Migrationspakt: Neue Intrigen bei der LINKEN

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In der Bundestagsfraktion der Linkspartei ist es zu einer neuen Eskalation gekommen. Gegner von Fraktionschefin Sahra Wagenknecht wollten diese durch eine Abstimmung über den UN-Migrationspakt „bloßstellen“. Für das Vorhaben wurden auch große Medien wie der „Spiegel“ eingespannt. Der Vorgang wirft erneut ein Licht auf die „linke“ Tragödie einerseits und die politische Farce um das UN-Dokument andererseits. Von Tobias Riegel.

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Mit einer gegen Fraktionschefin Sahra Wagenknecht gerichteten Abstimmung in der Linksfraktion des Bundestags hat die Farce um den UN-Migrationspakt am Dienstag eine neue Ebene erreicht. Ein eingebrachter und schließlich angenommener Beschluss, die Bundesregierung möge trotz dessen großer Defizite den umstrittenen Pakt unterzeichnen, hatte vor allem den Sinn, Wagenknecht zu einer öffentlichen Ablehnung zu bewegen – und gleichzeitig zu hoffen, dass genug ihrer Fraktionskollegen unter dem flankierenden medialen Druck mit ihrer Kritik an dem Pakt zurückstecken. Angeblich, „um die AfD nicht zu stärken“.

Die Taktik war nun vorerst erfolgreich. Würde die Linkspartei jedoch rationalen Kriterien folgen, dann hätte sie den UN-Migrationspakt früh und eindeutig kritisieren müssen, um ihn dann in eventuellen Abstimmungen abzulehnen. Denn neben wohlklingenden und folgenlosen Floskeln enthält er keine fortschrittlichen Forderungen etwa zugunsten der afrikanischen Länder oder zum Thema Fluchtursachen. Gleichzeitig bricht er eine Lanze für den „Brain-Drain“ und er enthält Formulierungen, die viele Bürger hierzulande in Unruhe versetzen. Diese Unruhe darf nicht leichtfertig diffamiert werden. Zudem weckt die PR, die neoliberale Think-Tanks für den Pakt machen, zu Recht großes Misstrauen.

Berechtigte Kritik am Migationspakt

Über die berechtigte Kritik am UN-Migrationspakt hätten sich die LINKEN übrigens aus den eigenen Reihen informieren können. Sevim Dagdelen war die einzige Abgeordnete des gesamten Bundestags, die überhaupt an den Beratungen zum Dokument teilgenommen hat. Doch anstatt mit dem erstaunlichen Fakt dieser Exklusivität zu wuchern, wurden Dagdelen und ihre fundierte und alles andere als „rechte“ Kritik innerparteilich angefeindet.

Dieses taktisch und politisch fragwürdige Verhalten ist nur möglich, weil dominante Teile der Partei der Rationalität und dem Selbsterhaltungstrieb abgeschworen haben. Dieser Parteiflügel betrachtet den zu Recht auch unter „Linken“ umstrittenen Pakt nicht inhaltlich, sondern unter ganz anderen Kriterien: Wie steht unser Verhalten in Relation zu Kampagnen der AfD? Und wie können wir die Debatte nutzen, um die Fraktionschefin Sahra Wagenknecht öffentlich zu beschädigen? So begründete der ehemalige Parteivorsitzende Klaus Ernst seine Zustimmung laut „Tagesschau“ damit, dass er „nicht an der Seite der Trumps und Orbans stehen“ wolle. Und die migrationspolitische Sprecherin Gökay Akbulut schrieb an Abgeordnete, lehne man das Abkommen ab, würde das als “Bestätigung der AfD aufgefasst“.

Ein Sieg für Wagenknecht-Gegner – Eine Niederlage für die LINKE

Die Gegner der prominenten Fraktionsvorsitzenden rieben sich nach der „erfolgreichen“ Abstimmung die Hände, wie die taz schreibt: „Das war eine saubere Niederlage für Wagenknecht.“ Dass bei dem Vorgang aber die gesamte Partei verlieren musste, ist kein Handlungskriterium mehr. So sprechen Unterstützer Wagenknechts zu Recht von “plumpem Intrigantentum”. Das Vorgehen vom Dienstag schade der Glaubwürdigkeit der Linken insgesamt: “Wer den Migrationspakt aus linker Sicht hochjubelt, nur um Sahra Wagenknecht zu widersprechen, hat ihn wirklich nicht gelesen und ignoriert bewusst die Fehlstellen.”

Um der Intrige der Parteiführung etwas entgegenzusetzen, hatten die LINKEN-Abgeordneten Dagdelen und Heike Hänsel ein eigenes Positionspapier zum Migrationspakt formuliert. Zunächst würdigen die Autorinnen die positiven Aspekte des Paktes: „Viele Ziele des Migrationspakts sind darauf ausgerichtet, die rechtliche Stellung von Migrantinnen und Migranten sowohl im Hinblick auf ihre individuellen bürgerlichen Rechte als auch im Hinblick auf Arbeitnehmerschutz, den Schutz vor Diskriminierung und den Zugang zu sozialen Diensten zu verbessern.“ Sodann wird die „mangelnde Information der Bundesregierung“ kritisiert, die eine „Vorlage für eine Angstkampagne der AfD“ geliefert habe.

Die guten Argumente der Pakt-Kritiker

Dann folgt die zentrale Kritik, dass bei der Abfassung des Paktes „alle Forderungen der Linken ignoriert“ worden seien: „So ist weder die konkrete Bekämpfung von Flucht- und Migrationsursachen festgeschrieben worden, noch ein Recht, nicht migrieren zu müssen, wie es auch die afrikanischen Länder mit ihren Forderungen nach Finanzhilfen für die Herkunftsländer von Migration und Flucht unterstützt hatten.“ Weiter heißt es in Dagdelens und Hänsels Papier:

„In den Verhandlungen zum UN-Migrationspakt konnten sich Länder wie Deutschland durchsetzen, die einerseits auf ein Weiter-So ihrer verheerenden Flüchtlings- und Migrationspolitik setzen und zum anderen auf eine erleichterte Enteignung von Ländern des Südens durch die Abwerbung von Fachkräften aus den Entwicklungsländern.“

Zudem lähme die Abwanderung von ausgebildeten Menschen, „neben zerstörerischen Freihandelsabkommen und Rüstungsexporten“, die wirtschaftliche Entwicklung. Vom Migrationspakt würden sich „die Arbeitgeber in den Industriestaaten eine globale Ausweitung dieser an Lohnminimierung orientierten weltweiten Allokation von Arbeitskräften versprechen“.

Die Liste der Kritik ist lang und sie enthält auch zahlreiche „linke“ Forderungen wie etwa jene, „legale Fluchtwege für Menschen in Not zu öffnen“. Alles in allem fügt sich in Dagdelens und Hänsels Papier das Bild eines Dokuments, das aus Sicht der Linkspartei nicht angenommen werden kann. Wie konnten die Wagenknecht-Gegner aber am Dienstag dennoch eine Mehrheit für den Pakt erreichen? Um den Druck auf die Wankelmütigen in der Fraktion zu erhöhen, wurde die Intrige etwa von den Medien „Spiegel“ und „taz“ flankiert. Einmal mehr herrschte in diesen Artikeln der Tenor, dass der Pakt völlig harmlos und unverbindlich sei und Kritiker daran einzig der AfD einen Dienst erweisen würden. Es zeigte sich hier auch die fragwürdige Allianz zwischen der LINKE-Parteiführung und einigen Medien, die sich schon oft gegen Wagenknecht gebildet hat.

Die LINKE hat AfD das Feld überlassen

Man muss die Artikel von Norbert Häring, der nicht als rechter Scharfmacher bekannt ist, zum Migrationspakt nicht kritiklos akzeptieren. Aber nach der Lektüre sollte klar sein, dass das UN-Dokument mindestens diskussionswürdig ist. Und dass es eine Informationspflicht gegenüber der Bevölkerung gibt. Wer diese Rolle des „Aufklärers“ dann der AfD überlässt, aus Angst mit ihr verglichen zu werden, hat den ersten Fehler gemacht. Wer anschließend wegen der dadurch hergestellten AfD-Dominanz der Debatte die Kritik am Pakt einstellt, den zweiten Fehler. Wer sich dann noch der Meinungsmache anschließt, Pakt-Kritiker in der Linksfraktion seien nützliche Idioten für Rechtspopulisten, der hat alles falsch gemacht.

Das ist nicht nur politisch leichtsinnig, sondern auch menschlich problematisch. Und für die Bürger entsteht, wie gesagt, der Eindruck des doppelten Duckmäusertums durch die LINKEN: zunächst gegenüber vielen großen Medien, die auch „linke“ Kritiker an dem Pakt als „Flüchtlingsfeinde“ klassifizieren. Und dann gegenüber der AfD. Denn wie konnte die AfD überhaupt in die mächtige Position gelangen, in der sie nun die LINKE zu einer selbstzerstörerischen Politik zwingen kann?

Roter Teppich für „#Aufstehen“?

Fazit: Nun verabschiedet man also in geradezu schizophrener Manier ein den Pakt kritisierendes Papier – das aber dennoch zur Annahme des Paktes aufruft. Eine damit verbundene öffentliche Beschädigung der beliebtesten Politikerin der eigenen Partei wird von einigen LINKEN als Sieg gefeiert. Solche Zustände gemahnen an die dramatischen Worte von Häring zum Migrationspakt: „Linke Parteien, die so etwas mittragen, sind dem Untergang geweiht und haben ihn verdient.“ 

Und so wandelt sich der Triumph der Wagenknecht-Gegner möglicherweise in einen Pyrrhussieg: Durch ein Verhalten wie am Dienstag wird der Gründung von „‚#Aufstehen“ als neuer Partei der rote Teppich geradezu ausgerollt.

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