Wo bleibt die Reichtumsuhr?

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

T. S., ein Leser der NachDenkSeiten aus Erfurt, schickt mir einen Leserbrief, den die Thüringer Landeszeitung am 25.2.05 veröffentlichte. Er knüpft an der sogenannten „Schuldenuhr“ an und hinterfragt die gängige Argumentationslinie. Ein Stück Aufklärung. Danke.

Es folgt der Text des Leserbriefs:

„Seit Jahren versuchen die öffentlichen Haushalte zu sparen. Inzwischen geht es vielerorts an die Substanz. Erfolg hat es nicht gebracht. Die Verschuldung steigt trotzdem, die Lebensqualität sinkt. Zwischen 1990 und 2000 stieg die Verschuldung der öffentlichen Haushalte von 500 Milliarden auf 1200 Milliarden. Aus der Sicht des normalen Sparbuch-Inhabers beängstigend. Für viele drängt sich der Schluss auf, die Verschuldung sei zu hoch.

Doch zu hoch im Vergleich wozu? Im Vergleich zur Vorstellungskraft eines normalen Sparbuch-Inhabers sicherlich. Doch wie sieht es mit dem Vergleich zum Sparbuch der Nation, dem privaten Geldvermögen, aus? Das private Geldvermögen ist im Zeitraum zwischen 1990 und 2000 von 2000 Milliarden auf 3600 Milliarden gestiegen. Dieser Anstieg ist mehr als doppelt so hoch wie der Anstieg der öffentlichen Verschuldung.

In der öffentlichen Debatte oft übersehen wird ein wichtiger Zusammenhang zwischen der steigenden öffentlichen Verschuldung und dem steigenden privaten Geldvermögen. Die Steuersenkungen zugunsten der Vermögenden in den vergangenen zwei Jahrzehnten zeigen ihre Wirkung. Der Staat verzichtet einerseits auf die Einnahme von Steuern aus sprudelnden Quellen und ist andererseits gezwungen, seine Unterfinanzierung über die Verschuldung wieder auszugleichen. Gleichzeitig profitieren die Vermögenden in zweifacher Hinsicht: Zum einen zahlen Spitzenverdiener und Vermögende aufgrund der mehrfachen Senkung des Spitzensteuersatzes und der Nichterhebung der Vermögensteuer weniger Steuern. Zum zweiten sind sie die Gläubiger der öffentlichen Verschuldung und erhalten vom Staat dafür gute Zinsen. Aus diesem fundamentalen Zusammenhang, dass die Schulden des Staates zwangsläufig die Forderungen seiner Gläubiger sind, ergeben sich wichtige Konsequenzen:

1. Es gibt keinen Sparzwang. Entgegen den landläufigen Vorstellungen verschwinden die Schulden des Staates nicht in einem schwarzen Loch, sondern sind auf der Habenseite der Gläubiger eine stete Einnahmequelle. Die bekannte Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler könnte genauso eine “Reichtumsuhr” sein.

Rückzahltermin offen

2. Der Staat muss seine Schulden nicht zurückzahlen. Den Gläubigern würde eine wichtige Anlagemöglichkeit genommen. Es kommt tatsächlich nicht darauf an, ob “Thüringen in 170 oder erst in 175 Jahren schuldenfrei ist”. Im Übrigen hat diese Erkenntnis zur Folge, dass die Höhe der öffentlichen Verschuldung auf zukünftigen Wohlstand keinen Einfluss hat, weil den Schulden immer Forderungen in exakt der gleichen Höhe gegenüberstehen, und zwar zu allen Zeiten.

3. Die Vermögensteuer muss wieder erhoben werden. Der sogenannte “negative Verteilungseffekt”, dass die Gläubiger der Staatsverschuldung Zinsen bekommen und durch ihr Vermögen an sich eine besondere Leistungsfähigkeit besitzen, muss durch die Vermögensteuer wieder aufgefangen werden. Der Staat wird es sich auf Dauer nicht leisten können, auf große Vermögen und Erbschaften wenig oder gar keine Steuern zu erheben.

Es bleibt spannend, wie sich diese Erkenntnisse langsam, aber stetig durchsetzen.“

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