Jahreswirtschaftsbericht 2005: Thema verfehlt, setzen, 6

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Gesetzestreu legt die Bundesregierung bis Ende Januar eines jeden Jahres den Jahreswirtschaftsbericht vor. Wichtiges fehlt auch in diesem Jahr. Von Kohl bis Schröder – immer das Gleiche.

Nach § 2 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) soll der Jahreswirtschaftsbericht eine Darstellung der von der Bundesregierung verfolgten Wirtschafts- und Finanzpolitik, eine Stellungnahme der Bundesregierung zum Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie eine Jahresprojektion der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für Deutschland enthalten. § 3 des StWG verpflichtet darüber hinaus die Bundesregierung gesamtwirtschaftliche Orientierungsdaten zur Verfügung zu stellen. Soweit so gut die Intension des Gesetzgebers von 1967.

Die heutigen Verwalter des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes erfüllen nur noch formal diese Vorschriften. Vergeblich wird der sorgfältige Leser des diesjährigen Jahreswirtschaftsberichtes – wie auch schon vorher seit der geistig, moralischen Wende von Kohl 1982 – nach einer regierungsamtlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik, die diesen Namen verdient, suchen. Makroökonomische Politik mit wachstums- und beschäftigungspolitischer Zielsetzung findet in Deutschland nicht mehr statt. Zur Geldpolitik, also zu einem der drei makroökonomischen Politikbereiche Finanzpolitik, Lohnpolitik und Geldpolitik, wird man gar nichts finden. Geldpolitik wird irgendwo im Olymp (EZB Frankfurt) gemacht und ist daher als gottgewollt gegeben hinzunehmen. Lohnpolitik ist insofern klar, als die Löhne sind zu hoch, die Lohnnebenkosten behindern die Beschäftigung. Finanzpolitik ist ebenso klar, man spart verzweifelt und doch eifrig dem 3 % Ziel von Maastricht hinterher, ohne es je zu erreichen. Das Denken in makroökonomischen Kreislaufzusammenhängen ist der verbeamteten, politischen und wissenschaftlichen ökonomischen Elite abhanden gekommen. Es wird eben nicht mehr über ein Output-gap geredet, oder über den Absturz der Investitionsquote, den Zusammenbruch der öffentlichen Investitionen, der sich dauernd verschlechternden Arbeitsmarktlage, trotz Reformen, trotz Lohnzurückhaltung, trotz eisernem Sparwillen, trotz Gewinnexplosion. Das alles wird nicht mehr reflektiert. Die Verteilung wird immer schiefer; dass dies einen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung haben könnte, fällt keinem mehr auf. Dafür haben wir aber den Armuts- und Reichtumsbericht in dem man nebulös feststellt, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Eine ebensolche Attrappe ist die Jahresprojektion, die gleichzeitig auch die Orientierungsdaten für die Wirtschaftssubjekte in Deutschland abgeben sollte. Quantitative Ziele werden nicht mehr angestrebt. Die einzige quantitative Ikone sind die 3 % von Maastricht und die Jahresprojektion hat nur noch einen Zweck, möglichst im Prognosespektrum des kollektiven Irrtums (der ach so gleichgerichteten Forschungsinstitute) zu liegen und abschätzbare Steuer- oder Sozialeinnahme-Ausfälle zu kaschieren und deren Offenlegung möglichst weit hinaus zu schieben.

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