Die SPD und die „soziale Wohnungsbauoffensive“ anno 2018

Wolf Wetzel
Ein Artikel von Wolf Wetzel

Überall, wo die SPD in den letzten Jahren an der Regierung (beteiligt) war, hat sie eines gemacht: Sie hat den „sozialen Wohnungsbau“ dem „freien Markt“ zum Fraß vorgeworfen. Mit Blick auf die Landtagswahlen in Bayern und Hessen bedauert und beklagt die SPD diese Entwicklung nun bitterlich und verspricht, zu beheben, was sie selbst mitzuverantworten hat. Wir erinnern die SPD in diesem Zusammenhang an eine einschlägige Schrift von Friedrich Engels. Von Wolf Wetzel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Landtagswahlen in Bayern 2018 waren für die SPD ein Desaster. Sie bewegt sich nun auf die Fünf-Prozent-Hürde zu. Auf der Höhe der Niederlage bewegen sich auch die Antworten. Man wolle das Wahlergebnis analysieren, um dann das Ergebnis zu präsentieren: Erstens lag es an Bayern (Chiffre), zweitens an Berlin (Chiffre) und in jedem Fall waren es Andere (Chiffren).

Fest steht jedenfalls, dass nur noch 30 Prozent der Befragten die SPD mit dem Begriff „soziale Gerechtigkeit“ in Verbindung bringen. Könnte es sein, dass die SPD sehr viel und genau so lange fast alles dafür getan hat, dass dieser Eindruck nicht trügt?

Überall, wo die SPD in den letzten Jahren an der Regierung (beteiligt) war, hat sie eines gemacht: Sie hat den „sozialen Wohnungsbau“ dem „freien Markt“ zum Fraß vorgeworfen.

Das hat sie nicht nur mit rechten Parteien zusammen gemacht, sondern auch mit einer „linken“ Mehrheit, wie in Berlin, als man 2006 mit der Partei „DIE LINKE“ ein rot-rotes Bündnis bildete und die Landesregierung stellte. Über 50.000 Wohneinheiten wurden in dieser Regierungsperiode von Rot-Rot an private Investoren verscherbelt.

Gab es 1990 in Berlin 340.000 Sozialwohnungen, blieben 2016 gerade einmal 116.000 übrig.

Schwamm drüber.

Nun, also seit sehr kurzer Zeit, fokussiert auf die Landtagswahlen in Bayern und Hessen, bedauert und beklagt die SPD diese Entwicklung bitterlich und will nun echt beheben, was sie selbst mitzuverantworten hat.

SPD will nun jene Wohnungen bauen, die sie selber mitverhökert hat

Nachdem das eingetreten ist, wozu man kein Wohnungsexperte sein muss, nämlich explodierende Mieten, unbezahlbare Wohnungen und No-Go-Area für Niedriglohn-Leben, will die SPD doch tatsächlich den „sozialen Wohnungsbau“ auf Bundesebene stärken und „bezahlbare“ Wohnungen bauen, in einer Größenordnung, die sie in den letzten zwei Jahrzehnten mitverhökert hat, circa 1,5 Millionen Wohnungen bis zum Jahr 2021.

Hell wie immer kommentierte die SPD-Chefin Andrea Nahles diese „Offensive“ mit ihrer gerade frisch entdeckten Weisheit:

„Wohnen ist die neue soziale Frage“.

Ach wirklich, möchte man ihr entgegnen.

Dafür macht auch die hessische SPD mächtig Wind. Es stehen Wahlen vor der Tür. Also packt die SPD in Gestalt ihres Spitzenkandidaten Schäfer-Gümbel an: Mit einem Bauarbeiter zusammen trägt er einen doch recht langen Balken durchs Bild. Dazu erzählt er eine ganz rührende Geschichte: Das Thema Wohnen treibe ihn schon lange um. Er berichtete auch aus seiner Kindheit, als er sich ein Zimmer von acht Quadratmetern mit seinen beiden Brüdern teilen musste.

Ist das nicht zum Heulen?

Lassen wir einmal das Mitgefühl beiseite.

SPD „entdeckt“ soziale Frage

Die SPD entdeckt also das Wohnen als „die neue soziale Frage“. Wie wäre es mit ein wenig Geschichtsbewusstsein? Allerorten bei passender Gelegenheit betont die SPD ihre lange und ruhmreiche Geschichte. Kennt sie nicht ihre eigene Parteigeschichte?

Sagt der SPD, sagt der augenblicklichen Chefin der Sozialdemokratie, Frau Nahles, der Name Friedrich Engels etwas? Klingelt es bei dem Titel: „Zur Wohnungsfrage“?

Lassen wir die Katze aus dem Sack: Friedrich Engels hat 1873/74 mehrere Artikel zur „Wohnungsfrage“ geschrieben. Diese wurden in der Zeitung „Der Volksstaat“ publiziert. Es handelte sich dabei um das Parteiorgan der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), aus der die SPD hervorging.

Ausgangspunkt dieser Artikelserie war die Kritik an „linken“ Lösungsvorschlägen, wozu u.a. die Eigentumsbildung für Arbeiter zählte. Er kritisierte dabei die allgegenwärtige und bestimmende Haltung, irgendwie Sozialismus für wünschenswert zu halten, um gleich danach seine „Verwirklichung nur in entfernter, praktisch unabsehbarer Zeit für möglich“ zu halten:

„Damit ist man denn für die Gegenwart auf bloßes soziales Flickwerk angewiesen und kann je nach Umständen selbst mit den reaktionärsten Bestrebungen zur sogenannten ‚Hebung der arbeitenden Klasse‘ sympathisieren.“

Friedrich Engels hat nicht nur gegen diese „linken“ Lösungsvorschläge polemisiert. Er hat auch unmissverständlich eine Antwort auf diese „soziale Frage“ gegeben:

„Die sogenannte Wohnungsnot, die heutzutage in der Presse eine so große Rolle spielt, besteht nicht darin, daß die Arbeiterklasse überhaupt in schlechten, überfüllten, ungesunden Wohnungen lebt. Diese Wohnungsnot ist nicht etwas der Gegenwart Eigentümliches; sie ist nicht einmal eins der Leiden, die dem modernen Proletariat, gegenüber allen frühern unterdrückten Klassen, eigentümlich sind; im Gegenteil, sie hat alle unterdrückten Klassen aller Zeiten ziemlich gleichmäßig betroffen. Um dieser Wohnungsnot ein Ende zu machen, gibt es nur ein Mittel: die Ausbeutung und Unterdrückung der arbeitenden Klasse durch die herrschende Klasse überhaupt zu beseitigen.“


Quelle: Zur Wohnungsfrage. Separatabdruck aus dem ” Volksstaat” von 1872. Zweite, durchgesehene Auflage. Hottingen- Zürich 1887. (Sozialdemokratische Bibliothek. XIII.) Friedrich Engels. Nach der Ausgabe von 1887. Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Bd. 21, S. 325-334.

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