Die Leser der „Zeit“ u.a. angesehener Medien werden genau so manipuliert wie die Leser der BILD-Zeitung.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Weil sich die wichtigsten Medien der besser Ausgebildeten zu einem beachtlichen Teil auch als Kampagnemedien verdingen, werden die Leserinnen und Leser dieser Medien ebenfalls Opfer von geplanten Manipulationen. Das gilt auch für die Leserschaft solcher Medien, die früher als informative und im guten Sinne kritische Medien galten – wie zum Beispiel die „Zeit“, der „Spiegel“, der „Stern“, die ARD und die „Süddeutsche Zeitung“. Ein eklatantes Beispiel kam gerade auf den Tisch: das Zusammenspiel von „Zeit“ und Bild-Zeitung im Fall Westerwelle. Albrecht Müller

Wir machen auf diesen speziellen Fall beispielhaft aufmerksam, damit Sie an einem solchen konkreten Beispiel den Nutzern der betroffenen Medien in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis demonstrieren können, wie sehr auch sie Opfer der uns umgebenden Strategien der Meinungsmache werden.

Am 18. Februar erschien ein Kommentar des Chefredakteurs der „Zeit“, Giovanni di Lorenzo mit dem Titel:

Hartz IV
Richtig im Falschen
Die Empörung über Westerwelles Tiraden zu Hartz IV dürfen kein Grund sein, einige Fehlentwicklungen zu verschweigen.

Der Chefredakteur hält die Einlassungen von Guido Westerwelle „im Ton für unangemessen“, aber in der Sache für berechtigt. Di Lorenzo beklagt die mit 50 Milliarden € für die Grundsicherung viel zu hohen Kosten von Hartz IV, er beklagt die Missbräuche und dabei besonders, dass „nach einer vom Bundesarbeitsministerium erst vor drei Monaten veröffentlichten Studie … Migranten und ihre in Deutschland geborenen Nachkommen doppelt so häufig auf Sozialhilfe angewiesen sind wie der Rest der Bevölkerung“. Dies sei einerseits dadurch zu erklären, dass die Migranten wegen ihrer oft geringen Qualifikation wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. „Andererseits aber drängt sich der Verdacht auf, dass unser in Deutschland so angefeindetes Sozialsystem immer noch attraktiv genug ist, dass es eine massenhafte Einwanderung in die sozialen Netze auslöst …“
“Bild” greift einen Tag später auf der Titelseite den von der „Zeit“ angelegten Faden auf. Dort heißt es:

„Zeit“-Chef Giovanni di Lorenzo stösst heikle Debatte an. Warum kriegen Migranten häufiger Hartz IV als Deutsche?
28 Prozent aller Empfänger von Hartz IV sind Migranten
Deutschland diskutiert über Hartz IV. Und jetzt stößt der Chefredakteur der hoch angesehenen „Zeit“ eine noch heiklere Debatte an: Wie kommt es, dass Migranten und ihre in Deutschland geborenen Nachkommen deutlich häufiger Stütze beziehen als Deutsche? Er verweist auf eine Studie.

Und „Bild am Sonntag“ setzt nach:

FDP-Chef Guido Westerwelle zur Hartz-IV-Debatte „Ich spreche aus, was die schweigende Mehrheit denkt“
20.2.2010 – 14:54 UHR
Deutschland diskutiert über Hartz IV und die Äußerungen von Vize-Kanzler Guido Westerwelle (48, FDP). Im Interview mit BILD am SONNTAG zeigt sich der FDP-Chef unbeeindruckt von der Kritik der Bundeskanzlerin und der Union an der von ihm ausgelösten Debatte.

Glatt gefälscht – die Zuwanderung war lange nicht so niedrig wie heute.

Das Zusammenspiel von „Zeit“ und „Bild“ war vermutlich von Anfang an ein abgekartetes Spiel. Solche Verabredungen sind dann besonders wichtig, wenn die Fakten gefälscht sind – im konkreten Fall mit dem Versuch von di Lorenzo – immerhin selbst mit 11 Jahren nach Deutschland zugewandert -, den Zuwanderern die Hauptschuld für den angeblichen Missbrauch von Hartz IV zuzuschieben. Es wird der falsche Eindruck erweckt, nach der Einführung von Hartz IV seien Zuwanderer in dieses soziale Netz geströmt. Das ist aber nicht richtig. Der Hauptstrom der Zuwanderung fand viel früher statt und teilweise unter Applaus jener, die heute diese Zuwanderung beklagen. Ende der Achtzigerjahre und Anfang der Neunzigerjahre war es gerade in den Kreisen des Herrn di Lorenzo zur Mode geworden, aus so genannten demographischen Gründen das Tor weit aufzumachen. Damals sind alleine Hunderttausende von Aussiedlern nach Deutschland geholt worden. Auch viele von ihnen sind heute ohne Arbeit. Auch die so genannten Gastarbeiter sind hierhergeholt worden. Dass alle diese Gruppen und viele ihrer Nachfahren heute keinen Arbeitsplatz finden, hat wiederum sehr viel damit zu tun, dass die herrschenden Kreise die notwendige Beschäftigungspolitik haben schleifen lassen. Siehe z.B. hier.

„Freitag.de“ widerspricht der „Zeit“ – immerhin

Glücklicherweise gibt es wenigstens noch gelegentlich ein Medium, das den manipulativen Darstellungen von Medien wie der „Zeit“ und der Bild-Zeitung widerspricht. Im „Freitag.de“ erschien am 19.2. dieser Artikel:

Ein unappetitliches Spiel
Die Hartz-Debatte wird ausländerfeindlich. Auch liberale Zeitungen beteiligen sich. Gegen alle Fakten. Denn immer weniger Migranten liegen dem Steuerzahler auf der Tasche

Auch der Chefredakteur der „Zeit“ muss wissen, welches gefährliche Spiel sein Blatt und die Bild-Zeitung hier spielen. Und er muss die Zusammenhänge kennen:

  • Er weiß, dass er mit solchen Kommentaren und der Weiterverbreitung durch die Bild-Zeitung Ausländerfeindlichkeit schürt. Was das heißt, muss er wissen. Wenn man Wikipedia glauben darf, dann war di Lorenzo 1992 Mitorganisator der ersten deutschen Lichterketten gegen Fremdenfeindlichkeit unter dem Motto München – eine Stadt sagt Nein. – So ändern sich die Zeiten.
  • Di Lorenzo weiß, dass Westerwelles Kampagne kein Zufall, sondern geplant ist. Westerwelles Versuch, die „schweigende Mehrheit“ zu mobilisieren und dafür auch miese Methoden einzusetzen, ist von den USA abgekupfert. Dort mobilisieren rechtsradikale Republikaner gegen Obama mit nahezu wörtlich den gleichen Propagandaformeln. Darauf hat ein Redakteur von Spiegel Online aufmerksam gemacht. Siehe hier.

    15. Februar 2010, 19:23 Uhr
    Inspiration für Hartz-IV-Debatte
    George W. Westerwelle
    Ein Kommentar von Frank Hornig
    Guido Westerwelle hat seine Hartz-IV-Attacken von den US-Republikanern abgekupfert: Die spalten mit ihren Tiraden gegen angeblichen Sozialismus seit Jahren die Gesellschaft. Fehlt nur noch ein leuchtendes Gegenbeispiel wie “Joe the Plumber” – wie wär’s mit “Claudia, der Kellnerin”?

    Diesen Artikel vom 15. Februar muss auch der Chefredakteur der „Zeit“ gekannt haben, wenn er schon nicht alleine auf die Idee kommt, dass Westerwelle ein Vorbild hat.

  • Der Chefredakteur der „Zeit“ müsste auch wissen, dass die gesamte Debatte um das Abstandsgebot zwischen Lohn und den Leistungen nach Hartz IV vor allem ihre Ursache darin hat, dass in Deutschland ein so krasser Niedriglohnsektor aufgebaut worden ist, dass Menschen reihenweise von ihrem Verdienst nicht mehr leben können. Dieser Niedriglohnsektor wurde von der Regierung Schröder im Verein mit der damaligen Opposition aus Union und FDP bewusst herbeigeführt. Unter dem Applaus solcher Blätter wie der „Zeit“. Wenn man das weiß, dann könnte man doch auch auf die Idee kommen zu fordern, dass die Löhne steigen, statt zu fordern, das die sozialen Leistungen weiter heruntergefahren werden.

Der Trick im Hintergrund: Die für Hartz IV Verantwortlichen versuchen sich aus der Verantwortung für diesen Wahnsinn davon zu machen

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Trick der Westerwelles, di Lorenzos und Co. hinweisen, der nach meiner Einschätzung zu wirken beginnt: Indem diese Personen und Gruppen über Hartz IV herfallen, indem sie über die hohen Kosten, über die Verletzung des so genannten Lohnabstandsgebots, über den Missbrauch durch Ausländer usw. klagen, schaffen sie zwischen sich und der gesamten Agendapolitik eine wachsende Distanz. Damit gewinnt zunehmend eine Mehrheit den Eindruck, als hätten Personen wie Westerwelle mit dieser Politik nichts zu tun. Dabei handelt es sich bei ihnen um die Hauptverantwortlichen. Hartz IV kombiniert mit Nichtstun in der Beschäftigungspolitik und der systematischen Verarmung des Staates ist das Kind einer ganz großen Koalition aus Rot und Grün, aus Schwarz und Gelb. Westerwelle versucht mit seiner Kampagne auch, sich aus dieser Verantwortung davon zustehlen. Und Medien wie die „Zeit“ und die Bild-Zeitung helfen dabei.

Die ehedem aufklärerischen Medien versagen nicht nur hier. Sie sind auch sonst oft integraler Teil der Kampagnemedien. Und viele ihrer Leserinnen und Leser glauben ihnen trotzdem.

Das hat etwas damit zu tun, dass sich die meisten dieser Medien bei ihrem Publikum ein relativ unbeschädigtes positives Image erhalten haben. Wenn Sie den Test machen, dann wird es Ihnen gehen wie mir. Grade im so genannten Bildungsbürgertum und auch bei sich kritisch wähnenden Zeitgenossinnen und Zeitgenossen haben die oben genannten Medien oft noch eine überaus große Glaubwürdigkeit. Der Spiegel gilt manchen immer noch als ein kritisches Blatt, die „Zeit“ wird für seriös gehalten. Dass sie und andere sich in Kampagnen einspannen lassen, wird nicht gesehen. Ich erlebe das immer wieder bei einem sehr brisanten Thema – bei der Analyse und dem Umgang mit der Finanzkrise. Die Nutzer der genannten Medien haben nahezu alles geglaubt, was es im Zuge der Finanzkrise an Manipulationsversuchen gab:

  • Sie haben geglaubt, dass die öffentlichen Banken die schlimmsten waren, obwohl offenkundig die dicksten Beträge an öffentlicher Unterstützung an die private Commerzbank (18 Milliarden), an die private IKB (rund 8 Milliarden) und an die private HRE in München (über 100 Milliarden) flossen.
  • Sie haben geglaubt, der Staat müsse die Finger von den Banken lassen, weil die öffentlichen Banken angeblich am meisten versagt haben – obwohl wir Steuerzahler für die Wettschulden der Privaten zahlen durften.
  • Sie haben von ihren Haus-Medien die Meinung übernommen, jede Bank und insbesondere die IKB und HRE seien systemrelevant.
  • Usw.

Es bleibt anzumerken, dass es in allen genannten Medien kritische Journalisten gibt, die sich bemühen, korrekt zu analysieren und die Zusammenhänge richtig darzustellen. Aber diese vorbildlichen Journalisten haben nicht das Sagen in diesen Medien. Und sie können den Missbrauch ihrer Medien für die Verbreitung und Stärkung von Kampagnen systematischer Meinungsmache nicht verhindern. Zu ihrem eigenen Leidwesen dienen sie oft als Stützen der Glaubwürdigkeit ihrer Medien. Insofern sind sie auch Opfer eines besonderen Missbrauchs, den sie allerdings angesichts der Arbeitsmarktlage für Journalisten kaum vermeiden können.

Nutzen Sie bitte das aktuelle Beispiel der Unterstützung der „Zeit“ für Westerwelle, um Zweifel zu säen.

Wer manipuliert wird, sollte dafür nicht auch noch zahlen. In dieser Situation hilft, diesen Medien die Gefolgschaft aufzukündigen und jene wenigen Medien zu unterstützen, die dem Geist der Aufklärung noch verpflichtet sind. Ein Abonnement der „Zeit“ kostet im Jahr circa 150 €, ein Spiegelabo kostet 189 €. Wenn sich ihre Freunde und Bekannten entschließen, diesen Betrag bei einem der wenigen verbliebenen kritischen Blätter zu investieren, dann lohnt sich das.

Wenn sie mit dem eingesparten Betrag den Förderverein der NachDenkSeiten unterstützen, dann haben sie noch den Vorteil, eine Spendenquittung zu erhalten. Und sie unterstützen ein Medium, das die uns umlagernden Kampagnen der Manipulation systematisch sichtbar macht.
So geht es.

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