„Schurkenwirtschaft“ – eine bemerkenswerte Rede vom Oberstaatsanwalt der Anti-Mafia-Direktion Palermo (Finanzkrise XXXII)

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Heute erschien in der FR die Übersetzung einer Rede, die Roberto Scarpinato am 5.2. auf einer Konferenz in Karlsruhe gehalten hat. Zitat: „Die Auswüchse der Wirtschaftskriminalität in den Chefetagen der internationalen Konzerne, die die Weltwirtschaft bestimmen, verursachen weit größere und schwerer zu behebende Schäden als andere Verbrechen“. Das ist eine äußerst lesenswerte Rede. Albrecht Müller

Sie ergänzt und unterfüttert unseren Beitrag und Hinweis vom 2. 2.: „Die kriminelle Energie der herrschenden Kreise – sie ist ungetrübt und unverschämt“

Hier noch einige Auszüge, beginnend mit dem Einstieg:

Die Mafia in der globalen Welt
Schurkenwirtschaft

Im dritten Jahrtausend sehen wir uns mit einem globalen Virus konfrontiert, das droht, die demokratischen Nationen schleichend von innen heraus zu zerstören: Die Rede ist vom transnational organisierten Verbrechen. Die Weltöffentlichkeit und auch die Politiker vieler Länder sind sich noch nicht im Klaren darüber, welche Gefahr von diesem tödlichen Virus wirklich ausgeht. Man denkt immer noch, dass das organisierte Verbrechen von einer Minderheit bestimmt wird, die in einer kriminellen Unterwelt lebt und keinerlei Berührungspunkte mit der Welt und dem Leben der ehrlichen Bevölkerung hat.

Auch herrscht die weit verbreitete und irrige Ansicht, dass man die internationale Ausbreitung einer Mafia-Art vermeiden könne, wenn man nur wachsam ist und eine internationale Zusammenarbeit von Staatsanwälten und Polizei gewährleistet.

Leider sieht die Realität ganz anders aus. Die Welt des internationalen Verbrechens und die Welt der normalen Bürger sind zwei Seiten derselben Medaille; tatsächlich sind sie voneinander abhängig. Was wir als den äußeren Feind bekämpfen, ist in Wahrheit schon längst im Innern und ist Teil unseres täglichen Lebens, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind.

(…) Wir müssen uns nur vor Augen halten, welche Art von illegalen Waren und Dienstleistungen das organisierte Verbrechen ihren willigen Kunden anbietet. Das Geschäft floriert, weil es Millionen von Bürger gibt, die ein Interesse an den illegalen Waren und Dienstleistungen haben. Einen Großteil der kriminellen Aktivität muss man also als ein Phänomen der freien Marktwirtschaft einstufen, reguliert durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage.

(…) Es sind riesige rechtsfreie Räume entstanden, in denen starke Kräfte auf legale und illegale Weise den Zustand der Anarchie für ihre Interessen ausnutzten. Das Resultat ist, dass die Wirtschaft der Politik den Rang abgelaufen hat.

(…) Die jüngste Krise, die 2008 die Weltwirtschaft zu Fall brachte, zeigte, welche katastrophalen Folgen eine Wirtschaft hat, die sich an keine Regeln hält und hauptsächlich von Leuten betrieben wird, die international operieren. Außerdem hat alle Welt gesehen, dass die Staaten unfähig sind, die Wirtschaft im Griff zu behalten – außer wenn es darum geht, großzügig öffentliche Gelder auszugeben, um einen weltweiten Zusammenbruch zu vermeiden. (…)

Kommentar AM: Hier wäre kommentierend anzumerken, dass die staatlichen Stellen nicht nur unfähig, sondern auch unwillig waren, die Wirtschaft im Griff zu behalten. So hat Angela Merkel den Vertreter von Goldman Sachs, Otmar Issing zum Chef einer Kommission für neue Regelungen auf den internationalen Finanzmärkten gemacht; und die Politik hat die Deregulierung auf den Finanzmärkten vorangetrieben; der damalige Bundesbankpräsident Tietmeyer, immerhin auch eine staatliche Stelle, hat der Politik in Davos erklärt, sie stehe unter der Kontrolle der Finanzmärkte. Weiter mit Auszügen:

(…) Der Machtverlust der Politik gegenüber der Wirtschaft, der unkontrollierte Machtzuwachs der privaten Akteure gegenüber der Machteinbuße des Staates, die Gefahr einer versteckten Abhängigkeit des Staates von den Anforderungen des Marktes und seiner Akteure – das sind die Faktoren, denen das organisierte Verbrechen seine wachsende Macht verdankt. Achtet man darauf, wo die Interessen der kriminellen Wirtschaft und die von durch keinerlei Gesetze eingeschränkten Topmanagern zusammenlaufen, dann versteht man, warum eine Gesetzgebung gegen Geldwäscherei scheitern muss – trotz aller Bemühungen der UN und der EU.

(…) Die Mafia hat nicht nur an der Bildung des neuen postsowjetischen Staates mitgewirkt, sondern sitzt nun auch in der internationalen Hochfinanz und ist eine strukturelle Komponente des globalen Kapitalismus, ein wesentlicher Bestandteil der neuen privaten Macht, die Weltwirtschaft und Geopolitik entscheidend beeinflusst.

Soweit die Auszüge. Wie gesagt, die Lektüre der gesamten Rede lohnt. Interessant ist dabei auch, dass der Oberstaatsanwalt aus Italien die Bedeutung der makroökonomischen Verhältnisse ausgesprochen gut verstanden und wiedergegeben hat.

Ich kann mir in diesem Zusammenhang einen Hinweis auf das Gründungsmanifest des „Instituts Solidarische Moderne“ nicht verkneifen: Die Rede des italienischen Staatsanwaltes wäre eine weitaus bessere Grundlage der Sammlungsbewegung auf der linken Seite unserer Gesellschaft als der vorliegende Gründungsaufruf. Siehe auch hier: „Institut Solidarische Moderne“ – eine sehr begrüßenswerte Initiative und ein sehr nachbesserungsbedürftiger Titel und Text.

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