Todenhöfers Antikriegsbuch sei allen Heuchlern ins Stammbuch geschrieben

Todenhöfers Antikriegsbuch sei allen Heuchlern ins Stammbuch geschrieben

Todenhöfers Antikriegsbuch sei allen Heuchlern ins Stammbuch geschrieben

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Wir haben schon einmal darauf hingewiesen, dass Jürgen Todenhöfer und sein Sohn Frederic ein neues Buch veröffentlicht haben: “Die große Heuchelei … Wie Politik und Medien unsere Werte verraten”. Ich habe mir das Buch etwas genauer angeschaut und möchte berichten, was Sie bei der Lektüre erwartet und einige kritische Fragezeichen und Fragen nach den Konsequenzen anbringen. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

  1. Was das Buch bietet. Einige interessante Botschaften und Fragen.

    Die beiden Autoren haben gemeinsam Brennpunkte dieser Welt besucht, sie haben das tiefe Elend der vom Krieg verwundeten und verkrüppelten Menschen und die Zerstörung ihrer Städte und Dörfer gesehen und beschrieben; sie haben mit ihnen gesprochen und sich in vielerlei Weise solidarisch gezeigt, auch praktisch geholfen. Sie haben mit einflussreichen Personen gesprochen, mit Präsidenten und Terrorchefs. Sie haben Bücher studiert. Sie haben auch versucht, vermittelnd zu helfen; so haben sie einen Friedensentwurf des syrischen Präsidenten Assad zu Deutschlands Bundeskanzlerin Merkel transportiert. Ohne Erfolg. Später mehr.

    Das Buch beginnt mit einem Kapitel über die Erlebnisse der Autoren im zerbombten Mossul. Sie kannten den Ort von früheren Besuchen als eine eindrucksvolle und kulturell wertvolle Stadt. Jetzt total zerstört und voller Leichen und verwundeten Menschen ohne Hoffnung. So fängt das Buch an. Daran schließt sich das 2. Kapitel mit einer eher grundsätzlichen Betrachtung und quasi der Schlussfolgerung ihrer Beobachtungen an: “Heuchelei im Paradies”; “unsere Werte”, was man getrost ersetzen kann durch: “unsere Interessen”. Und dann weisen die Autoren auf die lange westliche Tradition der Heuchelei hin. Und auf die lange Kriegstradition. “Lieblingsstrategie Krieg” ist das 5. Kapitel überschrieben.

    Die Botschaft, dass der Westen verglichen mit dem islamischen Orient eine lächerlich dumpfe und gewalttätige Vergangenheit hat, wird dann später im 7. Kapitel genauer erläutert: “Acht Jahrhunderte islamischer Hochkultur, die es angeblich nie gab”. Todenhöfer beschreibt, wie Europa und der Westen auf die Herausforderung der islamischen Welt reagierten: brutal, kolonisierend, immer mit den abendländischen Werten im Gepäck, aber meist ohne faktische Bedeutung für das politische Handeln und für den Umgang mit den von der Kolonisierung betroffenen Menschen. Die Kapitel 7, 8 und 9 sollten Menschen und Parteien mit der Neigung zur Islamophobie zur Pflichtlektüre verschrieben werden.

    In jungen Jahren war ich etwa zur gleichen Zeit wie Autor Jürgen Todenhöfer zum ersten Mal in Syrien, in Damaskus und Aleppo. Zusammen mit einem Freund wohnte ich für ein paar Tage mitten im ältesten Teil Aleppos bei der Familie eines jungen Syrers, der in Heidelberg Medizin studierte und den ich von dort kannte. Wir erlebten eine wirkliche Hochkultur des Städtebaus und des familiären Zusammenlebens und der Zuwendung zu Fremden.

    Diese kulturellen Reichtümer sind alle kaputt. Und diese Zerstörung – von Kabul bis Damaskus und von Aleppo bis Mossul, und von Gaza bis Libyen – kann man nur verstehen, wenn man einmal begriffen hat, dass die Politik im Westen offenbar von Menschen bestimmt wird, die keinerlei Beziehung zu diesen Menschen im Nahen und Mittleren Osten und zu ihrer Kultur haben und vermutlich auch mit Absicht Kulturen zerstören, die ihnen fremd sind.

    Eines der Stilelemente der Autoren ist die Mischung

    • von sehr nahen und auf einzelne Personen bezogenen Schilderungen davon, wie schrecklich es Menschen in Kriegsgebieten geht – Granatsplitter in den Körpern von Kindern, amputierte Gliedmaßen, Leichen auf den Trümmern der Stadt Mossul auch noch Wochen nach der Zerstörung, Hoffnungslosigkeit in Gaza und im Jemen –
    • mit nachdenklichen reflektierenden Passagen und Einordnungsversuchen.

    Die beiden Todenhöfers haben Brennpunkte kriegerischer Auseinandersetzungen besucht und beschrieben: Irak, Syrien, Afghanistan, Gaza, den Jemen, Myanmar und die Vertreibung der Rohingyas.

    Die Urmutter westlicher Heuchelei

    Die NachDenkSeiten hatten einmal einen Artikel mit der Überschrift “Der Tod kommt aus Amerika”. Das könnte auch die heimliche Überschrift über einem großen Teil des Todenhöfer-Buches sein. So haben es viele Völker der Welt erlebt. Todenhöfer überschreibt das 4. Kapitel “Das Weltunterwerfungsprojekt” und schildert darin das brutale Vorgehen des Westens, Amerikas und Europas. Da wird einem schon so richtig klar, dass es schon eine ganze Menge Holocausts gegeben hat und dass für die meisten wir Abendländer verantwortlich sind.

    Todenhöfer meint, vielleicht sei schon die Unabhängigkeitserklärung der USA mitsamt der Erklärung der Menschenrechte die Urmutter der modernen westlichen Heuchelei gewesen. George W. Bush, Obama, Trump – keinen sieht der Autor außerhalb dieser Reihe.

    “Barack Obama bat an der Klagemauer von Jerusalem Gott, ihn zu einem Instrument (s)eines Willens zu machen.” So Todenhöfer. Und weiter: “Hat Obama sich wirklich als Instrument Gottes gesehen, wenn er im Weißen Haus persönlich die Opfer amerikanischer Drohnenschläge auswählte? Oder Bombenangriffe auf Afghanistan den Irak und Libyen befahl?”

    Und weiter:

    “Egal, ob Amerikaner oder Europäer, stets ging es ihnen um Macht, Märkte und Geld. Um ihren Wohlstand, ihre sozialen Errungenschaften, ihre Freiheit. Nie um die Freiheit der anderen.”

    Im Blick auf das, was möglicherweise auf uns zukommt, schreibt der Autor: “Die USA wollen ihre Position als Weltmacht Nummer 1 verteidigen und ausbauen. Wie einst die Weltmacht Rom. „Verteidigung ihrer Werte” nennen sie das. Wer sie dabei unterstützt ist Freund, wer sie behindert, Feind. Das ist das A und O amerikanischer Außenpolitik. Die USA werden immer versuchen, den Aufstieg amerikafeindlicher oder amerikakritischer Mächte und Machtblöcke zu verhindern. Schon deshalb werden sie Russland stets als Störenfried betrachten, der sich ihrem Hegemonialanspruch entgegenstellt. Man muss schon sehr naiv sein um zu glauben, den USA gehe es im Konflikt mit Russland oder mit anderen Ländern um Menschenrechte.”

    Das sind klare Worte. Dazu fällt einem mit Blick auf einen gestandenen CDU-Politiker und Medienmanager schon einiges an Fragen ein:

    • Todenhöfers Kritik an den USA klingt ja so wie die Kritik der 68er am Vietnamkrieg und an den sonstigen Schlächtereien der USA jener Zeit. Der Autor geht darauf ein und gibt zu erkennen, dass er anders als damals die Kritik der Studenten jener Zeit an der Kriegspolitik der USA versteht. Respekt!
    • Todenhöfers Kritik ist sehr fundamental. Das meine ich nicht kritisch. Es schließt sich jedoch eine Frage an: Wenn wir die westliche Politik und speziell die US-amerikanische Politik so kritisch sehen, nicht nur punktuell kritisch, sondern grundsätzlich: verlogen, heuchlerisch, menschenverachtend, dann schließt sich gezwungenermaßen die Frage an: Wie kommen wir aus dieser Tretmühle heraus? Wie lösen wir uns von den USA? Können wir das überhaupt? Welches wären Wege zum Ausstieg aus dieser westlichen Wertegemeinschaft?

    Im hier besprochenen Buch sind diese Fragen noch nicht beantwortet. Das war auch nicht der Anspruch. Aber sie wären dem Autor zu stellen.

    Das Buch enthält auf vielen Seiten die vernichtende Kritik an jenen, die die Welt in Gut und Böse aufteilen und selbstverständlich unterstellen, dass sie und wir hier die Guten sind und die anderen sind die Rassisten und die Feinde und die Terroristen.

  2. Kritische Anmerkungen und Fragen

    Wer ein Buch schreibt, das an reinem Text 293 Seiten umfasst, wird auch mit Fragezeichen und kritischen Anmerkungen rechnen. Auf einiges will ich zu sprechen kommen:

    1. Ich wiederhole die zuvor schon gestellte Frage : Wie können wir uns aus der Umklammerung durch die USA, genauer gesagt aus der Vasallenrolle befreien? Können wir das überhaupt? Oder sind wir auf ewig verdammt dazu, alles mitzumachen?
    2. Bei der Frage, wie die armen Palästinenser überleben und wie sie weiterleben können, ist der Autor Todenhöfer anders als der von ihm zitierte Kissinger ziemlich blauäugig. Kissinger, mit dem er sich vor vielen Jahren zum Frühstück in New York traf, meinte, beim Palästinakonflikt gäbe es keine Lösung. Wer wie ich kein Freund von Kissinger, aber ein Bewunderer der Analyse von Ilan Pappe, dem Autor von “Die ethnische Säuberung Palästinas”, ist , wird der Prognose Kissingers zustimmen. Todenhöfer hingegen ist ein bewundernswerter Optimist. Wörtlich: “Ich glaube, dass Israel nur dauerhaft überleben wird, wenn es mithilft, einen wirklich lebensfähigen, unabhängigen palästinensischen Staat zu schaffen.” Todenhöfer hat dann noch einen Friedensplan, er meint, dass zum Beispiel die von ihm vorgeschlagene friedliche Demonstration von 1,9 Millionen Menschen Gazas die öffentliche Meinung der Welt beeinflussen könnte.

      Dem widerspricht alles, was wir zurzeit erleben und was wir über die Machtverteilung gerade in den Propagandazentralen wissen.

    3. Sonderbare Einschätzung von wichtigen handelnden Personen

      Auf den Abbildungen im inneren Teil des Buches, meist sind das Fotos von zerstörten Häusern und verletzten Menschen und den Autoren im Gespräch mit wichtigen Person des Zeitgeschehens, ist auch ein sogenanntes Non Paper des syrischen Präsidenten Assad wiedergegeben. Das war eine Aufzeichnung des Präsidenten Assad, bestimmt für die deutsche Bundeskanzlerin – ein Friedensplan für das geplagte Land.

      Todenhöfer berichtet, dass der syrische Präsident die deutsche Bundeskanzlerin bewundert habe. Und Todenhöfer hat ihn nicht korrigiert und offensichtlich nicht aufgeklärt. Dabei müsste er eigentlich wissen, welche unsägliche Rolle Angela Merkel von Anfang an gespielt hat, schon beim Krieg gegen den Irak und dann auch weiter bei dem Versuch des Regime Change in Syrien. Die Bundeskanzlerin hat alles mitgemacht: die Kriegseinsätze, die Sanktionen, das Abwerben von gut ausgebildeten Flüchtlingen, usw.

      Wenn man das weiß, dann kann man doch den syrischen Präsidenten nicht im treuherzigen Glauben lassen, dass Angela Merkel es gut meinen könnte mit dem syrischen Volk und und dass sie aufgeschlossen sein könnte für einen Friedensvorschlag des syrischen Präsidenten, der unter Deutschlands Politikern und Medien ohne Gänsefüßchen “Schlächter” genannt wird.

      Jürgen Todenhöfer hat versucht, das Non Paper über seinen Parteifreund Wolfgang Schäuble und den außenpolitischen Berater im Bundeskanzleramt an die Bundeskanzlerin heranzubringen. “Diese war daran allerdings nicht sonderlich interessiert,” stellt Todenhöfer dann etwas resigniert fest.

      Das hätten kluge Beobachter der Szenerie auch ohne Syrien-Reise genauso vorhersagen können. Sie hätten ihn auch davor gewarnt, nun gerade Wolfgang Schäuble als Boten auszusuchen – einen in der Wolle gewaschenen Atlantiker.

    4. Ambivalenz und Fehleinschätzung zur Rolle der Medien

      Im Untertitel des Buches steht: “Wie Politik und Medien unsere Werte verraten”. Das ist eine eindeutige Aussage. Aber sie widerspricht dem Gesamtbild, das der Autor von den Medien und ihre Rolle in der Welt der “großen Heuchelei” spielen.

      Todenhöfer skizziert und beschreibt ganz hart die Rolle von drei Atlantikern in drei zentralen Medien unseres Landes: Joffe von der Zeit, Kornelius von der Süddeutschen Zeitung und Kohler von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Todenhöfers Aussagen zu diesen Personen sind eindeutig und entsprechen auch der Realität.

      Der Autor kommt auch an vielen anderen Stellen des Buches zum Urteil, dass unsere Medien im Umgang mit den Kriegen des Westens und der damit verbundenen Heuchelei versagen. Mit ”Versagen der Medien” ist das einschlägige Kapitel überschrieben.

      Aber sein Urteil über die Medien insgesamt fällt dann wirklich viel zu freundlich und positiv aus. Todenhöfer hat offenbar seinen Frieden mit den gedruckten Medien gemacht, die er täglich mindestens 1 Stunde lang, auf dem Trimm-Rad sitzend, liest. Da kann ich ihn wirklich nur bewundern. Wenn ich morgens meine Regionalzeitung aufschlage, immerhin das Flaggschiff des Konzerns, der auch die Süddeutsche Zeitung besitzt, dann könnte ich im Quadrat springen – heute wieder auf der ersten Seite ein Artikel von Stefan Scholl aus Russland. Immer gegen Putin, immer gegen Russland. Durchgehende und oft an den Haaren herbeigezogene Hetze. Bei diesem Autor wie bei vielen anderen quillt der Kampagnenjournalismus aus allen vorhandenen Löchern. Das zu konsumieren, würde ich nicht mal eine Viertelstunde lang aushalten.

      Todenhöfer war vielleicht zu lange Medienmanager, um die nötige Distanz zur Wirklichkeit der uns umgebenden Medien einschließlich der Bild-Zeitung und einschließlich der Fernsehkanäle gewonnen zu haben. Vielleicht hat er auch deshalb keinen klaren Blick auf das Hauptgeschäft der etablierten Medien: Kampagnen zu machen. Für die Amerikaner, gegen die Russen, für die Kriege und gegen die Islamisten.

Das ist ein bisschen schade, aber dieser Eindruck ändert nichts am Gesamteindruck: ein lesenswertes, informatives Buch.