Die Kinder-Käfige der Homeland Security – Die USA und die Hintergründe der Migrations-Tragödie in Zentralamerika

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Tage nach dem anhaltenden, weltweiten Aufschrei gegen Bilder von der Gefangenschaft sowohl unbegleiteter als auch ihren Familien entrissener, zentralamerikanischer Kinder und Jugendlicher in Metallkäfigen an verschiedenen Abschnitten der Südgrenze der USA hat Präsident Donald Trump am vergangenen 20. Juni den Befehl zur Familientrennung zumeist illegal eingewanderter mittelamerikanischer Migranten vorerst zurückgenommen. Im gleichen Atemzug stieß der Staatschef der USA jedoch neue Drohungen aus: „Wir werden aber eine sehr energische Grenze weiterführen, es besteht weiterhin Null-Toleranz für Menschen, die illegal in unser Land kommen“. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.

Die Verschärfung der „Null-Toleranz“-Politik gipfelt nun in der Negation der Rechtsprechung: Migranten, die illegal in die USA einreisen, sollen fortan ohne Anspruch auf richterliche Anhörung und ordentlichen Prozess an Ort und Stelle ausgewiesen werden. Trumps „energische Grenze“ darf man sich allerdings nicht als Synonym für geordnetes, geschweige denn als friedliches Terrain vorstellen. Es herrscht Chaos, gestrickt mit nackten und bedrohlichen Fakten.

Eine Tausendschar entführter, zwangsinternierter und „verlorener“ Kinder

Seit dem Amtsantritt des New Yorker Immobilien-Spekulanten, Freizeit-Unternehmers und Milliardärs als US-Präsident am 20. Januar 2017 haben die Behörden der Vereinigten Staaten 3.700 Migranten-Kinder ihren verhafteten Eltern entrissen, warnte Ryan Deveraux im angesehenen Internet-Journal The Intercept (The U.S. Has taken more than 3,700 children from their parents – and has no plan for returning them – The Intercept, 19. Juni 2018).

Grausam? Leider ist dies nur ein Drittel der vermuteten Wahrheit. Trumps Beschwichtigung, man werde auf Familientrennung verzichten, verschweigt, dass seine Regierung die Spuren 1.500 allein eingereister und zwangsinternierter Minderjähriger „verloren“ hat. Bereits Ende April konnte man in der New York Times lesen, dass zwischen El Paso, an der Grenze zu Mexiko, und Washington DC keine Pfeife der US-Administration weiß, wo die Kinder abgeblieben sind. So seien die zumeist aus Honduras, El Salvador und Guatemala vor Drogenkartellen, Bandenkriminalität und häuslicher Gewalt geflohenen Kinder in die Obhut der Regierung genommen und nachträglich bei sogenannten „Sponsoren“ untergebracht worden, nachdem sie allein an der Südwestgrenze der USA aufgetaucht waren.

Zwischen Oktober und Dezember 2017 hatte das Amt für Flüchtlingsumsiedlung des Ministeriums für Gesundheit und Sozialfürsorge versucht, Kontakt zu 7.635 Migranten-Kindern und ihren privaten „Förderern“ herzustellen, erklärte Steven Wagner, stellvertretender Sekretär der Agentur für Kinder- und Familienangelegenheiten vor Kongressabgeordneten. Dabei erfuhren die Beamten, dass 6.075 Kinder zwar bei ihren Sponsoren geblieben, 52 umgezogen, 28 weggelaufen, 5 aus den Vereinigten Staaten „entfernt“ worden waren, jedoch auch, dass die Agentur fast 1.500 Migrantenkinder, die sie bei Sponsoren untergebracht hatte, „aus den Augen verloren habe“ (Federal Agencies Lost Track of Nearly 1,500 Migrant Children Placed With Sponsors – 26. April 2018).

Die Horrorgeschichte nimmt damit leider immer noch kein Ende. Democracy Now konnte erfahren, dass 20.000 Minderjährige und Kinder nun auf Militärstützpunkten der US-Army in Texas und Arkansas interniert werden sollen (Military Prepares Four Bases to Hold 20,000 Immigrant Children – 22. Juni 2018). Ein Pentagon-Sprecher erklärte, die Stützpunkte würden „unbegleitete ausländische Kinder” beherbergen, jedoch wird vermutet, dass nach der Entscheidung Trumps, Familientrennungen zu beenden, fortan ganze Familien auf unbestimmte Zeit vom Militär beaufsichtigt werden sollen, während die Gerichte einen Antrag des Justizministeriums prüfen, der die Inhaftierung von Familien auf 20 Tage begrenzen soll.

Wie aber soll die Familienzusammenführung überhaupt praktiziert werden, wenn hunderte, wenn nicht gar tausende Mütter daran verzweifeln, dass sie nicht wissen, wo ihre beim Versuch der illegalen Einreise mitgebrachten Kinder abgeblieben sind, wie Jonathan Blitzer von der Zeitschrift The New Yorker erfuhr (Mothers in a New Mexico Prison Do Not Know How to Find Their Children -21. Juni 2018).

Zigtausenden Kindern geht es wie dem 9-jährigen brasilianischen Jungen A., der in einem Auffanglager im texanischen Baytown verzweifelt nach seiner Mutter flehte, der er Ende Mai entrissen worden war, bis er am vergangenen 22. Juni von Felipe Santarosa, dem stellvertretenden brasilianischen Konsul in Houston, besucht wurde und zum ersten Mal nach drei Wochen sich in seiner Muttersprache Portugiesisch verständigen und anschließend mit seiner an einem anderen Ort inhaftierten Mutter am Telefon sprechen durfte (Detido em abrigo nos EUA, menino brasileiro diz ter ficado 20 dias sem falar com a mãe – Jovem Pan, 23. Juni 2018).

Gleichwohl hatte A. “Glück“. Klagen gegen grobe Menschenrechtsverletzungen mehren sich. Wie die New York Times berichtete, wies Virginias Gouverneur Ralph Northam Staatsbeamte an, Misshandlungen von Kindern in einer Einwanderungshaftanstalt zu untersuchen. Die Kinder beklagten, sie seien mit Handschellen gefesselt, lange Zeit in Einzelhaft, nackt und zitternd in Betonzellen gehalten und geschlagen worden. Wachen sollen Prellungen und Knochenbrüche durch Schläge verursacht haben. Die Untersuchung begann erst, nachdem eine gerichtliche Bürgerrechtsklage mit einem halben Dutzend eidesstattlicher Aussagen von Jugendlichen aus Lateinamerika gegen die Jugendhaftanstalt Shenandoah Valley eingereicht wurde (Governor Orders Probe of Abuse Claims by Immigrant Children – NYT, 21. Juni 2018).

Familientrennung als Faustpfand zur Abschreckung

In einer außergewöhnlichen Stellungnahme zu den politischen Geschäften ihres kontroversen Ehemannes hatte first lady Melania Trump die Familientrennung öffentlich kritisiert und war allein – doch wie zu vermuten ist, vom Ehemann dazu angetrieben – zu einem Migranten-Auffanglager an der mexikanischen Grenze aufgebrochen. Allerdings in eine Windjacke gekleidet mit dem provokativen Spruch auf dem Rücken, „I really don´t care”. Was hatte das zu bedeuten? Zwei Tage später schob der Präsident zur Verteidigung seiner Ehefrau per Twitter nach:

„I really don´t care, geschrieben auf dem Rücken von Melanias Jacke, bezieht sich auf die Fake News der Medien. Melania hat inzwischen gelernt, wie unehrlich sie sind, und es kümmert sie wirklich nicht mehr!”.

Damit bezog sich Trump u.a. auf die millionenfache Verbreitung von Fotos und Tonaufnahmen, auf denen zum Teil weinende zentralamerikanische Kleinkinder in Metallkäfigen abgebildet wurden und zu hören waren. Einzelne Fotos konnten tatsächlich als bewusste Irreführung, im besten Fall als nicht recherchierter Fehlgriff beim Protest gegen Trump identifiziert werden. Ein Pressefoto bildete einen kleinen Jungen ab, der vor einigen Monaten während eines Protestes in Washington gegen diese Praxis von seinen Eltern symbolhaft für ein paar Minuten in einen Käfig gesteckt worden war. Ein anderes Bild stammte aus dem Jahr 2014, also aus Zeiten der Barack-Obama-Administration.

Gleichwohl flutete auch eine Vielzahl aktueller, authentischer Käfigbilder und Videos mit eingekerkerten Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern die Medien, zum Teil selbst aufgenommen von der Zoll- und Grenzschutzbehörde Customs & Border Protection, jedoch auch registriert von den Agenturen France Press und der amerikanischen Associated Press.

Die wildtierähnliche Einsperrung tausender Migranten in Metallkäfigen ist nichts Neues. Sie begann unter der Regierung George Bush Jr. (2001-2009), wurde während der Amtszeit Barack Obamas (2009-2017) fortgesetzt und wird verschärft von der Trump-Administration angewendet. Die Analogie zu den in Guantanamo-Bay seit Jahren ohne Gerichtsurteil in ähnlichen Käfigen dahinschmachtenden Terrorverdächtigen war naheliegend und stieß auf weltweite Abscheu.

Die Scharfmacher hinter der neuen Devise „Zero Tolerance“ – die seit April 2018 praktizierte massenhafte Trennung von Familien und Kriminalisierung illegaler Zuwanderer – sind Generalstaatsanwalt Jeff Sessions und Kirstjen Nielsen, langjährige Sicherheitsbeauftragte der Republikaner und seit 2017 amtierende Ministerin für das nach den Attentaten von 2001 geschaffene Ressort für den sogenannten Heimatschutz (Homeland Security), das mit einem Haushalt von 40,6 Milliarden Dollar (2017) zur Zeit 229.000 Beamte beschäftigt und außer der Nationalgarde auch die US-Army zur potenziellen Bekämpfung inländischer Aufstände in Erwägung zieht.

„Zero Tolerance“ wurde im September 2016 während Trumps emotionsgeladenem und von wilden Unterstellungen geprägtem Wahlauftritt in Phönix geboren, als der damalige Kandidat der Republikaner drohte, es werde keine Amnestie für Migranten geben, ferner die mittlerweile durchgesetzte Streichung eines von Barack Obama geschaffenen Sozialprogramms für 800.000 Migranten-Kinder ankündigte und seinen jubelnden weißen, ausländerfeindlichen Wählern die Vision von einer mexikanischen Grenzmauer und der Massenvertreibung „krimineller Ausländer“ in die Hirne einhämmerte.

Jorge Ramos, ein populärer, konservativer, zentralamerikanischer Journalist der Fernsehkette Univisón twitterte am 16. Juni, „Die Trennung von Kindern von ihren Eltern verstößt gegen das Übereinkommen gegen Folter und das Übereinkommen über die Rechte von Kindern der Vereinten Nationen …“. Henry A. Giroux, renommierter US-Pädagoge und Buchautor, bezeichnete in der einflussreichen, linken US-Internet-Zeitschrift Counterpunch die Familientrennungen und die Kinder-Käfige als „Trumps Krieg gegen die Kinder“ und „Staatsterror“. „Ich lebe in einem Grenzstaat, ich schätze die Notwendigkeit, unsere internationalen Grenzen durchzusetzen und zu schützen, aber diese Null-Toleranz-Politik ist grausam, sie ist unmoralisch und sie bricht mir das Herz”, schrieb Laura Bush, Ehefrau des republikanischen Ex-Präsidenten George W. Bushs, in der Washington Post.

Jedenfalls, vom linken bis zum rechtsstaatlich-konservativen Medienspektrum war sich schon Ende 2017 die Mehrheit der Autoren und Autorinnen darin einig, dass die Kinder als Faustpfand zur Abschreckung der legalen und illegalen Massenmigration in Richtung USA benutzt werden.

„Einwanderungsbefürworter haben den Plan (der Familientrennung) als unmenschlich und grausam … angeprangert, doch einzelne Trump-Beamte halten es für ein geeignetes Mittel zur Abwendung der illegalen Einwanderung, schrieb Michelle Mark im konservativen Business Insider (The Trump administration is weighing splitting up immigrant families who cross the border illegally – 22. Dezember 2017). Mit der Beschreibung detaillierter Hintergründe der illegalen Festnahme von zentralamerikanischen Minderjährigen gelangte das mexikanische Nachrichtenportal 24 HorasMx zur gleichen Einschätzung (Separación familiar en la frontera, estrategia para disuadir entrada de indocumentados a EU: Expertos – 24 HorasMx, 26. April 2018).

Massendeportationen unter 11 Millionen illegalen Einwanderern

Verglichen mit dem Phänomen der zentralamerikanischen Massenflucht ist der Flüchtlingsansturm aus Nahost und Afrika auf die Europäische Union eine anekdotische Fußnote, derart massiv ist der Druck auf die Südgrenze der USA, zumal von der illegalen Einwanderung. Nach Erhebungen des Pew Research Center erlebten die USA zwischen den 1990-er Jahren und 2007 einen kolossalen Anstieg illegaler Immigranten von schätzungsweise 3,5 Millionen auf den Höchststand von 12,2 Millionen Menschen, der seitdem jedoch rückläufig ist. Die Schätzungen decken sich mit den vom Zentrum für Migrationsstudien gemeldeten Trends, wonach die Zahl der illegal in den USA lebenden 10,9 Millionen Ausländer im Januar 2016 zwar auf den niedrigsten Stand seit 2003 gesunken sei, jedoch liegen den US-Behörden zurzeit immerhin 600.000 Asylanträge vor.

Von den Regierungen Barack Obama und Donald Trump wurden zwischen 2014 und Ende 2017 rund 180.000 Zentralamerikaner und Zentralamerikanerinnen deportiert, die Hälfte davon waren Minderjährige (El gobierno de Trump cancela programa de refugiados para niños centroamericanos – Univisión, 16. August 2017). Die von Trump und der Homeland Security verbreitete Kampfparole lautet, die Migranten hätten die USA mit Verbrechen überzogen und stellen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.

Die Unterstellung hat jedoch mit der Realität und der Wahrheit nichts zu tun, vielmehr kaschiert sie ausländerfeindliche und rassistische Motivationen der Stammwähler Trumps und des Deep State. Aus verschiedenen Studien sei zu entnehmen, dass Migranten weniger Verbrechen begehen als gebürtige US-Amerikaner, berichtete die New York Times bereits wenige Tage nach Donald Trumps Amtsübernahme. Laut Experten-Aussagen entbehre die Behauptung, dass undokumentierte Einwanderer einen unverhältnismäßig hohen Anteil an den in den USA begangenen Verbrechen hätten, jeglicher Beweise.

Ganz im Gegenteil haben Untersuchungen der Volkszählungs-Eckdaten aus den Jahren 1980 bis 2010 ergeben, dass die Zahl inhaftierter Einwanderer im Alter zwischen 18 und 49 Jahren etwa 20 Prozent, höchstens 50 Prozent der Zahl inhaftierter, gebürtiger US-Amerikaner ausmachte; ein Szenario, das auch vom Justizministerium bestätigt wird, wonach maximal 5 Prozent der Strafanstalt-Insassen Ausländer sind. (Contrary to Trump’s Claims, Immigrants Are Less Likely to Commit Crimes – NYT, 26. Januar 2017).

Der lange Fußmarsch mit den Coyoten – der Fall Honduras

Bei der Beschreibung der Hintergründe des zentralamerikanischen Massen-Exodus in Richtung USA merkt der recherchierende Autor allerdings, wie sich seine eigenen Sinne gegen die eiskalte Statistik aufbäumen. Zu barbarisch sind doch diese Zeiten und grausam die Ironie, dass eine Menschenschar dazu bereit ist, einen tausende Kilometer langen Marsch der Entbehrungen und Erschütterungen auf sich zu nehmen, um ausgerechnet der Wiege ihres Leids, jedoch als Fata Morgana des „gelobten Landes”, in die Arme zu laufen. Woher kommen diese Frauen, Jugendlichen und Kinder, die in der Anonymität der verhassten und gepeinigten Migranten untergehen, und was treibt sie zu tagelangen, gefährlichen Abenteuern in Richtung der US-Grenze?

Nehmen wir den Fall Honduras. Im Jahr 2016 lebten in dem kleinen zentralamerikanischen Land 9,1 Millionen Menschen. Weniger als ein Jahrzehnt zuvor, da waren es noch fast 10,5 Millionen. Bei Anbruch des neuen Millenniums erreichte der Exodus zur Verwirklichung des “Amerikanischen Traums” alarmierende Ausmaße. Der Migranten-Ansturm aus Guatemala, El Salvador und Honduras – das nördliche mittelamerikanische Dreieck, genannt “Triangulo del Norte“ – überholte gar die Zahl der traditionellen mexikanischen Grenzüberschreitungen. Hunderttausende brachen auf in Richtung Norden und ließen alles zurück – alte Hoffnungen, die Familie und das für die lange, unsichere Reise geopferte wenige Hab und Gut.

Die in den 1990-er Jahren gegründete honduranische Rockband Delirium widmete ihren Landsleuten den ergreifenden Song “Hermanos en el dolor” („Brüder im Schmerz“), der die 4.000 Kilometer lange, waghalsige Fahrt, unterbrochen von häufigen Fußmärschen durch Narco-Gebiete, ausgedörrte Landschaft und lauerndem Militär und Polizei mit realistischer Poesie beschreibt – Leidenswege, die nicht selten ohne ortskundige Führer in Hunger und Durst gipfeln, weshalb Menschengruppen ständig durch Grenzpatrouillen gerettet werden.

Hin und her irrend
in dieser unendlichen Wüste
zwischen seelenlosem Wind
und totem Geröll
Auf dem Rücken eines jeden Steins
Da steht dein Schicksal geschrieben
Je unendlicher der weite Weg,
Umso näher blickt es dich an.

Du bist mein Bruder im Schmerz
Gefangene der Gefühle blutet die Vernunft
Auf der Suche eines Traums machte ich mich auf
Auf der Suche nach der Welt, die ich niemals fand.

Das Reiseabenteuer auf Nebenstrecken mit Umgehung von drei Landesgrenzen – Guatemala, Mexiko, USA – wird von einer Zunft heimlich operierender Schlepper betrieben, “Coyoten” oder “Polleros” genannt, die bis zu $ 200.000 Lempiras – umgerechnet 8.000 Dollar – dafür verlangen. Die Coyoten betrachten ihre Fahrgäste ebenso als „Ware“ wie die Drogentransporte, die sie auf der gleichen Strecke für kolumbianische und mexikanische Narko-Kartelle „mit Ehrenwort und termingerecht“ abliefern.

Auf diese Weise gelangten nach unterschiedlichen Schätzungen der Vereinten Nationen und der US-Einwanderungsbehörde in den vergangenen 15 Jahren rund 1 Million Honduraner ins Ausland, davon 800.000 allein in die USA. Doch unter der Administration Barack Obama begannen die Deportationen. Allein 2015 wiesen die USA und Mexiko nach Angaben des Zentrums für die Rückkehr von Migranten (CAMR) insgesamt 75.875 Honduraner aus, denen 2016 weitere 56.467 Abschiebungen folgten (Migración del Triángulo Norte crece a ritmos alarmantes – Prensa Libre/Guatemala, 02. Dezember 2017).

Mit dem Segen der USA

Bereits ein Jahr zuvor hatte jedoch der honduranische Kardinal Óscar Andrés Rodríguez Maradiaga vor der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten in Washington eine dramatische Rede gegen die Hoffnungslosigkeit, die in Honduras und im übrigen Mittelamerika herrsche, gehalten. „Es ist, als ob jemand in Honduras und anderen zentralamerikanischen Ländern eine Ader aufgeschnitten hätte. Angst, überwältigende Armut und keine Zukunft bedeuten, dass wir unsere Seele, nämlich unsere Jugend, verlieren. Wenn das so weitergeht, werden die Herzen unserer Region aufhören zu schlagen”, lautete die Anklage des Kardinals, dessen Rede von der honduranischen Regierung Juan Orlando Hernández‘ verboten wurde (Migrantes infantiles son una arteria abierta en América Central – IPS, 17. Juli 2014).

Hernández wurde übrigens erst vor wenigen Monaten durch erwiesenen Wahlschwindel im Amt bestätigt und trotz schwerwiegender Anschuldigungen wegen Korruption und Verwicklung in den Drogenhandel von liberalen Parteien Europas – u.a. der FDP – und der Trump-Regierung massiv gegen den unterlegenen Kandidaten der progressiven „Allianz der Opposition gegen die Diktatur“, Salvador Nasralla, unterstützt.

Vor vier Jahren rechnete Kardinal Maradiaga mit den USA über die massiven Deportationen honduranischer Minderjähriger ab, stellte jedoch vor allem die chronische Armut und Perspektivlosigkeit für den Massenexodus, insbesondere von Jugendlichen und Kindern, an den Pranger. Entsetzen löste sein Bericht aus über die Angst, die erdrückende Armut, die Arbeitslosigkeit und die Gewalt, die verzweifelte Eltern dazu veranlasse, ihre Kinder zum gefährlichen Weg der Migration zu ermutigen, um ihnen damit wenigstens ihr Leben zu retten.

Doch Trump und den Deep State schert es einen Dreck, dass Honduras als Schlachtfeld des sogenannten „Krieges gegen die Drogen“ der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA genutzt wird, wo 45 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze mit 1 Dollar pro Tag leben. Leben?

Mit 79,7 Morden je 100.000 Einwohner avancierte Honduras zum gewalttätigsten Land der Welt. „Honduras bildet den Mittelpunkt des zentralamerikanischen Isthmus und ist ein Schlüsselland im mittelamerikanischen Raum. Die Nähe zu Guatemala, El Salvador und Nicaragua, ferner die Nähe zu Kuba und der Zugang zum Karibischen Meer und durch den Golf von Fonseca zum Pazifik verleihen seinem Gebiet einen strategischen Charakter. Auch der See-, Land- und Luftraum dieser Nation ist zu einer Plattform für die Besetzung durch die US-Marines geworden, die immer noch auf den Militärstützpunkten von Palmerola und Trujillo präsent sind.

„Das honduranische Territorium wurde zu dem, was Meister Gregorio Selser eine Art ´amerikanischer Flugzeugträger auf dem zentralamerikanischen Isthmus nannte“, schrieb voller Verachtung Adalberto Santana Hernández, Professor für Lateinamerika-Studien an der Nationalen Autonomen Universität Mexiko und Sachverständiger u.a. für Drogen-Kriminalität und Migration (Crisis política y social en Honduras – Blog Telesur, 20. Februar 2018).