Krieg als Spiel, Massenmord als Partnerbörse – Wie die Bundeswehr ihre Werbung rechtfertigt und weiter ausbaut

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Nach einer skandalösen Plakat-Kampagne bei einer Videospiel-Messe kündigt die Bundeswehr weitere großflächige Werbemaßnahmen an. Zielgruppe: orientierungslose Jugendliche. Die Motive der Bundeswehr sind dabei offensichtlich und nachvollziehbar – die gesellschaftlichen Reaktionen auf die Tabubrüche sind dagegen schwach: Moralische Grenzüberschreitungen werden mit ihrem Erfolg gerechtfertigt. Von Tobias Riegel.

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Die Bundeswehr rührt die Werbetrommel: Nach den infamen und Aufsehen erregenden Plakaten bei der Videospiel-Messe Gamescom kündigte die Truppe kürzlich eine zusätzliche Kampagne im bundesweiten Stadtbild an: „In diesen Wochen beginnt für über 700.000 junge Menschen in Deutschland das letzte Schuljahr. Darum starten wir nun die zweite Phase unserer Berufekampagne, um die vielfältigen Möglichkeiten in der Bundeswehr nach dem Schulabschluss zu zeigen“, erklärte die Truppe. Da sollten sich die Bürger laut Ankündigung der Bundeswehr schon mal warm anziehen: „Aufmerksamkeitsstarke Motive in neuem Look werden nicht nur in Großstädten, sondern auch in vielen Kleinstädten und Gemeinden auf Großflächenplakaten und City-Light-Postern zu sehen sein. Um die Betrachterinnen und Betrachter auf emotionaler Ebene zu erreichen, setzen wir auf starke Bilder mit prägnanten Hashtags.“

Mit „starken Bildern und prägnanten Hashtags“ hat die Bundeswehr bereits vor einigen Tagen mit der eingangs erwähnten Kampagne zur Videospiel-Messe Gamescom ihre minderjährige Zielgruppe verführt. Der Spielwelt entlehnte Sprüche wie „Multiplayer at it’s best“ oder „Mehr Open World geht nicht“ sollten das blutige und gefährliche Kriegshandwerk zum „realen Spiel“ verklären: „Echte Gamer“, so die Botschaft, spielen den Krieg nicht nur am Computer, sondern auch in der Realität. Dass man das echte Kriegsspiel bei abgeschossenen Gliedmaßen nicht neu starten kann, wird verschwiegen.

Geschickte Werbung – schwache Reaktion

Schockierend an der Gamescom-Episode ist weniger der Versuch der Bundeswehr, mit skrupelloser Strategie an die unterbewussten Wünsche der Jugendlichen zu appellieren – das Heer handelt hier in bestem Eigeninteresse. Wenn das anvisierte Ziel der Kampagne nicht so abstoßend wäre, man müsste den geschickten Kampagnen-Machern ein Kompliment aussprechen. Werbung wird hier technisch und psychologisch perfekt eingesetzt, allerdings für einen perversen Zweck. Erschreckend ist nicht die Handlung der Bundeswehr, sondern vielmehr die lauwarme gesellschaftliche Reaktion darauf. Zwar artikulierten zahlreiche Bürger ihren Unmut über die Kampagne, etwa in dieser Twitter-Botschaft:


Bildunterschrift: Dieses Fake-Plakat wurde der Bundeswehr-Kampagne zur Gamescom nachempfunden


Vom Medienmagazin „Meedia“ befragte Marketing-„Experten“ jedoch zogen es teils vor, die verwerfliche Werbung mit ihrem Erfolg und ihrer Notwendigkeit zu rechtfertigen: So hatte etwa Katharina Silberbach vom Deutschen Institut für Marketing stellvertretend für ihre Branche keine moralischen Bedenken hinsichtlich der Bundeswehr-Plakate auf der Gamescom: “Die Bundeswehr verliert in der Gesellschaft immer mehr an Haftung, was durch die Abschaffung des Wehrdienstes sicherlich noch gefördert wurde. Dass sich die Kommunikation der Bundeswehr nach außen dieser Entwicklung anpassen muss, ist daher nur ein logischer Schluss. Wir würden die Aktion als Werbemaßnahme zur Steigerung der Aufmerksamkeit verstehen, um Interessenten an den Stand zu führen und über das Thema aufzuklären.”

Werbe-Branche hat kein Problem mit Kriegswerbung

Auch der „Experte für Online-Marketing und Konsumentenpsychologie“ Marcel Gabor hält die Aktion aus Marketing-Gesichtspunkten für gelungen. “Unabhängig von der moralischen Komponente wirken auf mich die gewählten Motive der Bundeswehr zielführend, insbesondere weil die visuelle Darstellung und Ansprache der Anmutung typischer Games aus diesem Genre nachempfunden ist. Dadurch passieren diese Motive leichter die Wahrnehmungsschwelle der Zielgruppe.“ Gabor schränkt aber immerhin ein: “Aus einem moralischen Blickwinkel halte ich die Motive hingegen für äußerst bedenklich.“

Laut Bundeswehr bedient sich die Kampagne der Signale einer Spiele-Werbung und stellt dann die Sinnfrage: „Echte Kameradschaft statt Single-Player Modus?“, so ein Sprecher, der hier den potenziellen Massenmord als Partnerbörse verkaufen will: ein blutiger Sondereinsatz gegen die Einsamkeit? Auch vor logischen Brüchen schreckt die Truppe nicht zurück: “Die Kernfrage, die wir dabei stellen ist: ‘Krieg spielen oder für den Frieden kämpfen?’“ Angesichts dieser Äußerungen ist man erstaunt, wie durchschaubar die Strategie eigentlich ist. Doch das beeinträchtigt offensichtlich nicht ihren Erfolg.

Neuer Höchststand an jugendlichen Rekruten

Wenn Erfolg das Maß für die Beurteilung ist, so muss man die Taktik loben: Sie verfängt scheinbar – besonders bei den anvisierten Jugendlichen. So befindet sich die Zahl der minderjährigen Soldaten auf einem neuen Höchststand: Noch nie wurden so viele 17-Jährige von der Bundeswehr rekrutiert wie im vergangenen Jahr. Das liegt vielleicht auch an „lockeren“ Initiativen wie dieser hier, auf „bundeswehrentdecken.de“: „Alles im neuen Design. Du kannst dich auf neue Features freuen, die nach und nach freigeschaltet werden. Es gibt immer wieder etwas zu ‚entdecken‘ – demnächst auch wieder unsere Community mit exklusiven Angeboten wie Community-Treffen bei der Truppe und Gewinnspiele.“

Vor Kurzem sendete der „Deutschlandfunk“ eine Reportage über minderjährige Rekruten in der Bundeswehr. Die Autoren fragten: „Raus aus dem Elternhaus – rein in die Truppe. Was treibt diese Jugendlichen?“ Diese Frage ist sehr berechtigt, schließlich ist der „Berufs“-Wunsch Soldat alles andere als selbstverständlich, zumal auch die Vorbehalte der Eltern überwunden werden müssen, die ein junger Rekrut beschreibt: „”Meine Mutter macht sich sehr viele Sorgen. Mein Vater macht sich auch Sorgen. Die sagen mir immer wieder, wie gefährlich das ist und dass sie auch Angst haben, dass mir was passiert oder dass ich sterbe.“ Er selber habe vor Kurzem noch mit Lego gespielt.

Produziert die Berufsarmee den jugendlichen Unterschichten-Soldat?

Was also treibt diese Jugendlichen, dass sie sowohl die kindliche Unschuld als auch den elterlichen Rat schnöde ablehnen? Zugespitzt ist es eine Mischung aus Verlockungen aus dem Ausbildungsmarkt einerseits und falschen Versprechungen von Kameradschaft und Abenteuern andererseits. Und die Heranwachsenden sind „leichte Beute“, wie die Bundeswehr zugibt: “Wenn man sich jetzt hier bewirbt und man ist gerade 17 – viele Bewerber, die hier hinkommen, die haben zunächst einmal kindliche Vorstellungen“, sagt eine militärische Planerin in einem Rekrutierungszentrum. Genau auf diese Naivität zielt die Werbung der Bundeswehr in unredlicher Weise.

Die Bundeswehr versucht bereits seit geraumer Zeit, Jugendliche gezielt durch Werbung zu verführen. So wurden etwa die Web-Serien “Mali” und “Die Springer” produziert. Bei der jüngsten Digitalkonferenz re:publica war der Bundeswehr die Akkreditierung verweigert worden. Daraufhin „demonstrierte“ die Truppe mit dem Slogan “Zu bunt gehört auch grün” vor der Messe.

Der Komplex „Werbung für den Krieg“ führt zu interessanten Fragen: Wenn man keine allgemeine Wehrpflicht möchte, aber auch keine verstörende Werbung für das Kriegshandwerk – was bleibt dann noch? Ist der Weg in die Event-Werbung nicht vorgezeichnet durch die Schaffung der „Berufsarmee“? Ist der jugendliche Unterschichten-Soldat, der durch falsche Ausbildungs-Versprechen und raffinierte Zielgruppen-Werbung übertölpelt wird, also der deutsche Soldat der Zukunft?

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