Jaime Bayly und die Attentäter – Zu den Hintergründen des Anschlags auf Nicolás Maduro

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Jaime Bayly, Moderator der allabendlichen One-Man-Show „Bayly“, die von Mega TV in Miami ausgestrahlt wird, räumte am vergangenen Montag, dem 6. August, endgültig mit medialen Mutmaßungen und konspirativen Ellipsen auf, die den Anschlag auf den venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro (Codewort “Operación Fénix”) als selbstinszeniertes Attentat umzudeuten versuchten. Von Frederico Füllgraf.


„Ich habe im Verlauf der Woche von dem Plan erfahren. Meine Quellen, die im Allgemeinen zuverlässig sind, riefen mich an, sie luden mich zu einem Treffen ein. Ich wollte nicht gehen, weil ich faul bin. Aber ich ging. Sie sagten mir: ´Am Samstag werden wir Maduro mit Drohnen töten. Wir haben die Drohnen in Caracas getestet, sie funktionieren´. Und ich sagte ihnen: ´Tut es! Macht es! Lasst uns voranschreiten!´”, erklärte der seit Ende der 1990-er Jahren in den USA lebende peruanische Buchautor und Showmaster mit süffisanter Attitüde.

Dem für Kontroverse, Provokation, Zoff und Kündigungen in verschiedenen, privaten TV-Sendern bekannten Fernsehmann gingen die Gäule durch, als er seinem mehrheitlich spanischsprachigen Publikum selbstprahlerisch offenbarte, sogar bereit gewesen zu sein, die Verschwörer finanziell zu unterstützen, ihnen z.B. eine Drohne für weiter geplante Anschläge zu schenken. Denn „es kommt noch mehr davon!“, erklärte der Journalist, indem er sich die Drohungen der Urheber des am 04. August gescheiterten Attentats in Caracas zu eigen machte.

Unter Berufung auf „sehr zuverlässige Quellen“, mit denen er gesprochen habe, biederte Bayly sich überdies als Informant der US-Regierung an. Es werde keine von ihr gelenkte Militärintervention in Venezuela geben, man ziehe indes vor, die „Rebellen“, die Maduro als „Terroristen“ bezeichnet, zu unterstützen; „mit logistischer und technologischer Unterstützung der Gringos“, schmunzelte Bayly bei Verwendung der abfälligen Bezeichnung für US-Amerikaner in Lateinamerika.

Das Bündnis abtrünniger Militärs mit Barrikaden-Gewalttätern

In der zitierten einstündigen Sendung – in deren Schlussteil Bayly doch tatsächlich und hartnäckig den sich auf US-Tournee befindlichen venezolanischen Schauspieler Hector Manrique zu einem Gewaltaufruf gegen die Regierung Nicolás Maduro zu nötigen versuchte – bestätigte der Peruaner allerdings, was Maduro und seinem Geheimdienst seit geraumer Zeit schlaflose Nächte bereitet. Dass nämlich die Verschwörer sich mehrheitlich aus dem Lager von Ex-Militärs und Polizisten rekrutieren, offenbar zur Hälfte im Ausland und in Venezuela aktiv.

Verhaftungen, Degradierungen und unehrenhafte Entlassungen von Militärs stehen in Venezuela seit mindestens zwei Jahren auf der Tagesordnung. Das Vorgehen der Regierung ist indes hemdsärmelig und kontraproduktiv. Zum einen wird versucht, die Zahl der Abtrünnigen kleinzureden, zum anderen werden entsprechende Repressalien zu fragwürdigen Medienspektakeln umgebogen, die vermutlich kaum der Eindämmung, sondern eher dem Gegenteil, nämlich der Heroisierung der Gewalttäter dienen können.

So zuletzt im März 2018 geschehen, als Präsident Maduro persönlich zwei Dutzend Offiziere und Soldaten wegen Verschwörung öffentlich degradierte bzw. unehrenhaft aus den Reihen der Bolivarischen Nationalen Streitkräfte (FANB) entließ. Die Strafmaßnahmen erstreckten sich auf 13 hochrangige Militärs – darunter der seit 2009 inhaftierte General Raúl Isaías Baduel – ferner auf den exilierten Führer der sogenannten Bewegung Voluntad Popular (VP), Antonio Rivero, den ehemaligen Minister Hebert García Plaza und Hauptmann Juan Caguaripano, der 2017 eine Kaserne stürmte.

Was andererseits die Aussage des nach dem fehlgeschlagenen Attentat festgenommenen Ex-Sergeanten Juan Carlos Monasterios bestätigt, ist die zunehmende politische und bewaffnete Liaison zwischen Maduro-feindlichen Militärs und den seit 2014 als Guarimberos bekannten ultrarechten, jungen Barrikadenführern, die Caracas und das Hinterland unter Feuer setzten.

Dass die von einheimischen und internationalen Medien hinterfragte Verhaftung einzelner Tatverdächtiger kaum mehr als 24 Stunden auf sich warten ließ, hat für Eingeweihte des Modus Operandi, insbesondere unkonventioneller Kriegsführung, nur eine Erklärung: die Reihen der Attentäter sind von Agenten des Geheimdienstes Servicio Bolivariano de Inteligencia Nacional (SEBIN) längst unterwandert, Verrat findet gegen Strafmaßkürzung bzw. „Umdrehung“ der Feinde statt.

Die Identifizierung der Attentäter

Mindestens 19 Täter seien direkt in das Attentat gegen Präsident Nicolás Maduro involviert, erklärte inzwischen Generalstaatsanwalt Tarek William Saab auf einer Pressekonferenz, in der keine Fragen zugelassen waren. Zum Wochenbeginn waren zunächst 6 Tatverdächtige verhaftet worden. Saab erörterte, dass „nach den Verhören der Inhaftierten mehrere Razzien durchgeführt und Verbindungen zwischen mindestens 19 Personen hergestellt wurden, die in direkter Beziehung zum Attentat stehen”. Saab weigerte sich, Namen zu nennen, von denen allerdings einige durch angebliches „Durchsickern“ längst bekannt waren.

Sodann schlug der Generalstaatsanwalt scharfe Töne an die Adressen Kolumbiens und der USA an. Die venezolanischen Behörden forderten die neue Regierung Kolumbiens unter Iván Duque dazu auf, die mutmaßlichen Finanzierer des Anschlags – Rayder Alexander Russo Marquez und den Oberst der Nationalgarde im Ruhestand, Oswaldo Valentin Garcia Palomo – auszuliefern. Aus den gleichen Gründen sollen die USA Osman Alexis Delgado Tabosqui deportieren. Doch dann nannte Saab die Namen dreier Angeklagter – Argenis Gabriel Valero Ruíz, Juan Carlos Monas Venegas und Jose Eloy Rivas Diaz – die in flagranti festgenommen worden seien und wegen „Terrorismus, Hochverrats und fehlgeschlagener, vorsätzlicher Tötung Präsident Nicolas Maduros“ vor Gericht stünden.

„Inside the Failed Plot” – wie tief und breit greift die Spaltung der Streitkräfte?

Ende vergangenen Junis veröffentlichte die US-amerikanische BloombergBusinessweek die zwar aufsehenerregende, jedoch vom übrigen Mainstream nahezu ignorierte Reportage „Inside the Failed Plot to Overthrow Venezuelan President Nicolás Maduro“ über ein von der Regierung nachträglich kleingeredetes, jedoch weitreichendes Militärkomplott vom Mai 2018, das sämtliche von Maduro zuvor angeprangerten Putschversuche zumindest als begründete Gefahr bestätigt.

An der Rekonstruktion der Verschwörung arbeiteten drei Reporter mit Interviews zweier Beteiligter, die an den Planungssitzungen teilgenommen hatten und der Festnahme entkamen, sowie durch Gespräche mit Angehörigen und Anwälten der Angeklagten. Um ihre Sicherheit besorgt, forderten die Interviewten die Wahrung der Anonymität. Bloomberg gelang jedoch auch die Einsicht in die Prozessakten des zuständigen Militärgerichts, das einen Großteil der Verschwörer-Aussagen zu bestätigen schien.

Demnach waren am Unternehmen mit dem Codenamen „Operación Constitución“ zahlreiche Hauptmänner, Oberste und Generäle aller vier Waffengattungen Venezuelas beteiligt. Das „geradlinige und seismische Ziel“ (Bloomberg) war die Verhaftung und die unmittelbare Anklage Maduros. Die mit blauen Armbinden und dem Akronym „OC“ ausstaffierten Verschwörer wollten den Präsidentenpalast und den wichtigsten Militärstützpunkt erstürmen und die Präsidentenwahl vom vergangenen 20. Mai verhindern. Ein Teil der Planung soll in Bogotá stattgefunden haben, doch nach Auskunft der Beteiligten hätten kolumbianische und US-Beamte, die über die Verschwörung im Bilde waren und ihr nur förmlich „zuzwinkerten“, eine aktive Unterstützung abgelehnt.

Dann ging etwas schief. Mitte Mai wurden mehrere Dutzend Militärangehörige, darunter eine Frau, sowie einzelne Zivilisten unerwartet verhaftet. Einige wurden unter angeblicher Folter des Verrats beschuldigt und von einem Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt. Die Verschwörer glauben, sie seien verraten worden, möglicherweise durch einen Doppelagenten. Gleichwohl sei die Kernaussage des Ermittlungsberichts des Militärgerichts nach Aussagen der Interviewten unbestritten: Im Mai probten hochrangige Offiziere der Sicherheitsdienste aller vier Waffengattungen einen Aufstand. Jedoch lehnen die Befragten „dramatisierende Behauptungen“ ab, wie z.B. die Unterstellungen, das Unternehmen sei von den Regierungen der USA und Kolumbiens finanziert worden bzw. eine gewisse „Operación Armageddon“ habe die Ermordung Maduros während einer Militärparade vom Juli 2017 zum Ziel gehabt.

Die im Untergrund lebenden Verschwörer erzählten, der Coup sei für April 2017 geplant gewesen, um Maduro mit der Ausrufung der verfassungsgebenden Versammlung an der Ausweitung seiner Macht über die venezolanische Legislative zu hindern. Doch eine von ihnen unabhängige und unvergleichbar kleinere Militärrebellion hätte sie dazu veranlasst, „den Stecker aus der Dose zu ziehen”, den Umsturz abzublasen. Die Planung wurde 2018 fortgesetzt, geheime Treffen fanden in Häusern in einem gehobenen Bezirk von Caracas statt. An einem gewissen Punkt sei ein Teilnehmer mit falschem Schnurrbart und einem gefälschten Personalausweis aus Kolumbien über die Grenze geschlichen.

Das Zerwürfnis unter den Sicherheitskräften habe vor einem Jahr begonnen, als der Flieger-Polizist Oscar Pérez jenen Hubschrauber entführte und Granaten auf Regierungsministerien warf. Maduro machte Generalmajor Miguel Rodríguez Torres – einen ehemaligen Chávez-Vertrauten und Geheimdienstchef, der 2015 mit der Regierung gebrochen hatte – für den Angriff verantwortlich. Im März 2018 wurden Rodríguez Torres und einige Panzerbataillonskommandeure wegen versuchten Aufstands verhaftet und sitzen in Haft. Der Putschversuch mache schließlich deutlich, dass Teile der Sicherheitsdienste zutiefst unzufrieden sind und Maduro es zur Kenntnis genommen hat. Weshalb er während einer Militärparade am 23. Juni erklärte:

„Es ist Zeit, die Reihen zu schließen und sich gegen den Verrat zu wehren! Wir brauchen ein geeintes Militär, das dem glorreichen Land Venezuela und seinem legitimen Oberbefehlshaber treu ist!”.

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