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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Rumtata-Lohnstopps; gefährliche Ungleichgewichte in den Handelsbeziehungen; EuroMemorandum; Klamme Städte und Tarifrunde; FDP: Hungert den Staat aus; nichts ist mit den hedges für Hedge-Fonds; Berufsbild Banker; PPP: Todesfalle Autobahnbaustelle; jenseits des Nacktscanners; Grippeimpfstoff – return to sender; Umbau der Hochschulen und Bildungsstreik; Hetzer mit Parallelen; Kampf gegen den Terror als populistisches Mittel zum Machterhalt; Karsei führt alle vor. (KR/WL)

  1. Professoren sondern Lohnstoppfloskeln ab
  2. Ungleichgewichte dominieren
  3. EuroMemorandum 2009/2010: Europa in der Krise – wie die EU in der Krise versagt
  4. Klamme Stadtsäckel und die Tarifrunde : Wieder trifft es die Kommunen
  5. Wenn das Wasser im Hallenbad kälter wird
  6. Frankfurt. Arm unter Reichen
  7. Der Staat ist ein teurer Schwächling
  8. Cornelia Heintze: Die Entfaltung sozialer Dienstleistungen
  9. Krippen-Garantie steht auf der Kippe
  10. Aufstand der Hedge-Fonds
  11. Knechte in Nadelstreifen? Berufsbild Banker
  12. PPP: Todesfalle Autobahnbaustelle: Enge Fahrspuren führen zu vielen Unfällen
  13. Die Selbermacher
  14. Dienstwagen heißt jetzt Nacktscanner
  15. In Deutschland fehlen mehr als 3600 Ärzte
  16. Schweinegrippe: Politik fordert Entgegenkommen der Impfstoff-Hersteller
  17. Torsten Bultmann: Hochschulen im Umbau – die Eckpfeiler der Veränderung. Eine politische Folgenabschätzung
  18. Bildungsstreik: Breit statt eng
  19. Feindbild Islam Antisemiten und Islamfeinde – Hetzer mit Parallelen
  20. Unterstützung im Kampf gegen al-Qaida
  21. Die neue Front
  22. Aufarbeitung der Diktaturverbrechen in Braslien; Militärs bedrängen Lula
  23. Karsai führt alle vor

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Professoren sondern Lohnstoppfloskeln ab
    Die Verhandlungen haben noch gar nicht begonnen, da wissen Deutschlands vermeintliche Top-Ökonomen schon, wie die Lohnrunde ausgehen soll. Zurückhaltung sei angesagt, lautet der Standardratschlag. Schweigen wäre besser gewesen.
    Die Rezession haben sie nicht kommen sehen, den Erfolg der Abwrackprämie komplett unterschätzt und ansonsten in der schlimmsten internationalen Krise seit Jahrzehnten viel geschwiegen, manchmal auch wortreich Ratlosigkeit signalisiert. Nur: Wenn Deutschlands Ökonomen gefragt werden, ob, sagen wir, es nicht gut wäre, Lohnzurückhaltung zu üben, werden die Experten wieder wach.
    Quelle: FTD

    Anmerkung unseres Lesers G.K.: Den Wirtschafts-“Experten” will auch nicht in den Sinn kommen, dass bei einer Fortsetzung des deutschen Lohndumpings innerhalb der Eurozone große ökonomische Verwerfungen drohen, die letztendlich auch auf den hierfür Hauptverantwortlichen – Deutschland – zurückschlagen werden.

    Unser Leser A.R. merkt zum Stichwort „Experten“ an: Könnte man aus Ihrer Sicht nicht einmal dieses Wort Experte so interpretieren, wie es in Deutschland gemeint ist? Ein Experte in Deutschland ist ein gut geschmiertes Rad, welches genau die Ergebnisse liefert, die die Lobbyisten brauchen?

  2. Ungleichgewichte dominieren
    Ungleichgewichte auf vielen Ebenen kennzeichnen gegenwärtig die Weltwirtschaft und beeinflussen die Finanzmärkte. Das seit einiger Zeit wichtigste globale Ungleichgewicht betrifft die Handelsbeziehungen zwischen den USA und China. Auf der europäischen Ebene fällt vor allem die unterschiedliche Entwicklung von Peripherie und Zentrum auf. Die Wege zu einer besseren Balance, zu einem «Rebalancing», sind verschieden, nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Währungslage. Während im Verhältnis USA – China eine Aufwertung des Renminbi möglich ist, besteht im Euro-Raum die Wechselkurs-Option nicht, und es bleibt der Peripherie nur die Alternative der internen Abwertung.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die Schwierigkeit ist die, dass, selbst wenn Deutschland auf absehbare Zeit von seiner merkantilistischen Politik lassen würde, die europäische Peripherie schon heute strikte Austeritätsprogramme fahren muss.

    Dazu auch:

    Schärfster Konkurrent – und bester Kunde
    China kurbelt die deutschen Ausfuhren an – und könnte schon Exportweltmeister geworden sein
    Quelle 1: Tagesspiegel
    Quelle 2: Statistisches Bundesamt

    Anmerkung Orlando Pascheit: Irgendwie lesen unsere Journalisten die Statistiken nicht richtig. Die besten Kunden Deutschlands sind mit weitem Abstand Frankreich, die Niederlande, Großbritannien und Italien oder die USA. Selbst die kleine Schweiz importierte in den ersten drei Quartalen mit 25,5 Mrd. Euro fast soviel wie China mit 26,1 Mrd. Euro. In dieser Logik kann uns sehr viel mehr daran gelegen sein, dass die Konjunktur in Europa wieder anspringt. Das tolle chinesische Wachstum schlägt sich in unserer Handelsbilanz nur wenig nieder. China hat im Vorjahreszeitraum 25,4 Mrd. Euro von uns importiert, in diesem Jahr mit 26,1 Mrd. nur geringfügig mehr. Viel erstaunlicher ist eigentlich, dass China uns, selbst in der Rezession, Waren in Wert von 40, 1 Mrd. Euro verkaufen konnten (Vorjahr: 43,6 Mrd.). Was den Chefvolkswirt des Deutsche Industrie- und Handelskammertags (DIHK) veranlasst, zu glauben, dass der Exportweltmeister China gut für die Weltkonjunktur sei, entzieht sich jeder Logik. Solange China in ähnlicher Weise wie Deutschland in merkantilistischer Weise nur auf den Export setzt, verschärfen sich nur die globalen Ungleichgewichte.

  3. EuroMemorandum 2009/2010: Europa in der Krise: Wie die EU in der Krise versagt
    Angesichts der Fülle dieser Herausforderungen hat die EU schlichtweg versagt: Die Antwort auf die Krise war keine europäische, sondern größtenteils national. Kurz nach dem Konkurs von Lehman Brothers schien eine großangelegte Reform der Finanzmärkte möglich. Als die Gefahr eines Zusammenbruchs der Finanzmärkte im Frühjahr 2009 aber nachgelassen hatte, beschränkten sich die Vorschläge auf eher geringfügige Details. Im makroökonomischen Bereich haben die Mitgliedstaaten nicht mit- sondern gegeneinander agiert und eine Strategie des Lohn-, Steuer- und Sozialdumpings verfolgt. Die Entwicklung einer koordinierten Haushaltspolitik, welche auch die divergierenden Entwicklungen in Europa in den Blick hätte nehmen können, ist bedauerlicherweise ausgeblieben, nicht zuletzt wegen des extrem geringen Haushaltsvolumens der EU. Die deutsche Strategie der Exportorientierung ist für die europäische Ökonomie besonders schädlich, da sie andere Länder zu deflationären Maßnahmen zwingt. Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind die Mitgliedstaaten völlig auf sich allein gestellt: Von der europäischen Ebene ertönt weiterhin nur die angebotsseitige Ideologie, die Arbeitsmärkte müssten flexibler werden. Wenngleich immer wieder dazu aufgerufen wird, koordiniert vorzugehen, bleiben konkrete Maßnahmen weitgehend aus. Zur Bekämpfung der Armut hält die EU an der „Offenen Methode der Koordinierung“ fest, die alle Bestrebungen, eine wirklich gemeinsame und wirkungsvolle Politik zu entwickeln, ebenso verhindert wie das Setzen konkreter Ziele. Im Bereich des Klimaschutzes besteht zwar weitgehend Einigung darüber, was getan werden muss, aber es fehlt der politische Wille (…)
    Im diesjährigen EuroMemorandum legen wir dar, dass die beschriebenen Herausforderungen eine integrierte europäische Strategie erfordern, welche die von den Mitgliedstaaten bereits aufgelegten Rettungsprogramme stärkt und eine weiterreichende Transformation fördert, die auf Vollbeschäftigung mit guter Arbeit, soziale Gerechtigkeit, den Abbau von Armut und sozialer Ausgrenzung, ökologische Nachhaltigkeit und internationale Solidarität ausgerichtet ist.
    Quelle: EuroMemorandum [PDF – 282.3 KB]

    Kommentar AM: In diesem Text steht viel Richtiges und leider auch manches Falsche, zum Beispiel über den Beginn der Krise und die Herkunft, und die nationalen Handlungsmöglichkeiten. Die Krise fing nicht erst im August 2007 an und sie hat auch ihren Ausgangspunkt nicht nur in den USA genommen; es ist auch nicht richtig, dass nach der Krise von Lehman Brothers hierzulande eine groß angelegte Reform der Finanzmärkte möglich gewesen wäre; das war genau der Zeitpunkt, als uns die Bundesregierung unter merkwürdigen Umständen mit über 100 Milliarden bei der HRE engagierte, usw.

  4. Klamme Stadtsäckel und die Tarifrunde : Wieder trifft es die Kommunen
    Städten und Gemeinden brechen die Einnahmen weg. Infrastruktur ist in Gefahr.
    Harte Verhandlungen stehen in der Tarifrunde im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen an. Ulrich Thöne, Chef der GEW, sagte, die von der Bundesregierung beschlossenen Steuerentlastungen “für Reiche, Erben und Hoteliers” kosten “mehr als die Umsetzung der Tarifforderungen”.
    Quelle: FR
  5. Wenn das Wasser im Hallenbad kälter wird
    Kommunen verkürzen die Öffnungszeit für ihre Bibliotheken, senken die Wassertemperatur im Hallenbad und erhöhen die Gebühren. Die nackte Not zwingt immer mehr Gemeinden zu solch unpopulären Maßnahmen. In der Wirtschaftskrise sind ihre Einnahmen weggebrochen. Um den Anstieg der Verschuldung wenigstens in Grenzen zu halten, müssen sie reagieren. Die kommunalen Spitzenverbände rechnen mit weiteren Einschnitten und Erhöhungen.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung KR: Dass die Regierung gleichzeitig Steuern senkt, ist FAZ-Redakteur Manfred Schäfers kein einziges Wort wert.

  6. Frankfurt: Arm unter Reichen
    Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Frankfurt am Main besonders groß. Jeder fünfte Einwohner der Stadt verfügt über ein Einkommen von weniger als 840 Euro monatlich (gemeint sind die Nettoeinkommen, KR). Wer dazu gehört, kann sich in einer der reichsten Regionen Europas nicht nur in der Vorweihnachtszeit höchstens die Nase an Schaufenstern platt drücken, während gerade in der Mainmetropole viele im Luxus schwelgen. Nach einem kürzlich von der Fachhochschule Frankfurt am Main herausgegebenen Sozialbericht für die Stadt bezieht jeder zehnte der 664.000 Einwohner Einkünfte von über 2.800 Euro monatlich. Tatsächlich klafft die Lücke selbst nach diesen Durchschnittszahlen bei genauerem Hinsehen noch weiter auseinander. Fast jeder 25. Einwohner der Stadt kann sich demnach zu den Reichen zählen – im Bericht wird dabei von einem monatlichem Einkommen oberhalb von 4.200 Euro ausgegangen. Die gleiche Anzahl von Bürgern, fast vier Prozent der Stadtbevölkerung, lebt hingegen in »strenger Armut« mit höchstens 560 Euro monatlich. Die Studie erfasst noch weitere Details und benennt, warum vor allem Frauen und Migranten zu den Besitzlosen gehören.
    Quelle 1: Junge Welt
    Quelle 2: FH Frankfurt [PDF – 280 KB]
  7. Der Staat ist ein teurer Schwächling
    FDP-Generalsekretär Christian Lindner spricht mit dem Tagesspiegel über das liberale Gesellschaftsbild, den Zustand der Koalition – und die Befindlichkeit der Union.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Das ist also die neue Politikergeneration der FDP. Man mag es kaum glauben, dass diese jungen Leute derart ungefiltert steinzeitlichen Wirtschaftsliberalismus von sich geben, der anscheinend auch noch die Gesellschaftspolitik abdecken soll. Eines dieser immer abrufbaren Standardmodule lautet: “Wir wollen eine neue Balance von Staat und Privat. Gegenwärtig ist der Staat ein teurer Schwächling, der sich immer mehr Einfluss anmaßt. Mir scheint, dass die Bürokratisierung eine der Hauptgefährdungen der Freiheit ist. Wir wollen einen fokussierten Staat, handlungsfähig in seinen Kernaufgaben, der aber ansonsten dem Engagement der Bürger Raum lässt.” Da schreit der durch das freie Entfaltung der Marktkräfte tief verwundete Globus nach mehr Regulierung, letztlich nach mehr Staatlichkeit, und unsere FDP-Pimpfe schwafeln von einer neuen Balance von Staat und Privat, einem auf seine Kernaufgaben fokussierten Staat. Wenn schon, geht es dann nicht ein wenig konkreter? Bezogen auf die noch lange nicht ausgestandene Wirtschaftskrise, bezogen auf die drohende Klimakatastrophe, bezogen auf die im reichen Europa wie auch weltweit ansteigende Armut. Geradezu lächerlich die Behauptung vom Staat als teurem Schwächling, der sich immer mehr Einfluss anmaßt. Irgendwie scheinen die letzten zwei Jahre, die in einem verzweifelten Ruf des Marktes nach dem Staat gipfelten, an Christian Lindner spurlos vorübergezogen zu sein. Unbeleckt etwa vom Gedankengut Max Webers wird dann das größtmögliche Geschütz gegen unsere Bürokratie in Stellung gebracht, die Freiheit. Ohne auf dieses hohle Geschwätz weiter eingehen zu wollen, sei nur angemerkt, dass eine Bürokratie immer nur so gut sein kann wie die von Politikern eingebrachten Gesetze, die die Bürokratie per definitionem umzusetzen gezwungen ist.
    Noch etwas für Statistiker: Die deutsche Staatsquote liegt mit 43,8 Prozent so niedrig wie seit 30 Jahren nicht mehr und damit international im OECD-Durchschnitt. Der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst beträgt in Deutschland ca. 13,4 Prozent, in Großbritannien sind es 14,1 Prozent und in Frankreich 16,7 Prozent. Selbst in den USA arbeiten mit 15,4 Prozent aller Beschäftigten mehr Beschäftigte beim Staat als in Deutschland.

    Dazu:

  8. Cornelia Heintze: Die Entfaltung sozialer Dienstleistungen
    Die Beschäftigungsdichte von Dänemark hätte Deutschland 2008 ein Plus von 4,7 Mio Arbeitsplätzen beschert. Die Lücke erklärt sich nicht einfach über das höhere Niveau von Dienstleistungsbeschäftigung. Entscheidend ist, dass in Dänemark ein wirtschaftlich aktiver Staat in den Bereichen Bildung, Forschung/Entwicklung, Kultur, Gesundheit/Pflege hochwertige Arbeitsplätze dem gesellschaftlichen Bedarf entsprechend schafft. Dänemark trifft sich bei der Entwicklung der gesellschaftsnahen Dienstleistungsökonomie mit den anderen skandinavischen Ländern. So auch mit Norwegen. Das relative Mehr an Arbeitsplätzen gegenüber Deutschland liegt im Tertiärsektor bei jeweils etwas über 5 Mio. Es speist sich aus den öffentlichen Dienstleistungen mit dem Schwerpunkt bei Gesundheit, Pflege und den sonstigen Sozialdiensten sowie dem Bildungswesen, wo Dänemark und Norwegen ein in der Größenordnung identisches Mehr an Beschäftigung von knapp 0,9 Mio Stellen bieten. Der zentrale Faktor hinter der enormen Beschäftigungsrelevanz von Pflegeleistungen (vgl. die Übersicht) besteht darin, dass diese zum Katalog der kommunalen Pflichtaufgaben gehören. Im Bereich von „residential care“ bot der dänische öffentliche Dienst 2008 318 Tsd. Arbeitsplätze bei einer Teilzeitquote von nur 11,5 %. Das einwohnermäßig 15mal so große Deutschland hat (Daten von 2006; Quelle: Stat. BA) trotz höherer Altenquote im Bereich der ambulanten und stationären Pflege weniger als 2,5 mal so viele Beschäftigte; fast die Hälfte hat nur einen Teilzeitjob. Der deutsche Weg zwischen Familie und Kommerz verschenkt nicht nur Beschäftigungspotentiale, sondern bedingt zugleich die Prekarisierung von Arbeit und eine Polarisierung bei der Dienstleistungsqualität. Welches Ausmaß die Mängel haben, ist breit dokumentiert.
    Quelle: Gegenblende
  9. Krippen-Garantie steht auf der Kippe
    Gerade ein Jahr ist das Gesetz in Kraft. Doch schon steht der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kleinkinder ab dem Jahr 2013 auf der Kippe. “Diese Garantie wird nicht einzulösen sein”, warnte Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes gestern. “Ohne weitere Finanzhilfe werden es die Kommunen nicht bewältigen können, den Rechtsanspruch umzusetzen, so sehr sie sich auch anstrengen”, bestätigte sein Kollege Stephan Articus vom Deutschen Städtetag.
    Quelle: FR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Allmählich ahnen wir, wo der schwarz/gelbe Sparstift angesetzt wird. Auf jeden Fall nicht bei der Kindergeld beziehenden Millionärin mit Kindermädchen.

    Dazu:

    Kein Raum in der Krippe
    Mal herhören, liebe Freunde der Herdprämie bei der CSU und liebe Steuersenker von der FDP! Weit mehr als die Hälfte aller Frauen mit Kinderwunsch wünscht sich einen Betreuungsplatz für den Nachwuchs. Bei Akademikerinnen und in Großstädten liegt die Quote gar bei 70 Prozent. Tatsächlich gibt es beispielsweise in Nordrhein-Westfalen aber gerade mal einen Krippenplatz für jedes fünfte Kind unter drei Jahren. Man mag die Details der Umfrage, die der Städte- und Gemeindebund präsentierte, hinterfragen. Man mag aus weltanschaulichen Gründen auch weiter die klassische Familie mit dem Mann als Ernährer und der Mutter als Erzieherin idealisieren. Nur eines kann man nicht: die Augen davor verschließen, dass immer mehr Eltern Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen. Und dazu brauchen sie Betreuungsplätze.
    Quelle: FR

  10. Aufstand der Hedge-Fonds
    Die Finanzbranche kämpft an allen Fronten gegen die drohende Verschärfung ihrer Spielregeln. Jetzt sind die Hedge-Fonds an der Reihe, die bekannt sind für hochspekulative Anlagestrategien. EU-Politiker, vor allem aus Frankreich und Deutschland, wollen die Krise nutzen, um die bisher weitgehend unregulierte Branche endlich strenger zu kontrollieren. Vor allem drei Klauseln in dem Entwurf sorgten in der Hedge-Fonds-Gemeinde für Aufregung. Die EU-Kommission sollte das Recht bekommen, die Kreditaufnahme der Fonds zu begrenzen. Dadurch wären viele Investmentstrategien nicht mehr lukrativ gewesen. Außerdem sollten die Fonds verpflichtet werden, ihre Geschäfte über eine europäische Depotbank abzuwickeln – einige der größten Dienstleister sitzen aber an der Wall Street. Schließlich sollten nur Fonds, die den strengen EU-Regeln gehorchen, in der Gemeinschaft zugelassen werden. Damit hätte den amerikanischen Hedge-Fonds der Ausschluss gedroht.
    Im Kampf gegen die EU-Regeln schlossen sich einige der größten Hedge- Fonds, darunter Branchenführer Man Group, zu einer Interessengemeinschaft zusammen. Sie nannten die Vorschläge „stümperhaft“ und „eine signifikante Bedrohung“. Auch britische Politiker machten sich für die umstrittene Branche stark. Schließlich sitzen 80 Prozent aller europäischen Hedge-Fonds in London. Der Aufstand hatte Erfolg. Die EU ruderte zurück, so weit wie bei keinem anderen Reizthema der Finanzregulierung. Der neueste Kompromissvorschlag sieht vor, dass die Fonds selbst Obergrenzen für ihre Verschuldung festlegen können. Außerdem können die Fonds auch Depotbanken außerhalb der EU nutzen, wenn die Kommission zustimmt. Die Regeln für Fonds, die ihren Sitz außerhalb der EU haben, wurden deutlich vereinfacht.
    Quelle: Tagesspiegel
  11. Knechte in Nadelstreifen ? Berufsbild Banker
    Sie sind arm dran, unsere Banker. Sie leiden täglich unter Stress und Druck. Sie klagen darüber, dass sie gezwungen werden, die Bankkunden zu windigen Geschäften zu überreden, um ihre Profitvorgaben einzuhalten. Damit ihre Bank am Ende des Jahres nicht auf den fetten Bonuszahlungen sitzen bleibt. Sie haben es schwer, unsere Banker. Es ist ja auch wirklich nicht leicht, Mitten in der Krise so weiterzumachen, als sei gar nichts gewesen. Genau das aber geschieht. Einziger Unterschied: die armen reichen Banker haben jetzt mal erzählt, was in den Banken so los ist – anonym, versteht sich.
    Quelle 1: hr2-Kultur „Der Tag“ (Einleitungstext mit Abspielfunktion)
    Quelle 2: hr2-Kultur „Der Tag“ (Audio-Podcast, mp3, ca. 53 Minuten, ca. 25 MB)

    Anmerkung: Einerseits gehen die Bankster wieder zu ihrem Tagesgeschäft, der Vermehrung ihres Reichtums über, andererseits schröpfen sie die Ärmsten der Armen. Dazu eine Schilderung unserer Leserin U.B.:
    Heute will ich Ihnen einen Erfahrungsbericht bzgl. meines Girokontos schicken, der vielleicht auch für andere Nachdenkseiten-Leser interessant ist und Mut machen soll, die eigenen Kontobedingungen und Geschäftspraktiken ihrer Bank einmal kritisch zu überprüfen.
    Ungerechtigkeitsakte enthält die Politik dieser an der neoliberalen Ideologie fixierten Regierung und ihrer Komplizen in der Wirtschaft, insbesondere der Finanzwirtschaft, gegenüber der ärmeren, arbeits- und einkommenslos gewordenen bzw. zu Millionen prekär beschäftigten Bevölkerung mehr als genug. Über einen bin ich kürzlich als simple Inhaberin eines Girokontos bei der Berliner Volksbank gestolpert. Die Berliner Volksbank e.G. – immerhin eine, die dem genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenverbund angehört – teilte mit, dass sie ab Januar 2010 für Bankkunden, deren regelmäßiges monatliches Einkommen 1250 € nicht übersteigt, die Giro-Kontoführungsgebühren erhöht. Obwohl nicht von dieser Willkürmaßnahme betroffen, da ich mich Gott sei Dank eines höheren Einkommens erfreue, wollte ich dennoch von der Bank die Gründe für diese Ungleichbehandlung ihrer Kunden wissen (die Konten für Kunden mit höherem Einkommen werden gebührenfrei geführt), woraus ein Schriftwechsel resultierte, der mit der Kontokündigung durch mich endete. Denn – realistischerweise hatte ich nichts anderes erwartet – es gab nur inhaltsleere Sprechblasen, aber keineswegs eine plausible betriebswirtschaftliche Kostenanalyse, die diese für die Bank profitable Ungleichbehandlung ihrer Girokontenkunden auch nur ansatzweise hätte rechtfertigen können. Es ist halt gesellschaftsfähig geworden, die einkommensschwache, in jeder Hinsicht an Mobilität gehinderte und fluchtunfähige Bevölkerung finanziell zu schröpfen und sich an ihr zu bereichern.
    Da ich mich als Bankkundin nicht an diesem Entsolidarisierungsakt beteiligen wollte, ging ich auf die Suche nach einem anderen Girokontenanbieter und stellte fest, dass inzwischen viele Banken Kontoführungsgebühren für Kunden mit begrenztem Einkommen erheben, die “reicheren” (und für sie profitableren) Kunden aber von solchen verschonen. Die zinslose Verwaltung des Kundengeldes auf dem Girokonto der “reicheren” Kunden bringt der Bank in der Masse ja auch viel Geld ein, während das Geld der ärmeren Kunden monatlich restlos zu ihrem Lebensunterhalt verbraucht wird. Diese Kundschaft ist schutzlose Beute für die Raubzüge der Banken, denn ein Girokonto braucht jeder und ein Bankwechsel zu besseren Konditionen ist kaum möglich.

  12. PPP: Todesfalle Autobahnbaustelle: Enge Fahrspuren führen zu vielen Unfällen
    Auf über 72 Kilometern reiht sich eine Baustelle an die nächste: Die A1 zwischen dem Bremer Kreuz und dem Buchholzer Dreieck bei Hamburg wird sechsspurig ausgebaut. Eine Megabaustelle unter Führung der A1mobil GmbH. Die baut und kassiert dafür während der kommenden 30 Jahre einen Teil der Lkw-Maut, die auf der Strecke eingenommen wird.
    Quelle: NDR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wer im Norden Deutschlands mit dem Auto unterwegs ist und Staumeldungen verfolgt, wird unweigerlich mit Dauerstaumeldungen auf der A1 zwischen Bremen und Hamburg konfrontiert. Was die Meisten nicht wissen ist, dass hier das bisher größte Public Private Partnership (PPP)-Projekt der Bundesrepublik seine Wirkungen entfaltet. Ganz abgesehen davon, dass kein Mensch weiß, wie viel der Staat für diese finanzielle Vorleistung berappen muss (Mautanteil), muss dieser für die umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen aufkommen, die durch die viel zu lange Baustelle mit extrem engen Fahrspuren notwendig wurden. Die von etlichen Experten bemängelte Planung trägt dazu bei, dass es allein bis Oktober letzten Jahres zu über tausend Unfällen kam und 5 Menschen starben. Neben der mangelnden Kostentransparenz ist kaum zu begreifen, wie viel Freiraum der Staat auf Kosten der Sicherheit der Bürger Bilfinger Berger, dem englische PPP-Investor John Laing und dem mittelständische Bauunternehmen Johann Bunte gegeben hat.
    Es steht zu befürchten, dass Bund, Länder und Kommunen angesichts knapper Kassen verstärkt auf PPP zugreifen werden, um aktuelle Kosten in die Zukunft zu verschieben – ganz abgesehen davon, dass PPP einer FDP-getrimmten Koalition sowohl ideologisch als auch im Hinblick auf die Interessen ihrer Klientel entgegenkommt. 

  13. Die Selbermacher
    Die Outsourcing-Euphorie der vergangenen Jahre ist einer differenzierteren Betrachtung gewichen. Unternehmen stellen sich darauf ein, indem sie sich – vor allem mit Blick auf die Produktion – fragen: Unter welchen Bedingungen lohnt sich Auslagerung? Sind die Kostenersparnisse wirklich so groß? Und was ist der Preis geringerer Kosten? Ein Werksbesuch bei Fresenius Medical Care. (…)
    Das Auslagern von Produktion ist eben kein Wert an sich und oft eher eine Ausrede. Manfred Hoefle und Hans Marquart, zwei Herausgeber der Schriftenreihe “Managerismus”, drücken es so aus: “Outsourcing ist oft ein Ergebnis versäumter Rationalisierungen.” Sie bescheinigen vielen Managern “einseitiges Lohnkostendenken, Kurzsichtigkeit, kollektives Verhalten, Scheinrationalität, mangelnde Bindungsfähigkeit”. Sie hätten Verlagerung häufig als Ziel von Umstrukturierungen ausgegeben, nicht als Mittel zu einem definierten Zweck. Schuld an dieser Denkweise seien unter anderem falsche Anreize für die Manager: Erfolgsbeteiligungen seien etwa an den Geschäftswertbeitrag gekoppelt.
    Quelle: Brandeins
  14. Dienstwagen heißt jetzt Nacktscanner
    Die Debatte über Körperscanner ist hysterisch. Sie lenkt von wirklich bedenklichen Einschränkungen der Bürgerrechte im Namen der Terrorbekämpfung ab.
    Quelle: TAZ

    Anmerkung WL: Was die Einschätzung des Nacktscanners im Vergleich zu anderen Überwachsungssystemen anbetrifft, stimme ich mit Ralph Bollmann weitgehend überein.
    Der Nacktscanner mag im konkreten Fall der Fluggastüberwachung vielleicht harmloser erscheinen als die Fummelei durch die sog. “Fummelkräfte”.
    Ich bin eher aus einem systematischen Grund skeptisch. Ich sehe eine Entwicklung hin zu systematischer Totalüberwachung. Zuerst die massenhafte Aufstellung von Videokameras, dann die Ortung über Handys, dann der KfZ-Steuereinzug über elektronisch erfasste Mautgebühren (was nichts anderes ist als eine Bewegungsüberwachung), zum Schluss die Kontrolle aller Autos (begründet mit dem Steuereinzug) über GPS.
    Alles was einmal an Überwachungsmöglichkeit in einem begründeten Einzelfall eingeführt wird, birgt die Gefahr der Verallgemeinerung: Warum Nacktscanner nur beim Flugzeug und nicht auch bei der Bahn, warum nicht auf Bahnhöfen, warum nicht im Kino oder Theater, warum nicht auf dem Oktoberfest oder im Fußballstadion oder einfach auf allen Einkaufsstraßen?
    Alles was möglich ist, wird irgendwann auch gemacht.
    Und da bin ich einfach noch ein “Kriegskind”: Alles was gemacht werden kann, steht in der Gefahr, von Mächtigen, die ihre Macht bedroht sehen und sie dennoch erhalten wollen, auch gebraucht zu werden. Merke: Hitler kam völlig legal zur Macht, die Ermächtigungsgesetze gab es schon.
    Dazu kommt m.E. noch Folgendes: Solche Überwachungsmaßnahmen lenken von den Ursachen des Terrors ab. Wie schrieben die Bekenner zu dem Anschlagsversuch über Chicago: Wir töten, weil ihr tötet.
    Ich will damit gewiss nicht solche (feigen) Anschläge verteidigen, aber die eigentlichen Ursachen des Terrors sind aus meiner Sicht die eskalierende Gewalt der angeblichen Terrorbekämpfer, basierend und legitimiert durch den Aufbau von Feinbildern (clash of civilization oder Kampf der Kulturen).
    Das bedeutet eine endlose Spirale der Gewalt – und gleichzeitig eine endlose Spirale der Überwachung im Innern.
    Wenn man einmal bedenkt, wie primitiv die Analysen über Al Quaida sind, dann kann man sich ausmalen, wie primitiv die Begründungen für diese Überwachungsmaßnahmen sind.

  15. In Deutschland fehlen mehr als 3600 Ärzte
    Gesundheitsexperten fordern bessere Bedingungen – Im ländlichen Raum lassen sich immer weniger Mediziner nieder.
    Quelle: Welt
  16. Schweinegrippe: Politik fordert Entgegenkommen der Impfstoff-Hersteller
    Der Gesundheits- und Sozialminister von Sachsen-Anhalt, Norbert Bischoff (SDP), hofft auf die Kompromissbereitschaft der Pharmaindustrie beim zu viel bestellten Schweinegrippe-Impfstoff. Es müsse geprüft werden, ob der Impfstoff in andere Länder verkauft werden kann.
    Quelle 1: Deutschlandradio Kultur (Text)
    Quelle 2: Deutschlandradio Kultur (Audio-Podcast)
  17. Torsten Bultmann: Hochschulen im Umbau – die Eckpfeiler der Veränderung. Eine politische Folgenabschätzung
    Was wir gegenwärtig an Hochschulreform erleben beschreiben die bestimmenden Ak-teure diese Politik selber so, dass es nicht um eine Reform einer überlieferten Struktur ginge, sondern um etwas gänzlich Neues: einen Komplettumbau, eine Neukonstruktion des deutschen Hochschulsystems in seinen tragenden Säulen.
    Für das Neue, was an die Stelle der Gruppenhochschule treten soll, hat sich aus der an-gelsächsischen Bildungsforschung mittlerweile der Fachbegriff der »unternehmerischen Hochschule« eingebürgert – und in hiesige Konzepte und Gesetzesbegründungen als Leitbild Eingang gefunden. Im Kern geht es dabei um die umfassende Geltendmachung, die Universalisierung des Wettbewerbsgedankens sowohl im Sinne der internen Steue-rung von Bildungs- und Wissenschaftsabläufen als auch im Sinne einer Bewertung und Messung ihrer Ergebnisse.
    Quelle: Kooperationsstelle Uni Oldenburg [PDF – 40.2 KB]

    Siehe auch:

    Torsten Bultmann, Exzellenzinitiative als Ideologie, Mitschnitt eines Vortrags vom 09.12.09 im Rahmen der vom FSR Germanistik organisierten Ringvorlesung „Baustelle Universität“, Streaming Video 38 Minuten

  18. Breit statt eng
    Bildungsstreikagenda 2010: Zeit, den Protest zu eskalieren. Ein Diskussions­papier von Aktivistinnen und Aktivisten des Studierendenverbandes Die Linke.SDS
    Eine Besonderheit des Bildungsstreiks ist den meisten Kommentatoren entgangen. Während frühere Studierendenstreiks wie der »Luckystreik 97/98« oder die Streikbewegung 2003 spontan ausbrachen und sich erst im Laufe oder teilweise erst zum Ende der Streikbewegung mühsam bundesweite Koordinierungsversuche ergaben, konnte der Bildungsstreik von Anfang an von einem bundesweiten Austausch und langfristiger Planung profitieren.
    Heute gibt es, anders als früher, keinen konkreten Anlass, keinen einheitlichen Generalangriff etwa in Form von Studiengebühren, sondern einen über Jahre angestauten Frust über die Zustände in allen Bildungsbereichen.
    Quelle: june Welt
  19. Feindbild Islam Antisemiten und Islamfeinde – Hetzer mit Parallelen
    Das Feindbild “Westen” im arabischen Kulturkreis wird von Populisten im Westen mit dem Feindbild “Islam” erwidert. Es folgt den gleichen Konstruktionsprinzipien.
    Quelle: SZ
  20. Unterstützung im Kampf gegen al-Qaida
    Die USA und Großbritannien konzentrieren sich auf den Jemen im Kampf gegen al-Qaida und stocken Finanzhilfen auf. Premier Brown: Jemen ist Brutstätte für Terroristen
    Quelle: TAZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Und wieder einmal diktiert das innenpolitische Machtgerangel einen US-Militäreinsatz im Kampf gegen den Terror. Der innenpolitische Gegner hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt und den missglückten Terroranschlag genutzt um den US-Präsident scharf anzugehen. Er nehme die Terrorgefahr nicht ernst, deshalb seien die Kontrollen so lasch, und er unternehme zu wenig gegen die Staaten, von denen die Terrorgefahr ausginge. Nachdem Obama die Kontrolldefizite dem CIA anlastete, möchte er nun im Jemen beweisen, dass er kein Weichei ist, und ein innenpolitisch schwer angeschlagener britischer Premier springt noch mit auf den Zug.
    Was man so mitbekam, konnte bisher hoffen lassen, dass es die USA im Jemen und sonstwo bei geheimen Kommandoeinsätzen belassen würde, aber nein: Der zwischen Hysterie und Hurrapatriotismus schwankenden US-Bürger muss wieder mal durch eine militärische Großaktionen auf seinen Präsidenten eingestimmt werden. Mögliche Nebenwirkungen dieser Rezeptur interessieren nicht. Dass mit der Eröffnung einer dritten Front auf arabischem Heimatboden einer schwächelnden Al Qaida der größtmögliche Gefallen getan wird, scheint schneidige US-Militärs bzw. die unter Druck stehende politische Führung nicht zu tangieren.
    Was lernen wir daraus? Unter anderem wird endlich mit der Mär aufgeräumt, dass Deutschland seine Sicherheit am Hindukusch verteidigen müsse. Die Sicherheit Deutschlands war sowieso nie in Gefahr, terroristische Bedrohungen ja, aber nicht nur von Afghanistan aus. Die von uns mit dem Markenzeichen Al Qaida versehenen Terrorzellen, die sich ideologisch auf Ussama Bin Laden berufen, sich aber durchweg eigenständig organisieren, agieren heute nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Pakistan, Somalia, im Jemen und in einigen afrikanischen Ländern südlich der Sahara wie auch im Maghreb, was auch im Anti-Terror-Bericht der britischen Regierung vom März 2009 so festgestellt wurde.

  21. Die neue Front
    Deutschland beteiligt sich an der von den USA forcierten Verschärfung des so genannten Anti-Terror-Krieges im Jemen. Während Washington Spezialkräfte in das Land entsendet und Bombenangriffe der jemenitischen Streitkräfte dirigiert, bemüht sich Berlin um den Ausbau der Küstenwache und trainiert die Polizei. Die Zusammenarbeit mit den Repressionsapparaten
    des Jemen hat strategischen Charakter und wurde letztes Jahr intensiviert, als die Vereinigten Staaten damit begannen, ihre “Anti-Terror”-Maßnahmen im südlichsten Staat der Arabischen Halbinsel zu verstärken. Die Bundeswehr unterhält eine “Beratergruppe” bei den jemenitischen Streitkräften, die im Dezember mutmaßlich Massaker unter Zivilisten angerichtet haben. Die deutsche Kriegsmarine, die vor der Küste des Jemen operiert, ist ebenfalls von der Zuspitzung des “Anti-Terror-Krieges” betroffen: Milizen aus Somalia, die nur durch die kurzen Seewege über den Golf von Aden von der neuen Front getrennt sind, haben mittlerweile angekündigt, dort eingreifen zu wollen.
    Kooperationspartner Berlins in diesem Krieg ist die Regierung des Jemen – ein seit Jahrzehnten für Folter bekanntes Regime.
    Quelle: German Foreign Policy
  22. Aufarbeitung der Diktaturverbrechen in Braslien; Militärs bedrängen Lula
    In Brasilien stößt der Plan, zur Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 eine Wahrheitskommission zu bilden, auf erbitterten Widerstand im Militär. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ruderte nun schnell zurück, nachdem sein Verteidigungsminister und die Chefs der drei Waffengattungen mit Rücktritt gedroht hatten.
    Quelle: FR
  23. Karsai führt alle vor
    Nein, die Ablehnung von zwei Dritteln seiner Kabinettsvorschläge ist keine Niederlage für Hamid Karsai. Im Gegenteil: Sie ist ein Erfolg für ihn. Der afghanische Präsident hat es wieder einmal allen gezeigt. Er hat Kommentatoren verwirrt und Politiker irregeführt, ist dem Druck seiner wichtigsten Verbündeten ausgewichen und hat insgesamt Zeit und Spielraum gewonnen. Karsais Partner und Gegenspieler zugleich, das sind zum einen die Warlords. Sie hatten ihm, zusammen mit ihren Lokalkommandeuren, bei der Augustwahl massenweise Stimmen durch Betrug verschafft beziehungsweise durch Druck und Gewalt zugetrieben. Sie müssen nach leider immer noch geltendem, landesüblichem Brauch abgefunden werden, mit Ministerämtern, Botschafterposten und sonstigen Pfründen. Ihnen kann Karsai nun sagen: Pardon, dumm gelaufen. Ich habe mein Bestes gegeben, ich hätte eure Leute gerne in meinem Kabinett gehabt, aber das Parlament hat nicht mitgespielt.
    Der internationale Gemeinschaft bleiben jene beiden Minister erhalten, an denen ihnen am meisten gelegen ist und für die sie in Kabul massiv lobbyiert hatten: den an einer US-Militärakademie ausgebildeten Verteidigungsminister Rahim Wardak und Innenminister Hanif Atmar, der mit seiner Vergangenheit als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation und Minister für ländliche Entwicklung als guter Administrator gilt. Zudem kehrt als Kultur- und Informationsminister Machdum Rahin zurück, ein liberaler Lichtblick nach den Exzessen seines Vorgängers, der Pressefreiheit für eine westliche Verschwörung hielt. Karsai selbst hat durch gezielte Lobbyarbeit im Parlament und wohl mithilfe von etwas Bakschisch die Schlüsselfiguren seines Küchenkabinetts durchbringen können: Erziehungsminister Faruk Wardak, Landwirtschaftsminister Rahimi und den neuen aufsteigenden Stern, Finanzminister Omar Sachilwal, ein Afghano-Kanadier. Mehr braucht er gar nicht zum Regieren. Die übrigen Ministerien werden zwischenzeitlich von den Stellvertretern geführt, meist jungen Aufsteigern und Karsai-Loyalisten.
    Quelle: taz

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