Kurt Gritsch: „Journalisten schaffen durch ihre Sprache Freund- und Feindbilder“

Ein Artikel von Marcus Klöckner
Kurt Gritsch

Was ist Friedensjournalismus? Unter anderem darum geht es im NachDenkSeiten-Interview mit Kurt Gritsch. Der Schweizer Historiker und Friedensforscher, der sich intensiv mit der Berichterstattung großer Medien zum Kosovo-Krieg auseinandergesetzt hat, betont, dass ein Journalismus, der sich dem Frieden verpflichtet fühlt, nicht die Sprache des Militärs übernehmen dürfe. Ein Friedensjournalismus bezeichne Bombenangriffe als Bombenangriffe und nicht als „Luftoperationen“. Das Interview führte Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Gritsch, durch Ihre Studie zum Kosovo-Krieg haben Sie sich auch mit Propaganda in der Berichterstattung auseinandergesetzt. Welchen Eindruck haben Sie, wenn Sie sich heute die Medien anschauen?

Noch immer ist festzustellen, dass eines der großen Probleme in der Sprache liegt, die Journalisten verwenden.

Was heißt das?

Journalisten schaffen durch ihre Sprache Freund- und Feindbilder. Wenn vor unserer aller Augen ein Krieg geführt wird, aber – aus welchen Gründen auch immer – das Wort „Krieg“ vermieden werden soll, dann hören wir in der Berichterstattung, dass wir es mit einer „Intervention“ zu tun haben. Also man versucht Ersatzbegriffe zu finden, die die Wirklichkeit „entschärfen“. Will man hingegen einen „Gegner“ eindeutig als „böse“ darstellen, dann findet sich das Wort Krieg in großer Zahl in der Berichterstattung. Dann ist ganz problemlos davon die Rede, dass die entsprechende „Kriegspartei“ „das Völkerrecht bricht“. Mir fällt also auf, dass auch heute noch Journalisten sich nicht an dem Konzept des Friedensforschers Johan Galtung orientieren, der betont, wie wichtig Friedensjournalismus ist.

Was ist unter einem Friedensjournalismus zu verstehen?

Der Friedensjournalismus schaut genau, was die Interessen der verschiedenen Konfliktparteien sind und behält immer im Auge, wie man über potenzielle Friedensmöglichkeiten berichten kann. Dazu stellt er die Unbeteiligten, die Zivilisten, in den Mittelpunkt der Berichterstattung, wobei er die Verbrechen aller Beteiligten anprangert und sich nicht auf eine bestimmte Seite stellt. Er lässt anders als heute oft getan wird eben nicht in erster Linie Militärs zu Wort kommen. Denn Militärs haben einen anderen Zugang zu Konflikten – sie gehen von Sieg oder Niederlage aus, während Diplomaten mühsam Kompromisse erstreiten müssen. Friedensjournalismus verwendet, was besonders wichtig ist, nicht die Sprache der Militärs. Er wird also nicht von „Luftoperationen“ sprechen, sondern von Bombenangriffen. Friedensjournalismus distanziert sich von Krieg im Allgemeinen, er rückt Lösungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt, er zielt auf Kompromisse. Demgegenüber geht es in der Kriegsberichterstattung eher um Sieg oder Niederlage, weshalb wir dann auch immer Feindbilder vorfinden. Wenn ich als Journalist oder als Chefredakteur davon überzeugt bin, dass es in einem Konflikt eine gute und eine böse, eine richtige und eine falsche Seite gibt, dann ist klar, dass der Gegner auch sprachlich diskreditiert wird.

Wir können also festhalten: Es gilt das, worauf die NachDenkSeiten seit Jahren immer wieder aufmerksam machen, nämlich, dass Mediennutzer unbedingt auf die Sprache achten sollten, die Journalisten verwenden.

Natürlich. Es ist doch ein großer Unterschied, ob ich eine Gruppe von „Untergrundaktivisten“ als eine „Miliz“, die in einem Kriegsgebiet aktiv ist, bezeichne, oder ob ich von Freiheitskämpfern, Separatisten oder Terroristen spreche. Das ist eigentlich ein altbekanntes Beispiel, aber man kann es nicht oft genug anführen, um zu verdeutlichen, was die Gewichtung von Sprache in Medien bedeutet. Als Historiker versuche ich immer einen möglichst neutralen Begriff zu finden, um dann zu beschreiben, was diese Gruppe, über die ich rede, tut. “In den Medien ist es leider so, dass eine Gruppe, die mit den Interessen des eigenen Staates verbunden ist, dem der Journalist oder das Medium also nahesteht, beschönigend als “Aufständische”, „Rebellen“ oder „Freiheitskämpfer“ bezeichnet wird, während die Gruppen, die vorgeblich auf der Gegenseite, also gegen die Interessen des eigenen Staates stehen, als „Terroristen“ oder beispielsweise „Separatisten“ bezeichnet werden – man blicke auf die Berichterstattung zur Ukraine.”

Nun haben Journalisten doch in aller Regel ein sehr ausgeprägtes Sprachverständnis und sie dürften auch darüber Bescheid wissen, wie weitreichend Sprache gerade dann sein kann, wenn es um Krieg und Frieden geht. Warum kommt es dennoch immer wieder zu einer Berichterstattung, in der sich einer Sprache bedient wird, die Wirklichkeit verzerrt oder gar verfälscht wiedergegeben wird?

Ich habe ja exemplarisch den Kosovo-Krieg untersucht. Die Erkenntnisse, zu denen ich dabei gelangt bin, lassen sich auch auf die Berichterstattung zu anderen Kriegen übertragen. Beim Kosovo-Krieg hat sich gezeigt, dass sehr viele Medien unkritisch die Wortwahl der Militärs übernommen haben. Ich konnte also immer wieder feststellen, dass die Berichterstattung einseitig war. Man hat tatsächlich die Sprechschablonen des Nato-Pressesprechers Jamie Shea in Brüssel übernommen.

Was hat er gesagt?

Er hat natürlich nicht von einem Angriffskrieg gesprochen (um den es sich faktisch gehandelt hat!), sondern von einer „humanitären Intervention“. Die Absicht dahinter ist eindeutig: Es ging darum, das Wort Krieg zu vermeiden. Hätte er von einem „Krieg“ gesprochen, dann wäre schnell klargeworden, dass wir es hier mit einem Bruch des Völkerrechts zu tun haben. Dann wäre aber auch klargeworden, dass die NATO nicht die Guten waren – genau das mussten sie aber sein, um die eigene Gewaltanwendung vor der westlichen Öffentlichkeit, auf deren Zustimmung sie angewiesen waren (und sind), zu rechtfertigen. Jamie Shea hat das also sehr clever gemacht, indem er das mächtigste Militärbündnis der Welt, das gerade dabei war, sich von Verteidigung auf globale Interventionskriege umzustellen, als den Beschützer der Schwachen (konkret wurde ja behauptet, den unterdrückten Albanern im Kosovo helfen zu wollen) darzustellen. Wobei dies ein alter Hut ist – Aggressoren stellen zur Rechtfertigung ihrer Handlungen stets den Angegriffenen als „wahren Aggressor“ dar.

Worauf sollten Mediennutzer achten, wenn sie nicht einer Propaganda-Sprache auf den Leim gehen möchten?

Es gilt darauf zu achten, ob die verwendete Sprache in der Berichterstattung deskriptiv oder normativ, also beschreibend oder wertend ist. Wenn nämlich ein Begriff wertend ist, findet sich in ihm auch eine bestimmte Haltung. Und damit ist dann klar: Hier wird nicht sachlich berichtet, sondern höchst subjektiv. Wenn Journalisten sich wertender Begriffe bedienen, ist es auch völlig egal, ob ich nun die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine oder den russischen Sender RT konsumiere. Bei allen Medien, die wertende Begriffe in ihrer nachrichtlichen Berichterstattung unterbringen, ist Vorsicht geboten. Wer auf eine wertende Berichterstattung stößt, sollte immer versuchen, weitere Quellen zum Vergleich zu finden. Der Mediennutzer sollte sich die Frage stellen: Gibt es auch andere wertende Positionen? Wenn ja: Wie sehen diese aus? Widersprechen sie der Meldung, die ich gelesen oder gehört habe? Das Wichtigste ist, dass man sich nicht von der emotionalen Zuschreibung mitreißen lässt, sondern kühlen Kopf bewahrt. Eine Berichterstattung, die Feindbilder produziert, will ja etwas erreichen – sie will, dass ich als Medienrezipient Partei ergreife. Deshalb sollten wir uns von einer Einteilung in Gut und Böse distanzieren. Das wird der Realität nicht gerecht. Konflikte entstehen nämlich aufgrund unterschiedlicher Interessen und nicht aufgrund eines Kampfes von Gut gegen Böse. Und sie lassen sich nur durch Kompromisse lösen.

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