Saudi-Arabien – der Schurkenstaat in unserem Bett

Jens Berger
Ein Artikel von:

Der wahrscheinliche Mord am saudischen Journalisten und Oppositionellen Jamal Khashoggi lässt nun sogar die deutschen Medien an unseren „netten“ Freunden aus Saudi-Arabien zweifeln. Das ist erstaunlich, da die Affäre Khashoggi bestenfalls die Spitze des Eisbergs einer langen Kette von Verbrechen und Ungeheuerlichkeiten darstellt, die auf das Konto der Golfmonarchie gehen. Saudi-Arabien – eine lupenreine Despotie, die geistig im Mittelalter steckengeblieben ist und um die sich kein Mensch scheren würde, wäre das Land nicht zugleich größter Erdölförderer und damit steinreich. Der Umgang der deutschen Politik mit dem Schurkenstaat stellt dabei eine bis ins Perverse überzogene Praxis der doppelten Standards dar. Kein anderer Staat könnte sich auch nur im Ansatz das erlauben, was Saudi-Arabien sich mittlerweile fast monatlich leistet. Doch die Saudis haben Geld. Viel Geld. Und sie bieten dem Westen auch an, an ihrem Reichtum zu partizipieren. Wer so „nett“ ist, darf offenbar auch das Völkerrecht und die Menschenrechte mit den Füßen treten. Von Jens Berger.

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Die Entführung eines Staatschefs

Stellen Sie sich doch einmal folgendes Szenario vor: Das südkoreanische Staatsoberhaupt Moon Jae-in bricht unter ungeklärten Umständen zu einem Blitzbesuch nach Peking auf. Von dort aus wird tags drauf seine schriftliche Abdankung verkündet. In den folgenden vier Wochen hört und sieht man nichts mehr von Moon. Es gelangen jedoch Geheimdienstinformationen an die Öffentlichkeit, dass Moon von der chinesischen Regierung inhaftiert und unter Folter zur Abdankung gezwungen wurde, da den Chinesen Moons freundlicher Umgang mit den USA ein Dorn im Auge ist. Daraufhin reist Japans Premier Abe nach Peking und erreicht eine Freilassung Moons, der zurück im „sicheren“ Seoul seinen Rücktritt zurücknimmt, aber ansonsten wie ein Grab darüber schweigt, was in den letzten vier Wochen geschehen ist. Der internationale Protest wäre sicher groß. China stünde unter Anklage, Deutschlands Politik wäre empört, ARD und ZDF würden mit Brennpunkten und Spezialsendungen nicht geizen.

Wie Sie wahrscheinlich bereits ahnen, hat sich dieses Szenario tatsächlich abgespielt. Nur, dass es in der Realität der libanesische Premier Saad Hariri war, der im November letzten Jahres unter bis heute nicht völlig aufgeklärten Umständen in der saudischen Hauptstadt Riad von saudischen Sicherheitskräften inhaftiert, dann vier Wochen festgehalten wurde und offenbar unter Folter seinen Rücktritt erklärte. Es ging freilich auch nicht um die guten Beziehungen zur USA, sondern um Hariris angeblich zu freundlichen Umgang mit dem Iran. Der Vermittler war übrigens Emmanuel Macron, der sich als französischer Staatschef immer noch als Schutzherr der ehemaligen Kolonialmacht versteht. Gab es zu dieser unglaublichen Tat einen Brennpunkt? Hat Kanzlerin Merkel den saudischen Botschafter einberufen? Hat der UN-Sicherheitsrat getagt? Natürlich nicht.

Zur vertiefenden Lektüre zu diesem Thema sei das äußerst informative Buch „Armageddon im Orient“ des Nahost-Experten Michael Lüders empfohlen, das vor wenigen Wochen bei C.H. Beck erschienen ist.

Die Verhaftungen von Menschenrechtlern

Oder wie wäre es mit folgendem Szenario: Russlands Präsident Putin erklärt in einer Pressekonferenz, dass Russland künftig die Ehe für Alle in der russischen Verfassung verankern will. Doch dann lässt er kurz vor der Verfassungsänderung namhafte Menschenrechtler und LGBT-Aktivisten verhaften und zum Teil zu hohen Zuchthausstrafen verurteilen – einigen droht sogar die Todesstrafe. Der Westen wäre wohl außer sich. Grüne Abgeordnete würden sich vielleicht aus Protest an die Tore der russischen Botschaft in Berlin anketten und eine Reihe neuer Sanktionen wäre ganz sicher die Folge eines solchen Vorgehens.

Ganz anders im Falle Saudi-Arabiens. Dort hat König Salman beschlossen, dass Frauen in der Golfmonarchie ab dem 24. Juni 2018 endlich auch Auto fahren dürfen. Weltweit berichteten die Medien positiv über diese „historische Zäsur“. Dass wenige Wochen nach der Ankündigung erst einmal 17 namhafte Frauenrechtlerinnen inhaftiert wurden und zum großen Teil heute noch in Haft sind, wurde jedoch nur am Rande erwähnt – darunter die Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul, die noch vor drei Jahren unsinnigerweise von ABC zur drittmächtigsten arabischen Frau gewählt wurde, die Bloggerin Eman al-Nafjan und die Aktivistin Samar Badawi, die 2012 von Michelle Obama und Hillary Clinton persönlich mit einem Preis für ihr Engagement ausgezeichnet wurde. Für fünf Aktivistinnen hat die saudische „Staatsanwaltschaft“ im Rahmen der Verfahren, die nach der muslimischen Scharia verhandelt werden, sogar die Todesstrafe gefordert. Human Rights Watch und Amnesty International schlagen Daueralarm, aber das scheint auch hierzulande niemanden so richtig zu interessieren. Während Pussy Riot mit jeder noch so abstrusen PR-Nummer eine exklusive Titelgeschichte in den deutschen Medien bekommt, ist das dramatische Schicksal saudischer Menschenrechtler hierzulande kein Thema.

Ein Staatsstreich mit Folgen

Was wäre die Reaktion des Westens, wenn der venezolanische Verteidigungsminister das komplette who is who des Sicherheitsapparats, der Politik, der Medien und der Wirtschaft des Landes in ein Luxushotel in Caracas locken und dort von seinen Soldaten inhaftieren lassen würde? Wer die „Nacht der langen Messer“ überleben will, muss sich auf den Verteidigungsminister einschwören, seine Ämter niederlegen und einen Großteil seines Vermögens an die „Staatskasse“ überweisen. Wahrscheinlich käme der Verteidigungsminister gar nicht mehr dazu, diesen Putsch fadenscheinig als „Anti-Korruptionsmaßnahme“ zu verklären, sondern würde noch in der selben Nacht von amerikanischen Drohnen oder Spezialkräften „neutralisiert“.

Für Saudi-Arabien gelten auch da andere Regeln. Ende Oktober letzten Jahres lud dort der heute allmächtige, erst 33 Jahre alte Kronprinz Mohammed bin Salman, in den Medien meist als MBS bezeichnet, 500 Vertreter der saudischen Elite zu einem Meeting ins Ritz Carlton in Riad ein oder besser „vor“ – darunter elf Prinzen, wie Al-Waleed bin Talal (der reichste Saudi) und Mutaib bin Abdullah (damals oberster Befehlshaber der Nationalgarde) und sogar den Halbbruder Osama bin Ladens, der den Baukonzern der Bin-Laden-Familie leitet. Diese 500 VIPs wurden von MBS im Rahmen einer erst wenige Tage zuvor ins Leben gerufenen Anti-Korruptions-Kampagne angeklagt und noch im Hotel verhört, gefoltert und inhaftiert. Es war natürlich kein Zufall, dass diese 500 Saudis auch die Speerspitze der Opposition gegen MBS bildeten. Insgesamt verhängten die von MBS extra dafür eingesetzten „Richter“ Geldstrafen in kaum zu fassender Höhe von 86 Milliarden Euro – alleine Prinz Al-Waleed bin Talal soll über eine Milliarde US$ „Lösegeld“ für seine Freilassung bezahlt haben. Der „Schuss vor den Bug“ wurde verstanden. Heute bezeichnet Al-Waleed bin Talal seine Inhaftierung als „großes Missverständnis“; alles sei nun „bestens“. Für MBS mag dies gelten. Seit der „Nacht der langen Messer“ hat er keine ernstzunehmende Opposition mehr im saudischen Machtapparat und konnte alle zentralen Stellen mit Vertrauten besetzen. Ernsthafte Kritik kam auch in diesem Fall nicht aus dem Westen.

Ein Nachbarstaat wird abgeriegelt

Spielen wir doch wieder „was wäre wenn“. Was wäre, wenn die Türkei ohne eine völkerrechtliche Erklärung von heute auf morgen eine See- und Luftblockade gegen ihren Nachbarn Zypern verhängen würde? Was wäre, wenn Erdogan der zypriotischen Regierung dann einen Dreizehnpunkte-Forderungskatalog übergeben würde, der unter anderem einen Austritt aus der EU und das Verbot aller namhaften zypriotischen Fernseh- und Radiostationen beinhalten würde. Zypern sollte auch künftig keine Beziehungen mehr zu Deutschland und Großbritannien unterhalten. Nicht nur die EU wäre sicher außer sich und würde Ankara einen ganzen Sanktionskatalog entgegenschleudern und die Medien würden Erdogan geradezu steinigen.

In der Realität war es die Golfmonarchie Katar, die im Juni letzten Jahres von der benachbarten Golfmonarchie Saudi-Arabien und deren Handlangern in den Emiraten von Land, See und Luft aus abgeriegelt wurde. Als „casus belli“ diente dabei ein gefälschtes Interview mit dem katarischen Emir, das von Hackern auf den Seiten einer katarischen Nachrichtenagentur veröffentlicht wurde. Unsere Qualitätsmedien meldeten natürlich wieder einmal, dass Russland hinter dem Hack stünde. Wer auch sonst? Dabei stand zu diesem Zeitpunkt schon fest, dass die Hacker-Freelancer von den Saudi-Verbündeten in den Emiraten beauftragt wurden.

Der Katalog mit den 13 Forderungen an Katar sah unter anderem die Schließung des populären TV-Senders Al-Jazeera, die Einstellung der diplomatischen Beziehungen zu Iran, Reparationszahlungen und eine diplomatische De-Facto-Isolation vor. Dem konnte Katar freilich nicht zustimmen. Schlussendlich war es wohl der ehemalige US-Außenminister Rex Tillerson, der die Saudis in letzter Minute davon abhalten konnte, den Marschbefehl auszusprechen. In Katar liegt bekanntlich auch der größte und wichtigste US-Truppenstützpunkt in der Golfregion. Als „Dank“ für die Vermittlung musste Tillerson kurze Zeit später abdanken – sein Präsident zählt nämlich zu den großen Freunden Saudi-Arabiens und war via Twitter ganz angetan von den saudischen Bemühungen, den „Terrorismus in der Region“ zu bekämpfen. Das entbehrt freilich nicht einer gewissen Komik, ist Saudi-Arabien doch selbst nach Angaben der US-Geheimdienste der mit großem Abstand wichtigste Sponsor des weltweiten Terrorismus. Es gibt wohl kaum einen größeren islamistischen Terroranschlag, der sich nicht direkt oder indirekt auf Saudi-Arabien, saudisches Geld oder von saudischem Geld finanzierten wahhabitischen bzw. salafistischen Gruppierungen zurückverfolgen ließe.

Internationaler Protest blieb selbst bei der bis heute andauernden Katar-Blockade Mangelware. Nun will Saudi-Arabien Katar mittels eines 60 Kilometer langen Kanals an der Landesgrenze zu einer Insel machen und direkt an der Grenze ein „Endlager“ für den kommenden Atommüll errichten. Saudi-Arabien plant immerhin 16 Atomkraftwerke und liebäugelt auch mit dem Gedanken an ein eigenes Atomwaffenprogramm, das interessanterweise offenbar ausgerechnet von Israel unterstützt wird. Auch hier gelten für Saudi-Arabien offenbar eigene, sehr eigenwillige Regeln.

Ein Krieg ohne Mandat

Nun stellen wir uns – last but not least – doch einmal vor, Russland würde eine Seite des Bürgerkriegs in der Ukraine offen unterstützen und tagein tagaus massive Luftangriffe auf seine Gegner in der Ukraine fliegen. Dabei würde Russland mit seinen „Präzisionsbomben“ Schulbusse in die Luft sprengen und an jedem zweiten Tag im Jahr zivile Fahrzeuge treffen. Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte würde sich vor der UN bitterlich darüber beschweren, dass Russlands Bomben vor allem auf Wohngebiete, Märkte, Beerdigungen, Hochzeiten, Gefängnisse, zivile Schiffe und sogar Krankenhäuser niedergingen, Russlands Vorgehen als Kriegsverbrechen bezeichnen und dabei die Regierung ausdrücklich mit einbeziehen. Kaum vorstellbar, nicht wahr? Die NATO würde in einem solchen Fall sicher ein Großaufgebot ihrer Truppen an der ukrainischen Grenze zusammenziehen und Russland jede nur denkbare Protestnote schicken.

Dem Bürgerkrieg im Jemen, der vom saudischen Kronprinzen MBS wenige Tage nach seiner Übernahme des Verteidigungsministeriums begonnen wurde, sind bis heute rund 50.000 Menschen zum Opfer gefallen – mehr als drei Millionen Menschen wurden vertrieben. Im Westen wird der Krieg gerne als Stellvertreterkrieg zwischen den Hegemonialmächten Saudi-Arabien und Iran beschrieben, doch das ist Unsinn. Während man seine liebe Mühe hat, selbst kleinste iranische Waffenlieferungen an die Huthi-Rebellen nachzuweisen, hat die saudische Luftwaffe mehr als 16.305 Bombeneinsätze (Stand Februar 2018) im Jemens geflogen. Jeder dritte Einsatz galt dabei einem zivilen Ziel, 1.491 Mal wurden dabei Wohngebiete bombardiert, 212 Schulen wurden durch gezielte saudische Bombardierungen zerstört. Das saudische Militär unterhält dabei ganz offiziell Militärstützpunkte im Jemen und bildet jemenitische Truppen aus. Keiner dieser Punkte ist auch nur im Ansatz durch das Völkerrecht gedeckt. Und der Wertewesten? Verhängt der Sanktionen? Mitnichten. Die USA, Frankreich und Großbritannien unterstützen Saudi-Arabien sogar mit Logistik, Hilfe bei der Seeblockade und Geheimdienstinformationen. Die Kriegsverbrechen der Saudis werden vom Westen nicht etwa sanktioniert, sondern subventioniert.

Waffen für 110 Milliarden Dollar und der Jackpot

Dies hat natürlich auch Gründe. Schon seit langer Zeit haben die USA und Saudi-Arabien eine eigenwillig symbiotische Beziehung. Saudi-Arabien verkauft Öl und die USA verkaufen den Saudis dafür moderne Waffen. Zum Riyadh Summit 2017 reiste Donald Trump sogar höchstpersönlich an und unterzeichnete mit dem saudischen König Salman eine Absichtserklärung, in den nächsten Jahren Waffen im Wert von 110 Milliarden US$ in die Golfmonarchie zu liefern. Zusätzlich hat sich Saudi-Arabien verpflichtet, 40 Milliarden US$ in privatisierte amerikanische Infrastrukturprojekte zu investieren und es wurde wohl auch unter der Hand ein Deal geschlossen, dass die Saudis auch künftig in großem Volumen US-Staatsanleihen erwerben.

Auf der anderen Seite hat Kronprinz MBS den USA ein Angebot gemacht, das selbst die kühnsten Träume der Wall Street übersteigt. Bis 2021 sollen der staatliche saudische Ölkonzern Aramaco und das gigantische Petrochemie-Unternehmen Sabic an die Börse gebracht, also privatisiert werden. Zwar erhofft sich Saudi-Arabien damit Erlöse in Billionenhöhe. Das ist wohl auch der große Unterschied zwischen den Saudis und den Russen. Putin stoppte den Ausverkauf der nationalen Bodenschätze und ist seitdem der Lieblingsschurke des Wertewestens, MBS ermöglicht den Ausverkauf der nationalen Bodenschätze und ist seitdem unser Darling in Nahost. Aber es stehen immer noch gewaltige Fragezeichen hinter diesem Deal. Wer investiert schon gerne in ein Unternehmen, das von offensichtlich geistesgestörten Hasardeuren gemanagt wird? Mit den Erlösen will MBS übrigens sein gigantomanisches Industrieprojekt Saudi Vision 2030 finanzieren und hier kommen dann auch die Deutschen ins Spiel, die sicher ein Auge auf das Billionenbudget geworfen haben.

Heiko Maas vs. Sigmar Gabriel – der traurige Paradigmenwechsel der SPD

Auch Deutschland hat seine Aktien im saudischen Spiel. Seit ihrer Vereidigung hat die neue Bundesregierung bereits Rüstungsexporte im Wert von 254 Millionen Euro genehmigt. Und dies, obwohl sie pikanterweise im Koalitionsvertrag Rüstungsexporte in Länder, die sich am Krieg im Jemen beteiligen, eigentlich untersagt hat. Aber was interessiert die SPD ihr Geschwätz von gestern, wenn sie nun die Minister stellt? Erst recht, wenn die Minister derartige Opportunisten sind wie Heiko Maas.

Maas´ Amtsvorgänger Sigmar Gabriel sprach wenigstens hin und wieder noch mal Tacheles, wenn es um Saudi-Arabien ging. Als die Saudis den libanesischen Premier Hariri entführten, platzte Gabriel der Kragen. Er sagte damals mit Blick auf Saudi-Arabien, „dass man nicht mehr bereit [sei], das Abenteuertum, das sich dort in den letzten Monaten breit gemacht [habe], einfach sprachlos hinzunehmen“. Die Saudis waren von derlei Offenheit gar nicht angetan, drohten mit Konsequenzen und schon wenige Tage später ruderte Gabriel zurück und pries die Saudis allen Ernstes als „die größten Spender humanitärer Hilfe im Jemen“ und bedauerte, dass „dieser Fakt“ in Deutschland „von einigen ignoriert [würde]“.

Wer denkt, derlei Unterwürfigkeit ließe sich nicht toppen, kennt jedoch Heiko Maas noch nicht. Der beendete vor wenigen Wochen den immer noch gärenden „Gabriel-Eklat“ mit einem „Kniefall“ vor Saudis. „Wir bedauern aufrichtig“, dass es „Missverständnisse“ gegeben hat, so Maas. Peinlich.

Der Wertewesten – nur Maulhelden und Arschkriecher

Wenn schon Kriegsverbrechen, Angriffskriege, Entführungen, Mord, Erpressung und Folter nicht ausreichen, um dem Wertewesten einen leisen(!) Protest zu entlocken, warum sollte sich dies dann durch den Mord an dem Oppositionellen Jamal Khashoggi ändern? So grausam der Fall Khashoggi zu sein scheint – er ist nur die Spitze des Eisbergs und stellt qualitativ sicher keinen neuen Tiefpunkt der an Tiefpunkten reichen jüngeren Geschichte saudischer Verbrechen dar. US-Präsident Trump nahm die Saudis gestern schon mal vorsorglich in Schutz. Das ist insofern schon fast wieder verständlich, da die US-Dienste offenbar bereits im Vorfeld erfahren haben, was die Saudis mit Khashoggi planen und Trump ansonsten erklären müsste, warum die US-Regierung den US-Staatsbürger Khashoggi wider besseren Wissens nicht vor den Mördern aus Riad geschützt hat. Die Antwort darauf dürfte selbst Trumps Wählern nicht gefallen.

Und Deutschland? Selbst fanatische Anhänger der SPD – so es die denn noch gibt – würden sicher noch nicht einmal im Traum daran denken, dass ausgerechnet Heiko Maas Profil zeigt und einen Staat kritisiert, der unter der Protektion des großen Bruders aus Washington steht. Wer sich schon für das einzige leise Wort der Kritik seines Vorgängers förmlich bei den Saudis entschuldigt, hat ganz offensichtlich weder die moralischen noch charakterlichen Mittel, aus der selbstgewählten Rolle als Opportunist auszubrechen.

Liegt es am Geld? An den Petrodollars aus Riad? Unwahrscheinlich. Die Russlandsanktionen kosten die deutsche Wirtschaft auch ein Vermögen und Russland ist für Deutschland ganz sicher kein unwichtigerer Handelspartner als Saudi-Arabien. Und wenn es um Russland geht, kann Heiko Maas bekanntlich kein dummer Spruch dumm genug sein. Wie kann es sein, dass ein Minister gen Russland den Maulhelden gibt und zum Duckmäuser wird, wenn es um Saudi-Arabien geht? Die Antwort darauf ist wohl jenseits des Atlantiks zu suchen.