Vom Beginn der Maidan-Proteste an waren die westlichen Medien Partei und betrieben Kampagnenjournalismus

Vom Beginn der Maidan-Proteste an waren die westlichen Medien Partei und betrieben Kampagnenjournalismus

Vom Beginn der Maidan-Proteste an waren die westlichen Medien Partei und betrieben Kampagnenjournalismus

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Macht es einen Unterschied, ob Medien von „Terroristen“ oder „moderaten Rebellen“ sprechen? Macht es einen Unterschied, ob Journalisten von „oppositionellen Ukrainern“ oder feindlichen „Pro-Russen“ sprechen? Natürlich. Begriffe wie diese erzeugen Bilder in den Köpfen der Mediennutzer und eignen sich, das Denken in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Im Interview mit den NachDenkSeiten zeigt der Autor und Journalist Mathias Bröckers auf, mit welch einer manipulativen Sprache Mediennutzer bei der Syrien- und Russlandberichterstattung konfrontiert werden. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Gerade hat Bröckers seinen Bestseller „Wir sind die Guten“ aus dem Jahr 2014 in aktualisierter Form veröffentlicht. Darin setzen sich Bröckers und sein Mitautor Paul Schreyer auch mit dem Verhalten der Medien im Umgang mit Russland auseinander. Anlass, von dem Autor zu erfahren, wie er die Berichterstattung der vergangenen 5 Jahre in Sachen Russland wahrgenommen hat.

Herr Bröckers, der Konflikt zwischen dem Westen und Russland hat sich seit Beginn der Ukraine-Krise zugespitzt. Was ist Ihre Beobachtung: Welche Rolle spielen dabei die Medien?

Die un-journalistische und unheilvolle Einseitigkeit der Großmedien in diesem Konflikt war ja der ursprüngliche Auslöser für dieses Buch. Repräsentative Umfragen zeigten schon im Sommer 2014, dass sich mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in Sachen Ukraine einseitig oder schlecht informiert fühlten. Und das lag nicht daran, dass sie irgendwelchen „Feindsendern“ gelauscht oder ominösen „russischen Trollen“ auf den Leim gegangen waren, sie hatten vielmehr ARD, ZDF und unsere sogenannte „Qualitätspresse“ konsumiert. Ihre Verunsicherung war ihnen nicht im Rahmen „hybrider Kriegsführung“ vom Kreml eingepflanzt worden, sie durchschauten vielmehr den Schwarz-Weiß-Film vom guten Westen und bösen Russen, der ihnen von „Tagesschau“ und „heute journal“ als Realität angeboten wurde, als plumpe Inszenierung. Der Permanenz und Penetranz, mit dem die Parole „Wir sind die Guten“ verbreitet wurde, verdankte unser Buch dann auch seinen Titel – und weil es damit in den vergangenen fünf Jahren nicht aufgehört hat, heißt die erweiterte Neuausgabe jetzt „Wir sind immer die Guten“. Mittlerweile ist Putin ja an allem schuld. Vom Wahlsieg Donald Trumps bis zum Wetter. Als vor kurzem in einigen Regionen der USA sehr niedrige Temperaturgrade gemessen wurden, kommentierte die bekannte Sprecherin Rachel Meadows die Wetterkarte auf MSNBC mit den Worten „Und jetzt stellen sie sich vor: die Russen könnten unser Stromnetz angreifen!“ In den Vereinigten Staaten herrscht mittlerweile eine von den Medien geschürte Hysterie, die fatal an die McCarthy-Ära erinnert, als man unter jedem Bett Kommunisten fürchtete. Und bei uns ist es nicht viel besser – gerade insinuierte etwa Angela Merkel auf der Sicherheitskonferenz im Zusammenhang mit Russland, dass der Klimastreik von Schülern ein Produkt “hybrider Kriegsführung” sei.

Lassen Sie uns die Rolle der Medien genauer analysieren. Gehen wir an den Anfang des Konfliktes. Was fällt Ihnen dabei auf?

Vom Beginn der Maidan-Proteste an waren die westlichen Medien Partei und betrieben statt neutraler Berichterstattung Kampagnenjournalismus. Mit dem gewaltsamen Regierungswechsel in Kiew schalteten sie dann komplett in den Kriegsmodus. Die „Tagesschau“ berichtete zum Beispiel damals, dass russische Truppen in der Ost-Ukraine einmarschiert seien und zeigte dazu Bilder und Filmaufnahmen von Panzerkolonnen. Ein solcher Einmarsch hatte aber gar nicht stattgefunden und die Panzeraufnahmen stammten aus dem Archiv. Als ich den „Tagesschau“-Chef Gniffke bei einer Radiodiskussion darauf ansprach, gab er die falschen Bilder zwar zu, wiegelte aber ab, dass solche Fehler in der Eile der Berichterstattung ja mal vorkommen könnten. Es handelte sich dabei aber keineswegs um Schlamperei, sondern kam mehrfach an verschiedenen Tagen und mit verschiedenen Bildern vor, es hatte System. Das ließ sich dann auch an den Begriffen, dem „Wording“ erkennen, das dann überall Anwendung fand.

Kurz: Was ist Wording?

Die Besetzung bestimmter Begriffe, mit dem die Konfliktparteien bezeichnet werden. Es macht ja einen Unterschied, ob etwa ein Regierungschef „Präsident“ oder „Machthaber“ genannt oder ob von „Terroristen“ oder von „Freiheitskämpfern“ berichtet wird, ob eine gewählte „Regierung“ gestürzt wird oder ein abscheuliches „Regime“. Mit diesen Begriffen werden subtile Botschaften transportiert, die weniger an den rationalen, sondern an den emotionalen Verstand des Publikums gerichtet sind. Einen „Terroristen“ findet niemand gut und wenn solche – wie unlängst im Syrienkrieg die von Saudi-Arabien finanzierten Al-Qaida-Söldner – an unserer Seite kämpfen und jetzt zu den Guten gehören, obwohl sie vor kurzem noch die ganz Bösen waren, braucht es schnell ein neues Wording. Das waren in diesem Fall dann die „moderaten Rebellen“.

Haben die Medien sich auch im Ukraine-Konflikt eines bestimmten Wordings bedient?

Ja. Es wurden zum Beispiel aus den Anhängern des gestürzten Präsidenten Janukowitsch quasi über Nacht „pro-russische Separatisten“ . Es waren zwar wie auch die Anhänger der gewaltsam installierten Übergangsregierung ukrainische Bürgerinnen und Bürger und nur eine sehr kleine Minderheit wollte anfangs irgendeine Teilung der Ukraine, aber mit dem Wording wurden nun alle zu „Pro-Russen“. Die faschistoiden Milizen des „rechten Sektors“ wurden dann alsbald „Nationalgarde“ genannt und als Kiew militärisch gegen die eigenen Bürger im Osten vorging, übernahm die „Tagesschau“-Korrespondentin ungeniert das Wording der Regierung und sprach von „Antiterroroperationen“. So wurden aus oppositionellen Ukrainern feindliche „Pro-Russen“ und gefährliche „Terroristen“ und allein mit Worten allesamt einem Reich des Bösen zugeschlagen. Es ist ein klassisches Verfahren zur Produktion von Feindbildern, eine seit Jahrhunderten bewährte Methode der Kirche der Angst, die im Zeitalter von Funk, Fernsehen und einer 24-Stunden-„News“-Berieselung neue Dimensionen hat. So ein Wort wirkt ja nicht, wenn es ein, zwei Mal verwendet wird. Aber in den Wiederholungsschleifen der Nachrichten wird es jede Stunde über Tage und Wochen penetriert und setzt sich in den Köpfen fest. Und wenig später kann die ARD dann ganz nüchtern melden, dass es sich bei der Flucht von tausenden Menschen aus der ostukrainischen Stadt Slawjansk, die schweren Luftangriffen und Artilleriebeschuss ausgesetzt war, um „die Vertreibung pro-russischer Separatisten“ handelt. Was zur gleichen Zeit in Syrien als schweres Kriegsverbrechen von Assad weltweit am Pranger steht, wird dank dieses Wordings zu einem Erfolg des regierenden Oligarchen Poroschenko umgemünzt.

In den Redaktionen sitzen erfahrene Journalisten. Die Redaktionen dürften wissen, dass es einen Unterschied gibt, ob man bei einem Konflikt von „Freiheitskämpfern“, „Separatisten“ oder „Terroristen“ spricht. Was meinen Sie, warum fällt das Wording so aus, wie sie es angeführt haben?

Carl Bernstein hatte nach der Watergate-Aufdeckung ja schon in den 1970er Jahren recherchiert, dass hunderte Journalisten in allen großen US-Medien Geheimdienst-Verbindungen haben und die sind seitdem mit Sicherheit nicht weniger geworden, auch nicht bei uns. Das ist für die Großmedien natürlich kein Thema und wenn dann in einer Kabarett-Sendung wie „Die Anstalt“ mal ein wenig Licht auf solche Verbindungen geworfen wird, sind diese als Journalisten getarnten Lobbyisten beleidigt und laufen zum Gericht.

Der größte Teil der Nachrichten kommt ja aus den Tickern einer Handvoll großer Agenturen und wird dann von Medien weiter verarbeitet und präsentiert, die auch wiederum privaten Konzernen gehören. Und Sprachregelungen, das Wording, wird bei solchen Themen in der Regel von oben vorgegeben. Wenn DPA und AP dann von „moderaten Rebellen“ sprechen und auch der Ressortleiter…

…dann?

Wird sich der kleine Redakteur mit dem Hinweis nicht durchsetzen, dass es sich bei diesen Typen nach allem Anschein doch um „islamistische Terroristen“ handelt. Es geht nicht um Fakten, es geht um die Erzählung. Es geht um den Rahmen, in den die Nachrichten verpackt werden oder – um noch einen Begriff aus der Werbung zu benutzen – das „Framing“. Und für die Schubladen – „Gut“ oder „Böse“ – ist dann das Wording entscheidend. Wenn das in die Agenda passt, sind die Fakten völlig zweitrangig, wie der jüngste Skandal beim „Spiegel“ und den Relotius-Medien ja wieder einmal sehr schön zeigt. Und im Falle der Ukraine waren diese Medien eindeutig Kriegspartei und betrieben Propaganda – natürlich für die Demokratie und die Werte: Wir sind immer die Guten! Und dazu gehört, dass wir die Bösen identifizieren, dass wir Feindbilder aufbauen.

Es geht um den Aufbau eines Feindbildes? Warum sollten Medien ein Feindbild aufbauen wollen?

Sehen Sie sich doch die Titel von „Spiegel“ bis „Bild“ zu Russland aus den letzten fünf Jahren mal an oder den entsetzten ZDF-Onkel Claus Kleber, weil der Siemens-Chef in Moskau mit dem Leibhaftigen persönlich – Putin! – gesprochen hatte. Oder diese ganzen Stories von „russischen Hackern“, die Hillary Clintons Emails geklaut, die Wahlen manipuliert und mit Trump eine „Marionette Putins“ (Clinton) installiert hätten. Die ganze „Russiagate“-Nummer ist doch völlig grotesk: Es wurden 13 Russen angeklagt, die im Wahlkampf Facebook-Anzeigen geschaltet haben, die ein russischer Catering-Unternehmer bezahlt hat – das läuft nicht in der Augsburger Puppenkiste als „Putins Koch und die Wilde 13“, sondern als Top-News nach zwei Jahren Sonderermittlung. Die „New York Times“ fasst dann „Russiagate“ in einem endlosen 10.000-Worte-Artikel zusammen, um im vorletzten Absatz zu verstecken, dass es bisher „keine Beweise“ für Absprachen oder gar Geldflüsse zwischen Trump und Putin gibt. Unbewiesen ist bis heute auch, wie und vom wem der Doppelagent Skripal und seine Tochter vergiftet worden sind, doch der „Spiegel“ titelte schon im März „Todesgrüße aus Moskau“. Wir haben die Neuauflage des Buchs um zwei Kapitel zu „Russiagate“ und „Nowitschok“ erweitert, weil hier die einseitige Agenda der Medien noch einmal sehr deutlich wird. Es geht nicht um Fakten, es geht um die vorherrschende Erzählung, um Geschichten vom aggressiven Russland und einem ultrabösen Putin.

Die Frage, warum das geschieht, lässt sich mit einem Blick auf die Rüstungsbudgets beantworten. Aus dem desaströsen sogenannten „war on terror“ lässt sich nicht genügend Kapital schlagen, es braucht einen Großfeind, der dem militärisch-industriellen Komplex die Taschen füllt. Es soll aufgerüstet werden und dafür reichen als Drohkulisse ein paar islamistische Wickelmützen mit Kalaschnikows nicht mehr aus. Es braucht massive „äußere Bedrohungen“ und wenn die nicht vorhanden sind – der Russe macht ja keinerlei Anstalten, uns anzugreifen – muss man sie an die Wand malen.

Mathias Bröckers, Paul Schreyer: Wir sind immer die Guten – Ansichten eines Putinverstehers oder wie der Kalte Krieg neu entfacht wird, Westendverlag, 224 Seiten, 18 Euro