Die SPD vertreibt mit ihrer Außenpolitik die Wähler

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Aktuelle Umfragen sehen die SPD bei bundesweit15 Prozent. Eines der wenigen verbliebenen Themen, mit dem die Partei noch Wähler gewinnen könnte, wäre eine neue Entspannungspolitik gegenüber Russland – nachdem man sich bei der Sozialpolitik weitgehend unglaubwürdig gemacht hat. Doch die Sozialdemokraten schlagen in selbstzerstörerischer Weise den entgegengesetzten Kurs in der Außenpolitik ein. Von Tobias Riegel.

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Die Außenpolitik wäre das Feld, auf dem die SPD jetzt viel Wählergunst zurückerobern könnte. Aktuelle Umfragen sehen die Partei bundesweit bei nur noch 15 Prozent: Die Sozialdemokraten brauchen solche Felder also dringend, seit sie auf dem Gebiet der Sozialpolitik selbstverschuldet fast jede Glaubwürdigkeit eingebüßt haben.

Ein öffentlicher Vorstoß der SPD gegen die Regierungslinie in Sachen Verständigung mit Russland oder eine realistische (öffentliche) Beurteilung der gescheiterten deutsch-amerikanischen „Freundschaft“ würde mehrere positive Aspekte für die SPD verbinden: Es wäre zum einen aufsehenerregend und dadurch ein einfacher und wirkungsvoller Wählermagnet – gerade angesichts der immer wieder festgestellten, großen Sympathien der Deutschen gegenüber Russland. Zum anderen verdeutlichen die jüngsten und empörenden Äußerungen des US-Botschafters Richard Grenell, wie es um das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA momentan bestellt ist.

Zudem müsste sich die Partei für eine russlandfreundliche Linie nicht „verbiegen“, sondern im Gegenteil: Sie könnte dadurch zu ihren von Willy Brandt gelegten Wurzeln zurückkehren. Durch eine öffentliche Akzeptanz der neuen multipolaren Weltordnung würde also ein sozialdemokratischer Geist nicht „verraten“, sondern wiederbelebt. Der sozialdemokratische Abschied von der Entspannungspolitik hat nicht erst mit Maas begonnen, doch der aktuelle Außenminister betreibt diesen Abschied mit einer neuen Radikalität.

Sozialdemokratische Arroganz gegenüber Russland

Das außenpolitische Konzept der aktuellen SPD-Verantwortlichen zielt darum aktuell in eine besonders selbstzerstörerische Richtung, wie etwa die „Tagesschau“ berichtet: „Außenminister Heiko Maas verfolgt seit seinem Amtsantritt eine Außenpolitik, die sich von seinen SPD-Vorgängern absetzt.“ Das erinnert schmerzlich an die rätselhafte Entscheidung der SPD, den Russland im Vergleich zu Maas stärker zugewandten und unter anderem darum beliebten Sigmar Gabriel durch einen mutmaßlichen Transatlantiker wie Maas zu ersetzen. Der im letzten Jahr aufkeimende Unmut an der SPD-Basis über den Konfrontationskurs gegenüber Russland wurde bisher leider nicht in personelle und konzeptuelle Änderungen umgesetzt.

Die Haltung von Maas gegenüber Moskau sei “nicht antirussisch”, versuchte dagegen kürzlich der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Nils Schmid das Offensichtliche zu bestreiten. In einer großen, aber in der SPD nun scheinbar akzeptierten Arroganz legte Schmid sodann die bekannte Liste von Forderungen des Westens an Russland vor: eine „regelbasierte Ordnung“, die „Wahrung von Menschenrechten“, „faire Wahlen“ und „Demokratie“. Möchten Maas und Schmid Russland all das in einem solch pauschalen und ungenügenden Urteil absprechen? Scheinbar ja: Denn “all das“ – also in Russland laut Schmid fehlende Menschenrechte, Wahlen und Demokratie – verbiete „einen verklärenden Blick auf Russland”, sagte Schmid laut Medien.

Die Diffamierung Russlands durch führende SPD-Politiker erschöpft sich nicht in solchen allgemeinen Moralpredigten. Die Sozialdemokraten fühlen sich aktuell auch aufgefordert, in konkreten Fragen gegen die Russen zu argumentieren. So verortet Heiko Maas laut Medien die alleinige Verantwortung für das Ende des INF-Vertrags in Moskau und stützt damit die unhaltbare NATO-Position zum Thema: „Russland habe noch eine ‚letzte Chance‘, um den INF-Vertrag einzuhalten, den nur Russland, aber nicht die USA verletzt habe“, zitiert „Telepolis“ Verantwortliche des „Verteidigungsbündnisses“. Das Medium und zahlreiche Beobachter sehen diese einseitige Verantwortung Russlands jedoch nicht: „Russland hatte bereits 2007, auch unter Präsident Putin, schon einmal gedroht, aus ihm auszusteigen, weil die USA nach dem einseitigen Rückzug aus dem ABK-Abkommen 2002 mit der darauf folgenden Planung von Stützpunkten des Raketenabwehrschirms an der russischen Grenze den INF-Vertrag verletzen würden“, so „Telepolis“.

SPD verspielt ihr historisches Erbe

Im Zuge ihrer fragwürdigen antirussischen Taktik verrät die SPD nicht nur die Entspannungspolitik Willy Brandts – auch einige von dessen Nachfolgern trifft das giftige SPD-interne Verdikt des Russland-Verstehers: „Diese auf persönlichen Beziehungen basierende Politik gegenüber Moskau, wie sie vom früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder und den ehemaligen Außenministern Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel vertreten worden sei, soll endgültig der Vergangenheit angehören“, verkündete Schmid. Diese Aussage ist unter anderem deshalb irritierend, weil auch Gabriel und Steinmeier von einer konsequenten Entspannungspolitik gegenüber Russland weit entfernt waren. Die Ankündigung, Steinmeiers und Gabriels Engagement noch zu unterbieten, macht wenig Hoffnung.

Wer so leichtfertig das eigene historische Potenzial verspielt und so offensichtlich die Zeichen der Zeit ignoriert wie im Moment die SPD – der braucht keine Gegner mehr, der macht sich sehenden Auges selber kaputt.