Scholz´ Offensive gegen Steuerbetrug im Onlinehandel ist kaum mehr als eine Showveranstaltung 

Jens Berger
Ein Artikel von:

Ob der laut FAZ “beliebteste Politiker des Landes” etwas von seinem Handwerk versteht, ist fraglich. Zweifelsohne versteht er es jedoch, sich sehr gut zu verkaufen. So fällt es selbst kritischen Geistern auf den ersten Blick sicher nicht so einfach, seine neue Gesetzesoffensive gegen den immer weiter um sich greifenden Umsatzsteuerbetrug durch asiatische Händler auf den Plattformen Amazon und eBay zu kritisieren. Doch weit gefehlt. Während Olaf Scholz die asiatischen Händler zur Kasse bittet, verteidigt er zeitgleich die Steuerprivilegien von Amazon und Co. gegen die Transparenzforderungen der EU. Zum Vergleich: bei den Umsatzsteuerverlusten durch asiatische Händler geht es um eine dreistellige Millionensumme, während Amazon auf die 111 Milliarden Euro, die es von 2007 bis 2016 über seine Luxemburger Tochter umgesetzt hat, fast gar keine Steuern abgeführt hat. Mehr noch: Wie ein Leser der NachDenkSeiten, der selbst im Onlinehandel tätig ist, uns in einem interessanten Leserbrief schreibt, könnte die neue Umsatzsteuerregelung indirekt sogar die Nachteile einheimischer Händler massiv verstärken. Von Jens Berger mit einem Leserbrief von M. Nagl im Anhang.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Problem des Umsatzsteuerbetrugs durch meist chinesische Händler über die Internetplattformen Amazon und eBay ist alles andere als neu. Die NachDenkSeiten hatten sich mit dem Thema bereits ausführlich beschäftigt und dabei auch erläutert, warum die Probleme weit über die Umsatzsteuererhebung hinausgehen. Vereinfacht gesagt versteht sich Amazon nicht als Händler, sondern als neutrale Handelsplattform und Logistikdienstleister. Wenn Sie beispielsweise über Amazon ein paar Schuhe kaufen, ist nur im Kleingedruckten ersichtlich, ob Sie diese Schuhe nun von Amazon oder einem Händler kaufen, der seine Waren über die Plattform anbietet. Ist dies der Fall, kann es sich um einen Händler handeln, für den Amazon nur den Verkauf und das Inkasso gegen Gebühr abwickelt oder einen Händler, für den Amazon den kompletten Verkauf, inkl. Lagerhaltung, Versand, Retourenmanagement und Gewährleistung übernommen hat. Aus steuerlicher Sicht ist dabei vor allem interessant, dass Amazon zwar in den allermeisten Fällen für seine Händler einen “Bruttopreis” kassiert, die tatsächliche Begleichung dieser Steuerschuld aber für asiatische Händler bislang eher auf freiwilliger Basis vom Händler selbst gehandhabt wird. Ob ein Händler aus China dem deutschen Fiskus die anfallende Umsatzsteuer überweist, ist für den Kunden nicht ersichtlich. Nur jeder zehnte der rund 5.000 chinesischen Händler bei Amazon ist überhaupt in Deutschland registriert und verfügt über eine Umsatzsteuernummer. Eine Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer sieht der Endkunde ohnehin meist nicht und wenn man mal eine solche Rechnung bekommt, gehört sie meist eher in die Kategorie „selbstgemalt“ – versuchen Sie nur nicht, eine solche Rechnung mit ausgedachter Mehrwertsteuer bei ihrem Finanzamt als Betriebsausgabe einzureichen. Amazon macht sich dabei jedoch einen schlanken Fuß und sieht sich in der Rolle des neutralen Logistikdienstleisters, der mit solchen Sachen nichts zu tun haben will. Man kassiert und weist sämtliche Verantwortung von sich.

Zumindest dies wird sich ab dem 1. Januar 2019 ändern. Ab dann sind Plattformanbieter wie Amazon oder eBay dazu verpflichtet, die steuerliche Registrierung seiner Verkäufer zu überprüfen und die relevanten Daten an die deutschen Steuerbehörden weiterzugeben. Ohne diese Bescheinigungen liegt die Steuerpflicht dann bei den Plattformen selbst. Man kann also davon ausgehen, dass zahlreiche kleine chinesische Anbieter vom Markt verschwinden und die größeren Anbieter über darauf spezialisierte Steuerberatungsbüros künftig steuerehrlich werden. Das ist löblich. Problematisch ist jedoch, dass durch diese Regelung die ausländischen Anbieter eine Art “Gütesiegel” bekommen, obgleich sie immer noch zahlreiche unlautere Wettbewerbsvorteile gegenüber EU-Anbietern haben. Dazu zählen vor allem die anfallenden Abgaben für Produktzertifizierungen, gesetzliche Richtlinien (z.B. Elektroschrottabgabe, duales System), Rechtsrisiken und vor allem die Kosten für Gewährleistung und Garantie. Und dies ist “nur” die Sicht der Handels.

Als Endkunde werden Sie künftig ein Zweiklassensystem vorfinden. Auf der einen Seite haben Sie EU-Händler, die alle anfallenden Gebühren abführen, Retouren nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch anbieten, für die Gesetzeskonformität der Waren geradestehen und Ihnen Gewährleistung und Garantie bieten. Auf der anderen Seite werden Sie Händler aus China haben, die sämtliche gesetzliche Verbraucherschutzrichtlinien unterlaufen und oft de facto weder Gewährleistung noch Garantie bieten. Hinzu kommt, dass Sie als Verbraucher nicht ohne weiteres die einen von den anderen Händlern unterscheiden können. Im worst case kann dies dramatische Folgen haben. Wer haftet beispielsweise dafür, wenn ein Elektrogerät ohne CE-Kennzeichnung einen Hausbrand auslöst oder durch einen Stromschlag einen Menschen tötet? Einen Hersteller aus Shenzen und einen Händler aus Ningbo werden Sie da kaum haftbar machen können. 

Ein großer Wurf wäre es daher gewesen, wenn Olaf Scholz eine Gesetzesnovelle eingebracht hätte, die Nicht-EU-Händler auf Internetplattformen generell mit EU-Händlern gleichstellt, wenn sie denn Waren und Dienstleistungen an Endverbraucher verkaufen und die Plattformbetreiber dafür in Haftung zu nehmen. Es ist doch nicht ersichtlich, warum man als Amazon-Verkäufer einen Vorteil haben sollte, wenn man nicht in der EU registriert ist. Was Scholz da macht, ist das genaue Gegenteil von Protektionismus und zudem ziemlich dumm.

Dass die Umsatzsteuernovelle eine riesige Shownummer ist, zeigt die schon fast groteske Ungleichbehandlung von den chinesischen Händlern auf Amazon und dem Giganten Amazon selbst. Während Scholz gegenüber den vergleichsweise kleinen chinesischen Händlern den starken Max markiert, kuscht er, wenn Amazon sich nur räuspert. Gegen den Riesen Amazon sind die Chinesen nämlich auch im fiskalen Sinn kleine Zwerge. Amazon Europa hat von 2007 bis 2016 (für 2009 liegen keine Zahlen vor) gigantische 111 Milliarden Euro Umsatz gemacht und dabei “offiziell” einen Gewinn von 475 Millionen Euro erwirtschaftet – der “Steuerwettbewerb” innerhalb der EU ermöglicht nun einmal weitreichende Formen der Bilanzkosmetik. Was meinen Sie, wie viele Steuern Amazon gezahlt hat? Gar keine. Doch nicht nur das. Dank Steuergutschriften und großmeisterlicher Buchungstricks hat Amazon während dieser Periode sogar 15 Millionen Euro Steuerrückerstattung vom Großfürstentum Luxemburg erhalten. Das war dann selbst der EU zu dreist, die Luxemburg dazu verdonnerte, 250 Millionen Euro Steuern von Amazon nachzufordern. Ja, Sie haben richtig gelesen. Nicht Amazon, sondern Luxemburg musste von der EU gezwungen werden. Heute müssen die Hunde zum Jagen getragen werden.  

Dennoch sind diese 250 Millionen Euro natürlich viel zu wenig, wenn man an den Gesamtumsatz von 111 Milliarden Euro denkt. Unterstellen wir mal eine Umsatzrendite von fünf Prozent, müsste die Steuerlast eigentlich fast zehnmal so hoch ausfallen. Doch hier kommt neben der Bilanzkosmetik, also der Möglichkeit, Gewinne und Verluste zwischen verschiedenen Staaten und Steuerzonen zu verschieben, ein weiterer Effekt hinzu: Unternehmenssteuern basieren heute fast ausschließlich auf dem erzielten Gewinn. Giganten wie Amazon haben aber gar kein Interesse daran, Gewinne auszuweisen. Stattdessen reinvestieren sie ihre Einnahmen, kaufen Konkurrenten auf, gründen neue Tochterfirmen, expandieren in neue Geschäftsfelder und werden von Jahr zu Jahr gigantischer, bis sie irgendwann die Märkte beherrschen. Die Besteuerung auf Basis der vermeldeten Gewinne ist für Unternehmen wie Amazon, Facebook, Google und Co. keine gesellschaftlich sinnvolle Wahl. Besser wäre da eine Besteuerung auf Umsatzsebene, die noch einen weiteren großen Vorteil bietet: sie lässt sich nämlich nicht durch Tricks und Kosmetik umgehen. Wenn ein deutscher Kunde einen Artikel bei oder über Amazon kauft, wäre dann der Standort des Kunden für die steuerliche Bemessung relevant. Ob Amazon den Kauf über seine deutsche oder Luxemburger Tochter abrechnet und ob nebenbei Lizenzgebühren an eine Amazon-Tochter auf den britischen Jungferninseln bezahlt werden und den Gewinn drücken, ist dann irrelevant, da nicht die Gewinne, sondern der Umsatz steuerlich betrachtet wird. 

Ideen in diese Richtung gibt es sogar schon auf EU-Ebene. Als erster Schritt dazu müsste die EU jedoch erst einmal eine Steuertransparenz herstellen, um überhaupt ermessen zu können, wo welche Umsätze anfallen. Und nun raten Sie mal, wer genau diese Steuertransparenz aktiv auf EU-Ebene verhindert? Richtig, Deutschlands angeblich beliebtester Politiker. Olaf Scholz. Der traut sich nämlich offensichtlich nicht an die Großen heran und lässt sich lieber dafür feiern, die Kleinen zur Kasse zu bitten – und dabei die einheimischen Händler auch noch zu benachteiligen.

Anhang: Leserbrief unseres Lesers M. Nagl