Jair Bolsonaro – Der Präsidentschaftskandidat der „Märkte” und des faschistischen Brasilien

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Verschiedentlich wurde in brasilianischen Medien spekuliert, die „Kommandozentrale” des parlamentarischen Putschs, der vor zwei Jahren Präsidentin Dilma Rousseff ihres Amtes enthob, werde vor dem Hintergrund wachsender sozialer Proteste, insbesondere jedoch wegen dem unaufhaltsamen Popularitäts-Hoch von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, die für den kommenden 7. Oktober angesetzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vertagen oder gar ersatzlos streichen. Dazu fehlte dieser Zweckallianz zwischen ausländischen Banken, Großgrundbesitzern, Medien, einer als „Ausnahmezustand“ bezeichneten Justiz und Militärs allerdings der politische Konsens. Von Frederico Füllgraf.

Dafür gab es zwei Gründe. Zum einen sollte die peinliche De-facto-Regierung Michel Temer geräuschlos verabschiedet, ihre Agenda des Sozialstaats-Abbaus jedoch mit demokratischem Anstrich, also freien Wahlen, legitimiert und fortgesetzt werden. Zum anderen erkannte die ultra-liberale Allianz, dass der Machtblock erhalten werden könne, wenn das mehrheitlich aus konservativ-korrupten Politikern zusammengesetzte Zweikammer-Parlament siegessicher zur Wiederwahl antritt; was knappe eineinhalb Monate vor der Abstimmung ernsthaft zu befürchten ist.

Im ersten Halbjahr 2018 schien es jedoch so, als könne sich die brasilianische Rechte auf keinen gemeinsamen der 10 Konservativen unter den insgesamt 13 Präsidentschafts-Aspiranten einigen, der der Popularität und dem Wahlpotenzial Lula da Silvas gewachsen wäre. Trotz bemühter Medieninszenierungen stagnieren der rechts-sozialdemokratische Gouverneur São Paulos, Geraldo Alckmin, und Michel Temers Finanzminister und Kandidat, der ehemalige Bank-Boston-CEO Henrique Meirelles, bei jeweils 6 Prozent und lachhaften 1 Prozent der Wählerintentionen.

Mit dröhnenden Auftritten wagte es jedoch ein Quereinsteiger, Lula die Stirn zu bieten: Jair Bolsonaro, Hauptmann des Heeres a.D., seit 26 Jahren Bundesparlaments-Abgeordneter, mit dem steinzeitlich gesinnten General a.D. Antonio Hamilton Mourão als seinem Vize. Nach neuesten Umfragen des Datafolha-Instituts von Ende August und in einem vom wahrscheinlichen Kandidatur-Verbot Lulas gekennzeichneten Wahlszenario führt Bolsonaro mit rund 19 Prozent der Stimmabsichten das Rennen um die brasilianische Präsidentschaft an, gefolgt von Lulas bisherigem Vize, jedoch auch potenziellem Stellvertreter, Fernando Haddad.

Ein neoliberal-totalitäres Phantom geistert durch Brasilien

Die bedrohliche Führungsposition des Rechtsradikalen verleitete selbst konservative bis liberale internationale Medien zu Warntiteln. The Guardian (19. April) mahnte, „Trump of the tropics: the ‘dangerous’ candidate leading Brazil’s presidential race“. The Economist (11. August) tadelte, „Brasília, we have a problem. The danger posed by Jair Bolsonaro”, und die von Jean-Paul Sartre gegründete, französische Libération (15. August) alarmierte: “Au Brésil, un ex-militaire pour liquider la démocratie”.

Der Guardian-Vergleich mit Donald Trump klingt jedoch gewagt, vielleicht gar als Beleidigung des US-Präsidenten, derart umnachtet und demenziell ist Bolsonaros innen- wie außenpolitische Agenda, sind seine Auftritte gegen Linke, Frauen, sexuelle Minderheiten und ethnische Mehrheiten, wie die von Sklaven abstammenden Afrobrasilianer. Dem inhaltsleeren Schwachsinn des Präsidentschaftskandidaten – der in seiner ersten Fernsehdebatte antwortete, „Maßnahmen zur Verhinderung der Kindersterblichkeit? Es hat mit der Ernährung der Mutter zu tun, viele schwangere Frauen tun nichts für ihre Mundhygiene.“ – kam jedoch ein Absolvent der radikal-neoliberalen Chicagoer Schule Milton Friedmans zur Hilfe.

In erstaunlichem Gegensatz zur Politik der zwar von Bolsonaro nach wie vor gelobten Militärdiktatur – die von 1964 bis 1985 den brasilianischen Staat mit der Förderung staatseigener Betriebe, Infrastruktur und Logistik vergrößerte und die seit 1946 in Kraft befindlichen sozialstaatlichen Arbeits- und Rentengesetzgebungen unberührt ließ – predigt des Hauptmanns a.D. finanzpolitischer Sprecher und mutmaßlicher, künftiger Finanzminister, Paulo Guedes (siehe Video), die Radikal-Privatisierung überlebender und rentabler Staatsbetriebe und des öffentlichen Rentensystems. Erstere soll zur Tilgung der öffentlichen Verschuldung die Staatskassen mit umgerechnet 175 Milliarden Euro auffüllen, Letztere nach „chilenischem Vorbild“ von privaten Pensionsfonds verwaltet werden.

Guedes dozierte in den 1980-er Jahren Wirtschaftsdoktrin an der Universidad de Chile, soll nach unbestätigten Angaben auch Berater General Pinochets gewesen sein. Nach Brasilien zurückgekehrt war er sowohl Gründungsmitglied des libertären Think Tanks Instituto Millenium – das mit dem von den Koch-Brothers finanzierten Atlas Network verzahnt ist – als auch der brasilianischen Pactual-Investment-Bank BTG, die in Chile einen der sechs größten privaten Pensionsfonds mit einem Anlagevermögen über Dollar-Milliarden betreibt (BTG Pactual concreta la adquisición del 100% del controlador de de AFP PlanVital – La Tercera, 14. Juli 2014).

Ein bisher schwer anzunehmender, allerdings im Fall mangelnder Einheit der linksdemokratischen Parteien wahrscheinlicher Wahlsieg Bolsonaros wäre ein Fluch der Geschichte, nämlich eine Spätvariante des totgeglaubten chilenischen Pinochetismus. Bolsonaro verspricht jedenfalls die Verbindung von skrupellosem, anachronistischem Wirtschaftsliberalismus mit angekündigter, brutaler Repression.

Außenpolitisch sorgte der Law&Order-Freak bereits für zwei diplomatische Skandale. Anfang August drohte der Ex-Militär, er werde im Fall seines Wahlsiegs die während der Amtszeit Lulas im Jahr 2010 eingeweihte Botschaft Palästinas zum Abzug aus Brasilien auffordern. Zur Begründung führte er an (Bolsonaro promete retirar embaixada da Palestina do Brasil – O Estado de São Paulo, 07. August 2018), es könne in Brasilia keine palästinensische Vertretung geben, „weil Palästina kein Land ist“ (sic!).

Als Reaktion auf die Verfügung des UN-Sachverständigen-Komitees für Menschenrechte zugunsten seines Rivalen Luiz Inácio Lula da Silvas Wahlauftritt polterte der Konfuser zehn Tage später, er werde auch „den Austritt Brasiliens aus den Vereinten Nationen” betreiben (Bolsonaro diz que vai tirar Brasil da ONU se for eleito presidente – G1/Globo News, 18. August 2018).

Drei Jahre zuvor hatte Bolsonaro in einem Interview Migranten, insbesondere syrische Flüchtlinge in Brasilien, als „den Abschaum der Menschheit” bezeichnet (Bolsonaro chama refugiados de “escória do mundo” – Zeitschrift Exame, 22. September 2015). Die ideologische Saat ging Mitte August 2018 im Grenzgebiet zu Venezuela auf: Ein wutentbrannter Mob griff zwei Lager mit venezolanischen Flüchtlingen in der Stadt Paracaima an, setzte die Zelte der rund 2.000 Hilfesuchenden in Brand und schlug die zumeist notleidenden Venezolaner in die Flucht.

Die Partei des Hate Speechs

Trotz seiner verbalen Lobeshymnen auf „die Bekämpfung der Korruption“ und dessen Mastermind, Richter Sérgio Moro, ist Bolsonaro bekannt als geübtes Schlitzohr. Zu seiner Kandidatur-Aufstellung wechselte der Ex-Hauptmann in kürzester Zeit von der sogenannten PSC (Christlich-Sozialen Partei) über die sogenannte PEN (Nationale Ökologische Partei) zur sogenannten PSL (Sozial-Liberalen Partei, mit maximal 10 Abgeordneten) zweimal seine parteipolitische Zugehörigkeit. Die Eigenschaftsbezeichnung „sogenannt“ ist im Wirrwarr der brasilianischen Parteienlandschaft angemessen.

Den fahrlässigen Wahlbehörden fiel nichts Besseres ein, als tatsächlich 25 Parteien im Parlament zuzulassen, von denen mindestens 20 zumeist konservative Gruppierungen reine „Miet-Parteien“ sind, wie der brasilianische Volksmund den fortgesetzten, politischen Kleiderwechsel von Parlamentariern bezeichnet, die aus opportunistischem Kalkül persönlicher Vorteile und bar jedweder ideologischer und ethischer Prinzipien ihre Parteizugehörigkeit „häufiger als ihre Intimwäsche wechseln“. So auch Bolsonaro.

Verfügt Bolsonaros PSL kaum über 10 Abgeordnete im Bundesparlament, muss jedoch vor dem Kleinreden seiner Bedeutsamkeit gewarnt werden. Mit nahezu 465.000 erzielten Stimmen bei der Wahl von 2014 gehört der im Jahr 1988 ohne Rentenanspruch und ehrlos aus den Streitkräften entlassene, damalige Hauptmann zu den meistgewählten brasilianischen Parlamentariern.

Seine Wählerbasis rekrutiert sich aus aktiven und pensionierten Militärs und Polizisten, Teilen der unteren Mittelschichten und einer Schar nach Heldentaten sehnsüchtiger, von primitivem Antikommunismus angetriebener, sozialer Verlierer, die Law & Order, die kaltblütige Liquidierung von Kriminellen, Gewalt gegen Frauen und Schwule predigen und seit den Aufmärschen von 2014 gegen Präsidentin Dilma Rousseff eine neue „Militär-Intervention“ einforderten.

Professioneller, jedenfalls gerissener als die brasilianische Linke, beherrschen seine Anhänger die sozialen Netzwerke und eine Legion von Internet-Seiten verbreitet millionenfach online des Hauptmanns fake news und Hasspredigten. Des ehemaligen Militärs unheilvolle Profilmischung ist eine brasilianische Variante des weltweiten Zeitgeists verblödeter, stumpfsinniger, krakeelender und um sich schlagender Fortschrittsfeinde, von Gegnern multikultureller Gesellschaften und des demokratischen Rechtsstaats.

Bolsonaros brutale Schmährufe und menschenfeindliche Beschimpfungen sind weltweit kaum zu überbieten. Sie reichen von Hoheliedern auf die blutigen lateinamerikanischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts, über Erniedrigungen von Frauen und Homosexuellen, bis zu rassistischen Ausfällen gegen schwarze Brasilianer und Indianer.

Hier einige Kostproben:

  • „Ich pflege Vorurteile, und bin sehr stolz darauf“, gestand er 2011 in einem Interview mit der Zeitschrift Época.
  • „Ich bin Armee-Hauptmann, meine Mission ist es zu töten” (Vortrag in Porto Alegre, Juni 2017).
  • „Der Fehler der Diktatur war, dass sie folterte und nicht tötete” (Im Programm von Radio Jovem Pan, Juli 2016).
  • „Pinochet hätte mehr Menschen umbringen sollen” (Im Interview mit der Zeitschrift Veja, Ausgabe 1575, 02. Dezember 1998).
  • „Zur Zeit der Diktatur hätten sie ruhig 30.000 korrupte Typen erschießen sollen, angefangen mit Präsident Fernando Henrique” (In einem Fernsehprogramm vom Mai 1999, als Bolsonaro die Schließung des Parlaments forderte).
  • „Ihr vermisst Angehörige? Wer Knochen sucht, sind Hunde“ (Zu Familienangehörigen von verschwundenen politischen Häftlingen der Diktatur, Mai 2009).
  • „Ich wäre dazu unfähig, ein homosexuelles Kind zu lieben. Ich würde lieber einen meiner Söhne bei einem Unfall sterben lassen, als ihn mit einem Schnurrbart schmusen zu sehen” (Im Interview mit Playboy Magazin, Dezember 2011).

Zum Thema Homosexualität sagte er kategorisch, nachdem Ex-Präsident F. H. Cardoso im Mai 2002 eine Flagge mit den Regenbogen-Farben zum Schutz gleichgeschlechtlicher Ehen hochgehalten hatte:

  • „Dagegen kämpfen oder diskriminieren werde ich nicht, wenn ich aber zwei Männer auf der Straße sehe, die sich küssen, werde ich zuschlagen”.
  • „Frauen sollten weniger verdienen, weil sie schwanger werden. Wenn sie [aus dem Mutterschaftsurlaub] zurückkehren, werden sie einen weiteren Monat Urlaub haben, was bedeutet, dass sie nur fünf Monate in einem Jahr gearbeitet haben“ (Im Interview mit der Zeitung Zero Hora, Februar 2015).
  • „Ich vergewaltige Dich nicht, weil Du es nicht verdient hast.” (Zur Abgeordneten der Arbeiterpartei, Maria do Rosário, im Dezember 2014).

Am 17. April 2016 war Jair Bolsonaro einer der Wortführer des parlamentarischen Putschs gegen Präsidentin Dilma Rousseff, die er wiederholt, doch bei dieser Gelegenheit besonders mit einem Lobeslied auf ihren Folterer – den für die Ermordung von mindestens 50 politischen Gefangenen beschuldigten Oberst Carlos Alberto Brilhante Ustra – beleidigte.

Während der Abstimmung über die Amtsenthebung schrie der Rechtsradikale in die Mikrofone:

„An diesem ruhmreichen Tag … gibt es einen Mann, der in die Geschichte eingehen wird – Herzlichen Glückwunsch, Parlamentspräsident Eduardo Cunha! Sie [die Linken] haben 1964 verloren und verlieren noch einmal im Jahr 2016. Im Namen der Familie und der Unschuld der Kinder, die von der PT verachtet wurden, gegen den Kommunismus, das São-Paulo-Forum [linker Regierungen Lateinamerikas] und im Gedächtnis an Oberst Brilhante Ustra, stimme ich Ja [zur Amtsenthebung Dilma Rousseffs]!”

Bolsonaros Strafregister

Gegen den Heeres-Hauptmann waren bis 1988 vom Obersten Militärgericht (STM) Brasiliens 11 Ermittlungsverfahren, einstweilige Verfügungen, Petitionen und Strafmaßnahmen wegen „schwerer Verstöße gegen die Armee-Disziplin“ eingeleitet worden. Doch ein wahrlich explosiver Fall erreichte Jahre später auch den Obersten Gerichtshof (STF).

In einem Artikel und einer darauffolgenden Reportage des Nachrichtenmagazins VEJA aus dem Jahr 1986 hatte der damals Uniformierte über einen heiklen Geheimplan geplaudert. Im Klartext: Bolsonaro hatte einen terroristischen Anschlag geplant. Aus dem 96-seitigen Bericht des Armee-Geheimdienstes (CIE) mit dem Aktenzeichen Nr. 394/1990 geht hervor, dass als „Signal der Unzufriedenheit“ mit dem Soldanpassungs-Programm der Armee Bomben in Kasernen und Rios Wasser-Hauptversorgungssystem hochgehen sollten (Exclusivo: Os documentos do Exército sobre a expulsão de Bolsonaro da Escola de Oficiais após plano terrorista – Diario do Centro do Mundo, 07. November 2017).

VEJA gelang der Zugang zu handgezeichneten Skizzen Bolsonaros, auf denen die Guandu-Pipeline zur Wasserversorgung Rio de Janeiros erkennbar ist, die mit einer elektrisch gezündeten Ladung Dynamit in die Luft gesprengt werden sollte. Bolsonaro bestritt die VEJA-Reportage mit der Behauptung, Reporterin und Text-Autorin Cássia Maria „niemals gesehen“ zu haben. Dem Nachrichtenmagazin gelang es jedoch, den Hauptmann der Lüge zu überführen, die Journalistin konnte sehr wohl zwei Treffen in der Wohnung des Militärs in Gegenwart von Zeugen beweisen.

Gutachter der Bundespolizei (Polícia Federal) gelangten zur eindeutigen Schlussfolgerung, dass die Notizen und Skizzen sehr wohl aus der Feder Bolsonaros stammten. Drei Oberste unterzeichneten zudem eine Erklärung, in der sie Bolsonaro „unmoralisches Verhalten“ vorwarfen, insbesondere das Zuspielen von Insiderwissen an die Presse, „das mit dem militärischen Ehrenkodex und dem Anstand der Waffengattung unvereinbar“ sei.

Der Beschuldigte hingegen bestritt systematisch, der Mastermind des geplanten Anschlags gewesen zu sein, der zahllosen Menschen das Leben gekostet hätte, und legte beim Obersten Militärgericht (STM) Berufung ein. Wie im Brasilien der grassierenden Straflosigkeit nicht anders zu erwarten, erklärte das STM mit 8:4 Stimmen den potenziellen Attentäter für „nicht schuldig”. Die Bestrafung für die unerlaubte Weitergabe von Hinweisen über innere Angelegenheiten des Heeres beließ das Gericht bei 15 Tagen sanften Arrests.

„Ich hatte nicht vor, in die Politik zu gehen, der Fall hat mir aber geholfen, weil ich bekannt war“, brüstete sich Bolsonaro 2014 gegenüber der Presse und erklärte fast 30 Jahre nach dem Attentatsplan, anstatt ihn in der Öffentlichkeit zu disqualifizieren, hätten jene Meutereien in der Kaserne ihm umgekehrt geholfen, Berühmtheit zu erlangen und gewählt zu werden.

Steve Bannon als Wahlberater?

Bolsonaro wird maximal 10 Sekunden Werbezeit für Radio und Fernsehen haben. Nach brasilianischem Wahlrecht wird die Zeit für Medienauftritte einer Partei nach der Anzahl ihrer Sitze im Parlament bemessen. Vor den Wahlen 2014 besaß die Schrumpfpartei PSL gerade mal 2, seitdem besitzt sie 10 Abgeordnete; die Mindestanforderung für Bolsonaros Teilnahme an Fernsehdebatten. Als zahlenmäßig zweitgrößter Parlaments-Fraktion, mit 61 Abgeordneten, stehen Lulas Arbeiterpartei (PT) immerhin 11,5 der insgesamt 95 Minuten politischer Werbezeit im Fernsehen zur Verfügung.

Bolsonaro versucht daher, seine Benachteiligung mit anderen Mitteln auszubalancieren. So registrierte ein Stromwerkzeug für Internet-Verkehr, dass der Hashtag #JairMessiasBolsonaro – mit angeblichen 1,29 Millionen Followern auf Twitter – nicht nur in Brasilien, sondern in Kathmandu und Zypern operiert, was auf den Einsatz von Robotern hindeutet.

Könnte Steve Bannon ein subtiler Hinweis auf „andere Mittel“ sein? Eine entsprechende Anspielung machte Bolsonaros Sohn Eduardo mit einem Tweet vom vergangenen 3. August. „Ich traf Steve Bannon @SteveKBannon, @realDonaldTrump Trumps-Kampagnenstratege. Wir besprachen Verschiedenes und kamen zu dem Schluss, dass wir die gleiche Weltanschauung hatten. Er sagte, er sei begeistert von der Bolsonaro-Kampagne. Wir stehen in Kontakt und bündeln Kräfte, hauptsächlich gegen den kulturellen Marxismus“, prahlte der freigestellte Polizist und Parlamentarier, wie sein Vater, mit einem Foto an der Seite Bannons.

Seitdem sind in sozialen Netzwerken, jedoch auch in internationalen Medien (Ex-estrategista de Trump avança na frente europeia e entra na mira da campanha de Bolsonaro – El País, 06. August 2018) Hinweise auf eine angebliche Berater-Funktion des ehemaligen Chefstrategen Donald Trumps für Bolsonaros Präsidentschaftskampagne im Umlauf. Der Ex-Banker Bannon habe sich zur Verfügung gestellt, doch dies „bedeute natürlich nichts Finanzielles. Wir haben diesen Punkt sehr deutlich gemacht. Die Unterstützung wird sich auf Internet-Tipps, Analyse, Daten-Interpretation, diese Art von Dingen erstrecken“, erklärte Bolsonaros Sohn.

„Bolsonaros Mission in Brasilien” wiege schwerer als Trumps Präsidentschaftskampagne, soll wiederum Bannon erklärt haben, was als Hinweis auf die strategische Bedeutung der brasilianischen Wahl für die Geopolitik des US-amerikanischen Deep State und Big Money verstanden werden soll. „Mit Lulas bevorstehender Verhaftung sollten die brasilianischen Konservativen es ernst nehmen mit Jair Bolsonaro“, betitelte Bannons rechtsradikale Postille Breitbart bereits im April eine seitenlange Warnung der exilkubanischen Polit-Agitatorin Frances Martel (With Lula Arrest Imminent, Brazil’s Conservatives Need Jair Bolsonaro to Get Serious“ (Breitbart, 06. April 2018).

„Während Lula als ‚Mann des Volkes‘ agierte und die Stimme der Armen vertrat, während er sein Geld für ein Luxushotel am Strand ausgab (sic!), hat sich Bolsonaro für Recht und Ordnung, Familienwerte und den Widerstand gegen den Sozialismus eingesetzt. Für ein Nachbarland Venezuelas ist dieser letzte Punkt entscheidend.“

„Auf dem Papier bietet Bolsonaro dem niedergeschlagenen brasilianischen Wähler genau das an, was er seit Jahren verlangt: Unterstützung für eine so armselige Polizei, die um Toilettenpapier bitten muss, eine lautstarke Opposition gegen das Maduro-Regime, das Brasiliens korrupteste Bevölkerung bereicherte und gleichzeitig sein eigenes Volk verarmte. Ferner, … Unterstützung für die Grundsätze des freien Marktes und einen Plan zur Anziehung ausländischer Investitionen durch Bekämpfung der Korruption. Für amerikanische Konservative wird Bolsonaros Unterstützung für Waffenrechte und ‚Familienwerte‘ ebenfalls attraktiv sein“, fasste Martel exemplarisch den plumpen, doch auch aggressiven Mindset der rechtsradikalen Wende-Strategen zusammen.