USA: Rationale Politik stand nicht zur Wahl

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Die Zwischenwahlen in den USA haben erneut gezeigt: Das politische Elend ist dort momentan überparteilich und darum nicht abwählbar – keins der politischen Lager kann einen echten moralischen Vorsprung reklamieren. Derweil läuft die Mythenbildung des „guten Amerika“ auf Hochtouren – vor den Wahlen erreichte die Distanzierung von den eigenen Kriegsverbrechen nochmals ungeahnte Ausmaße: Nach dieser dominanten Lesart kam das Böse erst mit US-Präsident Donald Trump in die Welt. Von Tobias Riegel.

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Bei den Zwischenwahlen in den USA haben die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus verloren. Auf der anderen Seite konnte die Partei von US-Präsident Donald Trump die Mehrheit im Senat klar halten. Das Bild ist also nicht eindeutig. Eindeutig ist aber, dass die von den großen deutschen Medien ersehnte deutliche Abstrafung Donald Trumps an den Wahlurnen ausgeblieben ist. Dieser Fakt soll hier keineswegs begrüßt werden: Zu infam war dafür der auf Ressentiments aufgebaute Wahlkampf Trumps. Zu spalterisch, unsozial und rassistisch ist der gesamte Charakter des Projekts „Trump“.

Die aktuellen US-Kriege sind nicht zuerst Trumps Werk

Über diese wichtige Kritik am US-Präsidenten sollte aber eines nicht vergessen werden: Nicht zuerst Donald Trump hat die aktuelle Welt mit ihren Kriegen und Flüchtlingsströmen „gebaut“. Der zerbrechliche Zustand des Planeten ist viel eher unter der dominanten Führung jener Kräfte entstanden, die von den großen deutschen Medien aktuell als das „gute Amerika“ verkauft werden. Auch wenn er mutmaßlich nicht vor solchen Kriegen zurückschrecken würde: Die Zerstörung Afghanistans, Libyens, des Iraks, des Jemens oder Syriens ist nicht zuerst das Werk Donald Trumps. Aber die Horror-Fratze Trump eignet sich für die US-Demokraten gut, um dahinter die eigenen Kriegsverbrechen zu verstecken. Diese Praxis der US-Demokraten ist vergleichbar mit der Instrumentalisierung der AfD durch deutsche Altparteien: Auch hierzulande soll jenes „populistische“ Monster die eigene Existenz rechtfertigen und die eigene Verantwortung am Rechtsruck überdecken. Dass in dieser Betrachtung Ursache (die neoliberale Politik) und Wirkung (der Rechtsruck) auf den Kopf gestellt werden, dringt medial nicht mehr durch.

Als politischer Hoffnungsschimmer wird nun häufig auf angebliche „junge Radikale“ bei den US-Demokraten verwiesen, die sich Plätze in der Partei-Hierarchie erobern würden. Doch haben diese jungen Aktivisten wirklich langfristige Chancen? Werden ihnen im letzten Moment von der eigenen Partei Steine in den Weg gelegt werden, wie dies Bernie Sanders vor der Wahl 2016 erleben musste? Sind die jungen demokratischen Aktivisten nicht reines Feigenblatt – vergleichbar mit dem mutmaßlichen Werdegang des Juso-Chefs Kevin Kühnert: machtlos, solange sie (pseudo-)aufmüpfig sind – und weichgespült, sobald sie Macht erringen?

Das Kriegs-Lager ist nicht abwählbar

Demokraten tun in ersten Statements nun so, als würde erst jetzt – mit der errungenen Mehrheit im Repräsentantenhaus – der Widerstand gegen Trump beginnen. Dabei läuft dieser Widerstand seit der Wahlnacht von 2016 – und man kann es durchaus als problematisch ansehen, dass die Gegner des US-Präsidenten für diesen Kampf unter anderem die US-Geheimdienste instrumentalisieren. Geradezu verwerflich ist die Leichtfertigkeit der Trump-Gegner in Medien und Politik, mit der zum Reizwort „Russia-Gate“ eine riskante Dämonisierung Russlands betrieben wird, um kurzfristige innenpolitische Vorteile zu verzeichnen.

Die Zwischenwahlen und das unentschiedene Ergebnis verdeutlichen einmal mehr das zentrale Problem der „Demokratie“ in den USA: Es gibt ein parteiübergreifendes Kriegs- und Finanzmarktlager, das scheinbar nicht abgewählt werden kann. Dieses Phänomen ist durch die überparteiliche Zustimmung zu den US-Kriegen der Vergangenheit lange belegt, aktuell bestätigte es am Dienstag ausgerechnet der mutmaßliche transatlantische Lobbyist Norbert Röttgen im „Deutschlandfunk“ am Beispiel der Drangsalierung des Iran:„Beim Thema Iran hat Trump auch immer eine überparteiliche Zustimmung gehabt.“

Die „New York Times“ und Putins Komplott gegen Amerika

In der vorbereitenden Medienberichterstattung zu den US-Wahlen wurden in deutschen Medien nochmals die Register der seit 2014 verschärften antirussischen Meinungsmache gezogen: So zeigte „Phoenix“ am Dienstagabend neben einer Doku über Künstler-Widerstand gegen Trump eine infame „Reportage“ mit dem Titel „Trump und Putin – Komplott gegen Amerika?“.

Noch intensiver verfolgte aber „Arte“ diese Stoßrichtung: Der Sender zeigte am Dienstagabend die vierstündige Dokumentation „Mission Wahrheit – Die New York Times und Donald Trump“. Der distanzlose Film zeichnet das kitschige Trugbild von den mutigen und unabhängigen Hauptstadt-Reportern, die nun für die „Demokratie“ aufstehen. Dass dieser Aufstand aber erst mit Trump einsetzte und dass er sich nicht auf die dramatischen Kriegsverbrechen der Trump-Gegner bezieht, wird nicht problematisiert: Nach Meinung der US-Reporter – und auch vieler deutscher Redakteure – kam das Böse erst mit Trump in die Welt. Nebenbei wird die Doku genutzt, um die unseriösen Kampagnen der „New York Times“ zu „Russia-Gate“ als bewiesen und gerechtfertigt darzustellen. Wer etwa die (Geheimdienst-)Quellen der „New York Times“ sind, die die antirussische Propaganda unterfüttern, wird nicht beleuchtet. Die Doku ist dennoch zu empfehlen: Als Beispiel geschickter Propaganda, als Illustration des irrationalen Selbstbildes der Redakteure und als Dokument der medialen Heuchelei.

Der Erfolg Trumps beruht auf dem Versagen des „linken“ Lagers

Es ist zwar selbstverständlich, es soll hier aber mit aller Deutlichkeit nochmals betont werden: Der Hinweis auf die Heuchelei der US-Demokraten wäscht nicht die Republikaner rein, die sich erst gar keine Mühe geben, ihre radikale, rassistische und wirtschaftsnahe Politik mit schönen Phrasen zu kaschieren. Die Technik der irrationalen Politikbetrachtung sowie der radikalen Emotionalisierung wird von den Republikanern ebenso genutzt wie von ihren Gegnern: Die Tränendrüse der Einen wiegt nicht den Verbalterror der Anderen auf. Es gibt aber doch einen Unterschied im Umgang: Die Betrachtung Trumps als das Böse schlechthin ist etabliert und wird medial nicht angezweifelt. Das ist für sich genommen zu vertreten. Zur Heuchelei wird die Praxis erst dadurch, dass Hillary Clinton und Barack Obama als „guter“ Kontrast gegenübergestellt werden. Angesichts der oben geschilderten Zerstörung mehrerer Länder durch Trumps Vorgänger ist der moralische Kredit, der den Demokraten eingeräumt wird, nicht zu vertreten.

Der mindestens irritierende Erfolg Donald Trumps ist, auch das zeigen die Zwischenwahlen, keine Eintagsfliege. Und er beruht – wie in Deutschland jener der AfD – auf dem Versagen des einst „links“ genannten Lagers: Das hat mit der Hinwendung zum Neoliberalismus erst das Feld eröffnet, auf dem sich Trump und AfD als pseudosoziale „Alternative“ für den „Kleinen Mann“ produzieren können.