Die Russen sind schuld! So geht die Eskalation weiter. Vertrauensbildung sieht jedenfalls anders aus als im neuesten SPD-Papier.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:
Albrecht Müller

Am 2. Oktober haben wir den Beitrag Tödlicher Wandel durch Konfrontation – Was uns vermutlich ins Haus steht veröffentlicht. Ich hatte beim Schreiben dieses Textes für das Buch „Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen“ die kleine stille Hoffnung, die darin formulierten Prognosen könnten ein bisschen Nachdenken auslösen. Aktuelle Vorgänge bestätigen diese Hoffnung nicht. Da ist zum einen der Verlauf des Petersburger Dialogs (A) und zum anderen das eingangs erwähnte SPD-Fraktions-Papier (B) von gestern. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

  1. Zum Petersburger Dialog

    Hier ein Bericht des Deutschlandfunks in „Informationen am Morgen“ vom Dienstag, 09.10.2018 ,unter der Überschrift „Rhetorische Zusammenstöße während Petersburger Dialogs“.

    Aufeinandergeprallt sind Dr. Wiktor Alexejewitsch Subkow, Vorsitzender des russischen Lenkungsausschusses, und der CDU-Politiker Ronald Pofalla, Vorsitzender des Vorstands, Petersburger Dialog e.V., Bundesminister a.D.; Vorstand Infrastruktur, Deutsche Bahn AG.

    Das gesamte Stück des Deutschlandfunks dauert nur 4 Minuten und 4 Sekunden. Wenn Sie kompakt einen Eindruck gewinnen wollen davon, wie ein wichtiges deutsches Medium informiert und kommentiert, und wenn Sie vor allem wissen wollen, auf welchem abschüssigen Weg wir uns bei Krieg und Frieden befinden, dann gönnen Sie sich diese 4 Minuten.

    Auf das einschlägige Interview mit dem SPD-Politiker Platzeck, der auf Verständigung setzt, haben wir heute in den Hinweisen schon aufmerksam gemacht.

    Matthias Platzeck wünscht sich wie wir eine De-Eskalation. Aber die Fronten sind verhärtet und gerade die Partei, die die Entspannungspolitik in den sechziger und siebziger Jahren durchgekämpft hat, hat ihr eigenes Erbe verraten. Dafür steht der neue deutsche Außenminister Heiko Maas und leider auch das gestern veröffentlichte Papier der SPD-Bundestagsfraktion.

  2. Zum Papier der SPD-Bundestagsfraktion vom 9.10.2018
    Dieses Papier mit dem Titel:

    „Dialog – Vertrauen – Sicherheit. Voraussetzungen und Impulse für eine zeitgemäße sozialdemokratische Entspannungspolitik“

    wurde am 9.10.2018 beschlossen.

    Das achtseitige Papier enthält durchaus ein paar friedensfreundliche Formulierungen. Im Kern muss es aber als weiterer Beleg für die Abkehr der SPD von ihrer Entspannungs- und Friedenspolitik gewertet werden. Symptomatisch ist schon das Wort „zeitgemäße … Entspannungspolitik“ in der Überschrift.

    Im ersten Absatz des Papiers wird festgestellt, der Frieden in Europa sei in den letzten Jahren brüchig geworden, die Hoffnungen Europas nach dem Ende des Kalten Krieges auf einen nachhaltigen Frieden hätten sich nicht erfüllt. Die Teilung des Kontinents sei bis heute nicht vollständig überwunden worden, sondern nur weiter nach Osten verschoben. Und dann wird auf die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine verwiesen. Ziel müsse es sein, eine auf vereinbarten Normen basierende Ordnung für den europäischen Frieden, auf verbindlichem internationalen Recht und nicht auf der Macht des Stärkeren zu etablieren.

    Mit den Stärkeren sind nicht die USA und nicht die NATO und nicht der Westen gemeint. Es wird nicht auf die unendlich vielen Militärbastionen des Westens und die Verschiebung der Grenzen bis an die Grenze zu Russland verwiesen. Gemeint ist Russland als Vertreter des „Rechts des Stärkeren“. Und dann werden schon im zweiten Absatz alle seine Sünden aufgezählt. Wörtlich:

    „Mehrere Ereignisse haben zur Verschlechterung der Sicherheitslage in Europa in den letzten Jahren beigetragen: Der georgisch-russische Krieg 2008 und die völkerrechtwidrige Annexion der Halbinsel Krim durch Russland sowie der bewaffnete Konflikt im Südosten der Ukraine seit 2014. Dort kämpfen seit nun über vier Jahren Separatisten mit russischer Unterstützung gegen ukrainische Streitkräfte. Über 10.000 Menschen haben bislang ihr Leben verloren, knapp zwei Millionen Menschen sind aus dem Kriegsgebiet geflohen. Als Folge haben die EU und die USA Sanktionen gegen Russland verhängt, im Gegenzug initiierte Russland ebenfalls Sanktionen gegen den Westen. Der Weg zu einer friedlichen Lösung und zu einer Beendigung der beiderseitigen Sanktionen hängt maßgeblich ab von der allseitigen Umsetzung der Minsker Vereinbarungen.“

    Kein Wort von der oft ausgestreckten Hand Russlands und den vielen Enttäuschungen. Nicht erwähnt die Bundestagsrede Putins von September 2001. Nicht erwähnt die Enttäuschung und die darauf folgende Abwendung. Kein Wort von den erkennbar imperialen Absichten der USA. Siehe dazu den Brief Willy Wimmers an den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder aus dem Jahr 2000. Kein Wort vom NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Kein Wort zu den Zusagen an Russland, es bei der Ausdehnung der NATO auf die DDR zu belassen. Da beruft man sich jetzt auf die Völker Osteuropas und deren Wünsche. Dabei wird außer Acht gelassen, dass der Westen unentwegt Propaganda für die NATO- und die EU-Ausdehnung gemacht hat. Außerdem hat gerade die SPD in einem Grundsatzprogramm 1989 schon beschlossen, dass es auch die NATO bald nicht mehr geben solle und wir den Frieden in Europa in gemeinsamer Sicherheit finden wollen. Kein Wort vom Putsch in der Ukraine. Kein Wort von der Vorbereitung dieses Putsches durch die USA, unterstützt mit 5 Milliarden $ und eingetütet über unzählige NGOs. Kein Wort vom Einfluss der rechten Bewegungen in den russen-feindlichen Staaten Osteuropas. Kein Wort davon, dass es ein echtes Problem gibt: die historisch bedingte Präsenz vieler Russen in einigen osteuropäischen Staaten wie der Ukraine und in den baltischen Staaten und die unfaire Behandlung dieser Menschen durch die Mehrheiten bzw. deren Repräsentanten. Auch gegenüber der russischstämmigen Bevölkerung auf der Krim waren vor der Abstimmung Drohungen von ukrainischer Seite ausgesprochen worden. Darüber kann man doch nicht hinwegschreiben. Kein Wort davon, dass die Feindschaft zu Russland bei uns von Politikern und Medien unentwegt gepflegt worden ist und ständig neu gepflegt wird. Der alte Grundsatz der Entspannungspolitik, Vertrauen aufzubauen und zu pflegen, ist ständig mit Füßen getreten worden.

    Das Papier der SPD-Bundestagsfraktion enthält eine Fülle anderer anstößiger Passagen. Grundtenor ist durchgehend, dass wir im Westen die Guten und die im Osten, in Russland, die Bösen sind. So ist zum Beispiel in den Augen der Autoren des SPD-Papiers durchgehend Russland verantwortlich dafür, dass das Minsker Abkommen nicht umgesetzt wird.

    Diesen einseitigen Schuldzuweisungen entsprechend findet man unter der Überschrift „Aktuelle Ansätze möglicher Zusammenarbeit“ zunächst nur die üblichen und teilweise unverschämten Forderungen an Russland. Ich zitiere:

    Aktuelle Ansätze möglicher Zusammenarbeit
    Sich um Zusammenarbeit zu bemühen, bedeutet nicht, bestehende Differenzen bei den Interessen und Werten auszublenden. Zu versuchen, Russland zu verstehen, heißt nicht, in jeder Frage übereinzustimmen. Deshalb sollte bereits heute über neue vertrauensbildende Maßnahmen und über Projekte der Zusammenarbeit gesprochen werden – wo sie sinnvoll und realistisch sind. Auf dieser Basis ist es auch möglich, unsere Erwartungen an russische Verhaltensänderungen klar zu formulieren. Wir erwarten, dass Russland

    • in Syrien Assad an den Verhandlungstisch bringt und dafür sorgt, dass Angriffe auf die Zivilbevölkerung und der Einsatz von Chemiewaffen unterbleiben;
    • in der Ostukraine durch seinen Einfluss auf die Separatisten dazu beiträgt, den im „Minsker Abkommen“ vereinbarten Waffenstillstand einzuhalten;
    • Cyber-Angriffe von seinem Territorium auf andere Länder unterbindet, ebenso wie die Einmischung in Wahlen.“

    Diese Forderungen enthalten die üblichen westlichen Behauptungen.

    Es wird übrigens auch die Präsenz der Bundeswehr an der Grenze zu Russland gerechtfertigt. Es wird mehrmals darauf hingewiesen, wir müssten auf die Interessen der kleineren Staaten in Europa Rücksicht nehmen. Das ist schon richtig, aber im Zusammenhang mit der Verständigung mit Russland bedeutet das häufig auch, dass man sich zum Opfer dessen macht, dass einige Politiker in diesen kleineren Staaten Europas meinen, noch Rechnungen mit Russland offen zu haben und glauben, uns in diese Konflikte mithineinziehen zu können. Das hat die SPD-Bundestagsfraktion offenbar nicht erkannt.

    Im Kapitel über Europa als Fundament wird offen der Militarisierung auch der europäischen Politik das Wort geredet.

    Insgesamt ist dieses Papier der SPD-Bundestagsfraktion alles andere als ein Text zum Wiederaufbau von Vertrauen, Dialog und Sicherheit. Dieses Papier wird – nicht ganz so schlimm wie die Einlassungen des Herrn Pofalla – dazu beitragen, jene Kräfte in Russland zu stärken, die in der Zusammenarbeit mit dem Westen und leider auch mit Deutschland keinen großen Sinn mehr sehen. Es wird also das eintreten, was ich in meinem Beitrag vom 2. Oktober formuliert habe: Es besteht die Gefahr eines tödlichen Wandels durch Konfrontation.

    Es gibt übrigens ein meist zitiertes Wort von Willy Brandt, das er unvorsichtigerweise kurz vor seinem Tod in einem Text, der sich an die Sozialistische Internationale wandte, formulierte: „Jede Zeit braucht ihre eigenen Antworten.“ Dieser Satz wird auch im letzten Absatz des SPD-Papiers missbraucht. Da wird Willy Brandt als Zeuge dafür aufgerufen, mit den eigentlichen Grundsätzen der Entspannungspolitik zu brechen.

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