Skeptiker gleich Spinner? Bundeszentrale für politische Bildung informiert über Verschwörungstheorien

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Mit der neuen Webseite „Wahre Welle“ diffamiert die Bundeszentrale für politische Bildung das, was sie eigentlich fördern sollte: das kritische Nachfragen, den skeptischen Blick. Dürftig kaschiert als satirische Übung zur Medienkompetenz, ist die von Steuergeldern finanzierte Seite ein Versuch, die jugendliche Zielgruppe zur Kritiklosigkeit zu erziehen. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Seriöse Skeptiker verbreiten Fragen, keine Theorien. Diese Regel lässt sich nicht nur auf „Verschwörungstheoretiker“ anwenden, sondern auch auf jene Journalisten, die Skeptizismus entgegentreten wollen. So kann man sich strittigen Fragen wie den Vorgängen rund um die New Yorker Terroranschläge vom 11. September 2001 (9/11) distanziert, sachlich und eben in Form von vorsichtigen Fragen nähern – oder in Form einer Polemik, die suggeriert, alle Leerstellen seien gefüllt. „Wahre Welle“, eine neue Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), wählt die letztere Variante und begibt sich damit auf eine Stufe mit genau jenen „Verschwörungs-Freaks“, die angeblich alle Antworten kennen und denen die bpb eigentlich das Wasser abgraben will.

Es soll hier weder eine Theorie entfaltet werden, noch soll sich der Text in technischen Details einer ungeklärten Affäre verlieren. Wohl aber kann zweifellos festgestellt werden, dass es nach der Empfindung von zahlreichen Menschen weltweit etwa zu 9/11 eine Reihe unbefriedigend beantworteter Fragen gibt. Mit dieser Feststellung wird keiner Theorie Raum gegeben. Betrachtet werden soll hier darum nicht, wie von der bpb – stellvertretend für viele Politiker und große Medien – mit pseudo-gefestigten Theorien umgegangen wird, sondern ihr Umgang mit Fragen zu strittigenThemen. Und die Tatsache, dass reale Verschwörungen (NSA-Skandal, Syrien, Ukraine) gar keinen Raum erhalten.

Unredliche Vermischung: 9/11 und die Mondlandung, Kennedy und das Klima

Um die „pädagogische“ Stoßrichtung des Vorhabens zu kaschieren, wählt die bpb die Form der Satire – doch nur scheinbar: Während die Startseite ihren Spaß mit „Alu-Hüten“, Chemtrail-Sonderlingen und Jüngern der „Hohlerde“-Theorie treibt, verbergen sich dahinter eine Reihe von offensichtlich ernst gemeinten Erziehungs-Artikeln gegen politischen Skeptizismus. So wird die mutmaßlich jugendliche Zielgruppe mit Klamauk angelockt, um dann mit „ernsten“ Inhalten gegen Zweifel an offiziellen Vorgangs-Versionen imprägniert zu werden.

Da ist etwa der Artikel zu 9/11, der die Strategie der unredlichen Vermischung nutzt und sich kaum den konkreten offenen Fragen zu 9/11 widmet, dafür das Attentat aber unseriös mit der Mondlandung verknüpft: „Und wie bei so vielen Ereignissen, die die Welt dauerhaft veränderten – ob Mondlandung, Präsidentenmord oder Klimawandel – es dauert nie lange, bis Zweifel aufkommen.“ Zusätzlich werden berechtigte Fragen nach physikalischen Gesetzen mit irren Theorien in einen Topf geworfen: „Gemäß der No-Planes-Theorie wurden die Gebäude gesprengt. Von Reptiloiden, Illuminaten oder Freimaurern – der Fantasie von ‚Truthern‘ sind kaum Grenzen gesetzt.“ Neben solchen allgemeinen Diffamierungen wird der quellenlose und angesichts des Themas erstaunlich knappe Text an manchen Stellen gewagt konkret: So würde man etwa gerne nachlesen, wo und wann genau sich Osama Bin Laden „mehrfach zu den Terroranschlägen bekannt“ hat.

Wird die Untersuchung verweigert, besetzen Rechte die Leerstellen

Aber wie gesagt – es sollen hier keine Details diskutiert werden, auch wird keine Theorie präferiert: Schließlich könnte eine angemessene Untersuchung von 9/11 ja auch (endlich glaubhaft) die offizielle Version stützen. Diese Möglichkeit macht eine Verweigerung von ernsthaften Untersuchungen noch unverständlicher – und gefährlich: Die auch von der bpb betriebene pauschale Abwehr der Skepsis und eine mediale Diffamierung von Forderungen nach neuen Untersuchungen können genau für die Freiräume sorgen, die dann dubiose „Truther“ mit rechtsradikalem Nonsens besetzen können, wie Autor Mathias Bröckers in einem Interview zu 9/11 erklärt:

„Ich verlange, dass das Verbrechen neu untersucht wird! Die Lewinsky-Ermittlung hat 30 Millionen Dollar bekommen, und die 9/11-Kommission am Anfang ganze 3! Das ist doch ein Witz! Und ihr Journalistenkollegen verhaltet euch schäbig, wenn ihr das so stehen lasst. Es muss sich doch niemand wundern, dass auch Nazis und irgendwelche verrückten Verschwörungstheoretiker diese Ungereimtheiten munter aufgreifen. Jedes stinknormale Verbrechen wird gründlicher untersucht als dieser Massenmord.“

Die Mär von den „einfachen Erklärungen für eine komplizierte Welt“

Auch das Kapitel zur „Lügenpresse“ auf „Wahre Welle“ erfüllt nicht die Kriterien eines seriösen Umgangs mit Medienkritik. Denn der Artikel leugnet, dass diese Kritik zum einen wohlbegründet ist und zum anderen nur zum Teil ein rechtes Phänomen: „Seit 2001 wird der Kampfbegriff ‚Lügenpresse‘ von Neonazis wiederentdeckt. Einmal mehr passt man dabei die dahinter stehende Verschwörungstheorie der neuen Zeit an. Neben den traditionellen Feindbildern sollen nun auch der israelische Geheimdienst Mossad und eine jüdisch unterwanderte CIA die Presse kaufen und lenken.“ Medienkritiker gleich Nazis – schönen Dank. Dadurch, dass der Artikel die auch kommunistische Tradition des Wortes und die aktuellen Gefahren durch große Medienkonzerne gar nicht thematisiert, macht er sich für die Mediendebatte wertlos.

Es gibt auch die „allgemeine Einordnung“ des Phänomens Verschwörungstheorie (VT), die eröffnet wird mit dem bekannten Standpunkt der Verteidiger der offiziellen Darstellungen: „Verschwörungstheorien bieten einfache Wahrheiten für eine komplizierte Welt.“ Dieser Satz wird durch seine häufige Wiederholung nicht klüger, er ist eine Variante der Strategie „Haltet den Dieb“ – denn es sind im Gegenteil eher die offiziellen Versionen, die an Einfachheit kranken: So sind die Versionen der Skeptiker oft erheblich komplexer als etwa die offiziellen Darstellungen des syrischen Konflikts als „Volksaufstand“ oder des ukrainischen Putsches als „Sieg der Zivilgesellschaft“. Ganz zu schweigen von reinen offiziellen Verschwörungstheorien wie der Skripal-Affäre.

Die NachDenkSeiten haben sich bereits in zahlreichen Artikeln mit dem Phänomen und dem Kampfbegriff „Verschwörungstheorie“ auseinandergesetzt, etwa hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier oder hier.

Kuriose Koalitionen gegen den „Deckmantel der Meinungsfreiheit“

Was für eine inquisitorische Stimmung „Wahre Welle“ und viele vergleichbare Medien-Publikationen bereits erzeugt haben und welch kuriose Koalitionen gegen die freie Meinungsäußerung sich daraufhin bilden, zeigte bereits 2015 ein von der örtlichen SPD, den Piraten, den Grünen und der städtischen Antifa unterzeichneter Offener Brief gegen einen Auftritt von Daniele Ganser an der Uni Witten, in dem das oben beschriebene Verbot von Fragen beispielhaft praktiziert wird:

“Daniele Ganser stellt Verschwörungstheorien insbesondere zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als in der Wissenschaft zu diskutierende Erklärungsansätze dar. In seinen Vorträgen unterschlägt er längst geklärte Sachverhalte und stellt Fragen als offen dar, die eine plausible und nahliegende Erklärung haben. (…) Die Grenze zwischen pluraler Meinungsbildung, akademischen Ideenstreit und politischer Meinungsmache plumpster Art, sind daher mit der Einladung Daniele Gansers klar überschritten. Innerhalb der seriösen akademischen Welt ist es unbestrittener Konsens, dass nicht jeder kruden These unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit ein Forum geboten wird.“

„Längst geklärte Sachverhalte“ werden unter dem „Deckmantel der Meinungsfreiheit“ in Frage gestellt – es wird höchste Zeit, dass die bpb solchem Frevel Einhalt gebietet.