Um eine gute Strategie zu streiten lohnt sich. Auch bei der Linken.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Der Chefredakteur des Neuen Deutschland machte am 8.1.2010 mich persönlich dafür verantwortlich, den „ersten Schuss“ auf den Bundesgeschäftsführer der Linkspartei Dietmar Bartsch abgegeben zu haben und dies auch noch aus „vertrauter Richtung“. Siehe hier und Auszug in Anlage 1. Dies ist eine ausgesprochen verwegene These. Der Streit um Personen bei der Linkspartei interessiert mich nicht sonderlich. Mir ging es im Vorfeld der Bundestagswahl um die Strategie der Linkspartei. Dazu habe ich mich in einem Interview mit der jungen Welt vom 10.6.2009 (siehe Anlage 2) geäußert. Albrecht Müller

Der Hintergrund ist einfach und folgt aus einer Regel der Demokratie: Unser Land braucht eine Alternative zur jetzigen Regierung. Diese ist aus meiner Sicht nur in einer Koalition unter Beteiligung der Linkspartei möglich. Deshalb interessiert mich der entbrannte Streit.

Ich kenne Dietmar Bartsch persönlich nicht und habe weder negative noch positive Vorurteile. Ich habe mich in jenem Interview vom 10. Juni 2009 allerdings zur Rolle eines Bundesgeschäftsführers geäußert. Ich habe dies nicht im Auftrag von irgendwem getan, wie das mit den Worten „aus vertrauter Richtung“ unterstellt wird, und schon gar nicht zum Schaden der Linkspartei. Im Gegenteil. Ich habe mich zur Rolle eines Bundesgeschäftsführers vor dem Hintergrund eigener, langjähriger Erfahrung geäußert. Ich war als Abteilungsleiter „Öffentlichkeitsarbeit“ und Verantwortlicher für Wahlen bei den beiden SPD-Bundesgeschäftsführern Hans-Jürgen Wischnewski und Holger Börner tätig. Beide hätten sich in einer ähnlichen Situation wie im Vorfeld der Europawahl 2009 und der Bundestagswahl anders verhalten als Dietmar Bartsch. Sie hätten zu Gunsten des Wirkens der Spitzenpolitiker, damals Brandt und Schmidt, den Ausputzer gespielt und angegriffen. Sie hätten die Medienbarriere thematisiert, mit der die SPD damals und die Linke heute zu kämpfen hat. Sie hätten zum Beispiel bei der absolut unfairen Behandlung Oskar Lafontaines durch Peter Frey im ZDF-Sommer-Interview wie auch schon im Vorfeld und dann bei zwei „Nachtritten“ zu diesem Interview öffentlich protestiert und auch beim Fernsehrat des ZDF interveniert (siehe dazu hier und chronologisch davor).
Die damaligen Bundesgeschäftsführer der SPD, Wischnewski und Börner, hätten nie und nimmer bei Journalisten irgendetwas fallen lassen, was ihren Vorsitzenden schadet. Sie hätten das als unverantwortlich und illoyal betrachtet. So gesehen benutzte Gregor Gysi gestern das richtige Wort.

Der Bundesgeschäftsführer der Linken sieht seine Rolle offensichtlich anders. Das mag man als sein gutes Recht betrachten. Ich glaube allerdings, dass er seine Rolle falsch sieht. Es spricht auch vieles dafür, dass die Linkspartei bei der Bundestagswahl nicht so gut abgeschnitten hätte, wenn die führenden Personen – Gysi, Lafontaine und andere – beispielsweise die Medienbarriere nicht zum Thema gemacht hätten (nähere Erläuterung dazu schon im Interview von 10. Juni 2009/Anlage 2). Sie haben damit ihren Anhängern und Multiplikatoren geholfen zu verstehen, warum ihre Partei so scheel angesehen wurde.

Die gleichen Erwägungen würde ich übrigens auch bei der SPD anstellen. Bei ihr gab es früher ähnliche Debatten wie bei der Linken heute. Es gab eine Reihe von Politikern vor allem aus den Kreisen der Seeheimer, die sich bei Journalisten mit internen Informationen und markanter Kritik an ihren eigenen Parteifreunden lieb Kind gemacht haben. Das ist also keine neue Erscheinung. Nur muss man eben wissen, dass der Niedergang der SPD davon wesentlich befördert worden ist.
Will die Linke eine ähnliche Entwicklung bei sich verhindern, dann muss sie darüber rechtzeitig offen sprechen und gegebenenfalls die Konsequenzen ziehen. Hätte zum Beispiel Willy Brandt im September 1973, nachdem Herbert Wehner in Moskau den Medien in einer Tirade gegen Brandt verkündete, „der Herr bade lau“, auf dem Rücktritt Wehners bestanden, dann hätte er die Affäre um den Spion Guillaume überstanden und wäre vermutlich länger Bundeskanzler geblieben.

Dietmar Bartsch hat offenbar gute Kontakte zum Spiegel beziehungsweise zu Spiegel Online. Solche „spezial relations“ zu haben und zu pflegen ist ohne Zweifel eine der wichtigen Aufgaben eines Bundesgeschäftsführers beziehungsweise eines Generalsekretärs, wie es bei Union, FDP und SPD heißt. Er muss die Möglichkeit haben, Botschaften und Geschichten zu pflanzen.
Eine der für die Linkspartei in der aktuellen Debatte zentralen Botschaften wäre es, sichtbar zu machen, dass es ein Phantom ist, den jetzigen Konflikt an der Scheidelinie Ost gegen West oder West gegen Ost festzumachen. Dies so in die Köpfe zu trimmen, ist offensichtlich die Absicht bei den der Linkspartei unfreundlich gesonnenen Medien.
Diesen Versuch muss ich als Bundesgeschäftsführer als gefährlich erkennen und gegenhalten. Er müsste sichtbar machen und über seine offensichtlich guten Kanäle zu verbreiten suchen, dass zum Beispiel die Vorstellung, in der Linkspartei im Osten lebten die Realisten und im Westen die Spinner, abwegig ist. Es gibt beides in beiden Teilen. Den stellvertretenden Parteivorsitzenden Klaus Ernst zum Beispiel und die durch ihn repräsentierte gewerkschaftsnahe Gruppierung zu realitätsfernen Politikern zu stilisieren ist einfach Unsinn. Ähnliches gilt für Lafontaine. Und im Osten gibt es nicht nur regierungsgeile Funktionäre. Sahra Wagenknecht zum Beispiel steht für Kompetenz und inhaltliches Engagement. Und nicht nur sie. Allein unter den Lesern der NachDenkSeiten treffen wir auf eine große Zahl von inhaltlich orientierten und engagierten Personen aus dem Bereich der Linkspartei im Osten.
Diese Vielfalt – ohne Trennung in Ost und West – zusammenzuführen, wäre eine vornehme Aufgabe des Bundesgeschäftsführers.

Anlage 1:

Streiten lernen
Betrachtung über eine verschobene Debatte in der LINKEN

Von Jürgen Reents
Von einer »neuen Streitkultur« ist häufig die Rede, wenn sich neue politische Formationen bilden. Es ist ein Schlagwort gegen die von der Öffentlichkeit gelegentlich zwar goutierten, aber nie honorierten politischen Machtkämpfe, Intrigen und Winkelzüge in den Hinterzimmern der Politiketagen. Als Alternative dagegen wird der demokratische Meinungsstreit gesetzt, bei dem sich die besseren Argumente kraft Überzeugung und nicht kraft Machtposition durchsetzen sollen. Dieser soll zudem coram publico verhandelt werden, also öffentlich transparent und nachvollziehbar sein. Die Grünen versprachen solch neue Streitkultur seinerzeit und vermasselten sie schließlich in personalisierten Frontalkämpfen ihrer Flügel.
(…)
Chronistisch muss hinzugefügt wurden, dass der »erste Schuss« auf Bartsch der frühere war und aus »vertrauter« Richtung kam: In einem Interview mit der »jungen Welt« vom 11. Juni 2009, unmittelbar nach der Europawahl, gab Albrecht Müller, einst im Wahlkampfstab von Willy Brandt tätig, eine Breitseite gegen Bartsch zu Protokoll: Die LINKE habe sich mit dem von ihm geleiteten Wahlkampf zum Europaparlament »lieb Kind bei den konservativen Medien« gemacht, es habe keine »offensive Unterstützung der Frontleute Gregor Gysi und Oskar Lafontaine« gegen die »antikommunistische Berieselung« durch die konservativen Medien gegeben. »Die Partei braucht an ihrer Spitze eine Persönlichkeit, die offensiv dagegen angeht, das wäre eigentlich die Aufgabe von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Er müsste der Ausputzer sein, der den Mut hat, sich mit diesen Medien anzulegen.«
Quelle: ND

Anlage 2:

Artikel aus der jungen Welt vom 10.06.2009/10.06.2009 / Inland / Seite 2
»Bartsch hätte der Ausputzer sein müssen«
Die »Frontleute« Gysi und Lafontaine wurden vom Vorstand der Linkspartei im Regen stehengelassen. Ein Gespräch mit Albrecht Müller von Peter Wolter
Albrecht Müller (SPD) war Wahlkampfleiter der SPD sowie Planungschef im Kanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt. Er ist Buchautor (»Die Reformlüge« und »Machtwahn«) und Mitherausgeber des Internetportals »Nachdenkseiten«

Die SPD ist bei der Europawahl am Sonntag auf 20,8 Prozent abgerutscht – Tiefstand seit Bestehen der Bundesrepublik. Ist die Bundestagswahl damit für die Sozialdemokratie gelaufen?
Aus meiner Sicht – ja. Aber nicht wegen des Wahlergebnisses, sondern wegen der falschen Weichenstellung der letzten Jahre.

Sie spielen auf die »Agenda 2010« an …
Genau. Das Wahlergebnis ist eindeutig die Folge dessen, daß potentielle Wähler ihre SPD nicht mehr wiedererkennen. Entscheidend war, daß die Partei unter Gerhard Schröder einen Kurswechsel vollzogen hat, den viele Leute mit Austritt quittiert haben. Oder mit Resignation – wie ich zum Beispiel.
Ein gravierender Fehler der SPD ist auch, daß sie nicht begriffen hat, daß eine Volkspartei nur dann Wahlen gewinnen kann, wenn sie politisch breit antritt und dabei glaubwürdig bleibt. Schröder hatte die Wahl 1998 gemeinsam mit Oskar Lafontaine gewonnen – aber heute? Franz Müntefering, Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier – das ist doch alles eine Richtung! Und Andrea Nahles hat mit linken Positionen auch nicht mehr viel zu tun. Hinzu kommt, daß die Parteispitze wissen müßte, daß man im Wahlkampf telegene Leute braucht – aber wer von den Genannten ist das schon?

Das Ergebnis der Linkspartei war auch nicht gerade berauschend, sie hat sich nur um 1,6 Punkte verbessert. Ihr Europaabgeordneter Tobias Pflüger kritisiert, sie habe im Wahlkampf zu wenig Biß gezeigt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Damit hat er vielleicht recht. Den größten Fehler sehe ich aber auf einem anderen Gebiet: Sie hat zugelassen, daß sie durch eine offenbar abgestimmte Kampagne in der Öffentlichkeit stigmatisiert wurde. Die Linkspartei sollte thematisieren, daß die Medien fortlaufend gegen sie Kampagnen führen, die Wähler müssen dagegen immunisiert werden.

Ich habe mir das zweifelhafte Vergnügen gemacht, einen Monat lang – vom 7. Mai bis zum 7. Juni – die Pressemitteilungen der Linkspartei zu sichten. Es gibt nicht eine darunter, die deutlich macht, wie diese Partei in der Öffentlichkeit fertiggemacht wird, nicht eine, die sich dagegen wehrt. Wenn man diese Medienbarriere nicht thematisiert, ist man verloren.

Die Linkspartei hat eindeutig einen falschen Wahlkampf gemacht, sie wollte sich wohl lieb Kind bei den konservativen Medien machen. Ich kenne den Parteivorstand der Linken zwar nicht, aber ich habe nicht den Eindruck gewonnen, daß es von seiner Seite aus eine offensive Unterstützung der Frontleute Gregor Gysi und Oskar Lafontaine gab. Die haben im Wahlkampf immerhin etwas härter zugeschlagen – wurden aber im Regen stehengelassen.

Sie waren Wahlkampfleiter der Bundes-SPD und Berater bei Wahlkämpfen auf Landesebene – welchen Rat würden Sie der Linkspartei für den bevorstehenden Wahlkampf geben?
Wenn sie nicht artikuliert, wie unfair und einseitig sie behandelt wird, werden immer mehr Wähler wegbleiben – die ständige antikommunistische Berieselung wirkt nämlich auf Dauer. Die Partei braucht an ihrer Spitze eine Persönlichkeit, die offensiv dagegen angeht, das wäre eigentlich die Aufgabe von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Er müßte der Ausputzer sein, der den Mut hat, sich mit diesen Medien anzulegen.

Aber sie hat doch Lafontaine. Er ist nicht nur Fraktions-, sondern auch Parteivorsitzender und obendrein mit allen Wassern gewaschen …
Lafontaine macht das ja, aber das ist zu wenig. Das Minimum ist, daß man den eigenen Anhängern und den Wählern erklärt, warum man so fertiggemacht wird. Daß das eine bewußte Masche ist, daß dahinter Strategien des rechten Lagers stecken – das alles erfährt ja kein potentieller Linkswähler.

Der Antikommunismus ist also immer noch der Patentknüppel, um die Linke in Deutschland kleinzuhalten?
Das ist richtig. Und es kann nicht nur Funktion z.B. der jungen Welt oder der Nachdenkseiten sein, dagegenzuhalten. Das wäre in erster Linie Aufgabe der Linkspartei selbst. Sie müßte diese Kampagnen analysieren und eine Gegenstrategie entwickeln.

Quelle: Junge Welt

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