„Wir führen hier mit äußerster Härte Phantomdebatten“

Jens Berger
Ein Artikel von:
Fabio De Masi

Der Versuch, Risse zu kitten und Gräben zu überbrücken, scheiterte leider. Vor einigen Tagen versuchte eine zwanzigköpfige Gruppe rund um die Linken-Politikerinnen und -Politiker Fabio De Masi, Jutta Krellmann, Michael Leutert, Ralf Krämer und Sabine Zimmermann den fortwährenden Streit innerhalb der Linkspartei über die richtige Einwanderungspolitik mit einem unaufgeregten Thesenpapier zu entschärfen. Doch anstatt sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen, wurde das Papier von Teilen der Linken mit äußerster Härte und nicht immer auf dem Boden von Fakten attackiert. Dabei gerieten die inhaltlichen Aspekte leider in den Hintergrund. Jens Berger sprach für die NachDenkSeiten mit dem Linken-Politiker Fabio De Masi, der als Co-Autor am Thesenpapier beteiligt ist.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr De Masi, Sie haben gemeinsam mit Mitgliedern Ihrer Partei ein Thesenpapier zu einer humanen und sozial regulierten Einwanderungspolitik vorgelegt. Die taz schrieb, ihr Papier könnte eine Brücke zwischen unversöhnlichen Positionen in der Linken schlagen. Unser NachDenkSeiten-Autor Tobias Riegel meint, es ginge nicht um eine Brücke, sondern um eine überfällige Klärung im Machtkampf zwischen Katja Kipping und Sahra Wagenknecht. Wer hat Recht?

In diesem Fall die taz. Uns geht es um eine Unterscheidung zwischen offenen Grenzen für Menschen in Not sowie der Wiederherstellung des Asylrechtes – beides befürworten wir – und dem Anspruch offener Grenzen für alle. Letzteres ist eine Zukunftsvision.

Also kein Machtkampf?

Machtkämpfe kennen häufig Gesichtsverlust und Verlierer. Wir wollen, dass Die Linke in Zeiten der GroKo und der AfD gewinnt. Wir brauchen eine inhaltliche Debatte, die nicht über persönliche Angriffe in den Medien geführt wird. Im Übrigen haben das Papier nicht nur Mitglieder unterzeichnet, die wie ich Sahra Wagenknecht nahestehen. Darunter befinden sich Mitstreiter unseres ehemaligen Bundesgeschäftsführers Matthias Höhn ebenso wie Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Die Initiative für dieses Papier ging von Parteimitgliedern aus unterschiedlichen Spektren aus. Die Abgeordneten unter diesem Papier – auch ich – haben daran kaum mitgewirkt, dessen Inhalt aber für einen guten Kompromiss befunden.

Das scheinen aber nicht alle Ihrer Genossinnen und Genossen so zu sehen. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak wittert beispielsweise bereits eine „Diskursverschiebung nach Rechts“ und auch andere namhafte Parteimitglieder wirken nicht unbedingt so, als würden sie Ihr Papier als eine Brücke wahrnehmen. Betreiben diese Kritiker auch keinen Machtkampf?

Nun, es ist kein Geheimnis, dass es Personen gibt, die Sahra Wagenknecht unbeschadet ihrer Popularität loswerden wollen. Auch das Verhältnis zwischen Partei- und Fraktionsspitze ist hinlänglich bekannt. Aber dadurch darf man sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Eine Partei, die nicht mehr inhaltlich diskutiert, kann einpacken.

Dann kommen wir zur inhaltlichen Diskussion. Worin unterscheiden sich ihre Thesen denn überhaupt von den bisherigen Debatten in der Linken?

Wir unterscheiden zwischen Geflüchteten und Arbeitsmigration aus Drittstaaten außerhalb der EU. Menschen, die vor Verfolgung, Gefahr für Leib und Leben fliehen, müssen Anspruch auf Asyl haben. Wir verteidigen hier das Grundgesetz. Das kennt keine Obergrenzen. Den größten Anstieg der Netto-Zuwanderung machten 2017 übrigens Menschen aus der EU aus – und hier herrscht ohnehin Freizügigkeit. Wir wollen auch regulierte Zuwanderung aus Drittstaaten außerhalb der EU ermöglichen. Allerdings müssen wir Bedingungen herstellen, dass jene Menschen, die zu uns kommen und jene, die bereits bei uns leben, vor Ausbeutung und Ghettoisierung geschützt werden. Wir orientieren uns hierbei an Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes sowie von Wohlfahrts- und Migrantenverbänden.

Die Kritiker innerhalb Ihrer Partei werfen Ihnen und Sahra Wagenknecht vor, sie würden offene Grenzen für Menschen in Not anzweifeln.

Das sind Fake-News. Wir fordern die Wiederherstellung des Asylrechtes, wenden uns gegen das Dublin-System, wonach Geflüchtete faktisch nur in den Küstenstaaten der EU wie zum Beispiel Italien oder Griechenland Asyl beantragen können. Wir wollen Programme zur EU-Seenotrettung und lehnen die Militarisierung der EU-Außengrenzen ab. Wir fordern überdies die Möglichkeit, Asyl in Botschaften in Ursprungs- und Transitländern zu beantragen, um den Menschen die Gefahren der Flucht – etwa über das Mittelmeer – und die Schutzlosigkeit gegenüber Schleppern zu ersparen.

Das alles steht in ihrem Papier?

Ja, das steht da. Wir wollen mehr Hilfe vor Ort, die vor Entwurzelung und Perspektivlosigkeit fern der Heimat schützt. Denn von den 60 Millionen Geflüchteten weltweit erreicht nur eine Minderheit Europa. Für jene Menschen werden weitaus weniger Ressourcen aufgebracht als für Geflüchtete in der EU, obwohl die Mittel in den betreffenden Ländern ungleich mehr bewirken könnten. Die globale Flüchtlingspolitik ist daher selbst eine zentrale Fluchtursache. Wir orientieren uns hierbei an den Debatten der UN für einen globalen Migrationspakt. Die Mittel für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen müssen deutlich aufgestockt werden. Klar ist: Wir wollen die Ursachen von Flucht und Abwanderung wie Regime-Change-Kriege, Waffenexporte und die ungerechte Weltwirtschaftsordnung bekämpfen.

Es gab bisher wenig inhaltlich fundierte Kritik an ihren Thesen. Besprechen wir das, was bisher durch das Netz geistert. Dort heißt es, sie würden etwa kein Asyl für Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung vorsehen, Menschen jenseits ihrer familiären und sprachlichen Bindungen über die EU verteilen wollen und mit der Unterscheidung zwischen Asyl und Einwanderung (Stichwort Wirtschaftsflüchtlinge) an rechte Diskurse anknüpfen. Was entgegnen Sie?

Keiner dieser Einwände trifft zu. Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder des Geschlechts ist für uns ein Asylgrund. Das ist selbstverständlich. Wir sprechen im Zusammenhang mit der Verteilung von Flüchtlingen explizit von einem System des finanziellen Ausgleichs. Dies macht ja nur Sinn, wenn sich Geflüchtete entsprechend ihrer sprachlichen, sozialen und familiären Bindungen in der EU niederlassen und nicht nach starren Quoten. Sonst wäre ja kein finanzieller Ausgleich für Länder erforderlich, die hier mehr leisten. Wir wollen auch Länder außerhalb der EU entlasten. Jene Länder, die Flüchtlinge versorgen, die nicht in der EU Asyl beantragen. Das geht über das europäische Asylsystem hinaus. Dabei geht es um Kontingente für Menschen, die vor schweren ökonomischen Krisen, Hunger- und Klimakatastrophen fliehen. Historische Vorbilder sind dabei Abkommen der BRD für vietnamesische, syrische oder israelische Flüchtlinge. Der UN-Generalsekretär fordert übrigens ein globales System der Flüchtlingsverteilung. Dennoch fühlen sich die USA, die mit ihren Kriegen den Nahen Osten mit in Brand steckten, kaum für syrische Flüchtlinge zuständig.

Kommen wir zu den wirtschaftlichen Aspekten. Ein weiterer „Einwand“ lautet, sie würden einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung, Lohndrückerei und Sozialabbau herstellen. Gibt es diesen Zusammenhang etwa nicht?

Die Arbeitgeber freuen sich über billige Arbeitskräfte. Die Bundesbank hat gerade bestätigt, dass die Lohndynamik in Deutschland durch Zuwanderung im Bereich der Geringqualifizierten gebremst wurde. Die Bundesbank findet das übrigens gut. Selbst die angebliche EU-Freizügigkeit bedeutet oft nackte Ausbeutung. In München arbeiten etwa Italiener für 13 Stunden täglich zu Stundenlöhnen von 3,80 Euro. Außerdem werden z.B. Arbeiter aus Osteuropa häufig von Subunternehmen um ihren Lohn geprellt. Das heißt, selbst unter den geltenden Voraussetzungen von Mindestlöhnen ist die Gesetzeswirklichkeit oft anders als das Gesetz. Darum müssen wir uns kümmern.

Wenn ich es richtig sehe, betrifft der wesentliche Konflikt also nicht offene Grenzen für Menschen in Not, sondern offene Grenzen für Alle? Dies hört sich ja als Utopie recht nett an, aber realpolitisch vorstellbar ist ein solcher Ansatz doch unter den gegebenen Verhältnissen ohnehin nicht. Finden Sie es nicht sträflich naiv, eine derartige Wunschvorstellung als ernsthaftes realpolitisches Ziel zu definieren?

Natürlich ist es ehrenwert, eine Welt anzustreben, in der sich Menschen aus freien Stücken überall niederlassen können und über soziale Ansprüche verfügen. Dafür haben wir unser Erfurter Parteiprogramm, das die großen Linien unserer Politik beschreibt. Das entsprechende Kapitel ist übrigens mit “Offene Grenzen für Menschen in Not” überschrieben. Jeder Mensch hat das Recht auf ein sicheres Leben, egal, wo er geboren wurde. Aber ich halte es für eine Illusion, so zu tun, als könne man diesen Anspruch einfach durch die Zuwanderungspolitik eines Staates einlösen. Das kauft uns niemand ab. Wir müssen auch die ungerechte Wirtschaftsordnung beseitigen. Wir sagen ja auch nicht, die Abwanderung von Ostdeutschen aus strukturschwachen Gebieten nach Hamburg oder München sei die Lösung. Wir fordern gleichwertige Lebensverhältnisse. Eine 55-jährige Frau ohne Sprachkenntnisse und aus einem Land, in dem ihr formale Bildung verwehrt wurde, würde in Deutschland überdies ein Leben in der Schattenwirtschaft fristen. Das ist nicht human.

Sie halten offene Grenzen für Alle sofort für inkonsistent?

Ja. Wir fordern zu Recht eine erleichterte Einbürgerung nach wenigen Jahren mit Lebensmittelpunkt in Deutschland und eine bedarfsdeckende, soziale Grundsicherung für jene, die sie benötigen. Eine deutsche Staatsbürgerschaft geht dann auch mit der vollen Freizügigkeit in der EU einher. Aber: Wenn wir das alles zusammendenken: Offene Grenzen für Alle, soziale Grundsicherung, dann nach kurzer Zeit volle Freizügigkeit in der EU – da werden uns nicht nur Ungarn oder Polen, sondern auch Frankreich den Vogel zeigen. Die viel bemühte Freizügigkeit in der EU wäre morgen tot. Außerdem wäre bei offenen Grenzen für Alle das Asylrecht ja schlichtweg überflüssig.

Und wie wollen Sie Zuwanderung aus Drittstaaten der EU regulieren?

Wir fordern einen runden Tisch von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Migrantenorganisationen, um sinnvolle Konzepte zu entwickeln. Dabei wollen wir auch den Heimatländern, die von Abwanderung betroffen sind, eine Stimme geben. Wir brauchen ein echtes Integrationsgesetz: umfassende Investitionen in gute Integration wie Sprachkurse und berufliche Qualifizierung; gleiche Löhne für gleiche Arbeit vor Ort und tariflichen Schutz. Wir müssen dabei mit Augenmaß vorgehen und besonders auf zwei Dinge achten: Weder darf es ein System geben, mit dem wir anderen Ländern lediglich die Hochqualifizierten abwerben, noch dürfen wir zulassen, dass sich der Lohndruck bei den Geringqualifizierten erhöht. Wir brauchen also – wie etwa vom Paritätischen Wohlfahrtsverband angeregt – Abkommen, die auch geringer Qualifizierten die Zuwanderung ermöglichen, zum Beispiel in Mangelberufen. Dies bedeutet aber auch, Einwanderung zu regulieren, wo es ein Überangebot an Arbeitskräften und Lohndruck nach unten gibt.

Ihnen wird von einigen Kritikern aus den eigenen Reihen ja sogar vorgeworfen, Sie würden mit der Regulierung von Arbeitsmigration aus Drittstaaten quasi einen Schießbefehl anstreben und Zuwanderer unter Terrorverdacht stellen. Sie betonen ja in ihrem Papier, Grenzkontrollen seien nicht per se menschenfeindlich.

Schießbefehl? Wer so etwas sagt, tickt nicht mehr richtig. Wer etwa aus einem Nicht-Schengen-Staat am Flughafen ankommt, muss seinen Pass zeigen und wird nicht erschossen. Wir brauchen humane Grenzkontrollverfahren im Einklang mit internationalen Konventionen. Dass ein Staat weiß, wer in ein Land kommt, hat übrigens auch mit einer Fürsorgepflicht zu tun. Unbegleitete Minderjährige müssen zur Schule, Menschen haben Anspruch auf eine Gesundheitsversorgung und natürlich muss ein Land auch prüfen, ob zum Beispiel Straftäter einreisen. Zu behaupten, wir würden daher hunderttausende Zuwanderer unter Terrorverdacht stellen, ist doch dummes Zeug.

Ihr Parteivorsitzender Bernd Riexinger sagte, dass es nicht darum gehen dürfe, den Eindruck zu erwecken, alle Flüchtlinge sollten nach Deutschland kommen. Gregor Gysi bemerkte, er verstehe unter offene Grenzen für Alle Reisefreiheit. Und die Vorsitzende Katja Kipping bemerkte, offene Grenzen für Alle sei nicht für die Umsetzung gedacht, sondern eine Frage der Haltung. Wo besteht da eigentlich der Konflikt?

Das wüsste ich auch gerne. Wir führen hier mit äußerster Härte Phantomdebatten. Aber: Von unserer Haltung kann sich ein Mensch, der keine wirtschaftliche Perspektive hat, wenig kaufen. Wir müssen schon sagen, was wir tun wollen. Alles andere ist politische Selbstbefriedigung.

Kommen wir zurück zum Machtkampf. Ihr Parteikollege Thomas Nord bemerkte in einer Diskussion auf Facebook, wer wie Sahra Wagenknecht offene Grenzen für Alle als neoliberal bezeichne, sei ein Nationalist und der Parteitag müsse hier endlich eine klare Entscheidung herbeiführen. Welche Ziele sollen denn mit derlei abstrusen Aussagen verfolgt werden, wenn nicht die eines Machtkampfs?

Ich verfolge Debatten auf Facebook nicht. Jeder hat seine eigene Geschichte und seinen eigenen Stil. Ich gebe nur zu bedenken: Mir ist nicht bekannt, dass eine einzige europäische Linkspartei offene Grenzen für Alle fordert. Die dänische oder französische Linke wären demnach alle Nationalisten. Der UN-Generalsekretär ohnehin. Das ist genauso absurd, wie zu behaupten: Regime-Change-Kriege, unfaire Handelspolitik, der deutsche Wirtschaftsnationalismus in der EU, ja sogar der Kolonialismus – wären Internationalismus zur Förderung der Bewegungsfreiheit.

Sind Nationalismus und Nationalstaat identisch?

Nein, denn der Nationalstaat verbindet Menschen auf einem Territorium durch Rechte und Pflichten. Er ist ein Produkt der Aufklärung und ist historisch etwa in Frankreich nicht zwingend an die Abstammung gebunden. Das wäre in Paris mit seinen vielen Kulturen ja ebenso absurd wie in Berlin oder bei mir auf St. Pauli. Nationalisten aber werten andere auf Grund ihrer Herkunft ab oder überfallen andere Länder. Die deutsche Geschichte mit ihren Verbrechen belastet unser Verhältnis zum Nationalstaat. Das ist verständlich. Aber Deutschland ist nicht der Nabel der Welt.

Der Sozialstaat braucht also den Nationalstaat?

Ja, der Sozialstaat wird aus heimischen Steuern und Abgaben finanziert. Wer sagt, der Nationalstaat habe ausgedient, müsste dann Steuern und Abgaben weltweit eintreiben – was unrealistisch ist – oder den Sozialstaat beerdigen. Mich erinnert das alles sehr an die Thesen von Schröder und Blair, die mit der Aussage, der Sozialstaat ließe sich im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr in Deutschland oder Großbritannien verteidigen, die Agenda 2010 und die Zerstörung der Sozialdemokratie sowie der europäischen Zusammenarbeit einleiteten. Der Sozialstaat ist Ergebnis heftigster Kämpfe der Arbeiterbewegung. Das einfach so wegzufegen, wäre verrückt. Ich will ein europäisches Deutschland, kein deutsches Europa!

Verfolgen Sie zu diesen Fragen auch die Diskussionen außerhalb Europas?

Ja, wir nehmen in unserem Papier Bezug auf die lateinamerikanische Linke. Dort diskutiert man über das Recht, nicht auswandern zu müssen. Wenn wir uns übrigens Bernie Sanders zum Maßstab nehmen, dann wäre das wohl ein schrecklicher Nationalist.

Warum?

Bernie Sanders wurde 2015 zu offenen Grenzen befragt. Ich zitiere ihn jetzt mal frei übersetzt:

„Offene Grenzen? Nein, das ist ein Vorschlag der Koch-Brüder. (…) Das ist ein Vorstoß der Rechten, der im Kern lautet, es gibt keine Vereinigten Staaten! (…) Es würde die Amerikaner ärmer machen, es würde den Nationalstaat beseitigen und ich glaube, es gibt kein Land in der Welt, das daran glaubt. Wenn man auf einen Staat vertraut oder ein Land wie die USA, Großbritannien oder Dänemark oder jedes andere Land, hat man meiner Meinung nach die Pflicht alles zu tun, was in unserer Macht steht, den Armen zu helfen. (…) Was die Rechte in diesem Land liebt, ist jedoch eine Politik der offenen Grenzen. Bring jede Menge Leute, die für 2 oder 3 Dollar die Stunde arbeiten, das wäre toll für die. Daran glaube ich nicht. Ich glaube, wir müssen die Löhne in diesem Land erhöhen, Millionen von Jobs schaffen (…). Kennen Sie die Jugendarbeitslosigkeit in den USA? Als weißer High-School-Absolvent beträgt sie 33 Prozent, bei Hispanics 36 Prozent, bei Afro-Amerikanern 51 Prozent. Meinen Sie, wir sollten die Grenzen öffnen und eine Menge Niedriglöhner herholen oder sollten wir versuchen, Jobs für diese jungen Leute zu schaffen? Ich glaube, von einem moralischen Standpunkt aus müssen wir mit dem Rest der Industrieländer zusammenarbeiten, um die weltweite Armut anzugehen, aber das gelingt nicht, indem wir die Menschen in diesem Land ärmer machen!“

Die Haltung von Sanders ist deutlich restriktiver als meine oder auch die von Sahra Wagenknecht. Er würde sich wohl bei Einigen für ein Parteiausschlussverfahren qualifizieren.

Ist die Debatte in der Linken verroht?

Ja, das ist leider der Fall. Unserem parlamentarischen Geschäftsführer Jan Korte, der mal Mitglied der Grünen war und im Bundestag die härtesten Kopfnüsse an die AfD verteilt, der im extrem schwierigen Wahlkreis Bitterfeld in Sachsen-Anhalt Kärrnerarbeit leistet, wird rechtes Gedankengut unterstellt, weil er in DIE ZEIT davor warnte, DIE LINKE müsse sich wieder verstärkt um die Arbeiter und Arbeitslosen kümmern.

Welches Feedback haben Sie für Ihr Papier eigentlich von Personen oder Institutionen außerhalb der Linkspartei erhalten?

Aus der Partei haben mich viele positive Zuschriften erreicht. Sie haben uns gebeten, uns nicht einschüchtern zu lassen, weil sie sich eine sachliche Debatte wünschen. Es gab auch Zuschriften von außerhalb. Der Tenor war ähnlich. In wenigen Fällen gab es auch Leute, die enttäuscht waren, weil wir Zuwanderung nicht strikt genug regulieren wollten.

Zum Schluss: Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, Sie würden sich wegducken statt einen Antrag zu ihren Forderungen auf dem Bundesparteitag der Linken zu stellen.

Unsere Kritiker können offensichtlich die Zukunft voraussagen. Nach meiner Kenntnis dürfen nach wie vor Anträge zum Leitantrag auf dem Bundesparteitag gestellt werden. Politische Konflikte löst man aber durch sachliche Debatten, nicht allein durch Anträge.

Wir danken Ihnen für das Gespräch!