„Es kann von propaganda-gelenktem Journalismus gesprochen werden“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Verbreiten Nachrichtensendungen in Deutschland und anderen demokratischen Ländern Propaganda? Eindeutig: Ja, sagt der Journalismusforscher Florian Zollmann. Der Dozent an der Newcastle University in England hat sich in einer Studie mit der Berichterstattung großer Medien über Konflikte wie in Syrien, im Irak oder im Kosovo auseinandergesetzt. Sein Ergebnis: „Die Politik der NATO und USA wurde dabei nicht substantiell hinterfragt.“ Beispielsweise die Gräueltaten der Verbündeten habe man in der Berichterstattung an den Rand gedrängt. Für Zollmann ist bewiesen, dass es häufig einen Gleichklang zwischen Mehrheitsmeinungen in der Politik und der journalistischen Berichterstattung gibt. So passiere es, dass immer wieder in den Nachrichten „die Sicht der politischen Eliten“ in den Vordergrund gerückt werde, während „kritische Stimmen aus der Bevölkerung, selbst wenn diese in der Mehrheit sind“, in den Nachrichten kaum noch vorkommen. Ein Interview über Medien und Propaganda. Von Marcus Klöckner.

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Herr Zollmann, wenn von Medien und Propaganda die Rede ist, dann hauptsächlich im Zusammenhang mit Medien in Diktaturen. Verbreiten auch Medien in demokratischen Ländern Propaganda?

In der Tat. Die Idee, dass Propaganda nur in autoritären Gesellschaften verbreitet wird, ist eine Illusion. Natürlich finden wir Propaganda in Diktaturen. Viele Menschen scheinen sich aber nicht bewusst zu sein, dass moderne Propaganda in westlichen Demokratien entwickelt wurde und sich auch dort einer tiefen gesellschaftlichen Verbreitung erfreut.

Eine tiefe gesellschaftliche Verbreitung?

Ja, so ist es in der Tat. Und dafür gibt es auch Gründe.

Welche denn?

In westlichen Demokratien sind die Machtsysteme seit der Einführung von Wahlen und des Gewerkschaftswesens, sowie der rechtlichen Institutionalisierung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, nicht mehr in der Lage, ihre Herrschaft ausschließlich mittels Gewalt durchzusetzen.

Aber irgendwie wollen die Herrschenden dennoch die soziale Kontrolle?

Richtig. Und soziale Kontrolle wird seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts größtenteils mittels Propaganda erreicht (anders als im Nationalsozialismus, wo zusätzlich direkte Gewalt und Staatsterrorismus als Mittel der Herrschaft verwendet wurden). Es kann auch von einer propaganda-gesteuerten Demokratie gesprochen werden.

Eine „propagandagesteuerte Demokratie“? Da würde Ihnen jetzt wohl gerade auch so mancher Medienvertreter widersprechen.

Das ist eine Aussage, die Vielen nicht behagt und die Viele nicht hören wollen. Aber: Je größer die soziale Ungleichheit und damit die Klassenunterschiede innerhalb einer demokratischen, kapitalistischen Gesellschaft sind, desto wichtiger wird Propaganda als Instrument der Eliten zur Sicherung von Macht, Einfluss und Wohlstand. Und wir sehen derzeit eine noch nie dagewesene Ungleichheit in der westlichen Hemisphäre. Außerdem gilt es zu beachten: Fachleute aus der Wirtschaft entwickeln seit Jahrzehnten vielfältige Propagandatechniken, um ihre Produkte in den Verkehr zu bringen. Oftmals verwenden Konzerne Marketingstrategien, die auf selektiver Informationsvermittlung oder sogar Täuschung basieren. Die frühe Geschäftsliteratur fasste diese Techniken unter dem Begriff Propaganda zusammen. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde in den USA begonnen, aus einer Geschäftsperspektive heraus Propagandatechniken in einem industriellen Maßstab zu entwickeln. Nachdem die kriegführenden Parteien im Ersten und Zweiten Weltkrieg diese Techniken für politische Zwecke instrumentalisierten, wurde vielen Menschen das manipulative Potential von Propaganda bewusst. Das ging aber nicht mit einem Bedeutungsverlust von Propaganda einher. Fachleute aus Wirtschaft und Politik entschieden sich vielmehr für die Verwendung neuer Begrifflichkeiten. So führte Edward Bernays, der Gründungsvater moderner Propaganda, den Begriff Public Relations ein, nachdem Propagandatechniken im Krieg von den Deutschen missbraucht worden waren. Dieser Prozess kann als ein Re-Branding von Propaganda bezeichnet werden. Was historisch gesehen als Propaganda definiert wurde, hört heute auf Namen wie Public Relations (PR), Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, Branding, Lobbying, Persuasion, Public Diplomacy, Psychological Operations oder Fake News.

Bei der Verbreitung von Propaganda kommen dann auch die Medien mit ins Spiel?

Ja. Die so genannten Massenmedien sind eine wichtige Institution zur Verbreitung von Propaganda. Ein Hauptkanal ist natürlich die klassische Werbung, die in Zeitungen geschaltet wird oder im kommerziellen Rundfunk läuft. Ein großer Teil dieser Werbung ist in den letzten Jahren ins Internet abgewandert. Aber darum soll es in unserem Interview ja nicht gehen.

Nein, wir wollen uns auf die Propaganda konzentrieren, die im „etablierten“ Journalismus zu finden ist.

Wenn Nachrichten Propaganda enthalten, dann ist das ein großes Problem und wohl schlimmer als Werbepropaganda, die uns versucht zum Kaufen eines bestimmten Produktes zu bewegen. Propaganda, die im Rahmen der journalistischen Berichterstattung verbreitet wird, kann eine ziemliche Gefahr für die Demokratie bedeuten. Denn Meinungsbildung durch die Massenmedien gilt als ein Garant für die Demokratie. Die Bevölkerung hat im Alltag wenig Einfluss auf ihre politischen Repräsentanten. Dennoch kann man – vereinfacht dargestellt – davon ausgehen, dass die Bevölkerung dann in der Lage ist, auf die Politik am besten einzuwirken, wenn sie durch die Nachrichtenmedien ausreichend informiert wird. Trotzdem ist es in der deutschen Medien- und Kommunikationswissenschaft und im Journalismus quasi ein „No-Go,“ Nachrichten mit Propaganda zu vergleichen. Dabei gibt es insbesondere aus der anglo-amerikanischen Forschung zahlreiche Beispiele, die genau diesen Zusammenhang belegen.

Wie denn?

Wenn man Nachrichten seziert, dann lassen sich verschiedene Schichten herausschälen. Zunächst einmal bestehen Nachrichten in der Regel aus einer Mehrzahl von Quellenzitaten. Ein Merkmal des professionellen Journalismus ist es, verschiedene Zitate als „objektive“ Fakten in einem gesprochenen oder geschriebenen Narrativ zu integrieren. Das ist ein potentielles Einfallstor für politische Akteure, deren Ziel es ist, eine parteiische Sichtweise in den Nachrichten zu platzieren. Das mag kein Problem sein, wenn Journalisten eine Vielzahl unterschiedlicher Meinungen veröffentlichen oder Quellen sorgfältig auf ihre Richtigkeit hin überprüfen. Empirische Studien in der Journalismus-Forschung bestätigen allerdings, dass politische Offizielle mit Abstand den Großteil der verwendeten Quellen in Nachrichten ausmachen. Insbesondere in ihrer Berichterstattung über Kriege und Außenpolitik, aber auch über innenpolitische Sachverhalte spiegeln die Medien die Diskurse der etablierten politischen Parteien wider. Das ist besonders dann problematisch, wenn es einen parteiübergreifenden Konsens zu politischen Themen gibt.

Warum ist das problematisch?

In diesen Fällen zeigt sich, dass die Nachrichten die politische Diskussion einseitig betonen. Die Sicht der politischen Eliten rückt in den Vordergrund, kritische Stimmen aus der Bevölkerung, selbst wenn diese in der Mehrheit sind, werden an den Rand gedrängt oder kommen gar nicht mehr in den Nachrichten vor.

Haben Sie ein Beispiel?

Ein Beispiel ist Deutschlands Beteiligung an der von den USA angeführten NATO-Militäroperation gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien während des Kosovo-Krieges von 1999. Wie Studien bestätigen, folgten die deutschen Nachrichtenmedien den Verlautbarungen der politischen Elite und legitimierten damit den ersten deutschen Auslandseinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg. Dass es sich bei dieser Intervention um einen völkerrechtswidrigen Krieg handelte, bei dem es um geostrategische Interessen und die Existenzberechtigung der NATO ging, wurde in der Mediendiskussion weitgehend unsichtbar gemacht.

Gibt es noch andere Beispiele für Propaganda im Journalismus?

Ein weiteres Einfallstor für Propaganda besteht in der Mehrfachverwertung von PR-Material. Idealerweise sollte Journalismus auf einer Primärrecherche basieren. Das ist allerdings als Resultat von fortschreitendem redaktionellen Personalabbau immer seltener der Fall. Viele von Qualitätsmedien publizierte Berichte werden daher von PR inspiriert oder basieren weitgehend auf solchen Verlautbarungen. Eine Studie von Justin Lewis und Kollegen der renommierten Cardiff School of Journalism, Media and Culture untersuchte den PR-Gehalt der Publikationen angesehener britischer Nachrichtenorganisationen, wie der Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders BBC oder der in überregionalen Tageszeitungen wie The Guardian, The Independent, Daily Mail und The Times erschienenen Artikel. 41 Prozent der untersuchten Zeitungsartikel und 52 Prozent der Rundfunksendungen bestanden demnach zum Großteil aus PR-Material. Bezeichnenderweise kommt die Mehrheit dieser PR aus dem Wirtschaftssektor, gefolgt von öffentlichen Einrichtungen und Regierungsstellen, so die Cardiff-Studie. PR-Agenturen agierten demnach bei fast der Hälfte der untersuchten Nachrichten als Agenda-Setter. In Anbetracht dieses Tatbestandes kann denn auch von propaganda-gelenktem Journalismus gesprochen werden.

Wie äußert sich Propaganda im Journalismus noch?

Vor allem auch über Ideologie. Untersuchungen zeigen, dass sich in der Berichterstattung vielfältige ideologische Konstrukte finden. Diese können, wie angeführt, durch die Quellen- oder PR-Materialien in die Berichterstattung einfließen. Auch lassen sich in den von Journalisten selbst verfassten Textpassagen oder Kommentaren ideologische Erklärungsmuster identifizieren. Man denke zum Beispiel an die von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2003 eingeführte Agenda 2010, die seither im Prinzip von allen bürgerlichen Parteien unterstützt und umgesetzt worden ist. In den Nachrichtenmedien und in öffentlichen Diskursen wird die Agenda 2010 in der Regel als „Reform“ bezeichnet.

Und?

Die Bedeutung des Begriffes „Reform“ beinhaltet die Verbesserung eines bestehenden gesellschaftlichen Zustandes. Die der Agenda 2010 zugrundeliegende Politik forcierte erwiesenermaßen einen Kahlschlag der Sozialsysteme, als dessen Folge sich in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich noch vergrößert hat. Tatsächlich handelte es sich bei der Agenda 2010 nicht um eine Reform, sondern um reaktionäre Sparpolitik. Das widerspricht aber der positiven Darstellung der Agenda 2010 in den Medien.

Wo zeigt sich in der Berichterstattung noch Ideologie?

In den letzten Jahren kann man auch immer wieder in den Medien davon hören, Deutschland müsse in der Weltpolitik eine bedeutendere Rolle einnehmen. Deutschland solle sich mehr an internationalen Militäreinsätzen beteiligen, an NATO-Operationen oder an einem Heer der Europäischen Union. Auch gehe es bei dieser Politik darum, die vermeintliche Sicherheit des Westens im Ausland zu verteidigen. Wie eine Studie der AG Friedensforschung aufzeigt, fand in den 1990-er Jahren „ein Paradigmenwechsel des politischen und friedenswissenschaftlichen Diskurses“ statt. So wurde in intellektuellen und politischen Kreisen eine militärisch gestützte Außenpolitik salonfähig. Militärinterventionen mit deutscher Beteiligung werden seither mit Verweis auf Stabilität, Terrorismus oder die Wahrung der Menschenrechte gerechtfertigt. Oft heißt es in den Medien auch, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen. Dass dies beschönigende Formulierungen sind, die dazu benutzt werden, die Bevölkerung auf Krieg einzustimmen, wird allerdings kaum zur Kenntnis genommen. Auch findet es kaum Beachtung, dass sich Deutschland durch Interventionen einen größeren Anteil an der Ausbeutung ausländischer Ressourcen und Märkte verspricht. Diese Propaganda ist besonders gefährlich, weil die von der CDU angeführte Große Koalition derzeit eine massive Aufrüstung plant.

Am stärksten ist der ideologische Gehalt der Medien, wenn es um Systemfragen geht.

Wie meinen Sie das?

So lassen sich kaum Berichte finden, in denen der real-existierende Kapitalismus grundlegend hinterfragt wird. Gleichzeitig werden sozialistische Gesellschaftssysteme, die die Interessen der Wirtschaftseliten herausfordern, dämonisiert. Am bemerkenswertesten ist vielleicht die Tatsache, dass es in unseren Medien sowie in der weiteren intellektuellen Kultur kaum Hinweise auf einen möglichen dritten Gesellschaftsweg gibt. Kann es eine egalitäre und nachhaltige Gesellschaft geben, die alternative Institutionen zu denen des real-existierenden Kapitalismus und real-existierenden Sozialismus beschreibt? Diese Frage wird von unseren Medien praktisch ausgeblendet. Die systematische Aufwertung, Minimierung oder Auslassung von Ideen, Fakten und Ideologien ist ein Merkmal von Propaganda und Indoktrination.

In Ihrer Forschung spielt das Propagandamodell von Herman und Chomsky eine große Rolle. Was hat es damit auf sich?

Das Propagandamodell, entwickelt von Edward S. Herman und Noam Chomsky in ihrem Buch Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media (The Bodley Head, 2008), umfasst ein Bündel von grundlegenden Annahmen über die Verteilung von Macht in der Gesellschaft, die auch von der politisch-ökonomischen Theorie innerhalb der Gesellschaftswissenschaften thematisiert werden. Das sollte kurz ausgeführt werden: Insbesondere die Konzernelite und die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft verfügen über große ökonomische Macht. Diese wird durch Planungsnetzwerke, Lobbygruppen und gemeinsame Klasseninteressen bestimmt und zur Beeinflussung der Politik eingesetzt. Auch sind die Mitglieder der Konzernelite in der Politik überrepräsentiert und verfügen über die Mittel, ihre Interessen bei der Formulierung der Politik durchzusetzen. Diese gesellschaftliche Machtstruktur bestimmt, so Herman und Chomsky, auch die Funktionsweise der Medien. Das Propagandamodell vertritt prinzipiell die Belange der arbeitenden Bevölkerung und gesellschaftlicher Minderheiten im Gegensatz zu den Interessen der Politik- und Wirtschaftseliten. Das Propagandamodell unterscheidet sich damit fundamental von einer aus dem rechten politischen Spektrum kommenden Kritik an den Medien, wie wir sie von konservativen Forschern, von US-Präsident Donald Trump oder von der AfD und der PEGIDA-Bewegung kennen. Bezeichnenderweise verweist das Propagandamodell nicht auf eine Verschwörung…,

… sondern?

… Herman und Chomsky argumentieren, dass strukturelle Faktoren, die sich aus der Integration der Medien in das Marktsystem ergeben, einen großen Einfluss auf die Medienberichterstattung haben. Die beiden sagen, die Mächtigen seien in der Lage, die Prämissen der Diskussionen zu bestimmen, zu entscheiden, was die Bevölkerung sehen, hören und denken darf und damit die öffentliche Meinung durch regelmäßige Propagandakampagnen zu lenken. Im Hinblick auf die Medienschaffenden gehen Herman und Chomsky nicht von intentionalem Verhalten aus. Vorselektion von richtig denkendem Personal durch die Eigentümer der Medien sowie vorgefasste Meinungen der Journalisten und ihre Anpassung an organisationsbedingte Zwänge hätten einen wesentlichen Einfluss auf die Nachrichtenauswahl. Daher sei Zensur größtenteils Selbstzensur.

Was genau sind diese „strukturellen Faktoren“, von denen Sie sprechen? Bitte erklären Sie uns das Propagandamodell genauer.

Herman und Chomsky haben fünf Filter erkannt, die zu der propagandistischen Berichterstattung in freien Medien führen.

Welche Filter sind das?

Eigentum und Besitz an den Medien (Filter 1): Große Kapitalsummen sind nötig, um in Medienunternehmen zu investieren. Mir fällt dabei besonders auf, dass Medienbesitzer oder Anteilseigner von Medienkonzernen in der Regel weiße Männer aus der Wirtschafts- und Finanzelite sind. Gesellschaftliche Gruppen, die keine großen Summen auftreiben können, sind damit nicht in der Lage, in die Medien zu investieren und eigene Medienprogramme auszustrahlen. Konkret bedeutet dies, dass Frauen, Migranten, ArbeitnehmerInnen und andere gesellschaftliche Gruppen etc. als Medieneigentümer und Anteilseigner stark unterrepräsentiert sind.

Werbe- und Marktfinanzierung (Filter 2): Kommerzielle Medien finanzieren sich zu einem wesentlichen Teil durch Werbung. Die Medien verkaufen relativ wohlhabende Zuschauer-Zielgruppen an die Werbeindustrie, deren Gesellschafter aus dem gleichen gesellschaftlichen Umfeld stammen wie die Eigentümer der Medien. Es ist daher davon auszugehen, dass die Medienberichterstattung die Sichtweisen der Werbeindustrie, Eigentümer und kaufkräftigen Zuschauerschichten überrepräsentiert. Auch fungiert die Werbeindustrie quasi als eine Lizensierungsbehörde der kommerziellen Medien: Ohne Werbe-Sponsoring ist es in der Regel nicht möglich, ein auf Journalismus spezialisiertes Medienunternehmen zu unterhalten.

Und der dritte Filter?

Quellen und Marktfinanzierung (Filter 3): Journalistische Investigativ-Recherchen sind sehr kostspielig. Als Resultat von Marktanreizen sind Medien dazu gezwungen, so kostengünstig wie möglich zu produzieren. Das führt dazu, dass Journalisten auf ein limitiertes Repertoire an Quellen und auf PR-Material zurückgreifen müssen. Auch verkehren Journalisten regelmäßig in privilegierten politischen und sozialen Kreisen. Dies führt zu einer Abhängigkeit von den Sektoren, die am besten in der Lage sind, die Medien mit Informationen zu füttern. Dazu zählen die Regierung und Konzerne sowie sozial-konservative und wirtschaftsfreundliche Experten, die von diesen Vertretern der Macht finanziert werden.

Zum vierten Filter, der als „Flak“ bezeichnet wird: „Flak“ ist eine negative Antwort auf Medienberichterstattung, mit dem Ziel, die Medien einzuschüchtern. Das Propagandamodell geht davon aus, dass insbesondere regierungsnahe und wirtschaftsfreundliche Lobbygruppen und Think Tanks über die Ressourcen verfügen, um Macht auf die Medien auszuüben. Natürlich können auch andere gesellschaftliche Gruppen Druck auf die Medien ausüben, allerdings mit einem geringeren Grad an Finanzkraft und Koordination.

Dann gibt es noch den fünften Filter.

Ja, das ist der Filter „Ideologie“. Das heißt: Dominante Ideologien wie der „Antikommunismus“, der „Krieg gegen den Terror“ oder der Glaube an den „freien Markt“ setzen die Parameter der öffentlichen Diskussionen und fungieren als Kontrollmechanismen gegen Dissens. Diese und ähnliche ideologische Annahmen bestimmen die Erklärungsmuster der Mainstream-Debatten zu bedeutenden Themen.

Diese fünf Filter führen also zu einer Berichterstattung, die nicht mehr sauber funktioniert?

Genau. Diese Abhängigkeiten und Überlappungen von Journalismus und Macht haben zur Folge, dass die Unparteilichkeit der Medien verloren geht. Die in unserem Interview angeführten Beispiele von Propaganda in den Medien sind demnach keine Einzelfälle: Vielmehr legt eine Analyse der institutionellen Strukturen den Schluss nahe, dass die Medien regelmäßig mit ihren Inhalten die Interessen der Machtelite unterstützen. Die Filter drei bis fünf kommen übrigens auch bei öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern zur Geltung, die eher politischen als kommerziellen Zwängen ausgesetzt sind.

Zu welchen Ergebnissen sind Herman und Chomsky noch gekommen?

Sie sagen, dass die Bandbreite der politischen Diskussion limitiert ist. Sie gleicht einem Abbild der offiziellen Diskussion in politischen und wirtschaftlichen Machtzentren, während eine grundlegende Hinterfragung der Motive der Innen- und Außenpolitik größtenteils von der Berichterstattung ausgeschlossen bleibt. Kritik kann natürlich in den Medien geäußert werden, allerdings bleibt diese weitgehend innerhalb der durch die dominante Ideologie gesetzten Parameter. Daher ist der Begriff Lügenpresse meiner Meinung nach irreführend, denn Nachrichten sind weitgehend faktenbasiert. Das heißt: Propaganda in den Nachrichten kennzeichnet sich durch eine selektive Verwendung von Fakten und durch die Hervorhebung oder Bagatellisierung bestimmter Sachverhalte und Ideologien – je nach politischer Zweckmäßigkeit.

Das Propagandamodell basiert allerdings auf einer Holzschnitt-Analyse der Medien. Diese enthält Spielraum für Modifikationen des Modells, mit denen ich mich in meiner Forschung beschäftige. Dabei existieren sicherlich Bereiche, in denen die Medien in der Lage sind, seriösen Journalismus durchzuführen. Ein Beispiel ist die anfängliche Berichterstattung über den NSA-Skandal, die auch dank der Hilfe von Edward Snowden das Ausmaß der Überwachung durch US-amerikanische und britische Geheimdienste verdeutlichte. Auch finden wir in manchen Tageszeitungen eine gute Berichterstattung über Korruption oder andere gesellschaftliche Aspekte, wie Fremdenfeindlichkeit oder Ungleichheit.

Wie passt das Modell zu deutschen Medien?

Die angeführten Filter lassen sich auch auf die deutschen Medien übertragen. Es gibt in Deutschland allerdings nur eine geringe Anzahl an Studien, die das Propagandamodell berücksichtigen oder kritisch diskutieren. Hier sei die bahnbrechende Studie von Dr. Uwe Krüger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig, genannt (Meinungsmacht: Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse). Krüger untersucht die Verflechtungen politischer, wirtschaftlicher und journalistischer Macht in Deutschland. Die von Krüger durchgeführte Netzwerkanalyse kommt zu dem Ergebnis, „dass die leitenden Redakteure der deutschen Leitmedien der Jahre 2007 bis 2009 außerhalb ihrer unmittelbaren journalistischen Pflichten vielfältig mit Politik- und Wirtschaftseliten verbunden waren“ (S. 256). Dies geschehe durch gemeinsames Engagement in Hintergrundkreisen, Stiftungen und Think Tanks. So ist ein Hauptergebnis der Studie „die Einbindung von vier außenpolitisch tonangebenden Redakteuren von Süddeutscher Zeitung, Frankfurter Allgemeiner Zeitung, Welt und Zeit in außen- und sicherheitspolitische Strukturen mit Bezügen zu Bundesregierung, Nato und USA“ (S. 256-257). Zum einen deuteten diese Netzwerke auf ein Bemühen der Journalisten hin, Quellen und Informationen aus dem Umfeld dieser bedeutenden Akteure zu bekommen, so Krüger.

Zum anderen?

Die Studie von Krüger beschreibt auch alarmierende Aspekte dieser Verbindungen: So zeigt eine Inhaltsanalyse der Artikel der untersuchten Journalisten einen Zusammenhang „zwischen den Nato- und US-nahen Netzwerken und der Argumentation“ (S. 257). So argumentierten die Journalisten für eine stärkere militärische Beteiligung Deutschlands in Afghanistan, was „von der Nato und den USA gewünscht, von der deutschen Bevölkerung jedoch mehrheitlich abgelehnt“ wurde (S. 257). „In den Kommentaren selbst fanden sich Elemente von Propaganda; eine Auseinandersetzung mit Einwänden und Kritik fand nicht statt,“ so Krügers Schlussfolgerung (S. 257).

Die Ergebnisse meiner Forschung sind im Einklang mit Krügers Arbeit. Mein Buch Media, Propaganda and the Politics of Intervention untersucht die Berichterstattung von Konflikten im Kosovo, im Irak, in Libyen, Syrien und Ägypten. Basierend auf einer Auswertung von fast 2.000 Zeitungsartikeln kommt meine Studie zu dem Ergebnis, dass sich die Erklärungsmuster in der deutschen, britischen und US-amerikanischen Qualitätspresse weitgehend mit Elitendiskursen decken. Die Politik der NATO und USA wurde dabei nicht substantiell hinterfragt. Über Gräueltaten wurde nur dann berichtet, wenn das politisch bequem war. So transportierte die Presse Entrüstung über Gräueltaten in ihre Berichterstattung über sogenannte feindliche Staaten, wie Libyen und Syrien. Ähnliche Gräueltaten, verübt durch die USA oder deren Verbündete, wurden in der Berichterstattung marginalisiert. Daher wird die Öffentlichkeit nur sehr selektiv über internationale Kriegsverbrechen informiert.

In den USA, Großbritannien oder Kanada findet man heute zahlreiche weitere Forschungsarbeiten auf Basis des Propagandamodells. Auch haben feministische Wissenschaftlerinnen und Forscher schon seit langem die medialen Defizite der Berichterstattung über Frauen aufgezeigt. Ähnlich hat andere kritische Forschung gezeigt, wie ethnische Minderheiten und Migranten in den Nachrichten unterrepräsentiert und stigmatisiert werden. Es erscheint mir, dass solche kritischen Ansätze auch in Deutschland immer mehr gefragt sind, insbesondere von Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern. Allerdings fehlt es an einer ausreichenden Anzahl von Lehrstühlen in diesen Bereichen.

Lesetipp: Zollmann, Florian: Media, Propaganda and the Politics of Intervention. Peter Lang, 2017.

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