„Sozial, ohne rot zu werden!“ – der Etikettenschwindel der AfD

Jens Berger
Ein Artikel von:

In vier Wochen wählen die Bayern ihren neuen Landtag und wenn man den aktuellen Umfragen glaubt, wird die CSU ein historisch schlechtes Wahlergebnis einfahren und zu einer Koalition mit den Grünen gezwungen werden, da die SPD mit einem nur knapp zweistelligen Ergebnis noch nicht einmal als Juniorpartner einer „großen“ Koalition in Frage kommt. Der eigentliche Gewinner dürfte am Wahlabend die AfD sein. Einer der Gründe für das starke Abschneiden der AfD dürfte dabei der Umstand sein, dass der bayerische Landesverband im Wahlkampf einen Kurs fährt, den der Höcke-Flügel im nächsten Jahr auf die gesamte Partei ausweiten will: Neben dem klassischen AfD-Themenpotpourri Islam, Migration, Sicherheit greifen die Rechten auf ihren Wahlplakaten diesmal auch soziale Themen auf. Doch dies ist ein Etikettenschwindel. Das Wahlprogramm der Bayern-AfD liest sich in den dort kaum vorhandenen Bereichen Soziales, Wirtschaft und Arbeit eher wie eine FDP auf Speed. Man sollte sich nicht täuschen lassen: Im Kern ist die AfD eine neoliberale und rückwärtsgewandte Partei. Von Jens Berger.

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Man kann der Bayern-AfD zumindest nicht vorwerfen, dass sie kein echtes Wahlprogramm hätte. Ihr offizielles Wahlprogramm zur Landtagswahl in Bayern hat immerhin einen Umfang von stolzen 100 Seiten. Dass die Interessen der AfD jedoch nicht alle politischen Felder in gleichem Maße abdecken, lässt sich bereits bei der Schwerpunktsetzung des Programms erkennen. Während den „klassischen AfD-Themen“ Islam, Migration und Sicherheit großzügig Platz eingeräumt wird, bleibt für den gesamten Themenbereich „Soziales“ nur ein eineinhalbseitiges Anhängsel am Ende des Programms übrig, in dem die AfD eine „Sozialpolitik für Bayern mit Augenmaß“ verspricht. Das hört sich überschaubar an und ist es auch. Selbst auf diesen eineinhalb Seiten nehmen Punkte zur „Integration von Migranten“ und eine Stärkung der „deutschstämmigen und zwangsweise Heimatvertriebenen“ gegenüber den „illegalen Immigranten“ die Hälfte des Textes ein, wobei der Zusammenhang dieser Punkte mit dem Oberbegriff „Soziales“ ohnehin nicht wirklich klar ist.

Der Begriff „Armut“ kommt im gesamten Programm viermal vor, der Begriff „Hartz IV“ ein einziges Mal – und dies im Kontext eines angeblichen Missbrauchs von Hartz IV durch Zweit-, Dritt- und weitere Ehefrauen von muslimischen Erwerbslosen. Der gesamte Themenbereich „Rente“ wird in zwei dürren Absätzen mit der angedachten Einführung einer „BayernRente“ abgehandelt. Die soll nur Bayern zustehen, die mindestens 20 Jahre lang in Bayern steuerpflichtig waren. Aus welchem Topf sie bezahlt werden sollte, bleibt ebenso offen wie alle anderen offenen Fragen. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass die AfD einfach ein Schlagwort in den Ring wirft, das übertünchen soll, dass sie beim gesamten Themenkomplex „Rente“ gar keine Ideen vorweisen kann. Dies steht aber im krassen Widerspruch zu den „sozialpolitischen“ Plakaten, mit denen man in Bayern wirbt.

Und dieser Widerspruch lässt sich auf die anderen beworbenen Themen 1:1 übertragen. „Arbeit muss sich lohnen! – Sozial, ohne rot zu werden!“, so formuliert es die AfD sehr clever in der Absicht, sich auch auf dem Feld der Arbeitspolitik als Alternative zur Linken darzustellen. Das ist erstaunlich, kommt das Thema Arbeitspolitik und Löhne im gesamten Wahlprogramm doch nicht einmal vor. Dafür setzt man sich auf ganzen acht Seiten lautstark für „Bayerns Mittelstand“ ein, der ja das „Rückgrat unseres Wohlstands“ sei und beklagt dessen „tyrannische Behandlung durch den Staatsapparat“. Man beklagt die Folgen des demographischen Wandels, warnt aber davor, dies nun als einen Grund für Arbeitsmigration zu sehen. Das Seelenheil verspricht man sich stattdessen von einem schlankeren Staat und weniger Bürokratie. Das liest sich alles so wie der FDP-Stammtisch nach drei Maß Bier und hat nichts, aber auch überhaupt nichts mit den plakatierten Slogans zu tun.

Und wie sieht es bei der Gesundheitspolitik aus? Die AfD will also auch Pflegeberufe aufwerten? Dieser Slogan darf freilich im Wahlprogramm keiner Partei fehlen. Doch was versteckt sich hinter dieser wohlfeilen Forderung? Überhaupt nichts. Im Wahlprogramm ist nur ein mageres Bekenntnis zu finden, dass man die Arbeitsbedingungen verbessern und die Vergütungen attraktiver gestalten will. Wie man dies finanzieren will, lässt man wohlweislich offen. Genauso wie den einzigen Punkt aus dem breiten Spektrum der Sozial-/Wirtschafts- und Gesundheitspolitik, den man tatsächlich im Wahlprogramm ausformuliert: Die AfD will die Kliniken auf dem Lande stärken und spricht sich gegen eine weitere Privatisierung aus. Das ist zwar löblich, aber auch hier verliert die AfD kein einziges Wort zur Finanzierung.

Streng genommen macht die AfD also das, was konservative Politiker eigentlich gerne fälschlicherweise der Linken vorwerfen – sie verspricht viel, hat aber kein Finanzierungskonzept. Und es ist nicht so, dass die AfD keine Finanzierungspläne vorschlägt – sie führt ihre eigenen Forderungen sogar komplett ad absurdum, indem sie an zahlreichen Stellen in ihrem Wahlprogramm Ausgabenkürzungen und einen Abbau der Schulden fordert. Dabei will sie sogar die CSU übertreffen und bis 2028 die kompletten Schulden des Freistaats abgebaut haben. Will die AfD dafür etwa Steuern und Abgaben erhöhen? Ganz im Gegenteil. Sie will sogar bestimmte Steuern ganz abschaffen – so beispielsweise die Erbschaftssteuer, die laut AfD „leistungsfeindlich“ und „mittelstandsfeindlich“ sei.

Die AfD fordert auch einen schlankeren Staat, weniger Bürokratie und die Senkung der Staatsquote. Das ist freilich FDP-Deutsch und heißt nichts anderes als mehr Privatisierungen. Offenbar will man mit den Erlösen aus diesen Privatisierungen die Defizite aus den Steuersenkungen für die Wohlhabenden ausgleichen und darüberhinaus die Staatsschulden abbauen. Wo bei dieser „FDP-auf-Speed-Politik“ noch Spielraum für die nötigen Zuschüsse für das Gesundheitssystem ist, ohne die man die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum nicht erhalten können wird, bleibt Geheimnis der AfD.

So stehen selbst die mageren sozial-, arbeits- und gesundheitspolitischen Forderungen der AfD in einem Zielkonflikt mit der Finanz- und Steuerpolitik des Wahlprogramms. Da diese Punkte jedoch im Programm recht detailliert und konsequent ausformuliert sind, werden sie der Partei wohl auch wichtiger sein als die spärlichen, vagen und schwammigen Forderungen aus den anderen Bereichen.

Vergleichsweise stringent ist das AfD-Programm indes bei den klassischen AfD-Themen, die auch einen Großteil des Programms ausmachen. Man will die schöne bayerische Landschaft nicht durch Minarette verschandeln, Schulen kopftuchfrei halten, die Grenzpolizei wieder einführen, das Schächten verbieten und und und. Diese Forderungen sind weder neu noch sonderlich originell. Angereichert werden sie in Bayern natürlich mit den typischen „Gamsbart-Themen“ – man will das Vereinsleben und das bayerische Brauchtum stärken, die bayerische Gastronomie fördern. Schon optisch schlagen einem die zahlreichen Trachten im Programm und auf den Plakaten ins Gesicht. Offenbar befinden AfD und CSU sich auch im offenen Wettbewerb, wer das nördlich des Weißwurstäquators ohnehin nur noch belächelte Bayern-Klischee noch flacher bedienen kann. Ob das wirklich ankommt?

Klar ist – die AfD lebt von ihrem Image der „Anti-Establishment-Partei“, die die Interessen des Volkes gegen die Interessen der Eliten wiedererlangen will. Doch bereits die Bayernwahlplakate und das dazugehörige Wahlprogramm zeigen, dass schon dieses Image ein Etikettenschwindel ist. Gegen das Establishment ist aus diesem Programm nämlich so ziemlich nichts. Ganz im Gegenteil. Die Eliten können mit einer Senkung der Staatsquote, einer Abschaffung der Erbschaftssteuer und einer noch stärkeren Förderung des Mittelstands sogar sehr gut leben. Eine Partei, die eine Politik im Sinne der Arbeitnehmer wortwörtlich als „sinnfreien Klassenkampf gegen die Arbeitgeber“ bezeichnet, dürfte den Eliten sogar sehr gut gefallen.

Gemäß der AfD-Rhetorik müsste man die Partei wohl als „braunlackierte FDP“ bezeichnen. Was sich flapsig anhören mag, ist jedoch im Kern ernstgemeint. Die AfD hat dabei sogar das Kunststück vollbracht, sich von der FDP genau die Positionen abzuschauen, für die man die FDP am liebsten zu Recht in die politische Bedeutungslosigkeit verdammen würde. Beim Thema Bürgerrechte hält die AfD beispielsweise überhaupt nichts von den liberalen Positionen der FDP.

Wer nun meint, dass sich die klassische Rechts-Links-Unterteilung überholt hätte und es heute um einen Kampf zwischen Unten und Oben ginge, sollte sich das Programm der AfD auch noch einmal ganz genau anschauen. Denn was die AfD in ihrem Wahlprogramm zelebriert, ist eine glasklare Adaption der alten Strategie „Teile und herrsche“. In keinem Punkt wird die Vormacht der „Oberen“ auch nur in Frage gestellt. Die Politik der AfD ist nicht anti-elitär, sondern ganz im Gegenteil zutiefst elitär. Jedwede „Umverteilung“ wird als „sozialistisch“ abgelehnt, dafür soll alles künftig „leistungsgerecht“ und „leistungsorientiert“ sein. Was man der FDP empört um die Ohren hauen würde, wird von vielen AfD-Sympathisanten bei der eigenen Partei seltsamerweise geduldet.

Ja, die Grenzen verlaufen vielleicht tatsächlich nicht mehr zwischen Links und Rechts. Es ist wohl passender, heute von progressiv und regressiv zu sprechen. Die AfD wäre dann aber auf einer Skala sehr weit in Richtung „regressiv“ zu verorten. Darüber sollten sich allen voran die bayerischen Wähler im Klaren sein.