Wie Pseudolinke den „linken“ Ruf schädigen – Die Amadeu Antonio Stiftung und Andere

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Eine verunglückte Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung, eine Campact-Aktion gegen „rechte Hasssprache“, die Demo „Unteilbar“, das infame „Zentrum für politische Schönheit“: Aktuell häufen sich kontraproduktive Vorstöße von angeblich „linken“ Initiativen. Von Tobias Riegel.

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Eine teils unglücklich formulierte Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung (AAS) hat in den letzten Tagen viel Wirbel verursacht. In der Handreichung mit dem Titel „Ene, mene, muh und raus bist du – Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik“ findet sich laut Kritikern unter anderem eine angebliche „Anleitung“, wie Erzieherinnen und Erzieher fremdenfeindliches Gedankengut bei Kindern bereits in der Kita erkennen und bekämpfen können.

Zusätzlich angeheizt wird die Debatte durch die Tatsache, dass die AAS von der Bundesregierung zum einen finanziell gefördert wird – mit angeblich über drei Millionen Euro seit 2010, wie die Bundesregierung auf AfD-Anfrage mitgeteilt haben soll. Zum anderen wird die AAS auch von aktiven Bundespolitikern intensiv beworben. So schreibt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) im Vorwort der Broschüre: „Wir erleben (…) einen deutlichen Anstieg rechtspopulistischer Bewegungen.“ Deshalb sei es „wichtig, die frühkindliche Bildung demokratisch zu gestalten (…).“ Giffey begrüßt „die Handlungshinweise und Hilfsangebote“ in der Broschüre. Diese Angebote werden dort anhand von Einzelbeispielen erläutert. Diese Einzelfälle werden nun intensiv debattiert, der „Bild“-Zeitung wird dabei vorgeworfen, selektiv zu zitieren, um Stimmung gegen die Broschüre zu machen.

Von “Zöpfen“ und „Kindern aus völkischen Elternhäusern“

In einem Fall etwa werde in der Broschüre erklärt, wie man „Kinder aus völkischen Elternhäusern“ erkennen könne, so „Bild“: „Das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe, es wird zu Hause zu Haus- und Handarbeiten angeleitet, der Junge wird stark körperlich gefordert.“ Die AAS empfehle in einem solchen Fall, „die Eltern zum persönlichen Gespräch in die Kita einzuladen“, um ihnen zu erklären, wie „autoritäre und geschlechterstereotype Erziehungsstile die vielfältigen Möglichkeiten von Kindern einschränken“ würden. Ein anderes Beispiel beschreibe eine Mutter und ihre Sorgen um das Bildungsniveau wegen des Zuzugs von Flüchtlingskindern. Hier empfehle die AAS, der Mutter Folgendes zu vermitteln: „Diese Sorgen sind unbegründet.“ Das habe die „Migrationsforschung“ herausgefunden. Sie möge bitte die „Vielfaltspädagogik“ beachten.

Die Broschüre der AAS birgt vor allem zwei Probleme – das eine ist prinzipiell: Es löst immer und zu Recht starkes Widerstreben aus, wenn auch nur der leise Verdacht entsteht, Institutionen der Erziehung könnten sich anmaßen, das Privatleben der Eltern zu überprüfen. Das gilt auch, wenn dieser Verdacht wie aktuell teils auf irrationalen Kurzschlüssen beruht – die Potenziale für Missverständnisse und Instrumentalisierungen müssen vorher mit eingepreist werden. Ausnahmen von dieser Haltung bilden natürlich Hinweise auf Misshandlungen oder andere konkrete Straftaten gegen das Kind.

Das andere Problem ist die praktische Umsetzung eines bereits fragwürdigen Prinzips. Man kann sich nur schwer „völkisch“ geprägte Eltern vorstellen, die sich von einem Kita-Vortrag über „geschlechterstereotype Erziehungsstile“ oder „Vielfaltspädagogik“ positiv beeinflussen lassen würden. Wahrscheinlicher ist das Gegenteil: Die ausgewählten und schon durch diese Auswahl stigmatisierten Eltern würden eine solche „Gedanken-Überprüfung“ eher als arrogante Belehrung auffassen und sie zum Anlass nehmen, sich noch unverstandener zu fühlen. Es ist das bekannte Elend der aktuell dominanten „Linken“: Sie sind (mutmaßlich) überzeugt, das Gute zu tun – aber sie machen, geblendet durch diese moralische Selbstüberhöhung, gravierende taktische Fehler.

Eine Broschüre wird von Rechts ausgeschlachtet – weil die Antonio-Stiftung eine Steilvorlage liefert

Die oben zitierten Auszüge aus der Broschüre wurden in den letzten Tagen denn auch genüsslich etwa von der CDU oder der „Bild“-Zeitung seziert. Eine Steilvorlage ist die AAS-Broschüre natürlich auch für noch weiter rechts stehende Publikationen wie die „Junge Freiheit“ oder „Epoch Times“. Diese fragwürdigen Medien und Politiker illustrieren ein Problem bei der berechtigten Kritik am AAS-Vorstoß: Man reiht sich mit der Kritik scheinbar bei Rechten ein. Und diese rechten Kritiker arbeiten auch mit Manipulationen, worauf das „Neue Deutschland“ hinweist. So würden die immer gleichen Passagen der Broschüre aus dem Zusammenhang gerissen und sinnvolle Anregungen komplett verschwiegen. Der Blog „Übermedien“ geht noch weiter und bezeichnet etwa die „Bild“-Berichte von der „Schnüffelfibel“ als glatte Lüge.

Es stimmt, dass die rechten Kritiker aus der 60-seitigen Broschüre selektiv zitieren. Aber solche Vorlagen zur manipulativen Kritik wurden ihnen frei Haus geliefert, denn die fragwürdigen Zitate finden sich eben auch in der Handreichung. Etwa werden Handlungen und Äußerlichkeiten von Kindern beschrieben, die laut Stiftung Hinweise darauf geben würden, „dass die Kinder in einem rechtsextremen völkischen Elternhaus aufwachsen“ würden. Sollte man Kritik an einem Text einstellen, weil dort unter vielem Falschen auch Richtiges steht?

Unsympathische Kampagnen beschädigen das „linke“ Lager

Erschwerend kommt bei dem ganzen Vorgang hinzu, dass die rechten Reaktionen voraussehbar waren. Um die verheerende Wirkung der Broschüre im Voraus zu erahnen, hätte man sich nur eine ähnliche Publikation aus rechten Kreisen vorstellen müssen: Die Beschreibung von Äußerlichkeiten, die auf einen „links“-grünen Haushalt hindeuten könnten, hätten in „linken“ Kreisen mindestens die gleiche Empörung ausgelöst wie nun die umgekehrte Version der AAS – zu Recht. Durch den Präzedenzfall der Broschüre eröffnet die AAS den Rechten aber genau das für die Zukunft.

Der Vorwurf an die AAS sollte sich darum nicht zuerst auf die reinen Inhalte beziehen, sondern auf die nicht vorgenommene Prüfung, wie stark die Broschüre von Rechts ausgeschlachtet werden kann. Taktische Planung oder eine Abwägung der (tatsächlichen, nicht der gewünschten) Folgen der eigenen Vorstöße scheinen aber keinen Eingang in die Planung der AAS zu finden. Auch wenn man die Broschüre inhaltlich begrüßt: Sie macht es Rechten viel zu einfach, „die Linken“ einmal mehr als intolerante Gesinnungs-Schnüffler hinzustellen. Die Amadeu Antonio Stiftung arbeitet dadurch sehr leichtfertig an der Beschädigung des Images des Fortschrittlichen: Indem sich die AAS mutmaßlich als „links“ einordnet, die Gruppe aber Aktionen initiiert, die von den meisten Bürgern als unsympathisch empfunden werden. Zusätzlich etabliert auch die AAS indirekt eine Definition des Wortes „links“, die nur als grob irreführend bezeichnet werden kann.

Pseudolinke Offensive: Antonio-Stiftung, Campact, „Unteilbar“, Zentrum für politische Schönheit

„Links“ ist nach einer aktuellen pseudolinken Definition die Verteidigung des „pluralen“ und wirtschaftsliberalen Status Quo gegen „Rechts“. In diesem Zusammenhang wird auch die öffentliche Förderung der AAS interessant. Diese systemerhaltende Stoßrichtung teilt mutmaßlich die AAS mit „Unteilbar“, mit einer aktuellen Campact-Aktion gegen „rechte Hass-Sprache“ oder mit der neuen infamen Initiative des „Zentrums für politische Schönheit“. Teile dieser Gruppen illustrieren eine dominante und indirekt sozialstaatsfeindliche Strömung der deutschen „Linken“, die – wenn’s der „guten Sache“ dient – selbst vor Sprechverboten und anonymen Prangern für Kritiker nicht zurückschreckt. Weiterer gemeinsamer Nenner der Projekte ist die weitgehende Ignoranz gegenüber den sozialen Vorbedingungen des Rechtsrucks.

In der verqueren Logik einiger dieser Initiativen gilt dann etwa Angela Merkel im Vergleich mit Sahra Wagenknecht als „links“. Mehrere Jahrzehnte staatsfeindliche Kürzungspolitik haben den Boden für den Rechtsruck gelegt. Dennoch wird den Verantwortlichen für diese Kürzungspolitik nun angesichts des selbst fabrizierten Rechtsrucks ein Freibrief ausgestellt – ausgerechnet von sich mutmaßlich selbst als „links“ einordnenden Gruppen. Doch die verunglückte Debatte um den Migrationspakt hat gezeigt: Wenn ein moralisch überhöhtes „gegen Rechts“ das einzig verbliebene Kriterium der Fortschrittlichen ist und darüber alle ökonomischen Grundlagen ausgeblendet werden, dann führt das zu einem unwürdigen Eiertanz. An dessen Ende beschließen „Linke“ dann Sachen, die sie eigentlich ablehnen – nur weil die AfD auch dagegen ist.

Wenn „Linke“ den Pranger wieder salonfähig machen

Während man der aktuellen AAS-Broschüre noch gute Vorsätze gepaart mit Ungeschicklichkeit attestieren kann, fällt das Urteil über ältere Aktionen der Initiative nicht so mild aus, wie etwa die FAZ schreibt:

“Erheblich mehr Aufmerksamkeit erhielt die Stiftung in letzter Zeit durch einen juristisch fragwürdigen Aufruf zur Denunziation bei Hatespeech-Verdacht, durch eine Kampagne gegen eine humoristische ZDF-Sendung, die auf die frühere Tätigkeit der Stiftungschefin Anetta Kahane als IM Victoria der Stasi anspielte, und durch eine Mitarbeiterin von ‚no-nazi.net’, die Hatespeech bekämpfen soll und selbst mit hasserfüllten Sprüchen im Netz auffällig wird.“

Den Charakter eines der jüngeren AAS-Projekte beschreibt die Zeitung so: „Es handelt sich bei dieser Sammlung von Personen und Gruppen um das, was man gemeinhin als ‚Internet-Pranger‘ bezeichnet: Eine Gruppe, deren Mitglieder unbekannt bleiben, entscheidet, welches zugetragene Material als Gedankengut der ‚Neuen Rechten‘ ausgegeben und damit in Verbindung zu Mord und Terror gebracht wird.“

Präzedenzfall für Rechte – politisch naiv, moralisch arrogant

Dass diese Wiedereinführung und moralische Aufwertung des Prangers ausgerechnet von „linker“ Seite initiiert würde, hätte man wohl auch nicht gedacht. Umso schockierender ist diese Tendenz – und umso schlechter ist das Image, das durch diese Projekte auf das einst „links“ genannte fortschrittliche Lager abfärbt: als politisch naive, aber moralisch arrogante Scharfrichter. Einen Beitrag dazu muss man auch der aktuellen Parteiführung der LINKEN anlasten.

Dieses Urteil führt dann noch einmal zum „Zentrum für politische Schönheit“: Sie schaffen mit ihren abscheulichen Aktionen Präzedenzfälle für Rechte, sie bewegen sich außenpolitisch weitgehend auf NATO-Linie, sie blenden großteils das Soziale aus und sie lassen „Linke“ als kitschig-moralische Fanatiker erscheinen. Die aktuelle Aktion und ihre mutmaßlichen Folgen beschreibt der Blogger Fefe:

„Die rufen zum Denunzieren von Leuten auf, die auf Nazi-Demos mitdemonstriert haben. Die soll man bitte bei ihren Chefs anschwärzen, damit sie den Job verlieren. (…) Die Ausrede wird wieder ‚Kunst‘ sein. Und wenn sie damit durchkommen, erwarte ich von den Nazis Gegen-‚Kunst‘. Das wird bestimmt ganz furchtbar. Wie bei ‚Auge um Auge‘. Am Ende sind alle blind.“ Fefe prophezeit ein böses Erwachen, „wenn die Identitären das jetzt gegen linke Demonstranten anwenden, und keiner kann dagegen was sagen, weil wir das ja auch beim Zentrum für politische Schönheit geduldet haben.“

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