Ryanair: Die Hölle friert zu

Elmar Wigand
Ein Artikel von Elmar Wigand

Der kommende Freitag könnte ein Schwarzer Freitag für Ryanair werden. Der nach Passagierzahlen größten Airline Europas droht mitten in der Urlaubssaison der größte Streik ihrer 34-jährigen Firmengeschichte. Es könnte zu Pilotenstreiks in sechs Ländern kommen, auch das Kabinen-Personal und Fluglotsen sind in Unruhe. Der Streik verspricht auch deshalb historisch zu werden, weil hier ein skrupelloser Konzern durch konzertiertes Vorgehen organisierter Lohnabhängiger europaweit in die Zange genommen wird. Von Elmar Wigand.

Der ehemalige KPMG-Berater Michael O’Leary hat Ryanair in der Finanzoase Irland nach allen Regeln der hohen Künste Steuervermeidung und Sozial-Dumping aufgebaut. Ryanair besitzt eine Flotte von über 450 Flugzeugen an 87 Standorten in Europa. Das Unternehmen versteht es meisterhaft, Subventionen, Schlupflöcher und mangelhafte Regulierung in einzelnen Ländern zu nutzen und ausgefuchste Vertragskonstruktionen zu entwerfen, um die Beschäftigten verschiedener Standorte gegeneinander auszuspielen. Das Bild einer Europäischen Union, in der die Lohnabhängigen in einem Hauen und Stechen um Arbeitsplätze und Standortvorteile quasi übereinander herfallen, wird durch Konzerne wie Ryanair erzeugt. Es ist gut, dass sich endlich konstruktive Gegenwehr regt.

Piloten aus Irland, Belgien, Schweden und den Niederlanden wollen die Arbeit niederlegen. Die Vereinigung Cockpit informiert am kommenden Mittwoch in Frankfurt über Streikmaßnahmen. Zu einem späteren Zeitpunkt könnte die britische Arline Pilots Association (BALPA) einsteigen, die nach unbefriedigenden Tarifverhandlungen eine Urabstimmung vorbereitet. In London-Stansted liegt das logistische Drehkreuz von Ryanair, ein Viertel der Ryanair-Flüge gehen von oder nach Großbritannien.

Unklar ist, ob auch die Internationale Transportarbeiter Föderation (ITF), ein Gewerkschaftsdachverband im Transportgewerbe, zu dem auch Verdi gehört, das Kabinenpersonal erneut zu Streiks aufrufen wird. Die ITF hatte mit mit zwei Streiktagen am 25. + 26. Juli durch Flugbegleiter aus Portugal, Spanien, Italien und Belgien einen Ausfall von 600 Flügen herbei geführt.

Der Zeitpunkt scheint äußerst günstig. Das europäische Flugverkehrsnetz steht auch ohne Streiks schon vor dem Kollaps. Maßloses Wachstum der Passagierzahlen bei gleichzeitigem profit-getriebenen Sparzwang, organisatorisches Chaos durch ein Dickicht aus ausgelagerten Sub-Unternehmen (“Optimierung der Wertschöpfungskette” nach McKinsey), katastrophale Personalausstattung bei Sicherheitspersonal, Fluglotsen, Piloten und Einsatzzentralen (Dispatcher) haben zu einer derart wackligen Situation geführt, dass kleine Stöße schon zum Zusammenbruch führen können.

So legte eine Passagierin, die aus Zeitnot am unaufmerksamen Sicherheitspersonal vorbeigegangen war, um ihren Flug nicht zu verpassen, (was die Bundespolizei erst eine Stunde später bemerkte! ) am 28. Juli das gesamte Terminal 2 des Münchner Flughafens für Stunden lahm: 330 Flüge und damit ein Drittel der Flüge fielen aus. Ryanair musste 2017 mehrere Tausend Flüge streichen, weil 260 der 4200 Kapitäne und Erste Offiziere gekündigt hatten und weitere Piloten ausstehenden Urlaub nahmen. Der Flughafen Hamburg stellte aufgrund eines Stromausfalls und mangelhafter Notstrom-Versorgung am 3. Juni den Verkehr ein – knapp 200 Flüge fielen aus, am 29. April fielen aus dem selben Grund dutzende Flüge am Amsterdamer Flughafen Schiphol aus. (Merkwürdigerweise fielen beide Stromausfälle auf einen Sonntag.)

Hinzu kommen Streiks französischer Fluglotsen, denen sich spanische Kollegen anschließen könnten. In Frankreich, dem Land, das die meisten europäischen Verbindungen überqueren müssen, führte ein fünftägiger Fluglostenstreik 2017 zu einem Rekord-Ausfall von fast 4.000 Flügen. Insbesondere im Kontroll-Zentrum von Marseille setzen sich die Fluglotsen derzeit vehement gegen Liberalisierungspläne der Regierung Macron zur Wehr. Auch in Spanien brodelt es aufgrund von Privatisierungen und Personalknappheit, etwa im Kontrollzentrum von Barcelona. Michael O’Leary macht sich auch hier keine Freunde: Er fordert eine europäische Liberalisierung, um die nationalen Flugsicherungen durch noch mehr Wettbewerb unter Druck zu setzen und Streikkerne zu zerschlagen.

Ein Erfolg ist der länderübergreifenden Streikbewegung jetzt schon sicher: Der hemdsärmelig, mitunter großmäulig auftretende Ryanair-Boss hatte noch im September 2017 verkündet, eher friere die Hölle zu und hacke er sich beide Arme ab, als dass Ryanair mit Gewerkschaften verhandele. Inzwischen unterzeichnet man immerhin schon Agreements und Absichtserklärungen zu Tarifverhandlungen mit bevorzugten Mainstream-Gewerkschaften und spricht zumindest pro Forma auch mit der renitenteren UFO (Unabhängige Flugbegleiter Organisation), ja selbst mit streikerprobten Piloten-Gewerkschaften. Diese gehen allerdings von einer Hinhaltetaktik aus.

Bei näherer Betrachtung handelt es sich um zwei Streikbewegungen, die parallel und korrespondierend stattfinden. Am 18.3. 2018 haben die europäischen Pilotenverbände in Luxemburg eine europäische, länderübergreifende “Ryanair Transnational Pilot Group” (RTPG) gegründet. Deren europäische Tarifkommission soll mit dem Ryanair-Management in Dublin einheitliche Regeln für alle europäischen Piloten verhandeln, während Ryanair nach dem Prinzip Teile und Herrsche nur Gespräche auf nationaler Ebene führen will. Auf dieser nationalen Ebene sucht man sich zunächst die harmlosesten Gesprächspartner, um sie aus einer entstehenden Streikfront herauszubrechen und das Spiel der Steuer- und Arbeitsrechts-Schlupflöcher in verschiedenen Nationalstaaten nach Kräften weiterzutreiben. Die Gesprächspartner sind derzeit Verdi, die britische Unite und die österreichische Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), die mit der Ryanair-Tochter Lauda Air verhandelt. Als Drohkulisse fungiert Polen. Nachdem irische Piloten am 12. Juli in den Ausstand traten und eine Serie von Ein-Tages-Streiks begannen, kündigte Ryanair als Vergeltungsmaßnahme die Verlagerung von mindestens sechs Flugzeugen sowie 100 Piloten und 200-Flugbegleiter-Jobs nach Polen an – das wären 20% der irischen Belegschaft. Eine ähnliche Drohung stieß Ryanair gegenüber den deutschen Piloten aus, um sie später zu dementieren.

Am 10. 7. 2018 veröffentlichte die RTPG gemeinsame Forderungen an das Management. Sie drehen sich kaum um prozentuale Lohnforderungen, sondern um die Anerkennung kollektiver Interessenvertretung und die Durchsetzung europaweit verallgemeinerter tariflicher Regelungen. Alle Piloten, die das wünschen, sollen Festverträge mit Ryanair bekommen anstatt über Leiharbeitsfirmen oder Scheinselbständigen-Agenturen angeheuert zu werden. Piloten sollen Verträge nach nationalem Arbeitsrecht ihres Wohnortes bekommen, anstatt irische Arbeitsverträge. Die teils massiven Ausfallzeiten für Transfers zwischen einzelnen Abflug- und Ankunftshäfen sollen fair geregelt werden. (Bislang sind sie unbezahlt.) u.v.m.

Die ITF organiserte unter dem Slogan “Cabin Crew United” am 4. Juli in Dublin eine Konferenz von Ryanair-Kabinen-Personal aus Europa und Nord-Afrika. Die Flugbegleiter legten 34 Forderungen vor, darunter “geregelte und planbare Arbeitszeiten” oder “nicht gezwungen zu werden, ein irisches Bankkonto anzulegen”. Die Kern-Forderung ist “ein fairer Lohn, der zum Leben reicht”, ferner geht es um Entschädigung für unzusammenhängende Zeitpläne, freie Verpflegung mit Essen und Wasser, kostenlose Arbeitsmaterialien und Uniformen. Das Kabinen-Personal fordert zudem eine Dienstaltersvergütung. Im Spiegel erklärte eine Flugbegleiterin, sie arbeite seit fünf Jahren bei Ryanair und habe nie eine Lohnerhöhung erhalten. Ferner bekäme sie keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, sie würde kurzfristig von ihrem Wohn-Standort in andere Länder versetzt. Durch ungeregelte Arbeitszeiten sei ihr monatlicher Verdienst unsicher. Er schwanke netto zwischen 700 bis 1.300 Euro.

Es ist zu hoffen, dass diese Streikbewegung erfolgreich wird. Eine solidarische Kooperation von Lohnabhängigen verschiedener Länder wäre eine Methode, kreative Nutznießer von EU-Schlupflöchern in den Griff zu kriegen – wenn Regulierungsbehörden, Regierungen, Staatsanwaltschaften und Gerichte weitgehend versagen oder sogar mit den Konzernen paktieren. Es wäre zu wünschen, dass auch Amazon, Deliveroo, Flixbus, DHL und viele andere Bad Companies, die Beschäftigte verschiedenster Nationalitäten gezielt gegeneinander ausspielen und stetig Schlupflöcher im Arbeits- und Steuerrecht suchen und schaffen, europaweit angegangen würden.


Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht. Er erforscht in dem Projekt “Prekäre Piloten” Arbeitsbedingungen und Arbeitskämpfe im Cockpit. Mehr dazu hier.

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