Der Aufstieg des Karrieristen zum Geburtshelfer Bolsonaros

Der Aufstieg des Karrieristen zum Geburtshelfer Bolsonaros

Der Aufstieg des Karrieristen zum Geburtshelfer Bolsonaros

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Ein Dossier zu Sérgio Moro – Teil 1. Mit der Amtseinführung Präsident Jair Bolsonaros am vergangenen 1. Januar übernahm im größten und bevölkerungsreichsten Land Lateinamerikas und der neuntgrößten Volkswirtschaft der Welt eine rechtsextremistische Regierung die politische Macht. Grob umrissen sind die rechtsradikalisierten Polizei- und Streitkräfte mit evangelikal-fundamentalistischen Sekten die tragenden Machtsäulen des neuen Regimes. Von Frederico Füllgraf.

Die beachtliche Anzahl hochrangiger Uniformierter im zerschlagenen Staatsapparat Bolsonaros signalisiert daher ein einmaliges Phänomen seit Ende der Militärdiktatur (1964-1985): nach der 2014 begonnenen Aushöhlung des Rechtsstaats nun seine Re-Militarisierung. Ein Drittel der 22 Ministerien und Sondersekretariate – vom Präsidialamt über das Energie-, bis hin zu den Verteidigungs- und Medienressorts – wird bereits seit Jahresbeginn von Generälen befehligt.

Einer von ihnen ist General Guilherme Theophilo. Doch er empfängt seine Anweisungen von einem Zivilisten: Sérgio Moro, bis vor wenigen Wochen zuständiger Ermittlungsrichter im südbrasilianischen Curitiba für die weltweit medial ausgeschlachtete brasilianische Sondereinsatzgruppe zur angeblichen Korruptionsbekämpfung, bekannt als “Operação Lava Jato“ (Unternehmen Autowaschanlage). Moro wurde von Bolsonaro zum Justizminister ernannt und schließt mit seiner Amtsübernahme einen zweiten abgründigen Kreis, nämlich das Zusammenspiel von rechtsradikal unterwanderter Justiz mit dem Oberkommando der brasilianischen Streitkräfte hin zum autoritären Staat.

Wie jedoch verträgt sich Moros Zusage mit seiner wiederholten Zusicherung, er werde „niemals in die Politik einsteigen“? War Moros Nominierung ein politisches Geschäft, oder krasser gefragt, etwa ein Obolus für seine wiederholten Eingriffe in die Präsidentschaftskampagne zur Begünstigung von Bolsonaros Wahlsieg?

Mit einführender Entschuldigung für den Textumfang verfolgt diese weit über den Tagesjournalismus hinausreichende, passagenweise herbe, jedoch faktenreiche Recherche den Zweck, neugierige sowie argwöhnische Leser und investigative Journalisten mit einem zusammenfassenden „Nachschlagewerk“ über eine der Schlüsselfiguren des autoritären Staates unter Führung Jair Bolsonaros, jedoch auch über den neutypischen Agenten politischer Destabilisierung im Dienste der USA zu versorgen.

Der Aufstieg eines Karrieristen

Seit 2014 erfreute sich der brasilianische Provinzrichter unbestrittenermaßen wachsender einheimischer und internationaler Popularität. In der Google-Suchmaschine übersteigt sein Name mit spektakulären 38 Millionen Linkverweisen bereits mehr als die Hälfte der 70-Millionen-Popularitätsrankings Wladimir Putins und Donald Trumps.

Der 46-jährige Jurist Sérgio Fernando Moro wuchs in den südbrasilianischen Städten Maringá und Ponta Grossa als Sohn des Geographielehrers Dalton Áureo Moro und seiner Ehefrau auf. Die Moros zählten zu den Oriundi, jene seit Mitte des 19. Jh. massenhaft ausgewanderten Italienern, die mit 25 Millionen Nachkommen in Brasilien als größte italienische Gemeinde der Welt fern des Mutterlandes gelten. Wie die Mehrheit auch polnischer, ukrainischer, japanischer und deutscher Emigranten aus dem Hunsrück entstammen die meisten Italo-Brasilianer aus dem nordostitalienischen Veneto ebenso ärmlichen, bäuerlichen Verhältnissen.

Ihre Ansiedlung in Brasilien war nicht zufällig, sondern eine Initiative des Militärregimes, das mit der Ausrufung der Republik unmittelbar nach Beendigung der Sklaverei im Jahr 1888 die Macht übernahm und mit einer geplanten Großraum-Besiedlung sowohl Kleinbauern für die landwirtschaftliche Entwicklung als auch Ersatzkräfte für die ehemaligen Sklaven afrikanischer Herkunft auf den florierenden Kaffeeplantagen ins Land holte.

War die „Neue Welt“ drei Jahrhunderte lang für 3,5 Millionen afrikanischer Sklaven das unfreiwillige Territorium ihrer Schmach und Entmenschlichung, wirkte sie umgekehrt im Bewusstsein der meisten europäischen Einwanderer als „Land der Verheißungen“ und des kirchlich – sowohl von katholischen wie lutherischen Kanzeln – eingepeitschten und mit Ellenbogen durchgesetzten sozialen Aufstiegs um jeden Preis.

Als „Erbe“ dieser Tradition ist Sergio Moro die fulminante Inkarnation des social climbers; eine Überlieferung, die Aldous Huxley allerdings in seinem Kultroman “Schöne, neue Welt“ mit dem Satz anmahnte, „Der Glaube an eine größere und bessere Zukunft ist einer der mächtigsten Feinde gegenwärtiger Freiheit.“ Wie die Jahre nach 2014 in Brasilien auf dramatische Weise verdeutlichen, stieg Sergio Moro zu einem der gefährlichsten Feinde der demokratischen Freiheiten auf.

Nach dem Jurastudium an der Universität Maringá schrieb Moro seine Magisterarbeit, promovierte an der Bundesuniversität Paraná und besuchte 1998 das Anwalts-Ausbildungsprogramm der Harvard Law School. Als Experte für Wirtschafts- und Finanzkriminalität bewarb er sich für den Posten des Bundesrichters und bearbeitete in dieser Funktion Fälle wie den sogenannten Banestado-Skandal. Doch seine nationale und internationale Popularität erreichte Moro erst mit der Sondereinsatzgruppe Lava Jato für die Korruptionsermittlungen im halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras, die mit gewaltiger medialer Ausschlachtung bald zum „größten Korruptionsskandal aller Zeiten“ umgebogen und umgedichtet wurden.

Als „Mann des Jahres“ von der beherrschenden brasilianischen Mediengruppe O Globo ausgezeichnet, von der US-amerikanischen Time mit einem Titelblatt geehrt, als Gastredner von US-Universitäten und politischen Think Tanks wie dem regierungs- und CIA-nahen Woodrow Wilson Center gefeiert, schien dem Provinzjuristen bald der Erfolg in den Kopf gestiegen zu sein.

Seit 2015 schwelgte er nun mit erklärten Feinden der Regierung Rousseff und der Arbeiterpartei auf Empfängen, so mit dem von Rousseff 2014 besiegten Präsidentschaftskandidaten und dem vielfältiger Korruption angeklagten ehemaligen Senator Aécio Neves, dem Playboy und Bürgermeister São Paulos, João Dória, oder selbst an der Seite des ebenfalls schwerer Korruption anklagten, jedoch immer wieder verschonten De-facto-Präsidenten Michel Temer – “liasons douteuses” und promiske Nähe zur politischen Macht, vor allem zur ultrakonservativen Opposition, die die brasilianische Ausgabe von Huffington Post zur Feststellung veranlasste, im Antlitz des tendenziösen Richters sei keine Spur von Verlegenheit zu vernehmen.

Dass, von wenigen Ausnahmen – wie der Verhaftung des ehemaligen Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer, Eduardo Cunha – abgesehen, trotz massenhafter Anklagen kaum Politiker der Opposition von Moro behelligt wurden, füllt hunderte von Presseberichten in Brasilien und spricht ideologische Bände.

Doppelmoral und eine dreiste Portion Zynismus

Kampf der Korruption? In seiner Beamtenkarriere und im privaten Leben nahm Sérgio Moro seine Kampfparole noch nie ernst. Da lässt er andere, doppelte Standards gelten, vor allem die zur Sicherung seines Lebensstandards.

So erfuhr die Öffentlichkeit zum Beispiel im August 2015, dass Moro mit fadenscheinigen Begründungen mitunter sich ein doppeltes Monatssalär in Höhe von 77.000 Reais (umgerechnet 19.000 Euro) auszahlen ließ, damit jedoch die Obergrenze des von der Verfassung festgeschriebenen Richtergehalts gesetzwidrig überschritt; eine von den NachDenkSeiten im Juli 2017 dokumentierte, unverschämte Praxis, die landesweit an brasilianischen Gerichten üblich ist.

Wie damals erwähnt, „mit Monatsgehältern um die 25.000 Euro und exklusiven Limousinen samt Fahrern ausgestattet, bedienen sich die 16.500 Richter im Lande an der Staatskasse mit allerlei undurchsichtigen „Leistungsprämien”, wie „Miet-”, „Ausbildungs-” oder gar „Essens-Zuschüssen”. Angehende Staatsanwälte verdienen dreimal mehr als ein promovierter Universitätsprofessor und fast das Doppelte wie ein Botschafter oder ein Fünf-Sterne-General. Auf die Einkassierung seines „Mietzuschusses“ in Höhe von umgerechnet 1.200 Euro angesprochen, der einzig und allein für Richter erlaubt ist, die fern ihres Wohnortes tätig sind, antwortete der mehrfache Wohnungsbesitzer Sérgio Moro mit üblichem Zynismus, „der Mietzuschuss ist ein Ausgleich für mangelnde Gehaltserhöhung der Richter“.

Fünf Jahre lang ermittelte Sérgio Moro über Korruptionspraktiken im halbstaatlichen Ölkonzern Petrobrás. Im Mai 2018 sollte er dafür von der Amerikanisch-Brasilianischen Handelskammer die Auszeichnung „Persönlichkeit des Jahres“ während einer Zeremonie an der University of Notre Dame in New York erhalten und anschließend einen Vortrag auf Einladung des Forums Investment Lide, des Playboys und Bürgermeisters São Paulos, João Doria, halten. Moro erhielt seine Würdigung und sprach vor einem Heer von Börsen- und Hedgefonds-Spekulanten, zahlte jedoch keinen Pfennig für Reise- und Unterbringungskosten. Die übernahm ein Anwalts- und Vertretungsbüros von Petrobrás. Interessenkonflikte?

Man bedenke den Fall des ehemals vom Odebrecht-Baukonzern mit der Zahlung von Bestechungsgeldern beauftragten und dafür angeklagten spanisch-brasilianischen Anwalts Rodrigo Tacla-Durán. Wie die investigativen brasilianischen Magazine GGN und Diario do Centro do Mundo auf der Grundlage vielfältiger Beweise Tacla-Duráns ermittelten, stehen Sérgio Moro und seine Ehefrau, die Anwältin Rosângela Moro, im Mittelpunkt einer “Industrie des Zeugenverrates”. Im Klartext: Eine seit Jahren laufende Erpressungsmaschine, die die Taschen von Privatanwälten, Staatsanwälten und Richtern mit der Zahlung von millionenschweren Dollarbeträgen illegaler „Handlungskommissionen” zur Strafmaßreduzierung füllen sollte.

Mit Hilfe von Interpol hatte Moro die Auslieferung des in Spanien lebenden Tacla-Durán gefordert, doch die internationale Polizei-Organisation verweigerte die Auslieferung mit der Begründung, das unredliche Verhalten Moros verstoße gegen die Interpol-Normen und das internationale Recht.

Der „ungelöste“ Banestado-Skandal

Mit Verweis auf vielfältige Einzelheiten berichteten die NachDenkSeiten bereits im Dezember 2016 über den Fall.

Banestado war, zusammengefasst, das Kürzel der Regionalbank des südbrasilianischen Bundesstaates Paraná, deren Geheimkonten nach Schätzungen der Staatsanwaltschaft in den späten 1990-er Jahren für die Devisenflucht und Geldwäsche brasilianischer Steuerhinterzieher – darunter der Mediengruppe O Globo und einschlägiger Politiker der regierenden PSDB-Partei, die nachträglich viermal die Präsidentschaftswahlen gegen die Arbeiterpartei verlor – in Höhe schwindelerregender 124 Milliarden Dollar genutzt wurden. Die tatsächliche Summe – „die Mutter aller Korruptionsskandale“, mit den Worten des Senators Roberto Requião – wurde entweder mit unzulänglichen, oft widersprüchlichen Angaben von Ermittlungsrichter Sérgio Moro zunächst auf 30 Milliarden, schließlich auf 2,5 Milliarden US-Dollar heruntergespielt.

Kritische Medien merkten an, dass Moro zwar „Laranjas“ (Strohmänner), jedoch nie deren Hintermänner anklagen und verhaften ließ. Allerdings, als der äußerst professionell vorgehende Staatsanwalt Celso Três und sein Stellvertreter José Castilho den „Deckel der Kloake“ aufklappten und einer Reihe von PSDB-Politikern auf die Schliche gekommen waren, wurden sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion versetzt und ihre Karriere fand ein Ende. Nach mehr als sechsjährigen Ermittlungen und der Einberufung einer parlamentarischen Untersuchungskommission (CPI) wurde der Fall Banestado 2009 „ergebnislos“ ad acta gelegt.

Sodann assistierte Moro STF-Richterin Rosa Weber im Fall „Mensalão“, in dem wegen angeblicher monatlicher Geheimzahlungen zur Sicherung parlamentarischer Mehrheiten während der ersten Amtszeit Lulas (2003-2006) Ermittlungen gegen die regierende PT mit der Verhaftung einflussreicher Ex-Minister, wie José Dirceu, stattfanden.

Der Brandstifter

„Sérgio Moro war schon immer ein Politiker in den Kleidern eines Richters. Er vertrat eine Fraktion des Justizapparates mit populistischen Zügen, die vorsätzlich am Aufbau eines Umfelds arbeitete, in dem nicht nur die Präsidentschaftskandidatur einer angefeindeten Persönlichkeit verhindert, sondern auch die Machtübernahme durch einen Politiker mit autoritärem und rachesüchtigem Profil begünstigt werden sollte. Er setzte viel darauf, in diesem neuen Umfeld eine relevante Rolle spielen zu können. Er nutzte die Justiz zu politischen Zwecken, unter anderem für den Aufbau seiner eigenen Karriere jenseits der Justiz. Was ihn korrupter macht als die Männer, die er verurteilt hat. Denn es gibt keine tiefere Korruption als die der Moral“, kommentierte der Journalist Daniel Oliveira Ende 2018 in der einflussreichen portugiesischen Tageszeitung Expresso das mittlerweile weltweit abgelehnte Vorgehen des Provinzrichters.

Der nicht weniger renommierte brasilianische Journalist Luis Nassif bezeichnete bereits im Jahr 2015 den Modus Operandi Moros als „Kriegsoperation”. In den Beobachtungen Nassifs gehörten „die wassersturzartige Leckage von Zeugenaussagen an die Öffentlichkeit, das steifnackige Einschießen auf Lula als Angriffsziel, der bedingungslose Pakt mit den Medien, die Verhaftung und Drangsalierung von Verdächtigen bis zu ihrer Annahme eines Kronzeugen-Deals“ zu den fragwürdigen, nahezu kriminellen Praktiken des Richters und seiner Sondereinsatzgruppe.

Der rüde Stil, der von „Unternehmen Lava Jato“ übernommen wurde, war bereits 2004 im Artikel Moros „Überlegungen zur Operation Mani Pulite“ vorgesehen, der den Erfolg des italienischen Justizfalls Mani Pulite lobpries. Als “am meisten einleuchtende Präambel, die bisher für Lava Jato geschrieben wurde“ (Nassif), diente sie als Grundlage für die angewandte Strategie.

Auf sieben Textseiten analysiert Moro “Mani Pulite“ und skizziert eine Art Handbuch zum Aufbau ähnlicher Operationen in Brasilien. Eine zentrale Rolle erhalten darin nicht juristische, sondern eminent politische Begriffe wie Öffentlichkeit und Medien. Nach Moro herrsche in Brasilien ein Machtsystem, das es zu bekämpfen gelte, genauer: „die traditionelle Politik mit all ihren Verzerrungen und Einflüssen auf das Justizsystem, insbesondere auf die Hohen Gerichte“.

Dieses System verhindere die Bestrafung korrupter Politiker und öffentlicher Amtsträger wegen angeblich eingebauter politischer Hindernisse und – man staune – „der Beweislast, die erforderlich ist, um in Strafverfahren verurteilt zu werden”. Den Ausweg aus diesen Zwängen nennt der Richter „Demokratie“, worunter er eine Art direkte Verbindung zur „aufgeklärten öffentlichen Meinung” versteht – also der Meinung, die von den herrschenden Medien verbreitet wird, mit gleichzeitiger Umgehung sämtlicher formal respektierter Systeme und Institutionen.

Unnötig und lächerlich schwerbewaffnete Polizeiaufgebote bei der Verhaftung und Abführung von Korruptionsverdächtigen (Fall Lula), deren öffentliche Beleidigung und Erniedrigung mit Kahlrasur zur kriminellen Brandmarkung noch vor jeder Gerichtsverhandlung und Beweisführung entpuppten sich als Methode der „direkten Verbindung zur aufgeklärten öffentlichen Meinung”, die den Provinzrichter bald als neuen Nationalhelden feierte.

Mit kaum zu überbietendem Zynismus bedankte sich Moro Mitte März 2016 nach der ersten Verhaftung Lulas, zutiefst „gerührt“ von den rechtsradikalen Aufmärschen und Ehrungen. Die brasilianische Vereinigung der Richter für die Demokratie (AJD) verurteilte das Vorgehen aufs Schärfste und bezeichnete es als „Medienspektakel“. Moro kam zugute, dass die brasilianischen Monopol-Medien, im Besitz von fünf Familien, bereits seit der ersten Amtsperiode Rousseffs (2010-2014) „ihre Seite” gewählt hatten.

Titelbild: Marcelo Chello/shutterstock.com

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