DGB-Chef kapituliert, noch dazu im SPIEGEL

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

In den letzten Wochen war ich unentwegt unterwegs mit Vorträgen zur „Reformlüge“, häufig auf Einladung von Gewerkschaften. Das Selbstbewusstsein vieler Gewerkschaftsmitglieder ist unter dem Trommelfeuer der neoliberalen Propaganda („Reformblockierer“) und einer miserablen Konjunktur- und Arbeitsmarktlage, die sie andauernd in eine schwache Markt- und Machtposition bringt, angeknackst worden. Diese Selbstzweifel konnte ich mit guten Argumenten immer wieder ausräumen. Ich konnte die Gewerkschaften bisher immer noch eine (der wenigen) „Stimmen der Vernunft“ nennen, weil sie sich der Reformpropaganda mit ihren irreführenden und erfolglosen Rezepten mehrheitlich noch nicht angepasst haben. Wenn künftig das gilt, was der DGB-Vorsitzende Michael Sommer in einem Interview mit dem SPIEGEL vom Montag gesagt hat, dann ist auch diese Stimme der Vernunft zum Schweigen gebracht.

Michael Sommer hat in diesem SPIEGEL-Interview nicht nur den Kampf gegen Hartz IV aufgegeben, was man ja angesichts der geschaffenen Fakten noch als resignatives Eingeständnis einer Niederlage verstehen könnte.
Schlimmer ist, er macht sich auch noch die meisten Legenden und Mythen der „Reformer“ zu eigen: Die Grundlagen des Sozialstaats hätten sich durch die demographische Entwicklung und die Globalisierung stark verändert; daraus ergebe sich die Notwendigkeit, „den Sozialstaat gründlich umzugestalten“.
Wie denn? Natürlich in Richtung kapitalgedeckte Privatvorsorge; der DGB Vorsitzende akzeptiert, „die Sozialsysteme auf eine Grundversorgung zu reduzieren“, mit Ausbau der privaten Riesterrente oder privaten Leistungen bei der Gesundheitsvorsorge. Auf diese Ziele haben die Lobbyisten der Versicherungswirtschaft von Meinhard Miegel bis zum SPIEGEL jahrelang hin gearbeitet. Jetzt hilft ihnen der DGB-Vorsitzende gar noch die Ernte einzufahren.

Michael Sommer macht diese Konzessionen just in einer Phase, die immer deutlicher zeigt, wie wirkungslos, ja sogar kontraproduktiv die Rezepte der „Reformer“ sind. Die NachDenkSeiten haben z.B. in den letzten Wochen mehrmals auf die tatsächlichen Auswirkungen der Privatisierungskonzepte hingewiesen und davon berichtet, dass die kapitalgedeckten Systeme in den USA, in Großbritannien, in Chile und anderswo in die Krise geraten sind. Der chilenische Präsident empfahl den Deutschen dringend zu beachten, dass in Chile jetzt der Staat die Privatvorsorge-Systeme retten muss. Die Riesterrente wurde gerade mal von 10% angenommen, auch deshalb, weil die Wenigerverdienenden nicht das nötige Geld für die zusätzliche Privatvorsorge haben. Die Altersarmut ist so vorprogrammiert. Wir hätten gerade angesichts des weltweit erkennbaren Scheiterns der privaten Vorsorgesysteme allen Grund, uns auf unsere solidarischen Sicherungssysteme zurückzubesinnen. Nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit. Auch aus Gründen der Vernunft.

Genau in diesem Moment kapituliert der DGB-Vorsitzende. Er zieht damit gerade den aktivsten Gewerkschaftern/innen den Teppich unter den Füßen weg.
Er übernimmt dabei sogar noch eine Reihe der üblich gewordenen Gewerkschaftsbeschimpfungen, wenn er selbst von „betonköpfigen Bewahrern“ spricht. Merkt Sommer nicht, dass er mit solchen Anbiederungen beim SPIEGEL und bei den Agenda-2010-Vertretern nur noch ein müdes Lächeln erntet? Merkt er nicht, dass er die Gewerkschaften schwächt und geradezu dem Gespött der „Reformer“ preisgibt.

Michael Sommer hat noch vor einem halben Jahr etwa in einem Interview mit dem „Stern“ ganz anders argumentiert. Was ist seitdem geschehen? Hatten die „Reformen“ etwa Erfolg? Oder ist er einfach unter Druck gesetzt worden? Wird von Gewerkschaften wie der IGCBE (Chemie, Energie) oder von Transnet (Eisenbahner) mit einer Spaltung der Gewerkschaftsbewegung gedroht? Oder nötigt ihn die Bundesregierung mit dem Entzug der Unterstützung bei der Erhaltung der Tarifautonomie auf ihren Agenda-Kurs?
Man könnte ja noch hinnehmen, wenn der DGB-Chef dem Bundeskanzler wenigstens als Zugeständnis abgetrotzt hätte, dass die Bundesregierung endlich die notwendige offensive Konjunkturpolitik anstoßen würde, damit die Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt endlich wieder einen längeren Hebel in die Hände bekämen. Aber nichts dergleichen.

Schröder hat geschickt und auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler einige Einzelgewerkschaften zu Unterstützern seiner Reformpolitik gemacht. Der Steinkohle und damit der IBCE lässt er die Steinkohlesubventionen; sicher im Sinne des IBCE-Vorsitzenden, Hubertus Schmoldt, wird auch die Pharmaindustrie bei den Kostendämpfungsmaßnahmen bisher erkennbar geschont und damit vergleichsweise gut bedient. Michael Sommer könnte unter Druck dieser Kollegen geraten sein. Aber rechtfertigt das die Preisgabe der Vernunft, und die weitere Schwächung der Arbeitnehmerinteressen durch die Übernahme der irrationalen Reformpropaganda?
Rechtfertigt das eine Unterwerfungserklärung – noch dazu im wirksamsten Kampforgan der Neoliberalen – im SPIEGEL? Der DGB-Vorsitzende braucht sich nicht zu wundern, wenn den Gewerkschaften noch mehr Mitglieder weglaufen, weil sie ihre Interessen immer weniger vertreten sehen.