„Banken in Schwierigkeiten sollen übernommen und aufgelöst werden“

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Banken zu retten und das Management zu behalten ist ungewöhnlich und gefährlich, meint James Galbraith im Interview mit den NachDenkSeiten. Er sieht die Krise als noch lange nicht vorbei. Die Spekulation läuft weiter. Es ist nicht nur möglich, sondern notwendig, das Casino zu schließen. Von Albrecht Müller und Roger Strassburg.

NDS: Prof. Galbraith, neulich haben Sie einen Schlagabtausch mit Hans-Olaf Henkel gehabt. Henkels Bemerkungen veranlassten William Black dazu, einen offenen Brief an die Bank of America zu schreiben, worin er Henkels Äußerungen als rassistisch kritisiert, und die B of A auffordert, sich von Henkel zu trennen.
Henkel ist in Deutschland mit seinem Weltbild nicht allein. Die überwiegende Mehrheit der deutschen mainstream Medien, Ökonomen und Politiker halten an der Angebotsökonomie fest, und lehnen entschieden staatliche Intervention ab – insbesondere Steuern, Regulierung und den Sozialstaat. Seit kurzem kritisiert der deutsche Außenminister Guido Westerwelle vehement die Langzeitarbeitslosen, wirft ihnen (zu Unrecht) Arbeitsunwilligkeit vor und stellt ihren „leistungslosen Wohlstand“ mit „spätrömischer Dekadenz“ gleich. Darüber hinaus behauptet er (unzutreffenderweise), viele arbeitende Menschen mit Familie würden mehr Geld bekommen, wenn sie aufhören würden zu arbeiten und stattdessen Sozialhilfe beziehen. Westerwelle meint, wer arbeitet, sollte mehr bekommen, als diejenigen, die nicht arbeiten, lehnt dennoch Mindestlöhne als Sozialismus ab („DDR pur, ohne Mauer“). Damit ist klar, dass niedrigere Leistungen für Arbeitslose und schärfere Sanktionen für vermeintlich Arbeitsunwillige beabsichtigt sind. Deutschland hat zur Zeit 3,6 Millionen Arbeitslose und 600.000 offene Stellen.

NDS: Wie haben Sie auf den Austausch mit Herrn Henkel reagiert? Haben Sie etwas gehört, wie die Bank of America auf den Brief von William Black reagiert hat?

Galbraith: So weit ich weiß, gibt es noch keine Antwort darauf.

NDS: Deutschland hat seine Wettbewerbsfähigkeit am globalen Markt immens verbessert, im Wesentlichen wegen jahrelanger Lohnstagnation und reduzierter Sozialkosten – einer Strategie, deren Fortsetzung die jetzige deutsche Regierung und die meisten deutschen Ökonomen empfehlen. Was halten Sie von dieser Strategie?

Galbraith: Das ist eine Strategie, deutsche Arbeitnehmer zugunsten des deutschen Kapitals zu verarmen. Was soll es sonst sein?

NDS: Verschiedene Ökonomen außerhalb Deutschland haben die deutsche Wirtschaftspolitik – insbesondere die Fokussierung auf den Export – als mitverantwortlich für die aktuellen Haushaltskrisen in Griechenland, Spanien, Irland, Portugal und Italien kritisiert. Wie sehen Sie das Problem? Was sollen wir tun?

Galbraith: Ja, natürlich. Das System ist voneinander abhängig. Wenn Deutschland Überschüsse fährt, müssen andere Länder sowohl externe als auch interne Defizite haben. Darüber hinaus können andere Länder ihre Defizite nicht auflösen, ohne dass Deutschland seine Überschüsse auflöst.

NDS: Was ist Ihrer Meinung nach die Rolle, die Goldman Sachs in der Griechenland-Krise gespielt hat? Was ist mit Korruption?

Galbraith: Offenbar war Goldman Sachs in Komplizenschaft mit der Vorgängerregierung, um das europäische System zu unterminieren. Das Ausbleiben einer Reaktion zur Enthüllung deutet an, dass die Operation ein kompletter Erfolg war.

NDS: Wir sagen, die Finanzindustrie hat die Politik in der Hand. Wir haben den Eindruck, dass dies auch für die USA gilt. Liegen wir da falsch?

Galbraith: Nein, Sie liegen nicht falsch.

NDS: Ist es aus ihrer Sicht realistisch, dass die Finanzindustrie mit den Riesenbeträgen, über die sie verfügt, zum Beispiel wichtige Entscheidungen in Deutschland direkt über Lobbyarbeit oder indirekt über Propaganda wesentlich beeinflusst?

Galbraith: Ja, völlig realistisch.

NDS: Indizien: der Chefökonom der EZB Issing wird Berater von Goldman Sachs. Während er diese Funktion innehat, wird er von der Deutschen Bundeskanzlerin und dem Finanzminister zum Vorsitzenden einer Kommission, die neue Regeln für die Finanzmärkte erarbeiten soll. Ist das normal?

Galbraith: Leider ist es völlig normal. Entsetzlich. Aber normal.

NDS: Vor einiger Zeit kritisierten Sie die Rettung der Finanzinstitute durch die U.S.-Regierung. Sie schlugen vor, Investment-Banken pleite gehen zu lassen, sie unter Insolvenzverwaltung zu stellen und die Einlagen zu sichern – ähnlich wie das, was die FDIC mit kleineren Banken macht. Ist das noch Ihr Standpunkt? Meinen Sie, Deutschland hätte die IKB und Hypo Real Estate auch so behandeln sollen?

Galbraith: Ja, das ist noch meine Standpunkt. Banken in Schwierigkeiten sollen übernommen und aufgelöst werden. Das ist kein politischer Standpunkt. Es ist die übliche und richtige Praxis des amerikanischen Staats unter vorangegangenen Regierungen beider Parteien. Gescheiterte Banken offen und unter gleichem Management zu belassen, ist ungewöhnliche Praxis und gefährliches Verhalten, egal, wie groß sie sind.

NDS: Was muss getan werden, um ähnliche Krisen in der Zukunft zu verhindern? Ist es möglich, das globale Casino zu schließen? Was würden Sie konkret tun?

Galbraith: Die Krise ist fortlaufend und wird lange so bleiben. Viele der Aktivitäten vor der Krise – einschließlich normale Geschäfts- und Eigenheimkredite – sind nicht zurückgekehrt, manche spekulativen Vorgänge aber schon. Es ist nicht nur möglich, das Casino zu schließen, sondern notwendig. Eine komplette Antwort würde zu viel Platz brauchen, aber ich empfehle folgende Rede von Senator Ted Kaufman von Delaware

NDS: Halten Sie die Forderung nach einer Konversion der Finanzwirtschaft für sinnvoll? Wie groß müsste maximal der Anteil der Finanzwirtschaft an der Wertschöpfung einer Volkswirtschaft wie der US-amerikanischen oder der Deutschen sein? Er lag in den USA bei 8 %. Das ist doch wohl zu hoch?

Galbraith: Der Finanzsektor muss nicht größer sein, als, sagen wir mal, vor zwanzig Jahren. Das ist eine willkürliche Einschätzung, aber nichts in der Empirie widerspricht ihr.

NDS: Wann begann aus ihrer Sicht der Siegeszug der neoliberalen Bewegung? In Chile 1973? Mit Reagan und Thatcher?

Galbraith: Am 6. Oktober 1979. Das ist der Tag, an dem Paul Volcker in den USA die Federal Reserve auf Monetarismus umlenkte.

NDS: Wie erklären Sie aus amerikanischer Sicht die Mitwirkung von Sozialdemokraten/Sozialisten wie Schröder und Blair bei dieser konservativen Revolution?

Galbraith: Die Sozialdemokraten beugten sich dem Druck von rechts, und dann widmeten sie sich der Demontage des Erbes ihrer Vorfahren.

NDS: Wie würden Sie die Erfahrung mit Mindestlöhnen beschreiben?

Galbraith: Mindestlöhne funktionieren gut. Sie verursachen keine Arbeitslosigkeit, und spornen Produktivitätswachstum sogar an, wie die skandinavische Erfahrung über Jahrzehnte zeigte. Sie werden von den politisch reaktionären und technologisch rückschrittlichen Elementen der Wirtschaft abgelehnt, aber grundsätzlich nicht von fortschrittlichen und wettbewerbsfähigen Unternehmen.

NDS: Wenden wir uns jetzt amerikanischer Politik zu: Das Vertrauen der Wähler in Präsident Obama ist seit seiner Amtseinführung dramatisch gesunken. Was ist Ihrer Meinung nach die Ursache?

Galbraith: Obama steht vor mächtigen Hindernissen, aber er hat es auch versäumt, seine Basis zu mobilisieren, und er wählte bei der Wirtschaftspolitik (einschließlich Finanzreform) gemäßigte Maßnahmen, die unzureichend waren, um bisher positive Ergebnisse zu erzielen. Das sollte man aber nicht überbewerten. Obama hat hierzulande immer noch eine beträchtliche Basis der Unterstützung.

NDS: Was halten Sie von Timothy Geithner? Paul Volcker? Wäre es wünschenswert, dass Volcker mehr Einfluss auf die Wirtschaftspolitik hätte?

Galbraith: Ich kommentiere ungern über Amtsträger im persönlichen Sinn. Ich habe den weichen Ansatz des Finanzministeriums im Bezug auf Finanzreform und die Bankkrise stark kritisiert. Der Vorsitzende Volcker spielt eine wichtige und konstruktive Rolle zur Zeit, aber man kann nicht davon ausgehen, dass er sich durchsetzt.

NDS: Wie wirkt sich Ihrer Meinung nach die Tea-Party-Bewegung auf die U.S.-Politik aus? Oder die Oath-Keepers? Sehen Sie von diesen Gruppen eine Gefahr für die amerikanische Demokratie ausgehen?
Galbraith: Die Tea-Party ist zum Teil ein Ausdruck von Frust und Empörung einfacher Menschen, die von der Wirtschaftskrise betroffen sind; und sie ist zum Teil eine künstliche Bewegung, die von den größeren Kräften im rechten Flügel für ihre eigene Zwecke geschaffen wurde. Als eine Ablenkungskraft ist sie bisher sehr wirksam, wobei sie keine bedeutende wahlrelevante Präsens hat und meiner Ansicht nach keine entwickeln können wird. (Ein Tea-Party-Kandidat hier in Texas bekam lediglich um die 20 Prozent der Stimmen der Republicanischen Partei.) Letztendlich ist die Tea-Party ein Werkzeug, das von der Republicanischen Führung solange gebraucht wird, wie se nützlich ist, und danach weggeworfen.

Das Interview wurde von Albrecht Müller und Roger Strassburg geführt und steht auch in der englischen Fassung zum Download [PDF – 105 KB] bereit.

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