge. Leider hat der Autor das Buch jedoch in einer Sprache geschrieben, die man nicht anders als mit dem Wort „Zumutung“ bezeichnen kann. Seine Sprache ist eine Mischung aus schnoddriger, bemüht origineller Umgangssprache und bemüht angestrengter Intellektuellensprache. Dabei drückt er sich oft unklar aus und schreibt geschwätzig. Mir ging es bei der Lektüre oft so, dass ich drei Seiten gelesen hatte und mich fragte: Was hat er eigentlich gesagt oder will er jetzt sagen? Streckenweise ist sein Buch ein Sammelsurium von assoziativen Gedanken vom Hundertsten zum Tausendsten. So kommt er beispielsweise von Jutta Ditfurths Kreuzzug gegen den Rechten Jürgen Elsässer zur Frauenbewegung und von dort zu der Fragestellung, ob das Private politisch sei. Was aber wirklich unangenehm auffällt und in einem politischen Buch nun wirklich nichts zu suchen hat, sind seine sexualisierten Sprachbilder, für die De Lapuente offenbar eine Vorliebe hat. In dem genannten Zusammenhang schreibt er zum Beispiel folgenden Satz:

„Wenn ich dem trunkenen Gatten seine Grobheiten unterwürfig mit Fellatio vergelte, darf ich mich als Frau nun wirklich nicht wundern, als politisches Subjekt nicht wahr- oder ernst genommen zu werden“ (S. 137).

An anderer Stelle schreibt er:

„Die Gesellschaft ist auch nicht deswegen fairer und demokratischer geworden, weil wir heute alle ohne schlechtes Gewissen wichsen können“ (S. 188).

Eine Seite weiter heißt es:

„Nur weil gefickt wird, ist die Demokratie kein Selbstläufer“ (S. 189).

Offenbar fehlt es De Lapuente an dem Gefühl, was in einem solchen politischen Buch sprachlich angemessen ist und was nicht. Es ist mir ein Rätsel, wie dieser Text das Lektorat ungeschoren passieren konnte. Ich kann das Buch deshalb beim besten Willen nicht empfehlen. Aber das ist mein subjektives Urteil. Deshalb hier auch noch einmal das ausführliche Inhaltsverzeichnis, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann, ob er die 18 Euro, die das Buch kostet, investieren will.

Inhalt

  • Vorwort
  • Einleitung: Alerta, alerta Antifa!
  • Kein Gespenst geht um
    Der Jürgen oder Warum er trotzdem Merkel wählte
    DSDWWL: Deutschland sucht den wirklich wahrsten Linken
    Der Postmaterialismus, das Fressen und die Moral
    Der dritte Weg: ABM für die Linke
    Weiter so?
  • Fundis: Besonders linke Linke
    Der zeitlose Klassiker für jede Demo: Die Antifas
    Deutschland, Deutschland unter alles: Die Antideutschen
    Was fürs Herz: Fantifas und Kolleginnen
    Die anonymen Aphoristiker: In der K-Gruppentherapie.
    Geh doch wieder nach drüben!
  • Mit Narzissmus gegen Nazismus
    Die Moralkeule von der Geschicht’
    Der wahre Wert: Ein Warenwert
    Mal die Luft anhalten: Ein adoleszentes Trotzverhalten
    Mikrokosmische Selbstisolation
    Keine Meinung haben ist keine Meinung
  • Linker Generationenvertrag: Altersstarrsinn sucht jugendlichen Leichtsinn
    Die Alternativlose: Jutta Ditfurth und ihr avantgardistisches Geschäftsmodell
    Gar kein Materialismus ist auch keine Lösung
    Das Nichtige wichtig, das Wichtige nichtig
    Alles entpolitisiert
    Die verlorene Deutungshoheit oder Geriatischer Radikalismus
  • Die Linke schafft (sich) ab
    Kapitalismus abschaffen?
    Hartz IV abschaffen?
    NATO und EU abschaffen?
    Den schlechten Menschen abschaffen?
    Eine Brandtrede: Über naiven Humanismus
  • Und schon wieder Marx
    Zeiten ändern dich: Alter Hut Neue Linke
    …ging im Evoluzzerschritt mit den Revoluzzern mit…
    Realos light oder Hunde, wollt ihr ewig opponieren?
    Kreativer Sozialismus: Der Rheinische Kapitalismus wäre doch ein guter Ansatz
    Frugaler, unaufgeregter, entspannter: Attraktiv für Jürgen werden
  • Weil links und rechts eben doch keine überkommenen Kategorien sind
  • Nachwort
  • Anmerkungen

Roberto J. De Lapuente: Rechts gewinnt, weil Links versagt, Schlammschlachten, Selbstzerfleischung und rechte Propaganda, Westend Verlag, 222 Seiten, 18,00 Euro.